Wenn die Nationalmannschaft der "Unbezähmbaren Löwen" an einem internationalen Turnier teilnimmt, dann verfällt das 17-Millionen-Volk in Zentralafrika endgültig dem runden Leder. Fußball - das ist wie eine Religion, sagt nicht nur Aka Amuam, der selbst Schiedsrichter ist und für die oppositionellen Sozialdemokraten im Parlament sitzt.
Und es ist ein Instrument der Vereinigung. Wir haben hier eine junge Demokratie mit vielen neuen Parteien. Die Leute diskutieren und argumentieren, aber wenn es um Fußball geht, stehen die Kameruner wie eine Person hinter der Mannschaft.
Für viele Kameruner ist die Fußballnationalmannschaft der einzige Grund, wenigstens ab und zu stolz auf ihr Land zu sein. Ansonsten halten sie sich lieber an ihre Volksgruppen, von denen es zwischen Tschadsee im Norden und Atlantik im Süden über 200 gibt. Oder sie sehen sich als Katholiken, Protestanten, Muslime. Hinzu kommt, dass Kamerun von einer kolonialen Sprachgrenze durchzogen ist. Zwischen 1916 und 1960 verwaltete Frankreich den größeren Ostteil und England den kleineren Westteil der zuvor deutschen Kolonie. Das Land, das um ein Drittel größer ist als Deutschland, muss deshalb heute mit zwei Amtssprachen leben.
Die Wirtschaft ihres Landes beschreiben die Kameruner seit nunmehr 15 Jahren mit einem einzigen Wort: Krise. Besonders die Jugendlichen leiden unter Perspektivlosigkeit. Für viele ist Fußball die einzige Hoffnung, erklärt Aka Amuam.
Man weiß, dass man vom Fußball sehr gut leben kann. Wenn die Profis aus dem Ausland zurückkehren, kaufen sie Häuser und Autos. Deshalb träumt jeder Kameruner davon, ein großer Fußballer zu werden.
Noch Mitte der Achtziger Jahre zählte Kamerun zu den besser gestellten Ländern in Afrika. Mit dem Verfall der Preise für das Hauptexportgut Erdöl begann der Niedergang. Viele Bauern leiden außerdem unter den schwankenden, tendenziell fallenden Preisen für Kakao, Kaffee und Baumwolle. Die Gehälter im früher üppig ausgestatteten öffentlichen Dienst sind heute nur noch halb so viel Wert wie vor 15 Jahren. Immer weniger Familien können sich eine gute Ausbildung für ihre Kinder leisten. Fußball-Turniere erfreuen sich deshalb einer großen Beliebtheit, denn dort haben die Jungen die Chance, als Talent entdeckt zu werden.
In den vergangenen Jahren versuchten private Fußballschulen, von der Nachfrage zu profitieren. Einige Familien mobilisieren ihre letzten Kräfte, um einem ihrer Sprösslinge den Weg zu einer Profikarriere zu ebnen. Die vor 13 Jahren gegründete Fußballschule der Brauerei "Brasseries du Cameroun" in der Wirtschaftsmetropole Douala bietet ihre Dienste allerdings kostenlos an, berichtet ihr Leiter David Djamba.
Wir wollten Lücken schließen bei der Ausbildung der Jugendlichen und uns im sozialen Bereich engagieren. Und Fußball ist nun mal die Sache, für die sich die Kameruner am meisten begeistern.
Jedes Jahr wählen Djamba und seine Trainer 40 Jungen im Alter von 13, 14 Jahren aus, die dann neben der normalen Schule die vierjährige Ausbildung zum Fußballer machen dürfen. Alle damit verbundenen Kosten trägt das Unternehmen. Inzwischen haben schon mehrere ehemalige Schüler eine Profikarriere in Europa gemacht, darunter auch der Kapitän der Nationalmannschaft, Rigobert Song, der in der letzten Saison beim 1. FC Köln spielte. Obwohl es die Fußballschüler vor allem ins Ausland zieht, ist Direktor Djamba davon überzeugt, dass seine Schule auch dem eigenen Land nützt.
Zunächst profitieren die kamerunischen Vereine, denn die Jugendlichen sind ja hier vor Ort. Ausländische Vereine und Sportschulen profitieren, weil wir an Turnieren im Ausland teilnehmen und sie bei der Gelegenheit einige unserer Spieler übernehmen.
