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Von Elefanten und Mäusen

Die Regierung von Singapur hat ehrgeizige Ziele: Binnen zehn Jahren soll der kleine Stadtstaat das führende Zentrum für biomedizinische Forschung in Asien werden. Biopolis heißt das Mega-Projekt - eine futuristisch anmutende Wissenschaftsstadt in tropischer Gartenlandschaft. Im Oktober 2003 wurde sie offiziell eröffnet, heute arbeiten knapp 2000 Wissenschaftler in dem Think-Tank für biomedizinische Forschung.

Von Ralf Krauter |
    Singapur liegt an der Südspitze Malaysias. Auf einer Fläche kleiner als Hamburg leben hier vier Millionen Menschen. Glaubt man dem Tenor mancher westlicher Medien, dann tun sie das mehr schlecht als recht. Von drakonischen Strafen gegen Kriminelle wird da berichtet und von einem pseudodemokratischen Staat, in dem eine Handvoll einflussreicher Familien alle Strippen zieht. Das alles ist richtig, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Richtig ist nämlich auch, dass die meisten Singapurianer sehr zufrieden sind, mit sich und der Welt. Und zwar aus gutem Grund. Singapur hat sich seit seiner Gründung vor 40 Jahren zu einer der führenden Wirtschaftsregionen Asiens gemausert hat. Man ist fleißig, erfolgreich und ehrgeizig. Und man hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb von zehn Jahren zur Weltspitze der biomedizinischen Forschung aufzuschließen. Biopolis oder auf Englisch Biopolis heißt das Großprojekt, das die Regierung seit dem Jahr 2000 zielstrebig vorantreibt.

    Yeo: "So the most important is to promote not footballers but brains. "

    Ruhe: "Die Biopolis ist in einer wirklich bemerkenswert kurzen Zeit vom Reißbrett in die Realität umgesetzt worden. "

    Lane: "The facilities here are pretty amazing. And we’ve been able to get going very quickly. "

    Ackermann: "Was ich an Singapur ganz persönlich schätze, ist, dass wenn die Regierung sich für irgendwas entschlossen hat, dieses dann auch umgesetzt wird. "

    Das neue Mekka der Bioforscher liegt 15 Minuten außerhalb des Stadtzentrums von Singapur. Wenn die klimatisierte U-Bahn ihre Türen öffnet, schlägt einem die feuchte Schwüle der Tropen entgegen. Von der Haltestelle sind es fünf Minuten zu Fuß, vorbei an zwei Großbaustellen und am imposanten Gebäude des Bildungsministeriums. Was sich dahinter zeigt, ist noch beeindruckender. Ein Komplex aus sieben acht bis zehnstöckigen Gebäuden - alle spitzwinklig und mit Fassaden aus Stein, Stahl und Glas - die durch klimatisierte Röhren verbunden sind. Das Ganze eingebettet in eine Gartenlandschaft. Willkommen in Biopolis.

    An diesem Montagmorgen Mitte November ist auf dem zentralen Platz noch wenig los. Die in der Luft angestaute Feuchtigkeit entlädt sich gerade in einem Regenguss. Alles wirkt aufgeräumt und gut durchdacht. Fitness-Studio, Massagesalon, Restaurants, Bars und Cafés sowie mehrere große Konferenzräume - es gibt alles hier. Auf der Toilette warten edle Glaswaschbecken und wasserfreie Urinale, mit Wartungsanleitung auf Englisch, Mandarin und Malaiisch.

    Dann ist es Zeit für das erste Interview. In einem der oberen Stockwerke des Gebäudes mit Namen Centros wartet der Schöpfer von Biopolis: Philip Yeo, der Vorsitzende der Regierungsbehörde für Wissenschaft, Technologie und Forschung, kurz A-STAR.

    Philip Yeo ist ein wichtiger Mann. Seit 20 Jahren ist der studierte Ingenieur der Chefplaner des Wirtschaftswunders Singapur. Mit strategischem Weitblick hat er erst die Elektronikindustrie ins Land geholt, dann die Chemie- und Halbleiterindustrie aufgebaut.

