Hier könnte man sich auch irgendwo in Berlin, Brüssel oder Frankfurt wiederfinden: ein Platz mitten in Maribor, dunkles edles Pflaster, links und rechts moderne Bürofassaden. Vom Ufer der Drau weht ein kräftiger feuchter Wind. Ein paar Nebelschwaden ziehen vorbei und reflektieren das Licht der Designerlampen, die den Platz in einer wütenden Farborgie beleuchten: violett, grün und rot. Wer hier steht, fragt sich: Wann geht die Show los? Geld genug scheint da zu sein. Leuchtschriften links und rechts über breiten Glastüren. Erste Bank, Raiffeisenbank, Kreditinstituten, Finanzdienstleister. Ein Plateau für Büroanzüge, aber Ales Jenus kommt in Jeans und Parka.
"Das ist die Wall Street. Denn zum Beispiel gibt es hier eine, zwei, drei, vier, fünf, sechs Banken hier. Und viele glauben, obwohl es Banken gibt, dass es viel Kapital gibt. Aber na, ja ..."
Auch Ales Jenus, Mitte 20 und gebürtiger Mariborer hat kein Kapital. Hier arbeitet er nicht, hier geht er vorbei.
"Einmal am Vormittag und einmal am Abend. Denn sie ist am Abend auch recht schön beleuchtet. Und sie lebt, muss man sagen, die Stadt."
Und er hofft, dass er irgendwann auch einmal stehen bleibt, wenn nicht die Banken, sondern Straßentheater, Open-Air-Konzerte dominieren. Wenn hier Kultur dem großen Geld die Show stiehlt. Im Kulturhauptstadtjahr 2012 soll Maribors "Wall Street" Platz für all das bieten. Tag und Nacht. Es soll die große Wende für Maribor sein, der zweitgrößten Stadt in Slowenien mit 120.000 Einwohnern. Die Stadt gleicht heute einem Vexierspiegel: Ständig kommt etwas Neues zum Vorschein: hier die gläsernen Bürohäuser, nebenan Verfallenes aus der Habsburgerzeit, daneben mittelalterliche Bauten, klassizistische Bürgerpaläste und ein Schloss. Auf der anderen Seite der Drau: ein altes Fabrikgelände:
"Damals war es nämlich das Zentrum der Textilindustrie in diesem Teil Europas, und wir haben sehr viele Kaufleute aus dem Ausland gehabt, die hier her, nach Maribor kamen. Und von diesen Fabriken sind noch alte Gebäude geblieben und Reste natürlich auch."
Maribor: eine Stadt der Gegensätze, in der sich Zeiten und Stile mischen oder auch gegenseitig abstoßen.
"Also bis 1991 war Maribor - auch in Jugoslawien, in Slowenien auch - als eine Art Arbeiterstadt. Also wir waren immer bekannt als fleißige Arbeiter. Und speziell in Maribor gab es sehr viele Schwerindustrie-Unternehmen. Das waren Unternehmen, die viele Menschen beschäftigt haben. Und die waren am jugoslawischen Markt hauptsächlich orientiert. Und leider bedeutete das, dass sie nach '91 einen Kollaps erlitten."
Die Welt von damals - sie lebt aber weiter in den Straßennamen. Obwohl von der alten Industriestadt nichts übrig geblieben ist - die alten Namen gibt es noch. In Sloweniens Hauptstadt Ljubljana ist der Name des langjährigen jugoslawischen Präsidenten Tito längst getilgt worden. Nicht aber in Maribor, wo Ales Jenus eine gewisse Jugo-Nostalgie beobachtet und auch gar nicht so schlecht findet. Heute ist die Jugo-Nostalgie geduldet von den Politikern. Man lässt geduldig weiterleben, was einmal war: auch in der jungen Szene von Maribor.
"Es wird zum Beispiel in zahlreichen Diskotheken, Bars Jugo-Musik gespielt."
"Das Satchmo ist ein Treffpunkt von Enthusiasten und auch von Studenten. Und das andere ist das sogenannte KGB - das hat nichts mit dem KGB in Russland zu tun, sondern das bedeutet 'Kultur/Musik-Herberge'. Und das sind auch Menschen, die sehr gern Jamsessions feiern, Bars, die in Maribor wirklich Ikonen geworden sind."