Die Realität in den Stadien deutet eher darauf hin, dass David Djamba die Lage etwas zu optimistisch sieht. Die 16 Vereine der ersten Liga haben kein Geld, um sich Profis zu leisten. Das Niveau ist entsprechend niedrig. Selbst Spitzenspiele ziehen nur wenige Zuschauer an. Einige Vereine haben Kooperationsverträge mit europäischen Vereinen geschlossen. Doch die Zusammenarbeit ist schwierig. Oft scheitert sie am Streit ums Geld.
Die wenigen großen Fußball-Stadien genügen internationalen Ansprüchen längst nicht mehr. Die "Unbezähmbaren Löwen" spielen deshalb fast nie zuhause. Jules Simo, Vorsitzender des Fan-Clubs der "Löwen", findet das ziemlich frustrierend.
Es ist unglaublich, dass Sie in einem Land wie Kamerun kein Stadion finden. Wir haben vier Mal den Afrika-Cup gewonnen und sind als einziges afrikanisches Team ins Viertelfinale einer Weltmeisterschaft vorgedrungen. Als Fan-Club schreiben wir immer wieder an die Regierung, damit sie etwas unternimmt, denn das ist nicht normal.
Simo hofft nun auf die Afrika-Meisterschaft 2006, für die sich Kamerun als Gastgeber beworben hat. Das werde Investitionen in neue Stadien und andere Einrichtungen bringen. Diese Hoffnung teilt auch Prince Ndoki Esoka Mukete, der stellvertretender Geschäftsführer des kamerunischen Fußballverbands ist.
Diese Herausforderung eröffnet Entwicklungschancen, wie man jetzt in Mali gesehen hat. Das mag teuer sein, aber das ist die Sache wert. Viele unserer Besucher sind ja sehr enttäuscht von der Infrastruktur, vor allem wenn man die Geschichte und die Popularität des kamerunischen Fußballs bedenkt.
Hinzu kommt, dass Fußball wegen seiner Popularität auch in Kameruns Politik eine wichtige Rolle spielt. Jahrelang war die Kontrolle über den Fußballverband FECAFOOT schwer umkämpft, denn sie bedeutet Einfluss und Zugriff auf erhebliche finanzielle Mittel. Sowohl der Weltfußballverband FIFA als auch Kameruns Regierung öffnen ihre Kassen immer dann, wenn es darum geht, den "Unbezähmbaren Löwen" die Teilnahme an internationalen Turnieren zu ermöglichen.
Korruption und politische Einflussnahme hatten in der FECAFOOT dermaßen überhand genommen, dass die FIFA 1998 nach der WM in Frankreich einen Notvorstand einsetzte. Mit der Wahl von Iya Mohamed zum neuen Vorsitzenden habe man die Krise vor zwei Jahren beigelegt und den Einfluss der Politik auf ein Minimum zurückgedrängt, bilanziert Vize-Geschäftsführer Mukete.
Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass die "Unbezähmbaren Löwen" Eigentum des Staates sind. Wir müssen also mit dem Staat zusammenarbeiten. Wir haben mit der Regierung eine Vereinbarung über die jeweiligen Rechte und Pflichten. Der Streit ist vorbei.
Trotzdem bleiben viele Kameruner skeptisch. Im April bestimmte der Präsident des Landes, Paul Biya, den 23. Juni als Termin für die Parlaments- und Kommunalwahlen. Die Fußball-WM steuert dann gerade ihrem Höhepunkt entgegen. Melvin Akam glaubt nicht, dass das Zufall ist. Er ist Chef-Redakteur des "Messager", der ältesten regierungskritischen Zeitung des Landes. Offenbar hoffe die Regierung, dass die Weltmeisterschaft in Asien die Kameruner von der desolaten Lage des Landes ablenke, vermutet Akam.
Die Regierung versucht immer wieder, die Siege für sich zu reklamieren. Wenn die Nationalmannschaft an internationalen Wettbewerben teilnimmt, unterstützt die Regierung sie mit allen Mitteln, um dann zu sagen, das Team habe deswegen gewonnen. Ich weiß nicht, ob das funktioniert, denn die Kameruner sind ja nicht blöd. Wenn Stürmer Patrick Mboma ein Tor schießt, wissen sie genau, dass es nicht Präsident Biya war. Sie werden nicht für Biya stimmen, weil Mboma ein Tor geschossen hat.
