So weit Irmingard Schewe-Gerigk, die frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, über Erfolge der rot-grünen Bundesregierung in Sachen Gleichstellung von Mann und Frau.
SPD und Grüne traten im Oktober 1998 dafür an, die Gleichstellung, Zitat: "zu einem großen gesellschaftlichen Projekt" werden zu lassen. Die Koalitionsvereinbarungen von 1998 und 2002 haben vorgesehen, die gesellschaftliche Stellung von Frauen spürbar zu verbessern. Dazu muss Gleichstellungspolitik, so ein Regierungsziel, in allen Politikbereichen stattfinden. Die klaffende Gerechtigkeitslücke zwischen männlichen und weiblichen Durchschnittseinkommen soll geschlossen, die Erziehungszeiten von Müttern in der Sozialversicherung stärker berücksichtigt werden. Und Frauen sollen in der beruflichen Karriere die gleichen Chancen wie Männer haben.
Während es in den 80er Jahren noch keine Selbstverständlichkeit war, auf eine gleichwertige gesellschaftliche Teilhabe des so genannten schwachen Geschlechts zu bestehen, gilt es heutzutage längst als politisch korrekt, für die gleichberechtigte Rolle von Frauen in Beruf, Familie und Politik einzutreten.
Wie wird Arbeit verteilt, wie wird Familienarbeit organisiert, wie werden politische Entscheidungsprozesse organisiert, das sind ja alles Fragestellungen, die in die zwischengeschlechtliche Dimension hineingreifen, die sie sozusagen umfassen. Und da einen Bewusstwerdungsprozess, eine Aufklärung im klassischen Sinne zu organisieren, ist für meine Begriffe notwendig und kann eben ein Versprechen geben, einen gesellschaftlichen Mehrwert, der unser eigenes Leben auch bereichern kann. Das ist natürlich abstrakt schön gesagt, wenn man es praktisch nicht selbst ausprobiert. Und wenn man es praktisch ausprobiert, dann stößt man sehr schnell auch auf sich selbst in seinen eigenen gefangenen Mustern und Rollenbildern.
Thomas Krüger ist Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Berliner Jugendsenator beschreibt, vor welcher Herausforderung eine ernsthafte Gleichstellungs- oder Geschlechterpolitik steht. Programmatisch geht es darum, einen Wandel in den Köpfen und schließlich im alltäglichen Verhalten von Frauen und Männern zu erzeugen.
Die ehrgeizigste Maßnahme rot-grüner Gleichstellungspolitik sollte die gesetzliche Verpflichtung zur Frauenförderung in der Privatwirtschaft werden. Christine Bergmann, Frauen-Ministerin im ersten Schröder-Kabinett, gab sich bis 2001 kämpferisch. Sie war entschlossen, die deutsche Wirtschaft per Gesetz in die Verantwortung zu nehmen und plädierte für einen tief greifenden Sinneswandel.
Wir dürfen uns auch nicht immer einreden lassen, dass der Arbeitsmarkt eine rund um die Uhr flexible mobile Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer braucht, und dem hat sich bitteschön dann die Gesellschaft zu fügen. Wir müssen uns auch mal angewöhnen, dass Menschen in Familien leben und in sozialen Kontakten und hinter diesen Arbeitskräften diese sozialen Wesen und die Familien mitzusehen.
Zwei Jahre lang wurde das Gesetz zur Gleichstellung in der Privatwirtschaft beraten, verhandelt und schließlich fallen gelassen. Ende 2001 legte Gerhard Schröder, der Christine Bergmann im Wahlkampf 1989 als "Fachfrau für Familie und das ganze Gedöns" präsentierte, sein Machtwort ein. Eine gesetzliche Vorgabe für die Privatwirtschaft ist damit ausgeschlossen.
Stattdessen einigte sich die Bundesregierung auf eine Freiwilligkeitsvereinbarung. Sie verpflichtet die Wirtschaftsverbände, die Unternehmen anzuhalten, so genannte familienfreundlichere Arbeitszeitregelungen zu treffen, die Einstellung von Frauen zu fördern oder arbeitende Mütter bei der Kinderbetreuung zu unterstützen. Das Fazit des kleineren Regierungspartners über diese freiwillige Vereinbarung fällt enttäuschend aus, wie Irmingard Schewe-Gerigk unumwunden feststellt:
Es ist ein Nullsummenspiel. Wenn nur jedes zweite Unternehmen überhaupt davon weiß, dass Maßnahmen vorgeschlagen werden von den Verbänden, und wenn nur 4% der Unternehmen tatsächlich auch Maßnahmen zur Frauenförderung haben oder nur 2% der Unternehmen die Situation der Frauen analysieren, da muss man eindeutig sagen, das ist keine gute Startchance, um für die Frauen etwas zu tun. Inzwischen gibt es diese freiwillige Vereinbarung, die meines Erachtens nichts bringt, es gibt ein paar Broschüren, es gibt ein paar Veranstaltungen, die die Wirtschaft gemacht hat, und darum glaube ich, wird es notwendig sein, die gesetzliche Regelung auch umzusetzen.
