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Von Femto- und Zeptosekunden

Es gibt Prozesse in der Natur, die laufen extrem rasant ab: Eiweiße falten sich innerhalb von winzigsten Sekundenbruchteilen zusammen, chemische Reaktionen spielen sich in millionstel Nanosekunden ab. Forscher der Uni Kassel haben nun mithilfe eines Lasers einen neuen Kurzzeit-Weltrekord aufgestellt.

Von Frank Grotelüschen |
    "Der Staub ist unser größter Feind. Deshalb möchten wir ihn möglichst vor dem Labor lassen."

    Jens Köhler streift eine Schutzhaut aus Plastik über seine Schuhe. Damit will der Physiker verhindern, mehr Schmutz als nötig in sein Labor an der Uni Kassel zu tragen.

    Dann öffnet Köhler die Tür zu einem abgedunkelten Raum, dominiert von einem massigen Tisch. Darauf unzählige Spiegel und Linsen – und ein Speziallaser, der rote Blitze abfeuert. Es sind exakt 1000 Blitze pro Sekunde, weshalb ein feines Sirren in der Luft liegt – ein 1000-Hertz-Ton.

    Die Laserblitze sind extrem kurz, Bruchteile von einer billionstel Sekunde – Femtosekunden, wie es in der Fachsprache heißt. Derart winzige Zeitintervalle kommen in der Natur tatsächlich vor, sagt Köhlers Chef Matthias Wollenhaupt.

    "In der Chemie finden die Reaktionen auf der Femtosekunden-Zeitskala ab. Wenn man sehr schnelle Reaktionen beobachten möchte, braucht man notwendigerweise Femtosekunden-Pulse."

    Will man einen rasenden Formel-1-Renner fotografieren, braucht man kurze Belichtungszeiten, sonst werden die Bilder unscharf. Ähnliches gilt im Mikrokosmos: Nur mit Belichtungszeiten von Femtosekunden lassen sich die extrem schnellen chemischen Reaktionen quasi abfilmen. In Kassel jedoch will man die Reaktionen zwischen Molekülen nicht nur beobachten, sondern auch kontrollieren, also gezielt steuern. Um zu verstehen, wie das funktionieren soll, denke man sich das Molekül als eine Schaukel auf dem Spielplatz.

    "Stellen Sie sich das Kind auf der Schaukel vor. Wenn Sie ihm richtig Energie geben wollen, müssen Sie im richtigen Takt anschubsen. Sonst bremsen Sie ab."

    Bei einem Molekül übernimmt das Anschubsen nicht die Elternhand, sondern der Laserblitz. Doch nur, wenn dieser Laserblitz genau im richtigen Augenblick anschiebt, ist das Molekül zu einer chemischen Reaktion bereit. Und um exakt diesen richtigen Augenblick zu treffen, müssen die Physiker ihre ultrakurzen Laserblitze extrem präzise kontrollieren können.

    Das passiert im Laserlabor von Jens Köhler, und zwar im sog. Pulsformer – einer Box kaum größer als ein Umzugskarton. Hier schießen die Laserblitze ein und treffen auf ein Gitter mit mikroskopisch feinen Ritzen.

    "Das arbeitet ähnlich wie ein Prisma, spaltet das Licht in die verschiedenen Farben auf. Wir können unser Spektrum in 640 Einzelbereiche aufspalten und jeden dieser Bereiche separat und unabhängig voneinander kontrollieren."

    Kontrollieren bedeutet, dass Köhler in seinem Pulsformer jeden einzelnen der 640 Farbbereiche gezielt absenken kann. Im Prinzip das gleiche wie bei einem Equalizer, mit dem man die Frequenzen eines Musiksignals absenken und dadurch den Klang dramatisch ändern kann.

    So wird aus einem eher basslastigen Sound ein Klang dünn wie bei einem Telefon. Nach demselben Prinzip können die Kasseler Physiker ihren Pulsformer so einstellen, dass aus einem einzigen Puls zwei aufeinanderfolgende werden - oder fünf oder sogar neun.

    Das Entscheidende dabei: Jens Köhler kann den zeitlichen Abstand zwischen den Pulsen extrem präzise einstellen.

    "Das können wir mit dieser Präzision von 300 Zeptosekunden. Das ist Weltrekord."

    300 Zeptosekunden – das ist weniger als der milliardste Teil einer milliardstel Sekunde. Eine neue Dimension in der Kurzzeitphysik. An einfachen Molekülen konnten die Forscher ihr Verfahren bereits testen.

    "Wir schieben uns die Energiezustände des Moleküls in eine gewünschte Richtung und können darüber Kontrolle ausüben",

    sagt Matthias Wollenhaupt. Und vielleicht können die hochpräzisen Laser eines Tages sogar helfen, die Prozesstechnik in der chemischen Industrie zu optimieren und chemische Reaktionen schneller und effektiver ablaufen zu lassen. Eine reizvolle, weil lukrative Vision.

    "Wir können nicht vorhersagen, ob es das in Zukunft gehen wird oder nicht. Aber wir arbeiten dran. Das ist eine der Motivationen, die wir haben."