    Der kleine Mann wirkt 20 Jahre jünger, als er tatsächlich ist und es hält ihn nie lange auf seinem Stuhl. Mal springt er unvermittelt an die Milchglasscheibe hinter seinem Schreibtisch, um mit Filzschreiber die Wachstumskurven wichtiger Wirtschaftszweige zu veranschaulichen. Dann stürzt er ins Nebenzimmer, in dem sich Fachzeitschriften und Nachdrucke aus Nature und Science stapeln, um eine Abhandlung über Alexander den Großen aus einem Regal zu ziehen.

    Seit dem Jahr 2000 hat Philip Yeo die Pharmaindustrie im Visier. Rund 250 Millionen Euro hat der Bau von Biopolis bisher gekostet. Für die Forschung in den neuen High-Tech-Labors hat die Regierung über einen Zeitraum von fünf Jahren zusätzlich 2,5 Milliarden Euro bereitgestellt.

    Die Entscheidung zum Bau der Bio-City fiel im April 2001. Bereits zweieinhalb Jahre später, am 29. Oktober 2003, wurde Biopolis offiziell eröffnet. Der futuristische Komplex mit den sieben Hochhäusern bietet 2000 Wissenschaftlern Raum: Genforscher, Molekularbiologen, Bioinformatiker, Nanotechnologen und Pharmaforscher – ein biomedizinischer Think Tank in tropischer Gartenlandschaft. 90 Prozent der Labor- und Büroflächen sind bereits vermietet.

    Das Tempo ist schon beeindruckend. In Deutschland wäre in den viereinhalb Jahren seit dem Startschuss vermutlich noch nicht mal das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen worden. Hat eben auch seine Vorteile, wenn es keine Verwaltungsgerichte gibt und das Parlament nur eine Kammer hat.

    Um einen ersten Eindruck von den Arbeitsbedingungen in Biopolis zu bekommen, lassen wir das Mastermind Philip Yeo kurz gedanklich mit dem Filzschreiber an der Milchglasscheibe zurück. Wir gehen drei Minuten durch die vormittägliche Schwüle, bevor uns im Foyer des Proteos-Gebäudes wieder angenehme Kühle umfängt. Hinter der Empfangstheke vom Designer wachen zwei Damen darüber, wer hier rein darf. Proteos beherbergt das Institut für Molekular- und Zellbiologie - mit 450 Mitarbeitern eines der größten in Biopolis. Ein sprechender Aufzug bringt uns in den fünften Stock, wo der Genforscher Byrappa Venkatesh wartet.

    Venkatesh: "Biopolis ist ein inspirierender Ort. Es gibt hier viele gemeinsame Projekte von Forschern unterschiedlicher Fachgebiete und wir haben alle Einrichtungen und Geräte, die man sich nur wünschen kann. Diese hervorragende Infrastruktur wird von allen gemeinsam genutzt – das macht es erschwinglich, sorgt zugleich aber für Synergien. In der Kaffeepause treffe ich automatisch Forscher der anderen Institute und wir reden über unsere Projekte. Dieser Austausch ist extrem wichtig für Wissenschaftler und Biopolis liefert dafür optimale Rahmenbedingungen. "

    Der aus Indien stammende Byrappa Venkatesh leitet gemeinsam mit dem Nobelpreisträger Sydney Brenner eine 15-köpfige Arbeitsgruppe. 2002 hat sie weltweit von sich reden gemacht, mit der Entzifferung des Genoms des japanischen Kugelfisches Fugu. Fugu hat das kleinste Genom aller Wirbeltiere und dient heute als Referenzmodell für die Erbgutanalyse anderer Wirbeltiere - vergleichende Genomik heißt das im Fachjargon.