Neben konservativen Frauenbildern ist es die Unternehmenskultur selbst, die soziale Interessen und Verhältnisse ausblendet. Wenn das vorwiegend männliche Management eines Unternehmens sich an vierteljährlichen Quartalszahlen messen muss, rücken langfristige Zielsetzungen, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch die Anpassung der Produkte an unterschiedliche Lebensverhältnisse oft in den Hintergrund. So wurde jüngst beim Bau moderner Zugwaggons völlig außer Acht gelassen, dass auch Kinderwagen durch Zugtüren und Abteilgänge passen müssen - ein Fauxpas, der jeder betriebswirtschaftlichen Gewinnrechnung zuwider läuft.
Dabei spielt auch die geringe Präsenz von Frauen in den Führungsetagen eine Rolle. Wie die Zeitschrift "Capital" kürzlich mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt feststellte, waren 2002 in Großunternehmen nur sechs Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt, in mittelständischen Betrieben waren es acht, bei Behörden 12 Prozent.
Der gesellschaftliche Handlungsbedarf ist nach wie vor groß. Jüngster Beweis hierfür ist der aktuelle Gleichstellungsbericht der Europäischen Kommission. Danach liegt der Unterschied im Einkommen von Männern und Frauen in Deutschland und Großbritannien bei rund 20 Prozent. Anders als in Großbritannien hat sich diese Diskrepanz hierzulande seit 1995 nicht verringert, womit die Bundesrepublik EU– weit Schlusslicht ist. Extrem klaffen die Gehälter dabei im privatwirtschaftlichen Sektor auseinander. Renate Schmidt, seit 2002 verantwortliche Ressortchefin des Familienministeriums darf nun dort weitermachen, wo ihre Vorgängerin resignierte:
Wir brauchen mehr Möglichkeiten, teilzeitbeschäftigt tätig zu sein, und zwar auch in qualifizierten Tätigkeiten, nicht nur in denen, die schlecht bezahlt sind und von denen man gar nicht mehr leben kann. Wir brauchen zusätzlich Möglichkeiten, Karriere zu machen, auch dann, wenn man eine zeitlang Elternzeit in Anspruch genommen hat oder Teilzeit beschäftigt war. Wir brauchen das Anerkennen von Kompetenzen, die man in der Familie und in der Kindererziehung erwirbt und drum brauchen wir eine Veränderung und einen Mentalitätswechsel in der gesamten Gesellschaft und besonders in der Wirtschaft.”
So Renate Schmidt ein halbes Jahr nach ihrem Amtsantritt im Mai 2003. Anders als die grüne Abgeordnete Schewe-Gerigk, will die sozialdemokratische Bundesministerin den Mentalitätswechsel gänzlich ohne gesetzliche Regelung forcieren. Vielmehr favorisiert sie, die politischen Ziele an die Denkweise der Unternehmen anzupassen. Denn, so argumentiert Renate Schmidt, wirtschaftlicher Nutzen sei das stärkste, möglicherweise das einzige Argument, das die Wirtschaft überzeugen könne, Gleichstellung zu unterstützen. Familien- wie Frauenpolitik soll darum als aktive Wirtschaftspolitik konzipiert werden. Uta Ganz-Rathmann, Bereichsleiterin für Gesundheit, Soziales und Chancengleichheit bei der Deutschen Bahn AG, definiert diesen Kurswechsel ganz in ihrem Sinne.
Ich bin da sehr dankbar, dass Frau Bergmann, die letzte Familienministerin, das Gesetzesvorhaben fallen gelassen hat... Wobei man natürlich sagen muss, die Frauengruppe ist die größte Gruppe in unserem Unternehmen. Wir haben etwa 20% Frauen - auf der Führungsebene leider noch nicht. Aber ich merke immer mehr, auch junge Väter haben ein Interesse dran, Familie und Beruf zu vereinbaren, und deswegen sind wir weg von der aus unserer Sicht etwas überholten Frauenförderung.
Auch die Bundesregierung hat sich von einer reinen Frauen-Förderpolitik verabschiedet. Entscheidend hierfür ist ein Auftrag der EU-Kommission. Sie setzte neue Richtlinien für die Frauen- und Gleichstellungspolitik durch und verpflichtete 1999 alle nationalen Regierungen dazu, Gender Mainstreaming zum Leitprinzip ihres politischen Handelns zu machen. Was das bedeutet, schildert Christine Schmitz. Sie ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung für das Pilotprojekt verantwortlich, Gender Mainstreaming in dieser Bundesbehörde einzuführen:
Meine Erfahrungen haben erstmal gezeigt, dass es sehr, sehr schwierig ist, Gender Mainstreaming zu vermitteln. Ich würde erstmal allgemein erklären, was Gender ist: Das ist ein Begriff, der kommt aus dem Englischen und der wurde deshalb übernommen, weil im Englischen differenziert wird zwischen Gender, dem sozialen Geschlecht, also Rollenerwartungen und gesellschaftliche Vorstellungen von einem Mann oder von einer Frau, und Sex, dem biologischen Geschlecht. Und bei Gender Mainstreaming geht es darum, dass man die Gender-Perspektive in alle Bereiche, in alle Politikbereiche mit einbezieht, und zwar schon in der Planungsphase, in der Durchführungsphase und in der Evaluation einer jeden Maßnahme, um sicherzustellen, dass keine Ungleichbehandlung eines Geschlechtes stattfindet.
