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Von der überzeugten Aktivistin zur Widerstandskämpferin

Basierend auf bislang unbekannten Dokumenten geht Barbara Beuys in ihrem Buch auch den Brüchen in der Biografie Sophie Scholls nach: beispielsweise der Frage, wie aus einer glühenden jugendlichen Nationalsozialistin eine mutige Widerstandskämpferin wurde.

Von Michael KuhlmannBarbara Beuys: "Sophie Scholl Biografie". Hanser Verlag |
    Die Münchner Gestapo konnte Vollzug melden. Am 18. Februar 1943 hatte sie jene Studenten gestellt, die seit Monaten in ganz Süddeutschland ihre oppositionellen Flugblätter verbreiteten. Und selten hatte es die NS-Justiz so eilig, Todesurteile zu vollstrecken. Über das heute vielleicht prominenteste der drei Mordopfer, über Sophie Scholl, ist nun eine Biografie erschienen. Sophie Scholl war mit 15 noch begeisterte Anhängerin des Nationalsozialismus, sechs Jahre später ging sie in den aktiven Widerstand. In Grundzügen war das bekannt. Autorin Barbara Beuys stieß aber im Detail auf Überraschendes.

    "Ich denke, es ist ganz klar, dass die Zeit, in der Sophie Scholl und ihre Geschwister für den Nationalsozialismus einstanden, nicht so kurz war, wie Inge Scholl das geschildert hat – ganz eindeutig haben alle bis 1938, auch Sophie Scholl, engagiert mitgemacht und haben nicht – was sie gekonnt hätten – auf die Karriere verzichtet."
    Barbara Beuys stützt sich vor allem auf Sophie Scholls umfangreiche Briefwechsel mit Geschwistern und Freunden. Sie hat herausgefiltert, wie Sophie und ihre Geschwister ab 1933 zunächst den Nazis auf den Leim gingen. Allein die Schilderung dessen lohnt, denn der Leser erfährt hautnah, wie Leute im Alter von 12, 15, 18 Jahren von der Begeisterung für die Diktatur gepackt wurden. Diese Diktatur gerierte sich als jugendlich; und das verfing gerade auch bei Sophie Scholl. So wurde sie im BDM – im Bund Deutscher Mädel – zu einer überzeugten Aktivistin. Erst in den späten dreißiger Jahren kamen ihr nach und nach Zweifel an der braunen Heilslehre. Barbara Beuys erlebte insofern beim Blick in die Archivalien die zweite Überraschung:

    "Dass sich hier erstmals sehr viele Briefe erhalten haben von Sophie Scholl, in denen sie über ihre innere Entwicklung spricht. Und wo sie zeigt, dass sie eine Person ist, die sehr analytisch denkt und sehr selbstkritisch, und von vielen Zweifeln geplagt ist und nicht sozusagen als unschuldiges Kind durchs Leben gegangen ist – wie, glaube ich, das Bild ist, das wir von ihr haben."
    Der Nationalsozialismus kollidierte mit einer Kernüberzeugung Sophie Scholls: Die persönliche Freiheit des Einzelnen stellte sie letztlich über alles andere.

    "Das allerletzte Zeugnis, was wir von ihr haben: Sie hat auf der Anklageschrift einen Tag vor ihrem Tod im Gefängnis, auf die Rückseite der Akte dreimal das Wort 'Freiheit' geschrieben. Und dann hat sie die Akte umgedreht, und die ist dann abgeholt worden, und die Nazis haben das offenbar nicht entdeckt; das ist erst Jahre später entdeckt worden, und das war ihre Parole, und Freiheit ist ja ein ganz wichtiges Stichwort auch in den Blättern der Weißen Rose."
    Bis zum Engagement in dieser Studentengruppe war es noch ein weiter Weg. Das Buch schildert, was Sophie Scholl in den Jahren 1935 bis 1943 beschäftigte: nicht zuletzt die Liebe zu Fritz Hartnagel, einem Leutnant der Wehrmacht, der schließlich an der Front stand – die Suche der beiden nach einem Modus vivendi ihrer Fernbeziehung – aber auch, wie sie nach und nach ihre Verwurzelung im christlichen Glauben fanden. Das Buch geht also über eine politische Biografie weit hinaus; es zeichnet auch das Psychogramm eines Erwachsenwerdens – mit allen Brüchen und Widersprüchen. Als die braune Diktatur schließlich Europa mit Krieg überzog, da wurde Sophie Scholl endgültig zur Regimegegnerin.

    "Die entscheidenden Vorbereitungen sind bei ihr sicher das Denken, sie hat sich gelöst von dieser Ideologie – und die Briefe im Laufe des Jahres 41 deuten darauf hin: 'Ich will nicht nur denken, ich will auch etwas tun!' Eine ihrer Lieblingsstellen aus den Apostelbriefen ist eine Stelle beim Apostel Jakobus, da heißt es: 'Seid nicht nur Hörer des Wortes, sondern auch Täter!'"
    Und so schloss sie sich in München der Widerstandsgruppe an, in der sich ihr Bruder Hans Scholl bereits engagierte, der Weißen Rose. Sie druckten Tausende Flugblätter – um ihre Landsleute aufzurütteln. Dieses hier legten sie im Februar 1943 in der Münchner Universität aus.

    Kommilitoninnen! Kommilitonen! Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad. 330.000 deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten in Tod und Verderben gehetzt. Führer, wir danken dir! Der Tag der Abrechnung ist gekommen – der Abrechnung unserer deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat. Im Namen der ganzen deutschen Jugend fordern wir von dem Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut des Deutschen zurück – um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat.
    Wer sich für die Verfasser dieses Flugblatts interessiert, für die Weiße Rose, der findet in diesem Buch eine Fülle neuer Details. Allerdings können die Quellen nicht alles erklären. Warum zum Beispiel besuchte Sophie noch 1941 regelmäßig Veranstaltungen des BDM – als sie längst schon mit dem Nationalsozialismus gebrochen hatte? Sophie Scholls Biografie offenbart nun einmal mehr als einen Widerspruch, erklärt Barbara Beuys.

    "Und vielleicht ist das auch etwas, was der Leser akzeptieren muss, und auch die Autorin: Sie können kein Leben ganz enträtseln!"
    Soweit es aber heute möglich ist, hat die Autorin auf knapp 500 Seiten ins Leben der Sophie Scholl Licht gebracht. 67 Jahre nach ihrer Ermordung gibt es damit zu dieser prominenten Figur des deutschen Widerstandes endlich eine umfassende Biografie. Historiker der Weißen Rose könnten das Buch bald als ein Standardwerk schätzen.

    Michael Kuhlmann besprach das Buch von Barbara Beuys: Sophie Scholl. Biografie. Erschienen ist der Band im Hanser Verlag, er hat knapp 500 Seiten und kostet 24,90 Euro, ISBN: 978-3-446-23505-2.