    Venkatesh: "Das Institut für Molekular- und Zellbiologie wurde bereits vor 18 Jahren gegründet und war für die Regierung der Beleg dafür, dass man in Singapur tatsächlich Spitzenforschung betreiben kann. "

    Vor eineinhalb Jahren zog Byrappa Venkatesh in die neuen Räume in Biopolis. Sein kleines Büro ist nur durch eine Glastür vom Gang getrennt. Zu den Labors auf der anderen Seite sind es bloß fünf Schritte. Alles wirkt hell, offen, und kommunikativ.

    Venkatesh öffnet die gläserne Schiebetür zu einem der geräumigen Labors: Drei Doktoranden in weißen Kitteln pipettieren irgendwelche Flüssigkeiten – Vorbereitungen für die Analyse der enthaltenen DNA.

    Im angrenzenden Labor werden Corona-Viren untersucht, die Erreger von SARS und Vogelgrippe.

    Die einzelnen Labors sind durch einen vielleicht 40 Meter langen Gang alle miteinander verbunden. Keine Tür hindert daran, kurz mal einem Kollegen über die Schulter zu schauen.

    Für die Arbeit mit wirklich gefährlichen Erregern gibt es auf der anderen Seite der Nasslabors ein Hochsicherheitslabor der Stufe 3.

    In einem keilförmigen Areal zwischen den beiden Laborzeilen befinden sich die Geräte, die von allen Forschern gemeinsam genutzt werden: Kühl- und Gefrierräume, Zentrifugen, hochauflösende Mikroskope, bildgebende Verfahren – hier bleibt kein Wunsch offen. Alle Geräte sind neu und vom Feinsten. Gespart wurde hier nirgends.

    In einem kleinen Raum stehen vier DNA-Sequenzierer, Stückpreis rund 250.000 Euro. Ein Trupp spezialisierter Techniker hält die Maschinen rund um die Uhr am Laufen.

    Wenn sie eine DNA-Probe hierher schicken, bekommen sie innerhalb von zwei Tagen das Ergebnis. Früher, als man seine Proben oft irgendwo anders hin schicken musste, hat man oft eine Woche gewartet. Das war natürlich ärgerlich, denn meist können sie ihre Arbeit ja nicht fortsetzen, bevor sie das Ergebnis kennen.

    Wenn diese Fortsetzung darin besteht, in Tierversuchen zu testen, ob ein bestimmtes Gen tatsächlich die vermutete Funktion hat – kein Problem. Im achten Stock befindet sich eine der weltweit größten Zuchtanlagen für Zebrafische. Und das Kellergeschoss bietet neben Schweinen und Kaninchen auch 300.000 Labormäusen Platz.

    Traumhafte Arbeitsbedingungen also – aber auch im Paradies für Bioforscher gibt es Regeln. Ethikkommittes wachen über die Einhaltung vorgeschriebener Standards, etwa bei Tierversuchen, bei der Speicherung von Genomdaten oder der Gewinnung embryonaler Stammzellen. Biopolis ist also kein rechtsfreier Raum für die Outlaws der Szene. Es gibt klare Regeln, die teils aber weniger restriktiv sind als in Deutschland. Beim Klonen von Menschen etwa hält man es wie Großbritannien. Reproduktives Klonen ist verboten. Die Gewinnung von Stammzelllinien aus überzähligen Embryonen hingegen, die ist für therapeutische Zwecke erlaubt – wenn man so will also eine Art moralischer Mittelweg, den man in Singapur eingeschlagen hat: Problembewusst, aber pragmatisch.

    Das heißt aber auch: Mit grenzenloser Forschungsfreiheit kann und will Biopolis-Schöpfer Philip Yeo nicht dienen. Aber wie hat er es dann geschafft, innerhalb kürzester Zeit so viele Spitzenforscher anzulocken?