Das neue Bundesgleichstellungsgesetz, das seit Dezember 2001 in Kraft ist, verpflichtet darum Vorgesetzte und Personalverantwortliche im Öffentlichen Dienst zur Anwendung dieses neuen Verfahrens. Ausschlaggebend für die Einführung von Gendermainstreaming war die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995. Dort wurde sie erstmals als eine Methode diskutiert, die helfen könnte, Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern gleichermaßen abzubauen.
Die Ungleichbehandlung der Geschlechter ist bis heute ausschließlich Angelegenheit von so genannten Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragen, die im öffentlichen Dienst seit 1982 bundesweit tätig sind. Auf Länderebene wird die Gleichstellungspolitik dabei sehr unterschiedlich gehandhabt: Die gesetzlichen Regelungen reichen von Soll-Vorschriften wie in Baden-Württemberg bis zu strikten Frauenquoten in Bremen.
Gendermainstreaming führt dazu, dass Gleichstellungs- und Geschlechterfragen nicht nur auf eine institutionelle Frauenförderpolitik beschränkt sind, sondern methodisch in jeden Politik- und Gesellschaftsbereich eingeführt werden unter der aktiven Einbeziehung aller Beteiligten. Diesen Ansatz kann Eberhard Schäfer von der Männerberatung Manege in Berlin allerdings nicht erkennen, weil ...
"(...) die Umsetzung von Gender Mainstreaming ganz überwiegend von Frauen durchgeführt wird, und von Frauen mit einem frauenpolitischen Impetus versucht wird, rüberzubringen. Das ist ein Frauenthema, entweder du machst da mit, oder du hast Pech gehabt. Das ist gar keine Einladung an Männer."
Gleichwohl stellt Gender Mainstreaming zuerst eine Methode dar. Eine politische Richtung ist damit nicht vorgegeben. Es muss also bei jeder Entscheidung, bei jedem konkreten Ziel sowohl um weibliche und als auch um männliche Unterstützung gerungen werden. Gender Mainstreaming steht somit für einen Paradigmenwechsel, indem die reine Frauenförderung nun Teil einer geschlechtergerechten Politik wird, die auch Benachteiligungen für Männer genauer in den Blick und damit in die Verantwortung nimmt. Das war bislang nicht der Fall. Der Hang zur Einseitigkeit innerhalb der Gleichstellungspolitik zu Gunsten der Frau konnte auf vielen Feldern beobachtet werden. In der Gesundheitsfürsorge etwa hat dies zu einer fatalen Entwicklung geführt, wie der Berliner Psychologe Eberhard Schaefer moniert:
Nichts ist klarer, deutlicher und bekannter als die Tatsache, dass die Lebenszeit von Männern 7 Jahre kürzer ist als die von Frauen. Ich sehe keine Ansätze, dass so etwas angestrebt wird, Lebensqualität für Männer zu verbessern, Gesundheitsförderung für Männer anzustreben. Sondern es gibt eine fatale Haltung dazu. Die Männer sind doch selber schuld. Sie trinken viel zu viel, rauchen viel zu viel. Man stelle sich vor, so würde man in Sachen Gleichstellung auf Frauen reagieren, wenn sie sagen: Wir möchten einen höheren Anteil am gesellschaftlichen Kuchen haben. Ihr seid doch selbst schuld, wenn ihr nicht mehr arbeitet, ihr seid doch selbst schuld, wenn ihr nicht selbst dafür sorgt, dass es euch besser geht. Ganz unterschiedliche Herangehensweisen, ob Männer im Hintertreffen sind oder ob Frauen im Hintertreffen sind."
Um, wie von Schäfer gefordert, hier eine Verbesserung zu erreichen, erscheint Gender Mainstreaming als geeignetes Instrument. Denn hier wird ein stärkeres Gewicht auf das soziale Geschlecht, dem "Gender" von Männern und Frauen gelegt.
Besonders wichtig bei der Durchführung einer "Genderberatung" ist die "Genderanalyse". Dabei werden die Institutionen, ihre Aktivitäten, deren Zielgruppe und vor allem ihr Budget im Hinblick auf Frauen- und Männeraspekte unter die Lupe genommen. Henning von Bargen leitet bei der Heinrich-Böll-Stiftung die Stabsstelle Geschlechterdemokratie. Er erklärt am Beispiel einer Kunstausstellung, was Gender-orientierte Fragen offenlegen können:
Zu gucken, welche Kunstobjekte werden ausgestellt? Wer wird da gefördert? Sind es Künstlerinnen oder Künstler? Welche Themen werden aufgegriffen? Welche aber auch nicht? Welche Kunst wird ausgeschlossen? Wer kriegt eigentlich wofür wie viel Geld und wer nicht? Gibt es unterschiedliche Zugänge von Männern und Frauen im künstlerischen Bereich, ein weiterer Aspekt wären dann auch noch einmal sich unterschiedliche Generationengruppen von Männern und Frauen anzugucken, also im Sinne des Gender-Ansatzes, sehr vielfältig zu analysieren und differenzieren, um sehr genaue Aussagen darüber zu bekommen, wo Männer und Frauen unterschiedlich betroffen sind und behandelt und vielleicht auch diskriminiert werden.
Im politischen Diskurs verläuft der Umgang mit den unterschiedlichen Geschlechtern nach wie vor widersprüchlich - allen Regierungsbekenntnissen zu einer Gleichstellung von Frauen und dem Gender Mainstreaming zum Trotz. Jüngstes Beispiel hierfür sind die Arbeitsmarktgesetze Hartz I, II und III.
