Pünktlich zum Jahreswechsel kam der Donnerschlag aus Athen: gescheiterte Präsidentenwahl, Regierungskrise, Neuwahlen am kommenden Sonntag. Im neuen Jahr steht die alte Krise wieder auf der Agenda. Und es geht nicht nur um Griechenland. Die Europäische Zentralbank facht den Streit um ihre Währungspolitik wieder an. England steht vor Parlamentswahlen. In Deutschland und Frankreich verhilft der islamistische Terror nationalkonservativen und eurokritischen Populisten zu neuem Auftrieb. Europa steht am Anfang eines Jahres voller Weichenstellungen.
Dabei sah es doch – was die EU und ihre Gemeinschaftswährung angeht – im letzten Jahr schon so gut aus. Die Krisen fanden in der Ukraine, in Syrien und im Nordirak statt. Die Eurozone mit ihrem griechischen Sorgenkind schien auf dem Weg der Rekonvaleszenz zu sein. Es ist Licht am Horizont, beruhigten die Kanzlerin und ihr Finanzminister:
- "Griechenland ist auf einem guten Weg."
- "Wir sind nicht über den Berg, aber wir sind auf einem guten Weg."
- "Wir sind nicht über den Berg, aber wir sind auf einem guten Weg."
Doch jetzt weht ein anderer Wind aus Athen. Alexis Tzipras, aus deutscher Sicht bislang das enfant terrible am linksextremen Rand des griechischen Parteienspektrums, schickt sich an, die Regierungsführung in Griechenland zu übernehmen:
Tzipras spielt den apokalyptischen Reiter
"Frau Merkel und Herr Schäuble tun so, als könnten Sie nicht hören. Aber die Wahrheit wird sie einholen. Die Euro-Zone kann nicht ewig auf des Messers Schneide balancieren. Entweder sie streicht einen Großteil der insgesamt neun Billionen Euro Schulden, oder sie werden alle in den Abgrund stürzen."
Tzipras zündelt. Nach innen gibt er sich im Wahlkampf als Heilsbringer, der sein Volk von dem Joch der Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Weltbank befreit, die Griechenland unter ihre Kuratel gestellt haben. Nach außen, vor allem mit Blick auf Berlin, spielt Tzipras den apokalyptischen Reiter, der den europäischen Partnern schlimmstes Unheil für den Fall androht, dass sie nicht alsbald Schulden erlassen, den Reformdruck von den Griechen nehmen und Lohnsteigerungen, Rentenerhöhungen und staatliche Investitionsprogramme zulassen.
Der wirtschaftspolitische Kopf hinter Tzipras ist Yannis Milios, Professor für politische Ökonomie an der Nationalen Technischen Universität von Athen und Chefökonom der Syriza Partei. An einem kalten Januartag ist er nach Berlin gekommen, um für die Ziele seiner Partei zu werben:
"Wir haben alles durchgerechnet, wir können unser Programm verwirklichen", versichert Milios. Zugleich macht er klar, was er gerade von Deutschland erwartet. Schnell werden in griechischen Wahlkämpfen historische Rechnungen präsentiert:
"Wir müssen uns daran erinnern, wie die Gläubiger Deutschlands - darunter auch Griechenland - 1953 bei der Londoner Schuldenkonferenz gehandelt haben. Damals wurde Deutschland der Großteil seiner Kriegsschulden erlassen und die Restrückzahlung mit einer Wachstumsklausel verbunden."
Milios kennt Deutschland gut. In den siebziger und frühen achtziger Jahren hat er in Darmstadt und Osnabrück studiert. Was ihn damals prägte, kann er auch auf Deutsch erklären:
"Der theoretische Rahmen, den Karl Marx begründet hat. Auch die theoretische Richtung von Siegmund Freud, die Frankfurter Schule."
Pläne schmieden für den Grexit?
Als Student war er Mitglied der kommunistischen Partei Griechenlands. Nicht der Staatssozialismus nach sowjetischem Muster sei damals ihr Vorbild gewesen, sondern der Eurokommunismus für den die KPs in Italien und Frankreich standen, erklärt Milios, der in Berlin bei der den deutschen Linken nahestehenden Rosa-Luxemburg-Stiftung auftrat. Die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag steht in internationaler Solidarität an der Seite der Syriza Partei. Doch sollte sie am kommenden Sonntag tatsächlich als stärkste Kraft aus den griechischen Wahlen hervorgehen, haben es Tzipras und Milios in Berlin nicht mehr mit den Freunden von der Linkspartei zu tun.