    Yeo: "Ich bin hingegangen und habe gesagt: Ich brauche Sie! Wissenschaftler genießen es, gefragt zu sein. Man muss sie also nur richtig umwerben. Wenn man ihnen dann noch ein optimales Arbeitsumfeld bietet, kommen sie - es sei denn familiäre Gründe sprechen dagegen. "

    Philip Yeo ist rund um den Globus geflogen, um die Besten der Besten zu anzuwerben – eine Art Großwildjagd im Dienste der Forschung.

    Yeo: "Ich jage Elefanten. Dafür braucht man Geduld. Es dauert Jahre, bis ich einen gefangen habe und natürlich braucht so ein Schwergewicht dann eine Menge Futter. Ich muss ihm also ein ordentliches Budget und beste Räumlichkeiten bieten. Dafür verschwende ich keine Zeit damit, mittelmäßige Forscher zu rekrutieren. Ich hole nur die führenden Köpfe. Die anderen kommen von alleine. "

    Die Liste der Koryphäen, die Yeo nach Singapur geholt hat, wird immer länger. Der Max-Planck-Forscher Axel Ullrich aus Martinsried steht ebenso darauf, wie der britische Krebsforscher Sir David Lane und sein japanischer Kollege Yoshiaki Ito. Erst kürzlich haben mit Neal Copeland und Nancy Jenkins zwei führende Mausgenomforscher aus den USA ihre Verträge unterzeichnet. Alan Colman, einer der Väter des Klonschafes Dolly, ist mit seiner Firma ES Cell bereits 2002 nach Singapur gekommen.

    Yeo: "Ich darf mich nie nur von einem Elefanten abhängig machen. Denn natürlich werden einige Singapur irgendwann wieder verlassen. Spitzenforscher kann man nicht ewig an einem Ort halten. Entscheidend ist aber, dass jene, die Singapur wieder verlassen, mit einem guten Gefühl gehen. Denn zufriedene Forscher sind die beste Werbung. Deshalb setze ich alles daran, damit sich meine Elefanten hier wohl fühlen. Ich baue ihnen perfekt ausgestattete Labors, gebe ihnen Geld und Mäuse. Der Rest liegt an ihnen. "

    Gegenüber anderen Metropolen in Südostasien hat Singapur zwei wichtige Standortvorteile: In der ehemaligen Kronkolonie spricht jeder englisch und die Regierungsverhältnisse sind seit 40 Jahren stabil - beides Faktoren, die die Entscheidung, ans andere Ende der Welt umzusiedeln, erleichtern.

    Von Vielgereisten wird Singapur deshalb gern auch als Asien für Anfänger bezeichnet. Der Kulturschock bleibt einem in Singapur erspart. Alles scheint fremd und vertraut zugleich und man fühlt sich auf Anhieb wohl.

    Beim Mittagessen im Food Court dann die Qual der Wahl. Chinesische Teigtaschen, gebratene Nudeln, Ente auf thailändisch – für umgerechnet zwei Euro kann man sich hier satt essen. Die Mehrzahl der Gäste ist dunkelhaarig, mit chinesischen, indischen oder malayischen Wurzeln. Aber es gibt auch einige Amerikaner und Europäer. Einer davon ist Prof. Sir David Lane – einer von Philip Yeos Elefanten.

    Lane: "Die Arbeitsbedingungen hier sind fantastisch und wir konnten sofort loslegen. Es war alles ganz einfach – die Labors waren fertig, die Verantwortlichen alle extrem hilfsbereit. Auch die Einstellung qualifizierter Mitarbeiter lief problemlos. "

    Sir David Lane ist Molekularbiologe, Krebsforscher und Professor an der Universität im schottischen Dundee. Für seine Arbeiten über das Krebsgens p53 hat er außer dem Nobelpreis schon so ziemlich jede Auszeichnung bekommen. Vergangenes Jahr hat er zwei Jahre unbezahlten Urlaub beantragt, um in Biopolis die Leitung des Instituts für Molekular- und Zellbiologie zu übernehmen.