Nur ein Beispiel: 800.000 Frauen sollen aus der Sozialhilfe wieder in die Arbeitslosenförderung integriert werden. Gut so, aber das Grundproblem bleibt ungelöst, nämlich die klaffende Einkommensschere zwischen Frauen und Männern. Einkommensabhängige Fragen können demnach nicht geschlechtsneutral behandelt werden, wie etwa Barbara Stolterfoht, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, klarstellt.
Drastisch drückt sich dieser Missstand im Rentenniveau von Frauen aus. Im Jahr 2002 erhielten nach Angaben des Verbandes der deutschen Rentenversicherungsträger Männer im Schnitt 1.083 Euro Altersrente. Frauen hatten mit 517 Euro nicht einmal halb so viel zur Verfügung. Zurückgeführt wird dieser Umstand vor allem darauf, dass Frauen früher häufig kein Erwerbseinkommen hatten oder nur im unteren Lohnniveau verdienten.
Dass diese geschlechtsspezifische Rentenschere in Bälde nicht geschlossen werden kann, davon sind alle Sozialexperten überzeugt. Ein Grund dafür ist zum Beispiel die Ausweitung des Niedriglohnsektors, der weiblich dominiert ist. So stellen Frauen den Großteil der Teilzeitbeschäftigten dar und übernehmen mehr als zwei Drittel der bislang sechs Millionen "Minijobs" für geringfügig Beschäftigte.
Durch die stärkere Anrechnung des Partnereinkommens verlieren Frauen zudem ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld II, wenn das Einkommen ihres Ehemannes zu hoch ausfällt. Auf diese Weise werden Frauen wieder finanziell abhängig vom Ehepartner. Der Förderverein Gewerkschaftliche Arbeitslosigkeit bezeichnet die Hartz-Gesetze gar als Aktionsbündnis "Zurück an den Herd - Frauen gegen Massenarbeitslosigkeit".
Momentan kommt die Agenda 2010 also völlig ungegendert daher. Ein handwerklicher Fehler wie Irmingard Schewe-Gerigk beklagt. Aus diesem Grund soll nun eine Studie erstellt werden, die beleuchtet, wie sich die Hartz-Gesetze spezifisch auf Frauen und Männer auswirken. Möglicherweise wird das Gesetzeswerk dann in Teilen nachgebessert. Typisch Frauenpolitik wie Schewe-Gerigk bemerkt:
Das heißt, es muss die Frauenpolitik immer hinterherkommen und sagen, hier habt ihr etwas vergessen, und manchmal macht‘s mir auch gar keinen Spaß, da immer hinterherzulaufen, weil man sich da auch unbeliebt macht bei den Kolleginnen und Kollegen. Trotzdem ist es nicht verzichtbar. Es ist immer noch nicht so, dass jeder bei jeder Maßnahme genau überlegt, wie wirkt sich das auf Männer und wie auf Frauen aus.
Die hastig verabschiedeten Neuregelungen zum Arbeitsmarkt zeigen, wie wichtig es ist, Behörden und Verwaltungen für Geschlechterfragen zu sensibilisieren. Wenn diejenigen, die Verwaltungsvorschriften und Gesetze erstellen, sich den unterschiedlichen Lebensverhältnissen von Männern und Frauen bewusst sind, können ungleiche Behandlungen am effektivsten vorgebeugt werden, argumentiert Henning von Bargen von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Deshalb bestehe in Behörden wie auch in Unternehmen noch jede Menge Veränderungsbedarf:
Wenn die Menschen mit ihren individuellen Lebensentwürfen dann in die Organisationen hineinkommen, in die Betriebe, dann treffen sie dort wieder auf ein sehr eingeengtes Bild. Ich spreche da immer von einer Kultur der Zweigeschlechtigkeit, von Geschlechterrollen, die sehr einengend sind. Und diese Bilder schlagen sich dann nieder in Arbeitszeitgestaltung, in Sitzungskultur, bis dahin, wie die Produkte und Dienstleistungen aussehen. Und beim Gender Mainstreaming geht es darum, die Rahmenbedingungen dahingehend zu verändern, dass die Organisationen sich an diese Lebensentwürfe von den Menschen anpassen und nicht umgekehrt."
Die Schwierigkeit bei der Akzeptanz von Gender Mainstreaming liegt an seiner umfassenden Ausrichtung. So sollen konservatives Rollenverhalten und Vorurteile im Alltags- und Arbeitsleben angesprochen werden und somit in der Öffentlichkeit kein "abgehandeltes Thema" mehr darstellen.
Dass das Thema noch lange nicht abgehandelt sein wird, dafür werden sowohl Frauen als auch zunehmend Männer sorgen.
Für Eberhard Schaefer stellt sich letztlich die Frage, warum den politischen Akteuren nach wie vor der Mut fehlt, die gesellschaftliche Gleichberechtigung von Frau und Mann energischer voranzutreiben. Sind die Veränderungen im alltäglichen Zusammenleben doch schon viel weitgehender als die Politik dies wahrhaben will. Dazu noch einmal Eberhard Schäfer:
Die Gesellschaft ist der Politik weit voraus. Die Politik hechelt da hinterher. Die ist eher statisch und beobachtet das im besten Falle. Die Väter sind viel weiter, als man gemeinhin denkt. Da gäbe es sehr viel mehr Anknüpfungspunkte, als sie bisher genutzt werden.