Trotzdem dürfte die WM die wirklichen Probleme des Landes wieder für ein paar Wochen in den Hintergrund drängen. Da ist zuallererst die Wirtschaftskrise, die das Leben in Kamerun seit nunmehr 15 Jahren bestimmt. Zunächst hatten fallende Erdölpreise den relativen Wohlstand des zentralafrikanischen Landes dahinschmelzen lassen. Dann brachten auch Kaffee und andere landwirtschaftliche Exportgüter kaum noch Geld. Die korrupte Führungsclique um den seit 1982 herrschenden Präsidenten Biya war zu grundlegenden Reformen weder willens noch fähig.
Vor zwei Jahren wurde Kamerun dann in den Club der hochverschuldeten armen Länder, HIPC, aufgenommen - eine zweifelhafte Ehre, wie viele Kameruner meinen. Im Rahmen der internationalen Entschuldungsinitiative für die HIPC-Länder soll die Regierung nun ein Armutsbekämpfungsprogramm ausarbeiten. Nach dem Willen der Gläubiger, darunter auch Deutschland, sollen daran auch gesellschaftliche Gruppen mitwirken, allen voran die Religionsgemeinschaften. Paul Samangassou, der die katholische Kirche berät, fragt sich, ob diese Initiative die wirklichen Probleme angeht.
Die Armut ist zunächst ein Strukturproblem und weniger ein konjunkturelles. Das fängt schon beim Staatsaufbau an. Wir haben eine Verfassung, die eine Dezentralisierung vorsieht, aber es gibt diese Dezentralisierung nicht. Alles wird in der Hauptstadt Jaunde entschieden und alle warten darauf, dass Jaunde für sie entscheidet. Aber auch Jaunde ist nicht allwissend und allmächtig.
Die stockende Dezentralisierung ist typisch für den Reformstau in Kamerun. Auch die Weltbank, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds IWF die Entschuldungsinitiative umsetzen soll, stellt Kamerun kein gutes Zwischenzeugnis aus. Clotilde Ngomba von der Weltbank-Vertretung in Kamerun klingt nicht gerade optimistisch, wenn man sie fragt, ob Kamerun denn den für nächstes Jahr vorgesehenen Abschlusstermin einhalten kann.
Wir hoffen, dass das klappt, aber... Das Ganze hat sich verzögert, weil das Armutsbekämpfungsprogramm noch nicht fertig ist. Außerdem sind noch viele Punkte aus dem Strukturanpassungsprogramm unerledigt. Dazu gehört auch die Privatisierung von Staatsunternehmen. Aber wir drängen darauf, dass der neue Abschlusstermin nicht noch weiter hinausgezögert wird.
Außer den Vertretern internationaler Organisationen und westlicher Geldgeber ist in Kamerun kaum ein unabhängiger Beobachter zu finden, der an die Reformfähigkeit des Regimes glaubt. Nicht nur Fußballspieler zieht es deshalb ins Ausland. Wer kann, setzt sich ab. Die Schlangen vor den Visa-Abteilungen der westlichen Botschaften werden immer länger.
Auch beim Thema Menschenrechte kann die Biya-Regierung nach 20 Jahren nur eine ernüchternde Bilanz vorweisen. Das bestätigen in ihren jüngsten Berichten sowohl Amnesty International als auch das US-Außenministerium. Die Freiheit der Person und das Recht auf Leben seien in Kamerun nicht viel Wert, kritisiert zum Beispiel Madeleine Afité von der "Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter" - ACAT.
Man verhaftet Sie, ohne zu sagen warum. Sie bleiben in Polizeihaft, ohne dass irgendjemand davon erfährt. Man kann Sie nach Belieben schlagen und foltern. Manchmal gibt es Tote. Sie haben keine Rechte, Sie können auch nicht dagegen klagen. Die Uniformierten finden bei den Autoritäten immer Gehör, das Volk nicht.