    Lane: "Philip Yeo ließ einfach nicht locker. Er fragte mich unermüdlich immer wieder: Warum kommst du nicht als Institutsleiter hierher? Was muss ich tun, damit du es machst? Irgendwann war mir dann klar: Das ist eine einmalige Gelegenheit und ich sagte ja. Im Grunde wollen doch alle Wissenschaftler dasselbe: in gut ausgestatteten Labors arbeiten, mit genügend Geld, um ihre Forschung vorantreiben zu können und eine Umgebung, die einem das Gefühl gibt, als Forscher geschätzt zu sein. "
    "In Europa und den USA sehen sich Wissenschaftler immer wieder Angriffen ausgesetzt – denken sie nur an die Kontroversen um gentechnisch veränderte Pflanzen oder die Stammzellenforschung. In Singapur ist das völlig anders. Die Leute hier unterstützen unsere Arbeit. "

    Die Finanzierung seines Instituts ist über fünf Jahre gesichert, genau wie die aller anderen Institute in Biopolis. Eine komfortable Situation, findet David Lane, weil er nicht ständig Fördergelder einwerben muss.

    Lane: "Ich kann hier sehr strategisch planen und habe tolle Möglichkeiten. Gestern traf ich einen Bewerber, den ich einstellen wollte. Und ich konnte einfach sagen: Wollen sie den Job? Er sagte ja, und das war’s. So einfach wie hier ging das noch nirgends. Ich habe enorm viele Freiheiten, die es mir erlauben, sehr schnell voran zu kommen. "

    Voran kommen, das heißt für David Lane: Endlich Krebs heilen zu können, mit neuen Medikamenten, die Entstehung und Wachstum von Tumoren wirksam bekämpfen. Die Verzahnung von Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Pharmaindustrie in Biopolis biete dafür beste Voraussetzungen, sagt er. Aber eine Garantie für den schnellen Erfolg gebe es natürlich nicht. Das wüssten auch die Politiker.

    Lane: "Es gibt hier keinen Druck in dem Sinn, dass es heißt: Wenn ihr bis nächste Woche kein neues Medikament liefert, machen wir den Laden dicht. Die Verantwortlichen haben verstanden, dass Biopolis ein Langzeitprojekt ist. "

    David Lane ist zuversichtlich, dass Biopolis ein Erfolg wird. Schon heute geben sich hier Spitzenforscher die Klinke in die Hand und Pharmariesen wie Novartis und Glaxo-Smith-Kline haben eigene Labors eröffnet.

    Lane: "Wie alle Wissenschaftler mag ich Experimente. Und Biopolis ist ein sehr großes Experiment: Das kleine Land Singapur schickt sich an, biomedizinische Forschung auf Weltniveau betreiben zu wollen. Ich finde es spannend, bei diesem Versuch dabei zu sein. "

    Mit dabei sein wollte auch Axel Ullrich, vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried – einer der meistzitierten Krebsforscher weltweit. Im Juni 2004 übernahm er die Leitung des Singapur Oncogenome Projektes zur Entwicklung neuartiger Krebstherapien. Sein Büro liegt im gleichen Stock wie das von David Lane. Weil Axel Ullrich nach einem Jahr in Singapur wieder nach Deutschland gezogen ist - wegen seiner Verpflichtungen am Max-Planck-Institut - ist sein Büro allerdings fünf von sechs Wochen verwaist. Durch die Glastür ist zu sehen, dass der Schreibtisch mal wieder aufgeräumt werden müsste.

    Ruhe: "So sieht sein Schreibtisch immer aus, egal ob das hier ist, oder in Deutschland. Da sind immer viele Stapel mit vielen To-Do-Lists, glaube ich. So dann hier nebenan das Wetlab... Eigentlich ziemlich gut organisiert. Ziemlich viel Platz für jeden... "

    Jens Ruhe ist einer der elf Mitarbeiter von Ullrichs Arbeitsgruppe in Biopolis. Er ist 35, trägt eine rahmenlose Brille und hat nach der Promotion drei Jahre bei einer Biotech-Firma gearbeitet, die Axel Ullrich gegründet hat. Im Juli 2004 zog er mit seinem Chef in den fernen Osten.

