In Stone Town, dem historischen Zentrum der Inselhauptstadt, treffe ich Juma Nyange. Es ist zehn Uhr morgens und schon schweißtreibend heiß. Juma, 29 Jahre alt, ist ein typischer Sansibari - ein bisschen Bauer, ein bisschen Fischer, ein bisschen Guide. Seine Haut ist sehr dunkel, zweifellos waren seine Vorfahren afrikanische Sklaven. Auf dem Pflaster vor der großen Markthalle haben sich Straßenhändler niedergelassen; die Frauen, in farbige Tücher gehüllt, hocken unter Sonnenschirmen oder balancieren Schüsseln und Töpfe auf dem Kopf.
Im Gewusel der Markthalle schlägt uns der Geruch von Fisch und überreifen Früchten entgegen. Berge von Kochbananen, Maniok, Cassava und Reis werden angeboten. Doch nirgendwo sehe ich Säcke mit Gewürzen. Sie sind in flache Plastiktütchen abgepackt, in langen Reihen nebeneinander wie ein bunter Flickenteppich. Da duftet nichts mehr exotisch.
"Sansibar wird Gewürzinsel genannt, weil es die Heimat der Gewürze ist. Nur wenige Gewürze wurden importiert, wie Vanille von den Portugiesen aus Mexiko, Nelken von den Arabern aus Indonesien, Muskatnuss aus Indien. Zimt, Kardamom, Zitronengras, Kurkuma, Ingwer stammen dagegen aus Sansibar."
Im Jahr 1698 war es den Arabern aus Oman gelungen, die portugiesischen Besatzer von Sansibar zu vertreiben und nach und nach die gesamte ostafrikanische Küste unter ihre Kontrolle zu bringen. 1840 verlegte der Sultan von Oman seinen Sitz von Muskat nach Sansibar, um von hier aus den Sklavenhandel strategisch noch günstiger auszubauen. Sultan Said bin Sayyed brauchte allein für seine 45 neu angelegten Dattel- und Nelken-Plantagen tausende Sklaven. Der Aufschwung des Gewürzhandels und der märchenhafte Reichtum der Sultane auf der kleinen Insel im Indischen Ozean, der sich bis nach Europa herumsprach, wären ohne die Sklavenarbeit undenkbar gewesen.
Wir schlendern durch Stone Town, die "steinerne Stadt" aus der Sultanszeit. Der Glanz der einst kosmopolitischen Metropole mit Handelsverbindungen in die ganze Welt ist verblasst. Doch betörend ist das Gewirr der engen Gassen noch immer, gesäumt von hohen Häusern aus Korallengestein mit kunstvoll geschnitzten Holztüren und fein ziselierten Balkonen. Seit die Altstadt vor zehn Jahren Weltkulturerbe wurde, sind verfallene Mauern und bröckelnde Fassaden erneuert worden. Handtuchschmale Läden sind in die alten Bauten eingezogen. Frauen in knöchellangen schwarzen Bui-Bui-Gewändern oder bunten Kanga-Tüchern flanieren entlang der Basare, meist unverschleiert, nur ihre Haare sind bedeckt. Viele Männer tragen bestickte Kofia-Käppis, die typische Kopfbedeckung der Swahilis.
Juma bleibt vor einem Kanga-Stand stehen. Die doppelten Kanga-Tücher tragen oft persönliche Botschaften, zum Beispiel:
"Nur sein Herz entscheidet, mich zu lieben."
"Egal was sie gegen mich sagen - wen ich liebe, ist meine Entscheidung."
Über 90 Prozent der Inselbevölkerung sind Muslime, und so stehen solche Kanga-Botschaften im Gegensatz zu der bis heute gültigen Tradition, dass der Vater entscheidet, wann und wen der Sohn oder die Tochter heiratet.
Wir biegen in die Mkunazini-Straße ein, die früher zum Sklavenmarkt führte. Dort, wo heute eine anglikanische Kirche steht, befand sich im 19. Jahrhundert der größte Sklavenumschlagplatz der Welt. Bis zu 40.000 Gefangene aus Ost- und Zentralafrika wurden jährlich nach Sansibar verschleppt und etwa drei Viertel weiter verschifft nach Arabien, Persien, Indien und in die Karibik. Wenn Juma vor der Kirche an dem Sklaven-Denkmal vorbeigeht – fünf lebensgroßen, aneinander geketteten Figuren, die aus ihrer ummauerten Höhle nur mit den Köpfen über den Erdboden ragen -, erinnert es ihn jedes Mal an seine Wurzeln, das grausame Schicksal seiner Vorfahren.