Immer wieder verschwinden Verhaftete auf Nimmerwiedersehen. Im vergangenen Jahr erregte der Fall von neun Jugendlichen in der Wirtschaftsmetropole Douala auch international Aufmerksamkeit. Ein vom Präsidenten aufgestelltes Sondereinsatzkommando sollte die ausufernde Kriminalität in der Millionenstadt bekämpfen. Die Jugendlichen hatten angeblich eine Gasflasche gestohlen - bezahlt haben sie den vermeintlichen Diebstahl offenbar mit dem Leben.
Nach wochenlangen Protesten aus dem In- und Ausland ließ die Regierung einige der Verantwortlichen verhaften. Sie stehen heute vor Gericht. Andere wurden lediglich versetzt. Der Erzbischof von Douala, Christian Kardinal Tumi, warf dem Sondereinsatzkommando vor, Hunderte Verdächtige umgebracht zu haben. Er sieht nicht, dass die Regierung ihre Politik grundsätzlich geändert hat.
Ich glaube, dass der Staat auf die internationale Kritik reagiert und deshalb einen Rückzieher gemacht hat. Aber die Sicherheitskräfte üben immer noch Gewalt aus. Es passiert nur nicht mehr so öffentlich wie vor einigen Monaten.
In diesem Frühjahr berichteten die Zeitungen erneut über in der Haft verschwundene Jugendliche. Wieder waren es neun vermeintliche Diebe, diesmal in Bafoussam, der Hauptstadt der Westprovinz. Die Regierung schickte ihre Menschenrechtskommission, um den Fall zu untersuchen. Die Verhafteten seien wohlauf, lautete das Ergebnis. Beweise konnte oder wollte die Kommission dafür nicht vorlegen. Madeleine Afité von ACAT kritisiert die Kommission als zahnlosen Tiger. Sie sei nur dem Präsidenten verantwortlich und dürfe ihre Berichte nicht veröffentlichen.
Immerhin können die Kameruner heute offener über Politik diskutieren und schreiben als vor 20 Jahren. Zu den Zeitungen, die immer wieder Menschenrechtsverletzungen anprangern, gehört der "Messager" aus Douala, der dreimal pro Woche erscheint. Chef-Redakteur Melvin Akam beklagt jedoch, dass die Regierung kaum Informationen herausrücke.
Es gibt dann ja immer noch die informellen Quellen. Das kann ein Polizist oder Gendarm sein, der angewidert ist von der Grausamkeit einer Hinrichtung oder Folter, die er miterlebt hat. Der legt dann bei uns sozusagen eine Beichte ab.
Die Regierung sehe die privaten Medien als Feinde und nicht als Bestandteil eines demokratischen Systems, berichtet Akam. Allerdings gebe es auch viele so genannte Journalisten, die sich nicht um die Wahrheit kümmerten. Den Wildwuchs in Kameruns Zeitungslandschaft nimmt die Regierung immer wieder gern zum Anlass, um auch gegen seriöse Kritiker vorzugehen. Allerdings sei es besser geworden, lobt Akam. Und seit kurzem gibt es auch die schon lange vorgesehenen privaten Radiosender.
Diese Medienlandschaft wird von einem Gesetz aus dem Jahr 1990 geregelt, das repressiv ist und viel kritisiert wird. Auch wenn die Regierung dieses Gesetz in den letzten zwei Jahren nicht oft benutzt hat, um Journalisten zu bestrafen, so bleibt es doch eine ständige Bedrohung für die Pressefreiheit.
Von den Parlaments- und Kommunalwahlen am 23. Juni erhofft sich kaum ein Kameruner einen Wandel. Die Opposition ist zerstritten und die frühere Einheitspartei RDPC - Demokratische Sammlungsbewegung des kamerunischen Volkes - hat alles fest im Griff. Zur Not wird nachgeholfen wie bei bisher jeder Wahl seit Wiedereinführung des Mehrparteiensystems Anfang der 90er Jahre. Auch die letzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 1997 haben alle internationalen Beobachter als weder frei noch fair bezeichnet. Erzbischof Tumi fasst zusammen, was überall im Land zu hören ist:
Bei den Wahlen von 1992 wollten die Menschen wirklich den Wechsel und nichts ist passiert. Seitdem interessieren sich die Menschen nicht mehr für die Politik. Das ist schade. Sie sagen sich, dass die herrschende Partei ja doch an der Macht bleibt, ob sie nun wählen gehen oder nicht. Ob die Partei die Wahlen gewinnt oder verliert - merkwürdigerweise bleibt sie immer an der Macht.