SPD und Grüne traten im Oktober 1998 dafür an, die Gleichstellung, Zitat: "zu einem großen gesellschaftlichen Projekt" werden zu lassen. Die Koalitionsvereinbarungen von 1998 und 2002 haben vorgesehen, die gesellschaftliche Stellung von Frauen spürbar zu verbessern. Dazu muss Gleichstellungspolitik, so ein Regierungsziel, in allen Politikbereichen stattfinden. Die klaffende Gerechtigkeitslücke zwischen männlichen und weiblichen Durchschnittseinkommen soll geschlossen, die Erziehungszeiten von Müttern in der Sozialversicherung stärker berücksichtigt werden. Und Frauen sollen in der beruflichen Karriere die gleichen Chancen wie Männer haben.
Während es in den 80er Jahren noch keine Selbstverständlichkeit war, auf eine gleichwertige gesellschaftliche Teilhabe des so genannten schwachen Geschlechts zu bestehen, gilt es heutzutage längst als politisch korrekt, für die gleichberechtigte Rolle von Frauen in Beruf, Familie und Politik einzutreten.
Wie wird Arbeit verteilt, wie wird Familienarbeit organisiert, wie werden politische Entscheidungsprozesse organisiert, das sind ja alles Fragestellungen, die in die zwischengeschlechtliche Dimension hineingreifen, die sie sozusagen umfassen. Und da einen Bewusstwerdungsprozess, eine Aufklärung im klassischen Sinne zu organisieren, ist für meine Begriffe notwendig und kann eben ein Versprechen geben, einen gesellschaftlichen Mehrwert, der unser eigenes Leben auch bereichern kann. Das ist natürlich abstrakt schön gesagt, wenn man es praktisch nicht selbst ausprobiert. Und wenn man es praktisch ausprobiert, dann stößt man sehr schnell auch auf sich selbst in seinen eigenen gefangenen Mustern und Rollenbildern.
Thomas Krüger ist Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Berliner Jugendsenator beschreibt, vor welcher Herausforderung eine ernsthafte Gleichstellungs- oder Geschlechterpolitik steht. Programmatisch geht es darum, einen Wandel in den Köpfen und schließlich im alltäglichen Verhalten von Frauen und Männern zu erzeugen.
Die ehrgeizigste Maßnahme rot-grüner Gleichstellungspolitik sollte die gesetzliche Verpflichtung zur Frauenförderung in der Privatwirtschaft werden. Christine Bergmann, Frauen-Ministerin im ersten Schröder-Kabinett, gab sich bis 2001 kämpferisch. Sie war entschlossen, die deutsche Wirtschaft per Gesetz in die Verantwortung zu nehmen und plädierte für einen tief greifenden Sinneswandel.
Wir dürfen uns auch nicht immer einreden lassen, dass der Arbeitsmarkt eine rund um die Uhr flexible mobile Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer braucht, und dem hat sich bitteschön dann die Gesellschaft zu fügen. Wir müssen uns auch mal angewöhnen, dass Menschen in Familien leben und in sozialen Kontakten und hinter diesen Arbeitskräften diese sozialen Wesen und die Familien mitzusehen.
Zwei Jahre lang wurde das Gesetz zur Gleichstellung in der Privatwirtschaft beraten, verhandelt und schließlich fallen gelassen. Ende 2001 legte Gerhard Schröder, der Christine Bergmann im Wahlkampf 1989 als "Fachfrau für Familie und das ganze Gedöns" präsentierte, sein Machtwort ein. Eine gesetzliche Vorgabe für die Privatwirtschaft ist damit ausgeschlossen.
Stattdessen einigte sich die Bundesregierung auf eine Freiwilligkeitsvereinbarung. Sie verpflichtet die Wirtschaftsverbände, die Unternehmen anzuhalten, so genannte familienfreundlichere Arbeitszeitregelungen zu treffen, die Einstellung von Frauen zu fördern oder arbeitende Mütter bei der Kinderbetreuung zu unterstützen. Das Fazit des kleineren Regierungspartners über diese freiwillige Vereinbarung fällt enttäuschend aus, wie Irmingard Schewe-Gerigk unumwunden feststellt:
Es ist ein Nullsummenspiel. Wenn nur jedes zweite Unternehmen überhaupt davon weiß, dass Maßnahmen vorgeschlagen werden von den Verbänden, und wenn nur 4% der Unternehmen tatsächlich auch Maßnahmen zur Frauenförderung haben oder nur 2% der Unternehmen die Situation der Frauen analysieren, da muss man eindeutig sagen, das ist keine gute Startchance, um für die Frauen etwas zu tun. Inzwischen gibt es diese freiwillige Vereinbarung, die meines Erachtens nichts bringt, es gibt ein paar Broschüren, es gibt ein paar Veranstaltungen, die die Wirtschaft gemacht hat, und darum glaube ich, wird es notwendig sein, die gesetzliche Regelung auch umzusetzen.