"Wenn die Sklaven in Sansibar ankamen, wurden sie vor dem Verkauf
eine Woche lang in unterirdischen Kammern wie Ware gelagert, in Holzgerüsten übereinander gestapelt, bevor es zum Markt ging."
In diesen Kammern, an Eisenringe gekettet, erstickten und verhungerten viele Sklaven, die die brutale Verschleppung aus ihren Dörfern und die Überfahrt in den Bäuchen der Dhaus überlebt hatten.
"Weil Stone Town zum Ozean hin offen war, schwappte das Wasser bei Flut in die Keller hinein. Dann drängten sich die Sklaven im oberen Holzfach; bei Ebbe war es die Toilette. Nach einer Woche wurden sie dann zum Markt gebracht, zu jenem Platz, wo heute zur Erinnerung die Kirche steht."
Erst 1873 verbot das Britische Empire die Sklaverei. Doch illegal ging der Handel in Sansibar noch Jahrzehnte weiter, grausamer als je zuvor.
An der Seefront, dem Meer zugewandt, stehen die prächtigsten Gebäude von Stone Town, die ehemaligen Paläste der Sultane im arabisch-viktorianischen Stil. In einem der Paläste wuchs die berühmte Prinzessin Salme von Sansibar und Oman auf, die ein heimliches Liebesverhältnis mit einem Hamburger Kaufmann begann. Salme war die Tochter von Sultan Said und einer tscherkessischen Sklavin, die als Kind vom Sultan gekauft worden war. Die Prinzessin wuchs im Harem des Sultans auf, mit seinen 73 Nebenfrauen, seinen 35 Kindern und 800 Bediensteten. Als sie schwanger wurde, floh sie 1866 auf einem britischen Schiff nach Aden, nahm den christlichen Glauben an und heiratete ihren Geliebten. Unter ihrem neuen Namen Emily Ruete lebte die Prinzessin später in Hamburg.
Sansibar war übrigens nie in deutschem Besitz und konnte deshalb im legendären Helgoland-Sansibar-Vertrag auch nicht mit dem Eiland in der Nordsee getauscht werden. In diesem Abkommen vom 1. Juli 1890 ging es vielmehr um die Regelung der deutschen und englischen Einflussgebiete in Afrika. Das Deutsche Reich bestätigte den Briten das alleinige Protektorat über Sansibar und verzichtete auf die eben erst erworbenen Schutzgebiete im heutigen Kenia und Uganda. Im Tausch gegen diese riesigen Gebiete in Ostafrika bekam Deutschland die bis dahin britisch besetzte Insel Helgoland und den sogenannten Caprivi-Zipfel im heutigen Namibia.
Das Sultanat Sansibar unter britischer Oberherrschaft überlebte bis zur Unabhängigkeit im Dezember 1963. Der letzte Sultan Jamshid durfte weiter regieren. Ihm blieben noch 32 Tage bis zur Revolution.
Im Fastenmonat Ramadan, in der Nacht zum 12. Januar 1964, entlud sich die angestaute Wut der ausgebeuteten afrikanischen Inselbevölkerung gegen die arabisch-indische Oberschicht. Es kam zu einem blutigen Massaker, bei dem Tausende Araber und Inder den Tod fanden. Schon am nächsten Tag wurde die "Volksrepublik Sansibar und Pemba" ausgerufen, die sich kurz darauf mit Tanganyika zur Vereinigten Republik Tansania zusammenschloss, als halbautonomer Staat. Araber und Inder flohen. Auch Sultan Jamshid entkam; er erhielt Asyl in England, wo er noch heute lebt.
Nach der Revolution wurden die Plantagen des Sultans und der arabischen Großgrundbesitzer verstaatlicht. Die Nelkenproduktion wurde wieder intensiviert, besonders auf der Insel Pemba. Bald entschloss man sich, einen großen Teil der Plantagen auf Sansibar unter Kleinbauern aufzuteilen. Jede Familie bekam drei Hektar, auch Jumas Großonkel Abdullah, dessen Sohn Abeid heute im fruchtbaren tropischen Westen der Insel Gewürze, Früchte und Kokospalmen anbaut. Juma bleibt unter dem dunkelgrünen Blätterdach eines Muskatnussbaums stehen, in dem die reifen, gelblich-grünen Früchte wie kleine Pfirsiche hängen.
"Muskatnuss ist nicht die Frucht, sondern der Kern, wir benutzen die fruchtige Außenschale nicht. Nach vier Monaten platzt die Schale auf, dann ist es Zeit für die Ernte. Die Muskatnüsse müssen im Baum gepflückt werden, sie fallen nicht herunter. Wenn man die Schale öffnet, sieht man den wunderschönen, leuchtend roten Samenmantel, in dem die Nuss steckt. Dieser rote Mantel namens Macis ist sehr teuer."