Und es ist ein Instrument der Vereinigung. Wir haben hier eine junge Demokratie mit vielen neuen Parteien. Die Leute diskutieren und argumentieren, aber wenn es um Fußball geht, stehen die Kameruner wie eine Person hinter der Mannschaft.
Für viele Kameruner ist die Fußballnationalmannschaft der einzige Grund, wenigstens ab und zu stolz auf ihr Land zu sein. Ansonsten halten sie sich lieber an ihre Volksgruppen, von denen es zwischen Tschadsee im Norden und Atlantik im Süden über 200 gibt. Oder sie sehen sich als Katholiken, Protestanten, Muslime. Hinzu kommt, dass Kamerun von einer kolonialen Sprachgrenze durchzogen ist. Zwischen 1916 und 1960 verwaltete Frankreich den größeren Ostteil und England den kleineren Westteil der zuvor deutschen Kolonie. Das Land, das um ein Drittel größer ist als Deutschland, muss deshalb heute mit zwei Amtssprachen leben.
Die Wirtschaft ihres Landes beschreiben die Kameruner seit nunmehr 15 Jahren mit einem einzigen Wort: Krise. Besonders die Jugendlichen leiden unter Perspektivlosigkeit. Für viele ist Fußball die einzige Hoffnung, erklärt Aka Amuam.
Man weiß, dass man vom Fußball sehr gut leben kann. Wenn die Profis aus dem Ausland zurückkehren, kaufen sie Häuser und Autos. Deshalb träumt jeder Kameruner davon, ein großer Fußballer zu werden.
Noch Mitte der Achtziger Jahre zählte Kamerun zu den besser gestellten Ländern in Afrika. Mit dem Verfall der Preise für das Hauptexportgut Erdöl begann der Niedergang. Viele Bauern leiden außerdem unter den schwankenden, tendenziell fallenden Preisen für Kakao, Kaffee und Baumwolle. Die Gehälter im früher üppig ausgestatteten öffentlichen Dienst sind heute nur noch halb so viel Wert wie vor 15 Jahren. Immer weniger Familien können sich eine gute Ausbildung für ihre Kinder leisten. Fußball-Turniere erfreuen sich deshalb einer großen Beliebtheit, denn dort haben die Jungen die Chance, als Talent entdeckt zu werden.
In den vergangenen Jahren versuchten private Fußballschulen, von der Nachfrage zu profitieren. Einige Familien mobilisieren ihre letzten Kräfte, um einem ihrer Sprösslinge den Weg zu einer Profikarriere zu ebnen. Die vor 13 Jahren gegründete Fußballschule der Brauerei "Brasseries du Cameroun" in der Wirtschaftsmetropole Douala bietet ihre Dienste allerdings kostenlos an, berichtet ihr Leiter David Djamba.
Wir wollten Lücken schließen bei der Ausbildung der Jugendlichen und uns im sozialen Bereich engagieren. Und Fußball ist nun mal die Sache, für die sich die Kameruner am meisten begeistern.
Jedes Jahr wählen Djamba und seine Trainer 40 Jungen im Alter von 13, 14 Jahren aus, die dann neben der normalen Schule die vierjährige Ausbildung zum Fußballer machen dürfen. Alle damit verbundenen Kosten trägt das Unternehmen. Inzwischen haben schon mehrere ehemalige Schüler eine Profikarriere in Europa gemacht, darunter auch der Kapitän der Nationalmannschaft, Rigobert Song, der in der letzten Saison beim 1. FC Köln spielte. Obwohl es die Fußballschüler vor allem ins Ausland zieht, ist Direktor Djamba davon überzeugt, dass seine Schule auch dem eigenen Land nützt.
Zunächst profitieren die kamerunischen Vereine, denn die Jugendlichen sind ja hier vor Ort. Ausländische Vereine und Sportschulen profitieren, weil wir an Turnieren im Ausland teilnehmen und sie bei der Gelegenheit einige unserer Spieler übernehmen.