In Wolfgang Schäubles Finanzministerium würden bereits die Pläne für den Grexit, einen Austritt – oder Rauswurf – Griechenlands aus der Euro-Gruppe geschmiedet, hieß es in Berlin, kaum waren der Neuwahltermin in Athen verkündet und die ersten Prognosen über den bevorstehenden Syriza-Sieg veröffentlicht. Doch zumindest nach außen wiegelte die Bundesregierung ab:
"Es war von Anfang an die Politik der Bundesregierung und ihrer europäischen Partner, die Euro-Zone zu stabilisieren und zu stärken. Und zwar die Euro-Zone mit all ihren Mitgliedern. Eine, wie auch immer geartete Kursänderung gibt es nicht", versichert Regierungssprecher Steffen Seibert seit dem Jahreswechsel immer wieder. Einen Beleg dafür, dass hinter den Kulissen das Ausscheiden Griechenlands betrieben werde, gibt es bis heute, drei Tage vor der Wahl, nicht.
Was bedeutet dann "keine Kursänderung"? Glaubt Angela Merkel immer noch wie vor drei Jahren, als sie ihre Rettungspolitik auch vor den Skeptikern in den eigenen Reihen des Bundestages rechtfertigen musste, dass ein Kollaps Griechenlands zwangsläufig auch den Rest der Euro-Zone in den Abgrund reißen würde?
"Die zu beschließenden Hilfen für Griechenland sind alternativlos, um die Finanzstabilität des Eurogebietes zu sichern. Wir schützen also unsere Währung, wenn wir handeln."
Damals – im Krisensommer 2012 – ging es um alles. Scheitert der Euro, scheitert Europa, hatte Merkels prophezeit. Die Risiken, die mit einem erzwungenen Ausscheiden Griechenlands verbunden wären, seien "unkalkulierbar", sagte Merkel, sie könne das nicht verantworten:
"Niemand kann abschätzen, welche Auswirkungen eine Verweigerung des zweiten Griechenlandprogramms auf die anderen Programmländer – Portugal, Irland und gegebenenfalls dann auf Spanien und Italien, schließlich auf die Eurozone insgesamt und letztlich auf die ganze Welt hätte."
Weniger Angst vor dem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro
Der Grexit als Zündfunke für einen volkswirtschaftlichen Weltenbrand. Mit dieser Schreckensvision zwang Merkel noch zu Zeiten ihrer schwarz-gelben Regierung ihre Allparteienkoalition zur Euro-Rettung zusammen.
Doch seitdem wurde in Europa vieles geordnet. Der größte Teil der Schulden, die Griechenland bei deutsche Banken und Versicherungen hatte, wurde abgeschrieben oder wie durch den Einstieg des Bundes bei der Commerzbank sowie bei den Landesbanken sozialisiert. Nach wie vor bedrohte Banken wurden durch die europäischen Abwicklungsregeln und Rettungsfonds abgesichert.
Seit weit mehr als einem Jahr hat sich deshalb auch in Berlin die Gewissheit ausgebreitet, dass ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro nicht mehr jene unkalkulierbaren Kettenreaktionen auslösen würde, wie man es auf den ersten Höhepunkten der Krise befürchten musste. Zugleich war auch der Bundesregierung seit Langem klar, was sie nur ungern und wenn überhaupt dann eher unfreiwillig aussprach:
"Es wird für Griechenland noch mal ein Programm geben müssen", entfuhr es Wolfgang Schäuble bei einem Wahlkampfauftritt im Sommer 2013. Hatte der Finanzminister ausgerechnet vor der Seniorenunion im schleswig-holsteinischen Ahrensburg eine Nachricht in die Welt gesetzt, die sofort europaweit für Schlagzeilen sorgte? Die Vorhersage der Opposition, die Regierung werde unmittelbar nach der Wahl die Katze aus dem Sack lassen und Griechenland mit einem neuen Hilfsprogramm unter die Arme greifen, trat nicht ein.
In Athen hielt Premierminister Samaras sein Versprechen und rang seinem unter den Reformlasten ächzenden Land ein sogenanntes positives Primärsaldo im Staatshaushalt ab. Griechenland gibt für seine laufenden Ausgaben seitdem nicht mehr aus, als es ohne neue Verschuldung einnimmt. Die Rechnung klammert allerdings die Belastung durch die bestehenden Schulden aus.