In der schwülen Nachmittagshitze gehen wir durch hohes Gras zu den Jackfruchtbäumen, deren riesige Früchte direkt aus dem Stamm wachsen.
Wir passieren ein Ananasfeld und Lemon Gras-Wiesen, inspizieren die unter Palmwedeln versteckten Kardamom-Kapseln und die am Boden verzweigten Ingwer-Wurzelknollen. Abeid's Farm gleicht einem verwunschenen Garten, wo sämtliche tropischen Gewürze und Früchte scheinbar wild nebeneinander wachsen. Sie reifen zu unterschiedlichen Zeiten, und wenn etwas geerntet werden muss, heuert Abeid Leute an. So läuft es bei den meisten Kleinbauern. Juma schält ein Stück Rinde von einem Zimtbaum:
"Zimt ist ein Gewürz, das aus Sansibar stammt. Wenn man die Rinde trocknet, rollt sie sich auf. Nach zwei Wochen wird die getrocknete Rinde zu Puder zermahlen und exportiert."
Dann spaziert Juma dahin, wo der Pfeffer wächst. Wie eine Liane rankt sich die Pfefferpflanze entlang anderer Baumstämme in luftige Höhe. Sie trägt kleine, beerenartige Früchte, erst grün, dann rot, dann schwarz.
Auch Vanille ist eine Kletterpflanze; wie Bohnenschoten sehen ihre länglichen, grünen Früchte aus. Dann steht Juma vor dem hoch gewachsenen Nelkenbaum.
"Nelken sind unser Hauptprodukt in Sansibar. Nach drei Monaten werden die Blütenknospen dunkelrot. Dann ernten wir sie und trocken sie zwei Wochen in der Sonne, bis sie schwarz und kleiner werden. Anschließend verpacken wir die Nelken und verkaufen sie an die Regierung, die für den Export verantwortlich ist."
Mit Seilen und Leitern klettern die Pflücker auf die Bäume, um die dichten Nelkenbüschel zu kappen. Eine gefährliche Arbeit. Ein Verwandter von Juma fiel bei der Ernte auf der Insel Pemba vom Baum, als ein Ast brach, ihn in die Tiefe riss, einen Abhang hinunter, wo ihn ein großer spitzer Stock durchbohrte und tötete.
Auf Pemba ist für den Gewürznelkenanbau der größte Teil der ursprünglichen Bewaldung gerodet worden, und noch immer dehnen sich dort riesige Nelken-plantagen aus. Doch die Zeiten sind vorbei, in denen Sansibar gut von Gewürzen leben konnte. Der Weltmarktpreis für Nelken ist ins Bodenlose gefallen. Der einst weltgrößte Nelkenproduzent spielt heute auf dem europäischen Markt kaum noch eine Rolle.
Je mehr es mit Sansibars Gewürzexport abwärts ging, desto größere wirtschaftliche Bedeutung gewann der Tourismus. Im Hafen von Sansibar Town landen große Kreuzfahrtschiffe, die Tausende Touristen in die engen Gassen von Stone Town spülen, zur Freude der Souvenirhändler und Straßenjungen. Die Insel gilt heute vor allem als Urlaubsparadies. Die von Palmen gesäumten Traumstrände liegen an der Ostküste, dort, wo seit jeher die Fischer leben. Seit den neunziger Jahren sind hier viele Beachhotels entstanden, oft in unmittelbarer Nähe der Fischerdörfer. Für viele Einheimische bedeuten sie die Chance, Arbeit in den Lodges als Kellner, Schreiner, Bootsfahrer zu finden und den Hotels ihre frischen Fische zu verkaufen.
Mittlerweile unterstützen manche Hotelmanager die lokale Bevölkerung mit sozialen Projekten. Davon habe auch das Dorf Kigomani Matemwe profitiert, berichtet Mubárrak, der im Bootshaus am Strand arbeitet.
"Die Matemwe Bungalows sind ein großer Freund des Dorfes, weil sie die Probleme vieler Jahre beendet haben. Ein Beispiel: Wir hatten lange Zeit keine Schule. Jetzt haben wir eine, mit Hilfe der Lodge und der Regierung. Hier sind viele Leute an verschmutztem Wasser gestorben. Jetzt haben wir sauberes Wasser, weil die Lodge einen Brunnen gebaut hat. "
Der Direktor der Lodge, Ingo Stritter, stammt aus Namibia. Gemeinsam
mit anderen Hoteliers setzt er sich dafür ein, dass eine Klinik für die Einheimischen gebaut wird. Er hilft bei Ausbildungsstipendien und beim Umweltschutz. Das Geld geht in eine gemeinsame Stiftung, die Honeyguide Foundation, die sich direkt um alle Projekte kümmert.