Neben konservativen Frauenbildern ist es die Unternehmenskultur selbst, die soziale Interessen und Verhältnisse ausblendet. Wenn das vorwiegend männliche Management eines Unternehmens sich an vierteljährlichen Quartalszahlen messen muss, rücken langfristige Zielsetzungen, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch die Anpassung der Produkte an unterschiedliche Lebensverhältnisse oft in den Hintergrund. So wurde jüngst beim Bau moderner Zugwaggons völlig außer Acht gelassen, dass auch Kinderwagen durch Zugtüren und Abteilgänge passen müssen - ein Fauxpas, der jeder betriebswirtschaftlichen Gewinnrechnung zuwider läuft.
Dabei spielt auch die geringe Präsenz von Frauen in den Führungsetagen eine Rolle. Wie die Zeitschrift "Capital" kürzlich mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt feststellte, waren 2002 in Großunternehmen nur sechs Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt, in mittelständischen Betrieben waren es acht, bei Behörden 12 Prozent.
Der gesellschaftliche Handlungsbedarf ist nach wie vor groß. Jüngster Beweis hierfür ist der aktuelle Gleichstellungsbericht der Europäischen Kommission. Danach liegt der Unterschied im Einkommen von Männern und Frauen in Deutschland und Großbritannien bei rund 20 Prozent. Anders als in Großbritannien hat sich diese Diskrepanz hierzulande seit 1995 nicht verringert, womit die Bundesrepublik EU– weit Schlusslicht ist. Extrem klaffen die Gehälter dabei im privatwirtschaftlichen Sektor auseinander. Renate Schmidt, seit 2002 verantwortliche Ressortchefin des Familienministeriums darf nun dort weitermachen, wo ihre Vorgängerin resignierte:
Wir brauchen mehr Möglichkeiten, teilzeitbeschäftigt tätig zu sein, und zwar auch in qualifizierten Tätigkeiten, nicht nur in denen, die schlecht bezahlt sind und von denen man gar nicht mehr leben kann. Wir brauchen zusätzlich Möglichkeiten, Karriere zu machen, auch dann, wenn man eine zeitlang Elternzeit in Anspruch genommen hat oder Teilzeit beschäftigt war. Wir brauchen das Anerkennen von Kompetenzen, die man in der Familie und in der Kindererziehung erwirbt und drum brauchen wir eine Veränderung und einen Mentalitätswechsel in der gesamten Gesellschaft und besonders in der Wirtschaft.”
So Renate Schmidt ein halbes Jahr nach ihrem Amtsantritt im Mai 2003. Anders als die grüne Abgeordnete Schewe-Gerigk, will die sozialdemokratische Bundesministerin den Mentalitätswechsel gänzlich ohne gesetzliche Regelung forcieren. Vielmehr favorisiert sie, die politischen Ziele an die Denkweise der Unternehmen anzupassen. Denn, so argumentiert Renate Schmidt, wirtschaftlicher Nutzen sei das stärkste, möglicherweise das einzige Argument, das die Wirtschaft überzeugen könne, Gleichstellung zu unterstützen. Familien- wie Frauenpolitik soll darum als aktive Wirtschaftspolitik konzipiert werden. Uta Ganz-Rathmann, Bereichsleiterin für Gesundheit, Soziales und Chancengleichheit bei der Deutschen Bahn AG, definiert diesen Kurswechsel ganz in ihrem Sinne.
Ich bin da sehr dankbar, dass Frau Bergmann, die letzte Familienministerin, das Gesetzesvorhaben fallen gelassen hat... Wobei man natürlich sagen muss, die Frauengruppe ist die größte Gruppe in unserem Unternehmen. Wir haben etwa 20% Frauen - auf der Führungsebene leider noch nicht. Aber ich merke immer mehr, auch junge Väter haben ein Interesse dran, Familie und Beruf zu vereinbaren, und deswegen sind wir weg von der aus unserer Sicht etwas überholten Frauenförderung.
Auch die Bundesregierung hat sich von einer reinen Frauen-Förderpolitik verabschiedet. Entscheidend hierfür ist ein Auftrag der EU-Kommission. Sie setzte neue Richtlinien für die Frauen- und Gleichstellungspolitik durch und verpflichtete 1999 alle nationalen Regierungen dazu, Gender Mainstreaming zum Leitprinzip ihres politischen Handelns zu machen. Was das bedeutet, schildert Christine Schmitz. Sie ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung für das Pilotprojekt verantwortlich, Gender Mainstreaming in dieser Bundesbehörde einzuführen:
Meine Erfahrungen haben erstmal gezeigt, dass es sehr, sehr schwierig ist, Gender Mainstreaming zu vermitteln. Ich würde erstmal allgemein erklären, was Gender ist: Das ist ein Begriff, der kommt aus dem Englischen und der wurde deshalb übernommen, weil im Englischen differenziert wird zwischen Gender, dem sozialen Geschlecht, also Rollenerwartungen und gesellschaftliche Vorstellungen von einem Mann oder von einer Frau, und Sex, dem biologischen Geschlecht. Und bei Gender Mainstreaming geht es darum, dass man die Gender-Perspektive in alle Bereiche, in alle Politikbereiche mit einbezieht, und zwar schon in der Planungsphase, in der Durchführungsphase und in der Evaluation einer jeden Maßnahme, um sicherzustellen, dass keine Ungleichbehandlung eines Geschlechtes stattfindet.
Das neue Bundesgleichstellungsgesetz, das seit Dezember 2001 in Kraft ist, verpflichtet darum Vorgesetzte und Personalverantwortliche im Öffentlichen Dienst zur Anwendung dieses neuen Verfahrens. Ausschlaggebend für die Einführung von Gendermainstreaming war die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995. Dort wurde sie erstmals als eine Methode diskutiert, die helfen könnte, Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern gleichermaßen abzubauen.
