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Von der (Un-)Sucht des Essens

Die Aussicht auf eine wohlschmeckende Mahlzeit aktiviert die gleichen Hirnzentren wie bei einer Drogensucht. Das ist das Ergebnis einer Studie US-amerikanischer Forscher. Doch die Erkenntnisse sind umstritten.

Von Michael Engel |
    Vor der Kernspinuntersuchung wurden die Versuchspersonen nach ihrem Ernährungsverhalten befragt: "Essen Sie, wenn Sie sich schlecht fühlen?" Mit solchen und anderen Fragen wollten die Wissenschaftler herausfinden, welche Rolle das Essen spielt. Probanden mit einem hohem Abhängigkeitswert hatten im Kernspin — im MRT — dann auch deutlich aktivere Nervenzellen, wenn ihnen Essen gezeigt wurde. Speziell in Hirnregionen, die auch bei der Drogensucht eine Rolle spielen. "Essen kann süchtig machen", folgerten die Wissenschaftler aus diesem Befund, den Ernährungspsychologen wie Claudia Ziegler vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover allerdings eher kritisch beurteilen:

    "weil ich würde mich da eher wundern, wenn es da nicht "blinkt" sozusagen im MRT. Das weiß man auch schon aus vielen Studien, dass Essen sozusagen mit einer Dopaminausschüttung vermehrt ist. Und das geht wiederum mit einem Wohlbefinden einher. Das gleiche hat man aber auch, wenn man Sport macht, wenn man ein gutes Gespräch führt, beim Sex gibt es das auch, also das muss da sozusagen aktiv sein, diese Areale, und das ist eben auch beim Essen so. Und da ist auch wieder wichtig: Daraus muss keine Sucht entstehen, das ist ja auch genauso bei Alkohol. Da muss auch nicht jeder, der Alkohol trinkt, vielleicht auch einmal im Übermaß, muss nicht gleich süchtig werden, da kommen immer noch andere Faktoren dazu."


    Ob das Essen von sich aus süchtig macht oder nicht, eher die äußeren Lebensumstände des Betroffenen wie Stress oder Bewegungsmangel, zu dem ungesunden Essverhalten geführt haben, das ist ein uraltes, gleichwohl immer noch kontroverses Thema in den Reihen der Ernährungspsychologen. Befürworter der Suchttheorie wie die amerikanischen Wissenschaftler betonen, dass Nahrungsmittel wie Schokolade oder Chips deutlich stärkere Signale im Nervensystem erzeugen. Auf der anderen Seite sind längst nicht alle, die als "esssüchtig" eingestuft wurden, auch übergewichtig. Claudia Ziegler:

    "Das Spannende bei der Studie ist ja auch, dass diese Ess-Sucht-Faktoren nicht mit dem BMI korrellieren, wo man sich ja fragt, wenn eigentlich die Erklärung gesucht wird, warum ist es dann so schwer, das Abnehmen. Und das hat gar nichts mit dem Übergewicht zu tun. Dann, finde ich, hakt auch der Erklärungswert bzw. die Indikation der Studie. Aber das wäre sicherlich einmal interessant, das einmal bei Männern zu untersuchen und auch zu differenzieren, Normalgewichtige - Adipöse. Wie sieht da die Aktivierung aus?"

    Genau das aber - die Hirnaktivität speziell bei Übergewichtigen bzw. Untergewichtigen - hatten die amerikanischen Wissenschaftler gar nicht untersucht, sondern nur die Hirnaktivität im Verhältnis zum ermittelten Suchtwert. Zudem hatten die Wissenschaftler "Binge-eating-Patienten" mit Heißhungerattacken gezielt ausgeschlossen.

    Claudia Ziegler behandelt im Kinderkrankenkaus auf der Bult überwichtige
    Kinder. Und die werden - durch Computer und Lernstress - immer mehr. Ihre psychotherapeutische Strategie wird sich durch die Studie nicht ändern: Gemeinsames Kochen und Informationen über gesunde Ernährung - das alles ein gebettet in eine Familientherapie. Das Essverhalten - so ihre Erfahrung - wird nicht vom Essen selbst, sondern durch den Umgang mit dem Essen geprägt - von klein auf:

    "Wenn das Kind weint, wird das Fläschchen gegeben. Aber vielleicht hat es ein ganz anderes Bedürfnis. Und jedes Bedürfnis wird mit Essen beantwortet. Und solche Lernmechanismen führen dazu, dass Kinder dann lernen, jedes Unbehagen kann mit Essen gelöst werden. Und genauso, wenn man Kinder fragt, wann isst Du denn Schokolade: ja, wenn ich gestresst bin von der Schule. Und danach fragt, wie kommst Du da drauf, dass Dir dann Schokolade hilft. Ja, Mama macht das auch so oder Papa. Und da sieht man sehr gut, wie Kinder das lernen."