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Von der Wiederkehr des Patriarchats

Die neueste deutsche Krisen-Debatte dreht sich um den Kindermangel: Nur noch 1,4 Kinder pro Frau werden hierzulande geboren. Es scheint gewiss: Die Deutschen sterben aus! Doch wer ist schuld an der Situation? In Deutschland läuft die Debatte in den üblichen Bahnen. In den USA sorgt Phillip Longman mit seinem Aufsatz "Die Wiederkehr des Patriarchats"für Aufsehen. Doch was konservativ klingt, bedeutet noch lange nicht die Rückkehr altmodischer Werte.

Von Rüdiger Suchsland |
    "Rentnerberg", "Sterbeüberhang", "Gebärstreik" - schöne neue Worte waren es, die wir in den letzten Wochen lernen konnten. Die neueste deutsche Krisen-Debatte dreht sich wieder mal ums Ganze: Nur noch 1,4 Kinder pro Frau werden hierzulande geboren, es scheint gewiss: Die Deutschen sterben aus!

    Wer ist schuld am Kindermangel? In Deutschland läuft die Debatte in den üblichen Bahnen. Die Regierung schlägt Programme vor, der Bielefelder Soziologe Franz-Xaver Kaufmann macht in seinem Suhrkamp-Buch "Schrumpfende Gesellschaft" eine falsche Politik für die Lage verantwortlich, und ahnt: Wie einst die Goten das Römischen Reich, werde ein gewaltiger Migrationssog aus Afrika Europa überschwemmen. Und der konservative Boulevard wettert gegen Kinderlose und fordert "Frauen zurück an den Herd", sekundiert zum Beispiel von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der in seinem Bestseller "Minimum" verkündet, nur eine "Umprogrammierung der Gesellschaft", und die selbstlose Aufopferung der Frau als Rettungsanker könne den Untergang vermeiden.

    Ganz andere Töne hört man dagegen aus Amerika:

    "Ich denke wir müssen begreifen, dass das, was bei unseren Geburtsraten schief läuft, nicht daran liegt, dass Frauen irgendetwas falsch machen."

    Dies sagt Phillip Longman, Fellow am unabhängigen Washingtoner Think Tank "New America Foundation", und einflussreicher Kolummnist so renommierter Zeitungen wie der "New York Times" oder des "Wall Street Journal". Bereits vor zwei Jahren entwickelte er in seinem Buch "The Empty Cradle" (Die leere Wiege") provozierende Thesen zur Bevölkerungspolitik. "Über den ganzen Erdball hinweg, keineswegs nur in den Industrieländern des Westens, bekämen die Leute weniger Kinder oder gar keine mehr." hieß es darin.

    Kaum zu glauben: Nachdem die Demographie über Jahrzehnte vor dem Weltuntergang durch drohende Überbevölkerung gewarnt hat, und obwohl derzeit etwa fünfmal soviel Menschen auf der Erde leben, wie in allen Jahrtausenden zusammen zuvor, soll nun das Gegenteil wahr sein.

    Jetzt sorgt Phillip Longman erneut für Aufsehen: "Die Wiederkehr des Patriarchats" ist sein Aufsatz überschrieben, den er jetzt in der neuesten Ausgabe des US-Magazins "Foreign Policy" veröffentlicht. Konservative und religiöse Familien bekommen mehr Kinder, schreibt er, und scheint den sicheren Sieg der konservativ-christlichen Fundamentalisten über den Liberalismus und die Emanzipation der Frauen zu prophezeien.

    Mit besonderer Lust stürzen sich deutsche Berichterstatter, etwa im SPIEGEL-Interview diese Woche, auf solche, scheinbar konservative Thesen Longmans. Aber was meint nun Longman eigentlich genau mit "Wiederkehr des Patriarchats"?

    " Patriarchat heißt männliche Herrschaft, aber es bedeutet viel mehr. Es bedeutet, dass Männer Dinge tun, die sie nicht unbedingt gern tun, wie heiraten. Sich niederlassen. Verantwortung für Kinder übernehmen. … Keine Frage, dass viele Männer lieber herumziehen würden, Abenteuer erleben. Das Patriarchat zwingt Männer in eine Rolle, die sie sehr interessiert werden lässt, Kinder zu bekommen, und daran, wie diese Kinder sich entwickeln."

    Da haben sich manche Patriarchen wohl etwas zu früh gefreut. Der 50-jährige Longman redet also keineswegs einer Renaissance des Patriarchats das Wort, er ist mit seinen Thesen weder für Familienministerin von der Leyens "Bündnis für Erziehung" zu vereinnahmen, noch von jenen, die gern "der 68-er-Generation" oder "dem Feminismus" die Schuld an allem Übel dieser Welt geben.

    Nun, Männer müssen aufpassen, … es gibt sicher viele, die den Frauen die Schuld an dieser Lage geben wollen. Aber wir müssen verstehen, dass in den letzten 50 Jahren nicht nur die Frauen befreit wurden, sondern auch die Männer … Wenn wir eine Rückkehr zum Patriarchat haben, dann wird sich für die Männer viel mehr ändern, als für die Frauen, sie werden mehr Autonomie einbüßen. In einer patriarchalischen Gesellschaft bekommen Männer, die sich nicht um ihre Frau kümmern, echte Probleme."

    Wenn es um Lösungen geht, denkt Longman praktischer und zeitgemäßer, als die die Frauen wieder in alte Rollen zwängen wollen: Statt auf Rückkehr altmodischer Werte zu hoffen, setzt er im Geiste angelsächsischen Liberalismus' auf die Kraft des Kapitalismus: So fordert er Steuersenkungen im Austausch für Kinder, und ein staatlich finanziertes Sparbuch bei von 6.000 Dollar pro geborenes Kind.

    Es ist klar: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Bis zu einem gewissen Grad ist unverkennbar, dass auch Longman jener allgemeinen Biologisierung des Sozialen das Wort redet, die ein Grundzug der neuen Bevölkerungsdebatte ist.