Die Ungleichbehandlung der Geschlechter ist bis heute ausschließlich Angelegenheit von so genannten Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragen, die im öffentlichen Dienst seit 1982 bundesweit tätig sind. Auf Länderebene wird die Gleichstellungspolitik dabei sehr unterschiedlich gehandhabt: Die gesetzlichen Regelungen reichen von Soll-Vorschriften wie in Baden-Württemberg bis zu strikten Frauenquoten in Bremen.
Gendermainstreaming führt dazu, dass Gleichstellungs- und Geschlechterfragen nicht nur auf eine institutionelle Frauenförderpolitik beschränkt sind, sondern methodisch in jeden Politik- und Gesellschaftsbereich eingeführt werden unter der aktiven Einbeziehung aller Beteiligten. Diesen Ansatz kann Eberhard Schäfer von der Männerberatung Manege in Berlin allerdings nicht erkennen, weil ...
"(...) die Umsetzung von Gender Mainstreaming ganz überwiegend von Frauen durchgeführt wird, und von Frauen mit einem frauenpolitischen Impetus versucht wird, rüberzubringen. Das ist ein Frauenthema, entweder du machst da mit, oder du hast Pech gehabt. Das ist gar keine Einladung an Männer."
Gleichwohl stellt Gender Mainstreaming zuerst eine Methode dar. Eine politische Richtung ist damit nicht vorgegeben. Es muss also bei jeder Entscheidung, bei jedem konkreten Ziel sowohl um weibliche und als auch um männliche Unterstützung gerungen werden. Gender Mainstreaming steht somit für einen Paradigmenwechsel, indem die reine Frauenförderung nun Teil einer geschlechtergerechten Politik wird, die auch Benachteiligungen für Männer genauer in den Blick und damit in die Verantwortung nimmt. Das war bislang nicht der Fall. Der Hang zur Einseitigkeit innerhalb der Gleichstellungspolitik zu Gunsten der Frau konnte auf vielen Feldern beobachtet werden. In der Gesundheitsfürsorge etwa hat dies zu einer fatalen Entwicklung geführt, wie der Berliner Psychologe Eberhard Schaefer moniert:
Nichts ist klarer, deutlicher und bekannter als die Tatsache, dass die Lebenszeit von Männern 7 Jahre kürzer ist als die von Frauen. Ich sehe keine Ansätze, dass so etwas angestrebt wird, Lebensqualität für Männer zu verbessern, Gesundheitsförderung für Männer anzustreben. Sondern es gibt eine fatale Haltung dazu. Die Männer sind doch selber schuld. Sie trinken viel zu viel, rauchen viel zu viel. Man stelle sich vor, so würde man in Sachen Gleichstellung auf Frauen reagieren, wenn sie sagen: Wir möchten einen höheren Anteil am gesellschaftlichen Kuchen haben. Ihr seid doch selbst schuld, wenn ihr nicht mehr arbeitet, ihr seid doch selbst schuld, wenn ihr nicht selbst dafür sorgt, dass es euch besser geht. Ganz unterschiedliche Herangehensweisen, ob Männer im Hintertreffen sind oder ob Frauen im Hintertreffen sind."
Um, wie von Schäfer gefordert, hier eine Verbesserung zu erreichen, erscheint Gender Mainstreaming als geeignetes Instrument. Denn hier wird ein stärkeres Gewicht auf das soziale Geschlecht, dem "Gender" von Männern und Frauen gelegt.
Besonders wichtig bei der Durchführung einer "Genderberatung" ist die "Genderanalyse". Dabei werden die Institutionen, ihre Aktivitäten, deren Zielgruppe und vor allem ihr Budget im Hinblick auf Frauen- und Männeraspekte unter die Lupe genommen. Henning von Bargen leitet bei der Heinrich-Böll-Stiftung die Stabsstelle Geschlechterdemokratie. Er erklärt am Beispiel einer Kunstausstellung, was Gender-orientierte Fragen offenlegen können:
Zu gucken, welche Kunstobjekte werden ausgestellt? Wer wird da gefördert? Sind es Künstlerinnen oder Künstler? Welche Themen werden aufgegriffen? Welche aber auch nicht? Welche Kunst wird ausgeschlossen? Wer kriegt eigentlich wofür wie viel Geld und wer nicht? Gibt es unterschiedliche Zugänge von Männern und Frauen im künstlerischen Bereich, ein weiterer Aspekt wären dann auch noch einmal sich unterschiedliche Generationengruppen von Männern und Frauen anzugucken, also im Sinne des Gender-Ansatzes, sehr vielfältig zu analysieren und differenzieren, um sehr genaue Aussagen darüber zu bekommen, wo Männer und Frauen unterschiedlich betroffen sind und behandelt und vielleicht auch diskriminiert werden.
Im politischen Diskurs verläuft der Umgang mit den unterschiedlichen Geschlechtern nach wie vor widersprüchlich - allen Regierungsbekenntnissen zu einer Gleichstellung von Frauen und dem Gender Mainstreaming zum Trotz. Jüngstes Beispiel hierfür sind die Arbeitsmarktgesetze Hartz I, II und III.