Hier kehrt auch Ales Jenus gerne ein. Er findet schnell Kontakt, die Slowenen sind nicht unter sich. Ex-Jugoslawien ist fast repräsentativ vertreten: Serben, Kroaten, Bosnier und Kosovaren. Hier spielen die Kriegszeiten von einst keine Rolle mehr.
"Es ist nichts mehr davon übrig, dass man sagen würde: Ach, du bist Slowene? Geh weg! Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn ein Serbe oder Kroate nach Maribor kommt - die sind Freunde. Also: was die Politik auf einer Seite verbockt hat, das spürt man hier nicht."
Das ist typisch für Maribor. In jugoslawischer Zeit war die Stadt ein Industriezentrum für ganz Jugoslawien. Facharbeiter aus anderen jugoslawischen Teilrepubliken fanden hier Jobs und Wohnungen. Für die nachfolgenden Generationen ist Maribor längst zur Heimat geworden. Nur die Familiennamen erinnern manchmal noch an die Vergangenheit. Ales Jenus' Vater kam in den 60er-Jahren aus Kroatien nach Maribor. Nach Ende Jugoslawien hatte die Stadt, wie auch das gesamte Land, einen großen Startvorteil gegenüber anderen jugoslawischen Teilrepubliken. Die EU-Integration war schon früh das oberste Gebot. Und das ist auch in Maribor zu spüren.
"Nach 1991, mit unserer slowenischen Unabhängigkeitserklärung, hat sich auch die Denkweise der Leute verändert. Denn sie spürten - vielleicht das erste Mal - dass sie wirklich frei sind. Also, es war hier kein Krieg wie in Kroatien, Bosnien, aber es war so dieser 10-tägige Konflikt, den wir hatten. Und der wird sehr hoch geschätzt bei den Slowenen. Sie sind natürlich stolz, dass sie jetzt ein eigenes Land haben. Obwohl wir 2 Millionen sind - wenn es hart auf hart kommt, sind wir Slowenen immer einig."
Es ist nicht so, dass Maribor nicht genug Gewalt und Krieg erlebt hätte. 1941 wurde Slowenien von den Deutschen besetzt, auch Maribor. Hitler wollte die slowenische Untersteiermark, zu der auch die Stadt gehört, dem Deutschen Reich einverleiben.
"Insgesamt fielen etwa 15.000 Bomben auf die Stadt, aber der Großteil natürlich auf die Neustadt, auf der anderen Seite des Drau-Flusses, und man musste natürlich immensen Wiederaufbau machen."
Schon nach dem Ersten Weltkrieg hatte es Streit um die Stadt gegeben. Maribor wurde nach dem Untergang der Habsburger-Monarchie von Österreich, aber auch vom neuen Staat der Slowenen, Kroaten und Serben beansprucht.
"Maribor war damals aber noch eine sehr große deutschsprachige Stadt. Es waren viele dagegen, und es gab damals eine Demonstration. Auf einer Seite waren Demonstranten, auf der anderen waren Soldaten. Man ist sich nicht im Klaren, wann es passierte. Aber es fielen Schüsse, und es wurden zahlreiche Demonstranten leider erschossen. Und es war einer der schwarzen Punkte."
Der 27. Januar 1919 - der "Marburger Blutsonntag" - heute fast vergessen - wie auch die Tatsache, dass die deutschsprachige Bevölkerung Maribor bis 1919 dominierte.
"Und nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das dann gewandelt. Mit Jugoslawien waren nicht mehr so viele Deutsche hier. Und heute? Fast rein slowenisch."
Aber ohne die Historie hätte Ales Jenus wohl kaum so perfekt Deutsch gelernt. Österreich ist nicht weit. Und weg kann man schnell. Aber weg will er nicht. Gerade jetzt nicht: in einer Zeit, in der Maribor ganz groß rauskommt.
"Das ist die Wall Street. Denn zum Beispiel gibt es hier eine, zwei, drei, vier, fünf, sechs Banken hier. Und viele glauben, obwohl es Banken gibt, dass es viel Kapital gibt. Aber na, ja ..."