    Ruhe: "Ich glaube, was den Herrn Ullrich bewogen hat oder sehr motiviert hat, hierher zu kommen, war die Motivation der Leute in Singapur. Die Biopolis ist in einer wirklich bemerkenswert kurzen Zeit vom Reissbrett in die Realität umgesetzt worden. Und ich glaube, von dieser Euphorie war er schon sehr beeindruckt. "

    Vermutlich ebenso beeindruckt, wie von den drei Millionen Dollar, die man ihm in die Hand drückte, und von der Möglichkeit die DNA-Sequenzierer zwei Stockwerke höher zu nutzen. Denn nur mit einer Reihe solcher Geräte lassen sich Proben von Tumorgewebe im großen Stil nach Krebsgenen durchforsten.

    Ruhe: "Hier gibt’s einfach sehr viele Sequenziergeräte, mit denen man das Ganze in einer verhältnismäßig schnellen Zeit durchziehen kann. Und ich glaube, das hat ihn bewogen, das Projekt hier durchzuziehen. "

    Also alles prima im Bioparadies im Osten? Im Prinzip schon, sagt Jens Ruhe. Labors und finanzielle Ausstattung ließen keine Wünsche offen und die allgemeine Aufbruchstimmung sei inspirierend – nur die Bürokratie mache einem manchmal etwas zu schaffen.

    Ruhe: "Man muss hier mehr begründen, weshalb man sich für ein bestimmtes Gerät entscheidet. Man hat ein Bisschen mehr Verwaltungsaufwand, als man den an einem MPI hat. Und das ist natürlich Zeit, die man gern für die Forschung verwenden würde. "

    Und so völlig frei, wie David Lane, fühlt sich Jens Ruhe auch nicht. Denn der Druck, verwertbare Ergebnisse zu produzieren, sei schon spürbar.

    Ruhe: "Das ist ganz klar: Hier geht’s schon um die Entwicklung von Ergebnissen, die dann einfach auch mal kommerziell genutzt werden können. Biopolis untersteht dem Ministerium für Trade und Industry und da sieht man eigentlich schon, wohin der Weg gehen soll. Und, ja, es wird schon auch im Prinzip ziemlich kontrolliert, was wir machen. Und es wird schon auch ein entsprechender Output erwartet. Also der Druck ist, denke ich, da. "

    Wenn man nach einem langen Tag dem Biomekka auf dem grünen Hügel wieder den Rücken kehrt, kann man eigentlich nur zu einem Schluss kommen: Die meinen es ernst, mit ihrem Vorstoß zur wissenschaftlichen Weltspitze. Man mag der Regierung Singapurs allerhand vorhalten – von der fehlenden Pressefreiheit über das eigentümliche Demokratieverständnis bis hin zur allgegenwärtigen Bevormundung der Bürger, die teils schon grotesk anmutet. Aber eines ist klar: Wenn sich die Verantwortlichen hier etwas vorgenommen haben, dann ziehen alle an einem Strang, um es auch zu erreichen.

    Als ob sie diesen Eindruck bestärken wollten, bewegen sich die Mitarbeiter des Bildungsministeriums, das ich auf dem Weg zur U-Bahn wieder passiere, im Innenhof rhythmisch unter Anleitung eines Fitness-Trainers.

    Am nächsten Tag: Ein Besuch im Institut für Bio- und Nanotechnologie in Biopolis. Auch hier dasselbe Bild. Blitzende Flure, modernste Labors. Die Institutsleiterin Jackie Ying ist unter 40 und war die jüngste MIT-Professorin aller Zeiten. Vor einem halben Jahr wurde sie zum Mitglied der deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina ernannt. Über 50 Patente hat ihr Institut bereits angemeldet.