Nur ein Beispiel: 800.000 Frauen sollen aus der Sozialhilfe wieder in die Arbeitslosenförderung integriert werden. Gut so, aber das Grundproblem bleibt ungelöst, nämlich die klaffende Einkommensschere zwischen Frauen und Männern. Einkommensabhängige Fragen können demnach nicht geschlechtsneutral behandelt werden, wie etwa Barbara Stolterfoht, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, klarstellt.
Drastisch drückt sich dieser Missstand im Rentenniveau von Frauen aus. Im Jahr 2002 erhielten nach Angaben des Verbandes der deutschen Rentenversicherungsträger Männer im Schnitt 1.083 Euro Altersrente. Frauen hatten mit 517 Euro nicht einmal halb so viel zur Verfügung. Zurückgeführt wird dieser Umstand vor allem darauf, dass Frauen früher häufig kein Erwerbseinkommen hatten oder nur im unteren Lohnniveau verdienten.
Dass diese geschlechtsspezifische Rentenschere in Bälde nicht geschlossen werden kann, davon sind alle Sozialexperten überzeugt. Ein Grund dafür ist zum Beispiel die Ausweitung des Niedriglohnsektors, der weiblich dominiert ist. So stellen Frauen den Großteil der Teilzeitbeschäftigten dar und übernehmen mehr als zwei Drittel der bislang sechs Millionen "Minijobs" für geringfügig Beschäftigte.
Durch die stärkere Anrechnung des Partnereinkommens verlieren Frauen zudem ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld II, wenn das Einkommen ihres Ehemannes zu hoch ausfällt. Auf diese Weise werden Frauen wieder finanziell abhängig vom Ehepartner. Der Förderverein Gewerkschaftliche Arbeitslosigkeit bezeichnet die Hartz-Gesetze gar als Aktionsbündnis "Zurück an den Herd - Frauen gegen Massenarbeitslosigkeit".
Momentan kommt die Agenda 2010 also völlig ungegendert daher. Ein handwerklicher Fehler wie Irmingard Schewe-Gerigk beklagt. Aus diesem Grund soll nun eine Studie erstellt werden, die beleuchtet, wie sich die Hartz-Gesetze spezifisch auf Frauen und Männer auswirken. Möglicherweise wird das Gesetzeswerk dann in Teilen nachgebessert. Typisch Frauenpolitik wie Schewe-Gerigk bemerkt:
Das heißt, es muss die Frauenpolitik immer hinterherkommen und sagen, hier habt ihr etwas vergessen, und manchmal macht‘s mir auch gar keinen Spaß, da immer hinterherzulaufen, weil man sich da auch unbeliebt macht bei den Kolleginnen und Kollegen. Trotzdem ist es nicht verzichtbar. Es ist immer noch nicht so, dass jeder bei jeder Maßnahme genau überlegt, wie wirkt sich das auf Männer und wie auf Frauen aus.
Die hastig verabschiedeten Neuregelungen zum Arbeitsmarkt zeigen, wie wichtig es ist, Behörden und Verwaltungen für Geschlechterfragen zu sensibilisieren. Wenn diejenigen, die Verwaltungsvorschriften und Gesetze erstellen, sich den unterschiedlichen Lebensverhältnissen von Männern und Frauen bewusst sind, können ungleiche Behandlungen am effektivsten vorgebeugt werden, argumentiert Henning von Bargen von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Deshalb bestehe in Behörden wie auch in Unternehmen noch jede Menge Veränderungsbedarf:
Wenn die Menschen mit ihren individuellen Lebensentwürfen dann in die Organisationen hineinkommen, in die Betriebe, dann treffen sie dort wieder auf ein sehr eingeengtes Bild. Ich spreche da immer von einer Kultur der Zweigeschlechtigkeit, von Geschlechterrollen, die sehr einengend sind. Und diese Bilder schlagen sich dann nieder in Arbeitszeitgestaltung, in Sitzungskultur, bis dahin, wie die Produkte und Dienstleistungen aussehen. Und beim Gender Mainstreaming geht es darum, die Rahmenbedingungen dahingehend zu verändern, dass die Organisationen sich an diese Lebensentwürfe von den Menschen anpassen und nicht umgekehrt."
Die Schwierigkeit bei der Akzeptanz von Gender Mainstreaming liegt an seiner umfassenden Ausrichtung. So sollen konservatives Rollenverhalten und Vorurteile im Alltags- und Arbeitsleben angesprochen werden und somit in der Öffentlichkeit kein "abgehandeltes Thema" mehr darstellen.
Dass das Thema noch lange nicht abgehandelt sein wird, dafür werden sowohl Frauen als auch zunehmend Männer sorgen.
Für Eberhard Schaefer stellt sich letztlich die Frage, warum den politischen Akteuren nach wie vor der Mut fehlt, die gesellschaftliche Gleichberechtigung von Frau und Mann energischer voranzutreiben. Sind die Veränderungen im alltäglichen Zusammenleben doch schon viel weitgehender als die Politik dies wahrhaben will. Dazu noch einmal Eberhard Schäfer:
Die Gesellschaft ist der Politik weit voraus. Die Politik hechelt da hinterher. Die ist eher statisch und beobachtet das im besten Falle. Die Väter sind viel weiter, als man gemeinhin denkt. Da gäbe es sehr viel mehr Anknüpfungspunkte, als sie bisher genutzt werden.