Syriza-Partei ist von radikalen Forderungen abgerückt
Die enormen Zinslasten drücken das Land noch auf Jahre, wenn nicht Generationen in die Verschuldung. Seit Langem haben auch die Vertreter der Gläubiger in Brüssel, Frankfurt, Washington sowie Wolfgang Schäuble in Berlin erkannt, dass Griechenland ohne Erleichterungen dieser Bürde kaum wieder auf die Beine kommen wird.
"Wir haben auf Bitten des Internationalen Währungsfonds in den Beratungen der Eurogruppe auch vorsorglich über zusätzliche Maßnahmen gesprochen, mit denen notfalls der Schuldenstand im Jahre 2022 weiter abgesenkt werden könnte, wenn es notwendig sein sollte."
Auf der anderen Seite, in Griechenland, sind auch Alexis Tzipras und seine Syriza Partei auf dem Weg an die Macht von ihren einstmals radikalen Forderungen abgerückt. Von einer kompletten Rücknahme aller Reformen oder einer einseitigen Verweigerung von Zinszahlungen ist nicht mehr die Rede. Die Linken haben erkannt, dass sie in der Regierungsverantwortung auch an den vollkommen überzogenen Erwartungen scheitern können, die sie in den vergangenen Jahren selbst genährt haben:
"Wir wollen keine neuen Schulden und wir haben den Menschen klar gesagt: Die Löhne werden nicht wieder auf das Niveau von 2009 ansteigen. Wir wollen nicht zu den Verhältnissen zurück, die gerade mitverantwortlich für die Krise waren", beteuert Syriza Chefökonom Milios.
Viele von den drastischen Ausstiegs- und Bedrohungsszenarien, die dieser Tage hier wie dort gezeichnet wurden, würden am kommenden Montag durch realistischere Betrachtungen und pragmatische Herangehensweisen ersetzt, meint der deutsche Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Henrik Enderlein, Direktor des Jacques Delors Instituts und Professor an der Hertie School of Governance in Berlin:
"Im Augenblick sind beide Akteure damit beschäftigt, sich eine gute Verhandlungsposition zu erarbeiten. Ich glaube, dass wir am Ende ein sehr kooperatives Ergebnis sehen werden. Dass sich Deutschland, Griechenland und der Rest des Euroraums verständigen und dass man auch mit Tzipras nicht den Konflikt bekommt, den wir 2012 und 2011 im Euroraum gesehen haben."
Kehrt nach der Griechenland-Wahl am Montag wieder Ruhe auf den alten Schlachtfeldern der Europapolitik ein? Oder haben die Auseinandersetzungen um das europäische Krisenmanagement auch in Deutschland noch das Potenzial, die Politik zu spalten und die Menschen auf die Straße zu treiben?
Misstrauen und Skepsis innerhalb der Bevölkerung
Zwar ist auch die aus dem Protest gegen die Euro-Rettungspolitik entstandene AfD von ihren rigiden Forderungen nach einem Euro-Austritt Deutschlands schon wieder abgerückt. Doch nach wie vor sind Misstrauen und Skepsis in Teilen der Bevölkerung weit verbreitet. Der Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, berichtete am Sonntag in der Fernsehdiskussion bei Günter Jauch über die Stimmung im Umfeld der Dresdener Pegida-Demonstrationen:
- "Wir haben jetzt wieder über Islamisierung geredet. Die Dinge, die am meisten bei mir angekommen sind, waren nicht die, sondern: 'Die Gesellschaft im Ganzen entsolidarisiert sich', 'Der Staat hält sich nicht an die Gesetze, die er selbst gemacht hat'."
- "Beispiel?"
- "Maastricht-Kriterien!"
- "Genau, Euro."
- "Das wurde sehr oft in Briefen bei mir angebracht."
- "Genau, ein sehr gutes Beispiel!"
- "Beispiel?"
- "Maastricht-Kriterien!"
- "Genau, Euro."
- "Das wurde sehr oft in Briefen bei mir angebracht."
- "Genau, ein sehr gutes Beispiel!"
Der Streit um die europäische Haushaltspolitik: "Ein sehr gutes Beispiel" für Verdruss und Wut, der die Menschen in Dresden auf die Straßen und bundesweit in die Arme seiner Partei treibe, stimmte AfD-Mann Alexander Gauland zu. Und heute erhielten die Euroskeptiker in Deutschland frischen Streitstoff aus Frankfurt:
"Bei diesem Programm werden die Käufe von Unternehmens- und Staatsanleihen bei 60 Milliarden Euro im Monat liegen."