"Ganz besonders in Bezug auf Müll läuft jetzt gerade im Moment hier in der Matemwe-Gegend sehr viel, wo wir die Mitarbeit von anderen Hotels brauchen. Wir möchten über unsere Grenzen hinaus wirken und nicht nur für Matemwe und diese sieben Dörfer, die uns umgeben. Sondern es muss einfach mehr geschehen. Wir arbeiten mit einer der stärksten Associations von Sansibar zusammen, die Investment Association, und dann auch direkt mit dem Staat."
An diesem Tag übergibt Ingo Stritter der Dorfschule von Kigomani eine Spende seiner Gäste von insgesamt 887.000 tansanischen Schilling – das sind umgerechnet 487 Euro.
"Ich freue mich und es ist mir eine Ehre, dass wir einiges Geld bei unseren Gästen sammeln konnten."
Der Schulleiter bedankt sich für die Spende, die es ihm ermöglicht, die Gehälter der Lehrer zu bezahlen und neue Bücher zu kaufen. 600 Schüler und Schülerinnen besuchen die Primary School bis zur siebten Klasse; sie werden von nur neun Lehrern unterrichtet, eine Hälfte kommt morgens, die andere nachmittags. Die Mädchen tragen weiße Bui-Bui-Umhänge, die Jungen weiße Hemden. Und zusammen singen sie das Jambo-Lied:
Im Dorf Kigomani Matemwe an Sansibars Nordostküste lebt der Fischer Mcha Msilin. Es ist eines der vielen bitterarmen Fischerdörfer mit grauweißen Häusern und sandigen Wegen, direkt am Strand. An dieser Küste auf einem Sockel aus Korallengestein gedeihen keine Gewürze, nur Kokospalmen, unter denen die Fischer an diesem Tag ihre Netze flicken.
"Heute ist es nicht möglich, zum Fischen hinauszufahren, weil Nippflut ist. Dann schaffen es die Dhaus nicht rechtzeitig, über das vorgelagerte Korallenriff zurückzukommen, bevor das Wasser zu flach wird. Deshalb machen wir heute Reparaturarbeiten. Und warten auf die nächste Springflut."
Am Strand sind einige Männer dabei, eine Dhau, ein traditionelles Holzboot, aus rohen Mangrovenhölzern zu bauen, wie es die Küstenbewohner hier seit Generationen tun.
Mcha unterhält sich eine Weile mit den Bootsbauern. Er ist wie sie im Dorf geboren, 29 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Ich begleite Mcha in der schwülen Mittagshitze ins staubige Dorf. Verstreut stehen die Häuser aus groben Korallensteinen mit Dächern aus Palmstroh oder Wellblech, die meisten ohne Elektrizität. Wir kommen an der Moschee vorbei, einem simplen Flachbau mit einer Mauer drum herum, auf der T-Shirts zum Trocknen liegen. Im schmalen Hof drei Männer bei Fußwaschungen vorm Mittagsgebet. Mcha zeigt mir den Brunnen, den die benachbarte Lodge für das Dorf gebaut hat. Kinder, Hühner und Enten stromern umher.
Auf der Mauer vor einem Getränkeladen mit diversen Coca Cola-Schildern haben Frauen Töpfe und Schüsseln mit selbst gekochten Speisen aufgebaut und warten auf Kundschaft.
"Die Frauen sind aus diesem Dorf. Sie bringen etwas zum Essen, um es zu verkaufen: Brot, Bohnen, Porridge, Früchte, Chips. Und die Männer kommen her, um hier zu essen, die meisten abends nach dem Sonnenuntergangsgebet. Manche nehmen Essen und Trinken auch nach Hause mit zu ihrer Familie. Andere bleiben hier, um Freunde zu treffen, zu klönen, oder auch, um Videos und Filme anzuschauen."
Vor dem Café nebenan lungern schon jetzt viele junge Männer und Kinder untätig herum, während aus dem Radio für einen kurzen, fröhlichen Augenblick Taarab-Musik ertönt. Nahe dem Strand, auf dem überdachten Fischmarkt, gibt es heute nichts zu kaufen und zu verkaufen. Und so dösen die Männer im Schatten der Palmen in ihren Hängematten, während die Frauen knietief mit hoch gebundenen Röcken ins flache Meer waten und Algen ernten. Auch Mchas Frau. (27")
Der Fischer schlägt den Weg zu seinem Haus ein, es liegt etwas höher hinter der Moschee. Seine beiden Schwestern wohnen in Häusern nebenan, sein älterer Bruder ist Taxifahrer in Sansibar Town. Sieben Jahre ist Mcha im Dorf in die Schule gegangen, drei Jahre in der Stadt. Doch es sei hart geworden, als Fischer zu überleben, sagt er. Und so fährt Mcha jetzt öfter mit Touristen aufs Meer hinaus, zum Schnorcheln mit Delfinen.
