Kommentar
Falsche Annahmen blockieren den Frieden

In Berlin demonstrieren Tausende für Frieden, doch die Forderungen sind gespalten: Während Wagenknecht-Anhänger Putin verharmlosen, fordert die SPD-Linke Verhandlungen und sieht ihn als Aggressor. Vereinfachte Sichtweisen verhindern echte Lösungen.

Von Daniela Vates |
Sahra Wagenknecht, Gründerin des BSW bei der Demonstration "Die Waffen nieder" in Berlin. Die Veranstaltung richtet sich gegen jegliche Kriege und fordert den sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen.
Sahra Wagenknecht, Gründerin des BSW, sprach bei der Berliner Demonstration „Die Waffen nieder“. Sie legte dabei den Fokus weniger auf Putins Völkerrechtsbruch, sondern auf Deutschlands Umgang mit der Bedrohung, wobei sie Putin verharmloste. (picture alliance / PIC ONE / Christian Ender)
Wladimir Putin könnte sich angesprochen fühlen, Tausende demonstrieren in Berlin gegen Krieg. Auf geht’s also, Herr Präsident! Die Waffen nieder, raus aus der Ukraine! Oberster Kriegstreiber ist schließlich, wer ein anderes Land überfällt. Auch in puncto demokratische Rechte sind die Bilder der Friedensdemo eine Mahnung an den Kreml: Freie Meinungsäußerung und Demonstrationsrecht sind in Russland abgeschafft.
Nun hatte ein Teil der Demonstranten, insbesondere das am stärksten wahrgenommene Bündnis um Neupartei-Gründerin und Ex-Linkspartei-Linksaußen Sahra Wagenknecht, einen anderen Fokus. Einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine forderte diese Gruppe und konzentrierte sich primär nicht auf den Völkerrechtsbruch Putins und dessen Ziel, die Welt, beziehungsweise deren Grenzen mit Gewalt neu zu vermessen – sondern auf den Umgang Deutschlands mit der neuen Bedrohungslage. Wagenknecht und die ihren halten Putin offenkundig für einen umgänglichen Zeitgenossen.

Der Friedensimpuls der SPD: Ein berechtigter Anspruch

Deutlich differenzierter fielen die parallelen Demo-Aufrufe der SPD-Linken aus, die gleichermaßen auf Verhandlungen drängten, Putin aber klar als Aggressor benannten, der Ukraine ausdrücklich auch militärische Unterstützung zugestanden.
Man kann darüber streiten, ob die SPD-Linke gut beraten war, sich einem Demonstrationszug anzuschließen, bei dem man drohte, als Anhängsel von Wagenknecht und deren sehr einfachen Parolen wahrgenommen zu werden. Der Impuls allerdings, das Thema Frieden auch für die SPD zu beanspruchen, ist mit Sicherheit richtig. Was denn sonst. Und in der Parteizentrale hat man diesen Impuls ja auch gehabt, als man Anfang des Jahres Olaf Scholz wegen seiner von manchen scharf kritisierten Bedächtigkeit wahlkampftauglich zum „Friedenskanzler“ ernannte.
Die Verwurzelung der SPD in der Friedensbewegung, die gegen Nachrüstung und Raketenstationierungen in den 1970er-/80er Jahren auf die Straße ging, lässt sich allerdings nicht mit einer „Zeitenwende“-Rede eines SPD-Kanzlers ändern oder vielmehr: aktualisieren. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ausgerechnet eine geplante Raketenstationierung in Deutschland so ganz nebenbei zu verkünden wie die Änderung der Ausbildungsverordnung für Parkettleger, ist verwunderlich und geradezu fahrlässig.

Neue Unsicherheit stärkt radikale Kräfte

Denn es gibt einen gemeinsamen Nenner der außenpolitischen Debatte, die sich bis in die ostdeutschen Wahlkämpfe hineindrängte, obwohl Außenpolitik bekanntermaßen nicht in den Bundesländern entschieden wird. Das Leid und das Sterben in der Ukraine und in Gaza, die Meuchelmorde in Israel lösen Empörung und Entsetzen aus, ein Ohnmachtsgefühl auch angesichts der Dauer der Konflikte, in denen sich außer immer mehr Gleitbomben, Panzern und Raketen kaum etwas zu bewegen scheint – allen internationalen Appellen zum Trotz. Angst mischt sich da hinein: Wie schnell aus Frieden Krieg werden kann, liegt sehr nahe vor Augen. Von der neuen Unsicherheit profitieren ausgerechnet die Kräfte, die den Ruf „Nie wieder Faschismus“ zu den Akten legen wollen und auf alles andere setzen als auf Ausgleich.
Für die deutsche Außenpolitik, der abwechselnd der Vorwurf der zu starken Parteinahme und der zu großen Ambivalenz gemacht wird, ergibt sich daraus eine Zusatzaufgabe: Mehr denn je gilt es, zu erklären. Ängste dürfen nicht zur Seite gewischt, sie müssen aufgenommen, direkt adressiert werden. Und für alle, auch für die Demonstrierenden, gilt es, anzuerkennen, dass Verhandlungen sich nicht herbeischnipsen lassen. Sie haben einen oft mühevollen Vorlauf, der nicht auf offener Bühne stattfindet. Empfindlichkeiten müssen berücksichtigt, volatile, zunächst möglicherweise lichtscheue Allianzen geschmiedet werden. All das passiert. Es passiert mit Blick auf die Ukraine, und dass dabei das Völkerrecht als stabiler Rahmen dient, ist unabkömmlich. Es passiert mit Blick auf den Nahost-Konflikt, mit endloser Pendeldiplomatie.
Natürlich müsste all das schneller gehen, jeder Kriegstag ist einer zu viel. Aber, nur zur Erinnerung: Putin hat ein Gespräch mit Scholz gerade ablehnen lassen. Es braucht für Frieden als allererstes die Bereitschaft der Konfliktparteien. Hierzulande ist die Bereitschaft zur Differenzierung dringend angebracht.  
Daniela Vates, Chefkorrespondentin des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND)
Daniela Vates ist Journalistin und Chefkorrespondentin im Hauptstadtbüro des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Sie schreibt vor allem über die deutsche Innen- und Außenpolitik. Die studierte Journalistin und Absolventin der Deutschen Journalistenschule berichtet außerdem auch für die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau aus Berlin.