Die Realität in den Stadien deutet eher darauf hin, dass David Djamba die Lage etwas zu optimistisch sieht. Die 16 Vereine der ersten Liga haben kein Geld, um sich Profis zu leisten. Das Niveau ist entsprechend niedrig. Selbst Spitzenspiele ziehen nur wenige Zuschauer an. Einige Vereine haben Kooperationsverträge mit europäischen Vereinen geschlossen. Doch die Zusammenarbeit ist schwierig. Oft scheitert sie am Streit ums Geld.
Die wenigen großen Fußball-Stadien genügen internationalen Ansprüchen längst nicht mehr. Die "Unbezähmbaren Löwen" spielen deshalb fast nie zuhause. Jules Simo, Vorsitzender des Fan-Clubs der "Löwen", findet das ziemlich frustrierend.
Es ist unglaublich, dass Sie in einem Land wie Kamerun kein Stadion finden. Wir haben vier Mal den Afrika-Cup gewonnen und sind als einziges afrikanisches Team ins Viertelfinale einer Weltmeisterschaft vorgedrungen. Als Fan-Club schreiben wir immer wieder an die Regierung, damit sie etwas unternimmt, denn das ist nicht normal.
Simo hofft nun auf die Afrika-Meisterschaft 2006, für die sich Kamerun als Gastgeber beworben hat. Das werde Investitionen in neue Stadien und andere Einrichtungen bringen. Diese Hoffnung teilt auch Prince Ndoki Esoka Mukete, der stellvertretender Geschäftsführer des kamerunischen Fußballverbands ist.
Diese Herausforderung eröffnet Entwicklungschancen, wie man jetzt in Mali gesehen hat. Das mag teuer sein, aber das ist die Sache wert. Viele unserer Besucher sind ja sehr enttäuscht von der Infrastruktur, vor allem wenn man die Geschichte und die Popularität des kamerunischen Fußballs bedenkt.
Hinzu kommt, dass Fußball wegen seiner Popularität auch in Kameruns Politik eine wichtige Rolle spielt. Jahrelang war die Kontrolle über den Fußballverband FECAFOOT schwer umkämpft, denn sie bedeutet Einfluss und Zugriff auf erhebliche finanzielle Mittel. Sowohl der Weltfußballverband FIFA als auch Kameruns Regierung öffnen ihre Kassen immer dann, wenn es darum geht, den "Unbezähmbaren Löwen" die Teilnahme an internationalen Turnieren zu ermöglichen.
Korruption und politische Einflussnahme hatten in der FECAFOOT dermaßen überhand genommen, dass die FIFA 1998 nach der WM in Frankreich einen Notvorstand einsetzte. Mit der Wahl von Iya Mohamed zum neuen Vorsitzenden habe man die Krise vor zwei Jahren beigelegt und den Einfluss der Politik auf ein Minimum zurückgedrängt, bilanziert Vize-Geschäftsführer Mukete.
Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass die "Unbezähmbaren Löwen" Eigentum des Staates sind. Wir müssen also mit dem Staat zusammenarbeiten. Wir haben mit der Regierung eine Vereinbarung über die jeweiligen Rechte und Pflichten. Der Streit ist vorbei.
Trotzdem bleiben viele Kameruner skeptisch. Im April bestimmte der Präsident des Landes, Paul Biya, den 23. Juni als Termin für die Parlaments- und Kommunalwahlen. Die Fußball-WM steuert dann gerade ihrem Höhepunkt entgegen. Melvin Akam glaubt nicht, dass das Zufall ist. Er ist Chef-Redakteur des "Messager", der ältesten regierungskritischen Zeitung des Landes. Offenbar hoffe die Regierung, dass die Weltmeisterschaft in Asien die Kameruner von der desolaten Lage des Landes ablenke, vermutet Akam.
Die Regierung versucht immer wieder, die Siege für sich zu reklamieren. Wenn die Nationalmannschaft an internationalen Wettbewerben teilnimmt, unterstützt die Regierung sie mit allen Mitteln, um dann zu sagen, das Team habe deswegen gewonnen. Ich weiß nicht, ob das funktioniert, denn die Kameruner sind ja nicht blöd. Wenn Stürmer Patrick Mboma ein Tor schießt, wissen sie genau, dass es nicht Präsident Biya war. Sie werden nicht für Biya stimmen, weil Mboma ein Tor geschossen hat.