Im Gewusel der Markthalle schlägt uns der Geruch von Fisch und überreifen Früchten entgegen. Berge von Kochbananen, Maniok, Cassava und Reis werden angeboten. Doch nirgendwo sehe ich Säcke mit Gewürzen. Sie sind in flache Plastiktütchen abgepackt, in langen Reihen nebeneinander wie ein bunter Flickenteppich. Da duftet nichts mehr exotisch.
"Sansibar wird Gewürzinsel genannt, weil es die Heimat der Gewürze ist. Nur wenige Gewürze wurden importiert, wie Vanille von den Portugiesen aus Mexiko, Nelken von den Arabern aus Indonesien, Muskatnuss aus Indien. Zimt, Kardamom, Zitronengras, Kurkuma, Ingwer stammen dagegen aus Sansibar."
Im Jahr 1698 war es den Arabern aus Oman gelungen, die portugiesischen Besatzer von Sansibar zu vertreiben und nach und nach die gesamte ostafrikanische Küste unter ihre Kontrolle zu bringen. 1840 verlegte der Sultan von Oman seinen Sitz von Muskat nach Sansibar, um von hier aus den Sklavenhandel strategisch noch günstiger auszubauen. Sultan Said bin Sayyed brauchte allein für seine 45 neu angelegten Dattel- und Nelken-Plantagen tausende Sklaven. Der Aufschwung des Gewürzhandels und der märchenhafte Reichtum der Sultane auf der kleinen Insel im Indischen Ozean, der sich bis nach Europa herumsprach, wären ohne die Sklavenarbeit undenkbar gewesen.
Wir schlendern durch Stone Town, die "steinerne Stadt" aus der Sultanszeit. Der Glanz der einst kosmopolitischen Metropole mit Handelsverbindungen in die ganze Welt ist verblasst. Doch betörend ist das Gewirr der engen Gassen noch immer, gesäumt von hohen Häusern aus Korallengestein mit kunstvoll geschnitzten Holztüren und fein ziselierten Balkonen. Seit die Altstadt vor zehn Jahren Weltkulturerbe wurde, sind verfallene Mauern und bröckelnde Fassaden erneuert worden. Handtuchschmale Läden sind in die alten Bauten eingezogen. Frauen in knöchellangen schwarzen Bui-Bui-Gewändern oder bunten Kanga-Tüchern flanieren entlang der Basare, meist unverschleiert, nur ihre Haare sind bedeckt. Viele Männer tragen bestickte Kofia-Käppis, die typische Kopfbedeckung der Swahilis.
Juma bleibt vor einem Kanga-Stand stehen. Die doppelten Kanga-Tücher tragen oft persönliche Botschaften, zum Beispiel:
"Nur sein Herz entscheidet, mich zu lieben."
"Egal was sie gegen mich sagen - wen ich liebe, ist meine Entscheidung."
Über 90 Prozent der Inselbevölkerung sind Muslime, und so stehen solche Kanga-Botschaften im Gegensatz zu der bis heute gültigen Tradition, dass der Vater entscheidet, wann und wen der Sohn oder die Tochter heiratet.
Wir biegen in die Mkunazini-Straße ein, die früher zum Sklavenmarkt führte. Dort, wo heute eine anglikanische Kirche steht, befand sich im 19. Jahrhundert der größte Sklavenumschlagplatz der Welt. Bis zu 40.000 Gefangene aus Ost- und Zentralafrika wurden jährlich nach Sansibar verschleppt und etwa drei Viertel weiter verschifft nach Arabien, Persien, Indien und in die Karibik. Wenn Juma vor der Kirche an dem Sklaven-Denkmal vorbeigeht – fünf lebensgroßen, aneinander geketteten Figuren, die aus ihrer ummauerten Höhle nur mit den Köpfen über den Erdboden ragen -, erinnert es ihn jedes Mal an seine Wurzeln, das grausame Schicksal seiner Vorfahren.
"Wenn die Sklaven in Sansibar ankamen, wurden sie vor dem Verkauf
eine Woche lang in unterirdischen Kammern wie Ware gelagert, in Holzgerüsten übereinander gestapelt, bevor es zum Markt ging."
In diesen Kammern, an Eisenringe gekettet, erstickten und verhungerten viele Sklaven, die die brutale Verschleppung aus ihren Dörfern und die Überfahrt in den Bäuchen der Dhaus überlebt hatten.
