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Von Idylle keine Spur

In Lappland gibt es noch Rentierzüchter, aber sie schlafen nicht mehr in der Kote, dem traditionellen Zelt, sondern in Blockhütten. Mit Hubschrauber und Schneescooter treiben sie die gewaltigen Herden. Doch viele Züchter zweifeln mittlerweile am wirtschaftlichen Sinn ihrer Arbeit.

Von Alexander Budde |
    Die verschneite Tundra beim winzigen Weiler Karigasniemi: An diesem Wintermorgen laufen in einer runden Koppel Hunderte von Rentieren im Kreis. Die kleinen geduckten Tiere hecheln wie Hunde und rutschen mit ihren breiten Hufen über das Eis. Die jungen Renkälber staksen unsicher hinter ihren Müttern her und haben die Augen vor Schreck weit aufgerissen: Die Saami rücken den Kälbern mit Messer und Spraydose zu Leibe – um sie mit Nummern und Zeichen zu markieren.

    "Wir erkennen unseren Besitz an den Ohren, "

    sagt der Rentierzüchter Sampo Niityvuopio. Jede Familie ritzt ihr eigenes kompliziertes Schnittmuster aus Zacken und Rechtecken ein:

    "Ich sehe gleich, was für ein Ren das ist. Das da ist ein Wulnaroatnu, ein dreijähriges Weibchen ohne Kalb. Und sehen Sie das Jungtier da drüben? Da brauche ich mir nicht einmal die Ohrenmarke anzuschauen. Das ist meins, das sehe ich schon an der Nummer. Drei Dutzend meiner Tiere habe ich bislang ausgemacht. Aber da müsste noch einiges kommen."

    Sampo Niityvuopio stammt aus einer Renzüchterfamilie mit langer Tradition.
    Vater, Großvater, Urgroßvater – seit Generationen lebt seine Familie hier draußen. Der kleingewachsene Mann um die 40 weiß, wie man die wilden Paarhufer einfängt. Mit einem geschickten Griff um den Hals oder um das Geweih kann er seine Tiere aus der Herde herausfischen.

    "Du brauchst Bärenkräfte, aber es hat auch viel mit der richtigen Technik zu tun. Das muss man sich mal vorstellen : Die Vorschriften der Europäischen Union sagen, wir dürfen die Tiere nicht am Geweih festhalten. Also, ich verstehe das nicht. Ich muss da mal nachfragen in Brüssel, wie wir das machen sollen, mit unseren Rentieren hier."

    Sampo hat einen Bock ausgemacht und EU-widrig am Geweih gegriffen. Der kräftige Bock im Schwitzkasten strampelt und stemmt sich vergebens mit den Hinterhufen gegen den Klammergriff. Sein Sohn ruft mit Leibeskräften den Onkel zur Hilfe . Der Ringkampf mit dem Rentier ist ein Knochenjob.

    Noch eine ganze Weile schuften die Saami bei arktischen Temperaturen von minus 20 Grad. Nach ein paar Stunden draußen tut die Behaglichkeit der Blockhütte gut. Sampo Niityvuopio steht am Herd. Die Flammen werfen einen flackernden Schein auf sein rundes Gesicht, mit der breiten Stirn und der Mongolenfalte. Sampo ist nicht nur ein begabter Rentier-Bändiger, er ist auch ein fürsorglicher Vater und ein begnadeter Koch.

    "Das ist Rentiersuppe. Das Ren schmort ein paar Stunden im Topf und dann kommen Kartoffeln und ein paar Gewürze dazu. Nach der harten Arbeit ist das jetzt genau das Richtige. Du kannst auch ein Steak daraus machen und jedes andere Gericht. "

    Die Suppe ist heiß und gut gewürzt. Sampo, der Familienvater und Gastgeber, ist sichtlich zufrieden. Doch Sampo, der Unternehmer, macht sich Sorgen. Das Geschäft ist so rau wie das Land. Er ist sich zwar mit den Umweltschützern einig, dass die Zahl der Rentiere in den Weiten der Finnmark viel zu hoch ist. Doch der enorme Kostendruck macht nur noch große Herden rentabel.

    "
    Wir hier in Finnland haben keine Probleme mit unseren Renen hier. Aber nun kommen 300, 400 Rentiere aus Norwegen herüber. Dabei sind die Preise schon im Keller. Die haben einfach zu viele Tiere dort. Da sitzen die sturen, alten Leute auf gewaltigen Herden und wollen einfach nicht verkaufen. Und hier kommt der Staat und zwingt uns dazu. Was sollen wir machen? Wir müssen verkaufen. "

    Die Zeiten sind hart, doch die samische Kultur wird weiterleben, da ist sich Sampo Niityvuopio ganz sicher. Stolz lauscht der Rentierzüchter seinem Sohn, der vor dem Ofen sitzt und mit leuchtenden Augen die Heldengeschichte vom Ringkampf mit dem Ren erzählt. Wir haben keine großen Ansprüche, sagt Sampo zum Abschied. Wir wollen nur mit den Herden ziehen. Denn ein Saami ohne Ren, das macht doch keinen Sinn.