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Von der Schulleitung attackiert, von Eltern drangsaliert

Laut einer Studie, die Reinhold Jäger vom Zentrum für empirisch-pädagogische Forschung an der Uni Koblenz-Landau durchgeführt hat, klagt jeder 6. Lehrer über Mobbing-Attacken in der Schule. Dabei gehen sie häufig nicht von Schülern, sondern von Kollegen oder der Schulleitung aus.

Reinhold Jäger im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: Wenn wir über Mobbing an der Schule reden, dann reden wir meistens über Schüler, die Schüler mobben. Am Mobbingort Schule sind aber nicht nur die Schüler Opfer, sondern sehr oft auch die Lehrer. Wie oft und in welcher Form, das hat Reinhold Jäger vom Zentrum für empirischen pädagogische Forschung an der Uni Koblenz Landau untersucht, und seine Ergebnisse, die sind bedrückend: 41 Prozent von 1500 befragten Lehrern geben an, schon einmal gemobbt worden zu sein, jeder sechste Lehrer sagt, er werde mehr als viermal im Monat angegangen. Herr Jäger, eigentlich sitzen die Lehrer in der Klasse am längeren Hebel, wie erklären Sie sich, dass so viele über Mobbing klagen?

    Reinhold Jäger: Das war ja das Erstaunliche, dass zunächst einmal nicht die Schülerinnen und Schüler die Lehrer mobben, wie man dies erwartet hätte, sondern dass eher das Mobbing von Schulleitung gegenüber den Kollegen existiert. Das beklagen die Lehrerinnen und Lehrer, die befragt wurden, am stärksten.

    Götzke: Das verwundert ja schon ein bisschen, denn anders als in den vielen anderen Berufen weiß der Chef in der Schule in der Regel ja gar nicht mal so genau, was sein Mitarbeiter, der Lehrer in der Klasse so tut, und dennoch drangsalieren Schulchefs ihre Mitarbeiter häufiger als Chefs in anderen Branchen. Wie ist das zu erklären, was vermuten Sie?

    Jäger: Es ist ja häufig so, dass im Laufe der Zeit irgendwelche Klagen auftreten. Klagen durch Eltern, Klagen durch Schülerinnen und Schüler – in dieser Situation ist sicherlich auch ein Schulleiter gefordert. Und es kann natürlich die Situation eintreten, dass in der Folge solcher Bedingungen der Schulleiter in einer Art und Weise agiert, auch langfristig agiert, wie man dies als Mobbingattacken verstehen muss. Und dabei kommt noch Folgendes zu tragen – das Kollegium ist im Regelfall ja durchaus noch überschaubar – dass tradiert wird, dass geschwätzt wird, und dass dann Situationen auftreten, wo auch noch das Kollegium mit eindrischt, und dann ist eine Situation gegeben, die nicht unbedingt förderlich ist für das Klima dieser Organisationsform Schule.

    Götzke: Das heißt, Mobbing im Lehrerzimmer vor allen Dingen?

    Jäger: Mobbing im Lehrerzimmer, aber wie gesagt, zuerst Schulleiter gegenüber Lehrkräften, und als Nächstes Lehrkräfte gegen Lehrkräfte, sprich Kollegium – jetzt nicht insgesamt, sondern Einzelne gegen einzelne Lehrerinnen und Lehrer, und dann wiederum als Nächstes Eltern gegenüber Lehrerinnen und Lehrern.

    Götzke: Wenn wir uns jetzt noch mal das Mobbing Eltern gegen Lehrer anschauen, wie prägt sich das aus?

    Jäger: Überspitzt ausgedrückt: Schulleistungen bewegen sich ja in einem Kampffeld. Da kommt ein Schüler nach Hause und sagt, jetzt stell dir vor, jetzt habe ich da eine schlechte Note. Eine schlechte Note wird aber als Warnsignal, als eine rote Ampel angesehen nach dem Motto, mir als Eltern in der Verantwortung gegenüber unserem Kind sind die Zukunftschancen für dieses Kind genommen, also wird jede Situation wahrgenommen, um durchaus nicht nur in Verhandlung zu treten, sondern auch Druck auszuüben, und das führt nun in der Tat zu etwas, was aus der Sicht von Lehrkräften zu einer Mobbingsituation führt, da werden auch Lehrerinnen und Lehrer von Eltern drangsaliert, bedroht, häufig wird ja auch mit dem Rechtsanwalt gedroht.

    Götzke: Im Schnitt der Erwerbstätigen geben laut einer Studie von 2002 etwa drei Prozent an, Mobbingopfer zu sein, bei den Lehrern sind es mehr als 17 Prozent. Sind Lehrer einfach empfindlicher?

    Jäger: Das könnte natürlich sein, wir müssen ja die Frage stellen, wie kommt man zu der Tatsache, Lehrer zu werden. Da gibt es natürlich das Vorbild der Lehrkräfte, aber die Situation ist für sie nicht ganz einfach, weil sie haben eigentlich keinen Einblick dahingehen, was sich hinter der Situation, nämlich im Alltag des tagtäglichen Auseinandersetzens mit Schülerinnen und Schülern und so weiter, vollzieht.

    Götzke: Kurz zusammengefasst, die Lehrer, die möglicherweise nicht wirklich für diesen Beruf geeignet sind, die werden auch häufiger Mobbingopfer.

    Jäger: Das könnte sein, das haben wir aber nicht so direkt überprüfen können. Das ist eine Hypothese, der wir ja dann nachfolgend auch nachgehen werden.

    Götzke: Was empfehlen Sie Lehrern, die Mobbingopfer sind, was sollten die am besten tun?

    Jäger: Man muss mit Deutlichkeit auftreten, auch deutlich machen, ich lasse mir bestimmte Dinge nicht gefallen, wenn Sie mir drohen mit dem Rechtsanwalt – um das Bild aufzunehmen –, weil eine schlechtere Note gegeben wird, dann stelle ich mich dem, ich bin der festen Überzeugung, dass ich Transparenz machen kann, wie es zu diesem Ergebnis gekommen ist, ich darf dies in der Konsequenz aber nicht als einen Angriff auf meine Persönlichkeit nehmen. Dies muss gewissermaßen gelernt werden, dazu bedarf es auch der gesonderten Ausbildung innerhalb der Lehrer als Ausbildung selbst. Ich muss natürlich auch variieren können in der Art und Weise des Agierens. Was wir feststellen an den Hochschulen, ist der Sachverhalt, dass eine Vielzahl von künftigen Lehrerinnen und Lehrern, geradezu was das Rhetorische anbetrifft, wenig auf der Platte haben, hier hilft durchaus auch der Besuch mal eines Rhetorikseminars, eine gezielte Schulung, damit man gegenüber Eltern, gegenüber Mitkolleginnen und Kollegen, aber auch gegenüber Schulleitung besser auftreten kann.

    Götzke: Rhetorik-Skills sind nie falsch. Jeder sechste Lehrer klagt über Mobbing – Täter sind meist die Rektoren. Untersucht hat das der Erziehungswissenschaftler Reinhold Jäger. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.