"Weil Stone Town zum Ozean hin offen war, schwappte das Wasser bei Flut in die Keller hinein. Dann drängten sich die Sklaven im oberen Holzfach; bei Ebbe war es die Toilette. Nach einer Woche wurden sie dann zum Markt gebracht, zu jenem Platz, wo heute zur Erinnerung die Kirche steht."
Erst 1873 verbot das Britische Empire die Sklaverei. Doch illegal ging der Handel in Sansibar noch Jahrzehnte weiter, grausamer als je zuvor.
An der Seefront, dem Meer zugewandt, stehen die prächtigsten Gebäude von Stone Town, die ehemaligen Paläste der Sultane im arabisch-viktorianischen Stil. In einem der Paläste wuchs die berühmte Prinzessin Salme von Sansibar und Oman auf, die ein heimliches Liebesverhältnis mit einem Hamburger Kaufmann begann. Salme war die Tochter von Sultan Said und einer tscherkessischen Sklavin, die als Kind vom Sultan gekauft worden war. Die Prinzessin wuchs im Harem des Sultans auf, mit seinen 73 Nebenfrauen, seinen 35 Kindern und 800 Bediensteten. Als sie schwanger wurde, floh sie 1866 auf einem britischen Schiff nach Aden, nahm den christlichen Glauben an und heiratete ihren Geliebten. Unter ihrem neuen Namen Emily Ruete lebte die Prinzessin später in Hamburg.
Sansibar war übrigens nie in deutschem Besitz und konnte deshalb im legendären Helgoland-Sansibar-Vertrag auch nicht mit dem Eiland in der Nordsee getauscht werden. In diesem Abkommen vom 1. Juli 1890 ging es vielmehr um die Regelung der deutschen und englischen Einflussgebiete in Afrika. Das Deutsche Reich bestätigte den Briten das alleinige Protektorat über Sansibar und verzichtete auf die eben erst erworbenen Schutzgebiete im heutigen Kenia und Uganda. Im Tausch gegen diese riesigen Gebiete in Ostafrika bekam Deutschland die bis dahin britisch besetzte Insel Helgoland und den sogenannten Caprivi-Zipfel im heutigen Namibia.
Das Sultanat Sansibar unter britischer Oberherrschaft überlebte bis zur Unabhängigkeit im Dezember 1963. Der letzte Sultan Jamshid durfte weiter regieren. Ihm blieben noch 32 Tage bis zur Revolution.
Im Fastenmonat Ramadan, in der Nacht zum 12. Januar 1964, entlud sich die angestaute Wut der ausgebeuteten afrikanischen Inselbevölkerung gegen die arabisch-indische Oberschicht. Es kam zu einem blutigen Massaker, bei dem Tausende Araber und Inder den Tod fanden. Schon am nächsten Tag wurde die "Volksrepublik Sansibar und Pemba" ausgerufen, die sich kurz darauf mit Tanganyika zur Vereinigten Republik Tansania zusammenschloss, als halbautonomer Staat. Araber und Inder flohen. Auch Sultan Jamshid entkam; er erhielt Asyl in England, wo er noch heute lebt.
Nach der Revolution wurden die Plantagen des Sultans und der arabischen Großgrundbesitzer verstaatlicht. Die Nelkenproduktion wurde wieder intensiviert, besonders auf der Insel Pemba. Bald entschloss man sich, einen großen Teil der Plantagen auf Sansibar unter Kleinbauern aufzuteilen. Jede Familie bekam drei Hektar, auch Jumas Großonkel Abdullah, dessen Sohn Abeid heute im fruchtbaren tropischen Westen der Insel Gewürze, Früchte und Kokospalmen anbaut. Juma bleibt unter dem dunkelgrünen Blätterdach eines Muskatnussbaums stehen, in dem die reifen, gelblich-grünen Früchte wie kleine Pfirsiche hängen.
"Muskatnuss ist nicht die Frucht, sondern der Kern, wir benutzen die fruchtige Außenschale nicht. Nach vier Monaten platzt die Schale auf, dann ist es Zeit für die Ernte. Die Muskatnüsse müssen im Baum gepflückt werden, sie fallen nicht herunter. Wenn man die Schale öffnet, sieht man den wunderschönen, leuchtend roten Samenmantel, in dem die Nuss steckt. Dieser rote Mantel namens Macis ist sehr teuer."
In der schwülen Nachmittagshitze gehen wir durch hohes Gras zu den Jackfruchtbäumen, deren riesige Früchte direkt aus dem Stamm wachsen.