    Am Nachmittag dann noch eine Führung im neu gegründeten Novartis-Institut zur Erforschung von Tropenkrankheiten: Weinrotes Interieur, geräumige Büros und ein Hochsicherheitslabor, in dem Mitarbeiter in grünen Schutzanzügen hantieren. Neue Medikamente gegen Dengue-Fieber und Tuberkulose will man hier entwickeln – beides vernachlässigte Tropenkrankheiten, an denen in der dritten Welt Tausende sterben. Interviews darf bei Novartis aber nur der Chef geben: Prof. Paul Herrling, der Leiter der Unternehmensforschung.

    Und genau wie Axel Ullrich weilt auch der nur alle sechs Wochen mal in Singapur. Eine Woche später hat er dann aber Zeit für ein Telefon-Interview.

    "Wie realistisch sind Singapurs ambitionierte Ziele, innerhalb von ein paar Jahren zur Weltspitze in der Biomedizin aufzusteigen?
    Wenn ich jetzt zurück schaue, was sie geschafft haben, in den letzten paar Jahren, würde ich sagen, haben sie eine gute Chance, dieses Ziel zu erreichen.
    Macht ihnen die Dynamik in Singapur Bange für die Zukunft der Forschungsstandorte im alten Europa?
    In Europa haben wir schon ein bisschen Sorgen. Es ist tatsächlich war, dass leider an vielen Orten die Motivation zur wissenschaftlichen Exzellenz und auch die Motivation von jungen Leuten überhaupt wissenschaftlich tätig zu sein, schon ein bisschen nachgelassen hat. Und im Vergleich dazu muss man sagen, sind die jungen Asiaten hier in der ganzen Region schon ganz anders motiviert, in solchen Gebieten einzusteigen. Und natürlich: Über kurz oder lang wird das eine ganz seriöse Konkurrenz werden ganz sicher für Europa. Gar keine Frage. "

    Philip Yeo, der Vater von Biopolis, würde das nie so direkt sagen – aber er sieht die Dinge ähnlich und weiß, dass die Zeit für ihn arbeitet.

    Yeo: "In vielen westlichen Länder genießt ein guter Fußballer oder Golfspieler ein höheres Ansehen als ein exzellenter Forscher. Da verdienen Typen Millionen, die besonders gut darin sind, Bälle einzulochen. Aber Golfspielen schafft keine Arbeitsplätze. Wir dagegen investieren Millionen in die Forschung und damit in unsere wirtschaftliche Zukunft. Das ist doch viel vernünftiger. Hinzu kommt: Die Menschen hier sind hungrig auf Fortschritt, Erfolg und Wohlstand. Dieser Hunger nach mehr ist eine starke Triebfeder. "

    Die Schüler und Studenten auf dem Poster, auf das Philip Yeo dann zeigt, sind die klügsten Köpfe Südostasiens. Sie kommen aus Indien, China, Vietnam, Kambodscha oder Malaysia. Mit millionenschweren Stipendienprogrammen schickt Singapur sie nach Harvard, Cambridge oder Stanford - strategische Elitenförderung im großen Stil.

    Yeo: "Diese Studenten werden in zehn Jahren um die 30 sein und bestens ausgebildet – Babyelefanten aus Singapur. Heute kaufe ich ausländische Elefanten, aber der Schlüssel für die Zukunft ist die eigene Aufzucht. Weil Singapur so klein ist, werden wir allerdings nie ausreichend Begabte im eigenen Land finden. Deshalb sind wir gezwungen, sie aus dem Ausland zu holen. Denn kluge Köpfe sind doch der entscheidende Wettbewerbsvorteil. Wer intelligent ist, dem finanzieren wir seine Ausbildung, ganz egal welche Hautfarbe er hat. "

    Reichlich Stoff zum Nachdenken, den man von so einer Reise nach Singapur mitbringt. Denn die Dynamik, die man in Südostasien erlebt, ist nicht nur faszinierend, sie kann einem auch ein wenig Angst machen. Warm anziehen kann man da nur sagen.