Streit um europäische Haushaltspolitik fördert Eurokritiker der AfD
Die Entscheidung über ein neues Programm zum massenhaften Ankauf von Staatsanleihen, das der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi heute verkündete, lenkt den Blick auch wieder auf die Tatsache, dass in Europa nach wie vor ganz unterschiedliche Kulturen des Haushaltens und Wirtschaftens aufeinanderprallen. Die deutsche Volkswirtschaftslehre hat sich im Streit um die Bewertung der EZB-Politik tief gespalten.
"Within our mandate, the ECB is ready to do, whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough."
"Und glauben sie mir, es wird genug sein". Die legendäre Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi, innerhalb seines Mandats alles zu tun, was nötig sei, um den Euro zu retten, wurde von den einen als heroischer Triumph im Kampf gegen die Spekulationsmärkte gefeiert. Die anderen verteufelten die EZB und bereuten es insgeheim, die Europäische Zentralbank in jene Unabhängigkeit entlassen zu haben, die eigentlich eine restriktive Geldpolitik nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank garantieren sollte. Deren Chef Jens Weidmann wurde im Zentralbankrat der EZB ein vereinsamter Kämpfer gegen die Öffnung der Geldschleusen, durch die Liquidität in die europäischen Staatshaushalte gepumpt werden soll:
"Uns als Notenbank ist die Finanzierung von Staaten in den EU Verträgen verboten, und zwar aus guten Gründen. Weil sich in der Vergangenheit eben gezeigt hat, dass diese Politik Begehrlichkeiten weckt, die ja am Ende die Aufmerksamkeit auf das Ziel der Preisstabilität gefährden können."
Weidmann hatte sich mit dieser Kritik vor allem gegen das sogenannte OMT Programm gestemmt, mit dem Draghi seine Ankündigung "Wir tun alles, was nötig ist" im Ernstfall umsetzen wollte. Dazu ist es jedoch nie gekommen. Allein die Drohung, Währungsspekulanten nötigenfalls mit überlegenen Mitteln der Zentralbank niederzuringen, habe im Sommer 2012 genügt, um die aufgewühlten Märkte zu beruhigen, sagen Draghis Verteidiger. Im Grunde, so meint der Berliner Ökonom Henrik Enderlein, sei das OMT Programm ein großer Bluff gewesen. Anders sei das mit Blick auf das heute verkündete Programm zum flächendeckenden Ankauf von Staatsanleihen in ganz Europa:
"Das OMT ist ein selektives Anleiheankaufprogramm, wo die Europäische Zentralbank gesagt hat, wir kaufen nur Anleihen aus Krisenländern, um deren Zinsen näher an den europäischen Zinsdurchschnitt heranzubringen. Die rechtlichen Auflagen an ein solches Programm sind deutlich höher und schwieriger zu überwinden, als die rechtlichen Vorgaben an ein symmetrisches Anleiheprogramm."
Umstrittenes Programm vor Europäischem Gerichtshof
Allerdings ist auch eine Fortsetzung des Streits um das OMT-Programm schon vorprogrammiert und es nicht absehbar, zu welchen Konfrontationen es noch führen wird. In einer historischen Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht die Frage nach der Rechtmäßigkeit des OMT-Programms vor einem Jahr an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) überwiesen. In der vergangenen Woche zeichnete sich nach einem Gutachten des Generalanwalts am EuGH ab, dass die Luxemburger Richter die Einwände ihrer Karlsruher Kollegen nicht teilen und der EZB einen weiten Handlungsspielraum zugestehen werden.
Das entsprechende Urteil wird für den Herbst erwartet. Danach muss dann auch das Bundesverfassungsgericht noch einmal im Lichte des Luxemburger Urteils entscheiden, ob die Bundesbank an den umstrittenen EZB-Programmen mitwirken darf. Juristen wie der Bielefelder Verfassungsrechtler Franz Mayer haben Zweifel, wie Karlsruhe mit dem Widerspruch aus Luxemburg umgehen wird: Akzeptiert das Bundesverfassungsgericht die übergeordnete Interpretationshoheit der Europäischen Richter ohne Weiteres? Oder provoziert es im Streit um die Befugnisse der EZB einen Showdown der höchsten Richter in Deutschland und Europa?
"Ich glaub schon, dass es auch Signale gibt, die darauf hindeuten, dass man eher in einer konfrontativen Haltung verharrt, den EuGH fast als Gegner sieht. Das würde man natürlich öffentlich so nicht sagen. Aber es gilt dieses alte englische Wort: Man muss den Pudding dann mal essen, um herauszufinden, was gemeint ist."