Wir passieren ein Ananasfeld und Lemon Gras-Wiesen, inspizieren die unter Palmwedeln versteckten Kardamom-Kapseln und die am Boden verzweigten Ingwer-Wurzelknollen. Abeid's Farm gleicht einem verwunschenen Garten, wo sämtliche tropischen Gewürze und Früchte scheinbar wild nebeneinander wachsen. Sie reifen zu unterschiedlichen Zeiten, und wenn etwas geerntet werden muss, heuert Abeid Leute an. So läuft es bei den meisten Kleinbauern. Juma schält ein Stück Rinde von einem Zimtbaum:
"Zimt ist ein Gewürz, das aus Sansibar stammt. Wenn man die Rinde trocknet, rollt sie sich auf. Nach zwei Wochen wird die getrocknete Rinde zu Puder zermahlen und exportiert."
Dann spaziert Juma dahin, wo der Pfeffer wächst. Wie eine Liane rankt sich die Pfefferpflanze entlang anderer Baumstämme in luftige Höhe. Sie trägt kleine, beerenartige Früchte, erst grün, dann rot, dann schwarz.
Auch Vanille ist eine Kletterpflanze; wie Bohnenschoten sehen ihre länglichen, grünen Früchte aus. Dann steht Juma vor dem hoch gewachsenen Nelkenbaum.
"Nelken sind unser Hauptprodukt in Sansibar. Nach drei Monaten werden die Blütenknospen dunkelrot. Dann ernten wir sie und trocken sie zwei Wochen in der Sonne, bis sie schwarz und kleiner werden. Anschließend verpacken wir die Nelken und verkaufen sie an die Regierung, die für den Export verantwortlich ist."
Mit Seilen und Leitern klettern die Pflücker auf die Bäume, um die dichten Nelkenbüschel zu kappen. Eine gefährliche Arbeit. Ein Verwandter von Juma fiel bei der Ernte auf der Insel Pemba vom Baum, als ein Ast brach, ihn in die Tiefe riss, einen Abhang hinunter, wo ihn ein großer spitzer Stock durchbohrte und tötete.
Auf Pemba ist für den Gewürznelkenanbau der größte Teil der ursprünglichen Bewaldung gerodet worden, und noch immer dehnen sich dort riesige Nelken-plantagen aus. Doch die Zeiten sind vorbei, in denen Sansibar gut von Gewürzen leben konnte. Der Weltmarktpreis für Nelken ist ins Bodenlose gefallen. Der einst weltgrößte Nelkenproduzent spielt heute auf dem europäischen Markt kaum noch eine Rolle.
Je mehr es mit Sansibars Gewürzexport abwärts ging, desto größere wirtschaftliche Bedeutung gewann der Tourismus. Im Hafen von Sansibar Town landen große Kreuzfahrtschiffe, die Tausende Touristen in die engen Gassen von Stone Town spülen, zur Freude der Souvenirhändler und Straßenjungen. Die Insel gilt heute vor allem als Urlaubsparadies. Die von Palmen gesäumten Traumstrände liegen an der Ostküste, dort, wo seit jeher die Fischer leben. Seit den neunziger Jahren sind hier viele Beachhotels entstanden, oft in unmittelbarer Nähe der Fischerdörfer. Für viele Einheimische bedeuten sie die Chance, Arbeit in den Lodges als Kellner, Schreiner, Bootsfahrer zu finden und den Hotels ihre frischen Fische zu verkaufen.
Mittlerweile unterstützen manche Hotelmanager die lokale Bevölkerung mit sozialen Projekten. Davon habe auch das Dorf Kigomani Matemwe profitiert, berichtet Mubárrak, der im Bootshaus am Strand arbeitet.
"Die Matemwe Bungalows sind ein großer Freund des Dorfes, weil sie die Probleme vieler Jahre beendet haben. Ein Beispiel: Wir hatten lange Zeit keine Schule. Jetzt haben wir eine, mit Hilfe der Lodge und der Regierung. Hier sind viele Leute an verschmutztem Wasser gestorben. Jetzt haben wir sauberes Wasser, weil die Lodge einen Brunnen gebaut hat. "
Der Direktor der Lodge, Ingo Stritter, stammt aus Namibia. Gemeinsam
mit anderen Hoteliers setzt er sich dafür ein, dass eine Klinik für die Einheimischen gebaut wird. Er hilft bei Ausbildungsstipendien und beim Umweltschutz. Das Geld geht in eine gemeinsame Stiftung, die Honeyguide Foundation, die sich direkt um alle Projekte kümmert.