Trotzdem dürfte die WM die wirklichen Probleme des Landes wieder für ein paar Wochen in den Hintergrund drängen. Da ist zuallererst die Wirtschaftskrise, die das Leben in Kamerun seit nunmehr 15 Jahren bestimmt. Zunächst hatten fallende Erdölpreise den relativen Wohlstand des zentralafrikanischen Landes dahinschmelzen lassen. Dann brachten auch Kaffee und andere landwirtschaftliche Exportgüter kaum noch Geld. Die korrupte Führungsclique um den seit 1982 herrschenden Präsidenten Biya war zu grundlegenden Reformen weder willens noch fähig.
Vor zwei Jahren wurde Kamerun dann in den Club der hochverschuldeten armen Länder, HIPC, aufgenommen - eine zweifelhafte Ehre, wie viele Kameruner meinen. Im Rahmen der internationalen Entschuldungsinitiative für die HIPC-Länder soll die Regierung nun ein Armutsbekämpfungsprogramm ausarbeiten. Nach dem Willen der Gläubiger, darunter auch Deutschland, sollen daran auch gesellschaftliche Gruppen mitwirken, allen voran die Religionsgemeinschaften. Paul Samangassou, der die katholische Kirche berät, fragt sich, ob diese Initiative die wirklichen Probleme angeht.
Die Armut ist zunächst ein Strukturproblem und weniger ein konjunkturelles. Das fängt schon beim Staatsaufbau an. Wir haben eine Verfassung, die eine Dezentralisierung vorsieht, aber es gibt diese Dezentralisierung nicht. Alles wird in der Hauptstadt Jaunde entschieden und alle warten darauf, dass Jaunde für sie entscheidet. Aber auch Jaunde ist nicht allwissend und allmächtig.
Die stockende Dezentralisierung ist typisch für den Reformstau in Kamerun. Auch die Weltbank, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds IWF die Entschuldungsinitiative umsetzen soll, stellt Kamerun kein gutes Zwischenzeugnis aus. Clotilde Ngomba von der Weltbank-Vertretung in Kamerun klingt nicht gerade optimistisch, wenn man sie fragt, ob Kamerun denn den für nächstes Jahr vorgesehenen Abschlusstermin einhalten kann.
Wir hoffen, dass das klappt, aber... Das Ganze hat sich verzögert, weil das Armutsbekämpfungsprogramm noch nicht fertig ist. Außerdem sind noch viele Punkte aus dem Strukturanpassungsprogramm unerledigt. Dazu gehört auch die Privatisierung von Staatsunternehmen. Aber wir drängen darauf, dass der neue Abschlusstermin nicht noch weiter hinausgezögert wird.
Außer den Vertretern internationaler Organisationen und westlicher Geldgeber ist in Kamerun kaum ein unabhängiger Beobachter zu finden, der an die Reformfähigkeit des Regimes glaubt. Nicht nur Fußballspieler zieht es deshalb ins Ausland. Wer kann, setzt sich ab. Die Schlangen vor den Visa-Abteilungen der westlichen Botschaften werden immer länger.
Auch beim Thema Menschenrechte kann die Biya-Regierung nach 20 Jahren nur eine ernüchternde Bilanz vorweisen. Das bestätigen in ihren jüngsten Berichten sowohl Amnesty International als auch das US-Außenministerium. Die Freiheit der Person und das Recht auf Leben seien in Kamerun nicht viel Wert, kritisiert zum Beispiel Madeleine Afité von der "Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter" - ACAT.
Man verhaftet Sie, ohne zu sagen warum. Sie bleiben in Polizeihaft, ohne dass irgendjemand davon erfährt. Man kann Sie nach Belieben schlagen und foltern. Manchmal gibt es Tote. Sie haben keine Rechte, Sie können auch nicht dagegen klagen. Die Uniformierten finden bei den Autoritäten immer Gehör, das Volk nicht.
Immer wieder verschwinden Verhaftete auf Nimmerwiedersehen. Im vergangenen Jahr erregte der Fall von neun Jugendlichen in der Wirtschaftsmetropole Douala auch international Aufmerksamkeit. Ein vom Präsidenten aufgestelltes Sondereinsatzkommando sollte die ausufernde Kriminalität in der Millionenstadt bekämpfen. Die Jugendlichen hatten angeblich eine Gasflasche gestohlen - bezahlt haben sie den vermeintlichen Diebstahl offenbar mit dem Leben.