Das höchstrichterliche Puddingessen könnte noch zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung werden, in der es um weit mehr geht als die Frage, ob das letzte Wort zur Rolle von EZB und Bundesbank in Luxemburg oder Karlsruhe gesprochen wird. Henrik Enderlein vom Jacques Delors Institut in Berlin warnt:
"Wenn das Bundesverfassungsgericht jetzt an seiner Meinung festhält und argumentiert, dass die Bundesbank nicht mehr für die Europäische Zentralbank exekutieren darf, das heißt tätig werden darf im Ankauf eines OMT Programms, dann hielt ich das für eine grundsätzliche Infragestellung des Euroraums und das wäre ein sehr gefährlicher Schritt, den die Bundesbank da vollziehen würde."
Währungskrise in Europa hat Bruchlinien hervortreten lassen
Am Anfang dieses Jahres wird deutlich: Europa hat bei der Bewältigung seiner Währungskrise Fortschritte gemacht. Aber die grundlegenden Probleme sind noch keineswegs gelöst. Und wer gehofft hatte, die Erfahrungen von gegenseitiger Hilfe und gemeinsamem Krisenmanagement habe Europa enger zusammenwachsen lassen, dürfte sich getäuscht haben. Die Krise hat politische, ökonomische und kulturelle Bruchlinien in Europa schärfer hervortreten lassen, meint auch die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, seit 20 Jahren in verschiedenen Think Tanks und wissenschaftlichen Institutionen eine der am besten vernetzten Kennerinnen der Europapolitik in Deutschland:
"Also die Risse sind unübersehbar. Das Problem ist tatsächlich, auch wenn man sich jetzt die aktuelle Berichterstattung anguckt, also zum Beispiel die Deflationsgefahr, die auch durch die Zentralbankentscheidung noch mal betont wurde: Sind wir noch im Auge des Orkans? Und geht der eigentliche Sturm erst jetzt los. Oder sind wir tatsächlich durch die Krise? Und auch das würde ich noch mal strittig stellen."
Die Antwort auf diese Fragen können nach Einschätzung von Guérot nur in einem begrenzten Zeitraum gegeben werden. Mit der Neuwahl des Europäischen Parlaments und der Konstituierung der neuen EU Kommission hat sich im vergangenen Jahr ein Zeitfenster der Möglichkeiten geöffnet, in der die entscheidenden Akteure handlungsfähig sind. Der Zeitpunkt, an dem es sich wieder schließt, stehe schon fest, sagt Ulrike Guérot:
Begrenztes Zeitfenster der Möglichkeiten
"Wir haben 2017* in den drei großen Ländern der Europäischen Union – nämlich in Großbritannien, in Deutschland und in Frankreich – Wahlen. Und das werden Momente sein, wo die Briten sich abarbeiten werden an der Frage: Sollen wir Europa verlassen? Wo die Franzosen sich abarbeiten an der Frage: Wollen wir Marine LePen und wenn nein, wie verhindern wir sie? Und wo die Deutschen immerhin mit Phänomen AfD in den Wahlen werden rechnen müssen."
Auch Henrik Enderlein meint, dass sich mit dem Beginn dieses Jahres ein wichtiges Zeitfenster öffne. Mit Blick auf den Beginn der Wahlkämpfe und Kandidatenaufstellungen in Deutschland und Frankreich reiche es aber nicht einmal bis zu den eigentlichen Wahlterminen im Jahr 2017:
"Das Zeitfenster ist tatsächlich auf wenige Monate begrenzt. Die Frage, die sich Europa stellen muss, ist: Was ist in einem solchen Zeitfenster überhaupt machbar? Eine Vertragsänderung sicherlich nicht. Auch keine fundamentale Veränderung des europäischen Konstrukts innerhalb der Verträge. Ich glaube es geht darum, sich zwei oder drei besonders dringliche Fragen vorzunehmen und diese anzugehen."
Keine Zeit für große Würfe. Gemeinsame Gesetzgebungsverfahren der großen EU Ländern könnten zum Beispiel ein wichtiger Schritt mit Vorbildwirkung für den Rest der Gemeinschaft sein, sagt Enderlein. Ein ökonomisches Schengen-Abkommen oder ein deutsch-französisches Datenschutzgesetz als das europäische Airbus-Projekt des 21. Jahrhunderts. Und natürlich: Griechenland. Ab Montag steht die Frage, ob es gelingt, Griechenland mit Hilfe und Reformdruck in der Währungsgemeinschaft zu halten, wieder ganz oben auf der europäischen Agenda.
* Anmerkung der Redaktion: Gemeint sind die Bundestagswahl, die Präsidentschaftswahl in Frankreich und das Referendum der Briten über die Zukunft in der EU.