"Ganz besonders in Bezug auf Müll läuft jetzt gerade im Moment hier in der Matemwe-Gegend sehr viel, wo wir die Mitarbeit von anderen Hotels brauchen. Wir möchten über unsere Grenzen hinaus wirken und nicht nur für Matemwe und diese sieben Dörfer, die uns umgeben. Sondern es muss einfach mehr geschehen. Wir arbeiten mit einer der stärksten Associations von Sansibar zusammen, die Investment Association, und dann auch direkt mit dem Staat."
An diesem Tag übergibt Ingo Stritter der Dorfschule von Kigomani eine Spende seiner Gäste von insgesamt 887.000 tansanischen Schilling – das sind umgerechnet 487 Euro.
"Ich freue mich und es ist mir eine Ehre, dass wir einiges Geld bei unseren Gästen sammeln konnten."
Der Schulleiter bedankt sich für die Spende, die es ihm ermöglicht, die Gehälter der Lehrer zu bezahlen und neue Bücher zu kaufen. 600 Schüler und Schülerinnen besuchen die Primary School bis zur siebten Klasse; sie werden von nur neun Lehrern unterrichtet, eine Hälfte kommt morgens, die andere nachmittags. Die Mädchen tragen weiße Bui-Bui-Umhänge, die Jungen weiße Hemden. Und zusammen singen sie das Jambo-Lied:
Im Dorf Kigomani Matemwe an Sansibars Nordostküste lebt der Fischer Mcha Msilin. Es ist eines der vielen bitterarmen Fischerdörfer mit grauweißen Häusern und sandigen Wegen, direkt am Strand. An dieser Küste auf einem Sockel aus Korallengestein gedeihen keine Gewürze, nur Kokospalmen, unter denen die Fischer an diesem Tag ihre Netze flicken.
"Heute ist es nicht möglich, zum Fischen hinauszufahren, weil Nippflut ist. Dann schaffen es die Dhaus nicht rechtzeitig, über das vorgelagerte Korallenriff zurückzukommen, bevor das Wasser zu flach wird. Deshalb machen wir heute Reparaturarbeiten. Und warten auf die nächste Springflut."
Am Strand sind einige Männer dabei, eine Dhau, ein traditionelles Holzboot, aus rohen Mangrovenhölzern zu bauen, wie es die Küstenbewohner hier seit Generationen tun.
Mcha unterhält sich eine Weile mit den Bootsbauern. Er ist wie sie im Dorf geboren, 29 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Ich begleite Mcha in der schwülen Mittagshitze ins staubige Dorf. Verstreut stehen die Häuser aus groben Korallensteinen mit Dächern aus Palmstroh oder Wellblech, die meisten ohne Elektrizität. Wir kommen an der Moschee vorbei, einem simplen Flachbau mit einer Mauer drum herum, auf der T-Shirts zum Trocknen liegen. Im schmalen Hof drei Männer bei Fußwaschungen vorm Mittagsgebet. Mcha zeigt mir den Brunnen, den die benachbarte Lodge für das Dorf gebaut hat. Kinder, Hühner und Enten stromern umher.
Auf der Mauer vor einem Getränkeladen mit diversen Coca Cola-Schildern haben Frauen Töpfe und Schüsseln mit selbst gekochten Speisen aufgebaut und warten auf Kundschaft.
"Die Frauen sind aus diesem Dorf. Sie bringen etwas zum Essen, um es zu verkaufen: Brot, Bohnen, Porridge, Früchte, Chips. Und die Männer kommen her, um hier zu essen, die meisten abends nach dem Sonnenuntergangsgebet. Manche nehmen Essen und Trinken auch nach Hause mit zu ihrer Familie. Andere bleiben hier, um Freunde zu treffen, zu klönen, oder auch, um Videos und Filme anzuschauen."
Vor dem Café nebenan lungern schon jetzt viele junge Männer und Kinder untätig herum, während aus dem Radio für einen kurzen, fröhlichen Augenblick Taarab-Musik ertönt. Nahe dem Strand, auf dem überdachten Fischmarkt, gibt es heute nichts zu kaufen und zu verkaufen. Und so dösen die Männer im Schatten der Palmen in ihren Hängematten, während die Frauen knietief mit hoch gebundenen Röcken ins flache Meer waten und Algen ernten. Auch Mchas Frau. (27")
Der Fischer schlägt den Weg zu seinem Haus ein, es liegt etwas höher hinter der Moschee. Seine beiden Schwestern wohnen in Häusern nebenan, sein älterer Bruder ist Taxifahrer in Sansibar Town. Sieben Jahre ist Mcha im Dorf in die Schule gegangen, drei Jahre in der Stadt. Doch es sei hart geworden, als Fischer zu überleben, sagt er. Und so fährt Mcha jetzt öfter mit Touristen aufs Meer hinaus, zum Schnorcheln mit Delfinen.