Nach wochenlangen Protesten aus dem In- und Ausland ließ die Regierung einige der Verantwortlichen verhaften. Sie stehen heute vor Gericht. Andere wurden lediglich versetzt. Der Erzbischof von Douala, Christian Kardinal Tumi, warf dem Sondereinsatzkommando vor, Hunderte Verdächtige umgebracht zu haben. Er sieht nicht, dass die Regierung ihre Politik grundsätzlich geändert hat.
Ich glaube, dass der Staat auf die internationale Kritik reagiert und deshalb einen Rückzieher gemacht hat. Aber die Sicherheitskräfte üben immer noch Gewalt aus. Es passiert nur nicht mehr so öffentlich wie vor einigen Monaten.
In diesem Frühjahr berichteten die Zeitungen erneut über in der Haft verschwundene Jugendliche. Wieder waren es neun vermeintliche Diebe, diesmal in Bafoussam, der Hauptstadt der Westprovinz. Die Regierung schickte ihre Menschenrechtskommission, um den Fall zu untersuchen. Die Verhafteten seien wohlauf, lautete das Ergebnis. Beweise konnte oder wollte die Kommission dafür nicht vorlegen. Madeleine Afité von ACAT kritisiert die Kommission als zahnlosen Tiger. Sie sei nur dem Präsidenten verantwortlich und dürfe ihre Berichte nicht veröffentlichen.
Immerhin können die Kameruner heute offener über Politik diskutieren und schreiben als vor 20 Jahren. Zu den Zeitungen, die immer wieder Menschenrechtsverletzungen anprangern, gehört der "Messager" aus Douala, der dreimal pro Woche erscheint. Chef-Redakteur Melvin Akam beklagt jedoch, dass die Regierung kaum Informationen herausrücke.
Es gibt dann ja immer noch die informellen Quellen. Das kann ein Polizist oder Gendarm sein, der angewidert ist von der Grausamkeit einer Hinrichtung oder Folter, die er miterlebt hat. Der legt dann bei uns sozusagen eine Beichte ab.
Die Regierung sehe die privaten Medien als Feinde und nicht als Bestandteil eines demokratischen Systems, berichtet Akam. Allerdings gebe es auch viele so genannte Journalisten, die sich nicht um die Wahrheit kümmerten. Den Wildwuchs in Kameruns Zeitungslandschaft nimmt die Regierung immer wieder gern zum Anlass, um auch gegen seriöse Kritiker vorzugehen. Allerdings sei es besser geworden, lobt Akam. Und seit kurzem gibt es auch die schon lange vorgesehenen privaten Radiosender.
Diese Medienlandschaft wird von einem Gesetz aus dem Jahr 1990 geregelt, das repressiv ist und viel kritisiert wird. Auch wenn die Regierung dieses Gesetz in den letzten zwei Jahren nicht oft benutzt hat, um Journalisten zu bestrafen, so bleibt es doch eine ständige Bedrohung für die Pressefreiheit.
Von den Parlaments- und Kommunalwahlen am 23. Juni erhofft sich kaum ein Kameruner einen Wandel. Die Opposition ist zerstritten und die frühere Einheitspartei RDPC - Demokratische Sammlungsbewegung des kamerunischen Volkes - hat alles fest im Griff. Zur Not wird nachgeholfen wie bei bisher jeder Wahl seit Wiedereinführung des Mehrparteiensystems Anfang der 90er Jahre. Auch die letzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 1997 haben alle internationalen Beobachter als weder frei noch fair bezeichnet. Erzbischof Tumi fasst zusammen, was überall im Land zu hören ist:
Bei den Wahlen von 1992 wollten die Menschen wirklich den Wechsel und nichts ist passiert. Seitdem interessieren sich die Menschen nicht mehr für die Politik. Das ist schade. Sie sagen sich, dass die herrschende Partei ja doch an der Macht bleibt, ob sie nun wählen gehen oder nicht. Ob die Partei die Wahlen gewinnt oder verliert - merkwürdigerweise bleibt sie immer an der Macht.