Auch Ales Jenus, Mitte 20 und gebürtiger Mariborer hat kein Kapital. Hier arbeitet er nicht, hier geht er vorbei.
"Einmal am Vormittag und einmal am Abend. Denn sie ist am Abend auch recht schön beleuchtet. Und sie lebt, muss man sagen, die Stadt."
Und er hofft, dass er irgendwann auch einmal stehen bleibt, wenn nicht die Banken, sondern Straßentheater, Open-Air-Konzerte dominieren. Wenn hier Kultur dem großen Geld die Show stiehlt. Im Kulturhauptstadtjahr 2012 soll Maribors "Wall Street" Platz für all das bieten. Tag und Nacht. Es soll die große Wende für Maribor sein, der zweitgrößten Stadt in Slowenien mit 120.000 Einwohnern. Die Stadt gleicht heute einem Vexierspiegel: Ständig kommt etwas Neues zum Vorschein: hier die gläsernen Bürohäuser, nebenan Verfallenes aus der Habsburgerzeit, daneben mittelalterliche Bauten, klassizistische Bürgerpaläste und ein Schloss. Auf der anderen Seite der Drau: ein altes Fabrikgelände:
"Damals war es nämlich das Zentrum der Textilindustrie in diesem Teil Europas, und wir haben sehr viele Kaufleute aus dem Ausland gehabt, die hier her, nach Maribor kamen. Und von diesen Fabriken sind noch alte Gebäude geblieben und Reste natürlich auch."
Maribor: eine Stadt der Gegensätze, in der sich Zeiten und Stile mischen oder auch gegenseitig abstoßen.
"Also bis 1991 war Maribor - auch in Jugoslawien, in Slowenien auch - als eine Art Arbeiterstadt. Also wir waren immer bekannt als fleißige Arbeiter. Und speziell in Maribor gab es sehr viele Schwerindustrie-Unternehmen. Das waren Unternehmen, die viele Menschen beschäftigt haben. Und die waren am jugoslawischen Markt hauptsächlich orientiert. Und leider bedeutete das, dass sie nach '91 einen Kollaps erlitten."
Die Welt von damals - sie lebt aber weiter in den Straßennamen. Obwohl von der alten Industriestadt nichts übrig geblieben ist - die alten Namen gibt es noch. In Sloweniens Hauptstadt Ljubljana ist der Name des langjährigen jugoslawischen Präsidenten Tito längst getilgt worden. Nicht aber in Maribor, wo Ales Jenus eine gewisse Jugo-Nostalgie beobachtet und auch gar nicht so schlecht findet. Heute ist die Jugo-Nostalgie geduldet von den Politikern. Man lässt geduldig weiterleben, was einmal war: auch in der jungen Szene von Maribor.
"Es wird zum Beispiel in zahlreichen Diskotheken, Bars Jugo-Musik gespielt."
"Das Satchmo ist ein Treffpunkt von Enthusiasten und auch von Studenten. Und das andere ist das sogenannte KGB - das hat nichts mit dem KGB in Russland zu tun, sondern das bedeutet 'Kultur/Musik-Herberge'. Und das sind auch Menschen, die sehr gern Jamsessions feiern, Bars, die in Maribor wirklich Ikonen geworden sind."
Hier kehrt auch Ales Jenus gerne ein. Er findet schnell Kontakt, die Slowenen sind nicht unter sich. Ex-Jugoslawien ist fast repräsentativ vertreten: Serben, Kroaten, Bosnier und Kosovaren. Hier spielen die Kriegszeiten von einst keine Rolle mehr.
"Es ist nichts mehr davon übrig, dass man sagen würde: Ach, du bist Slowene? Geh weg! Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn ein Serbe oder Kroate nach Maribor kommt - die sind Freunde. Also: was die Politik auf einer Seite verbockt hat, das spürt man hier nicht."
Das ist typisch für Maribor. In jugoslawischer Zeit war die Stadt ein Industriezentrum für ganz Jugoslawien. Facharbeiter aus anderen jugoslawischen Teilrepubliken fanden hier Jobs und Wohnungen. Für die nachfolgenden Generationen ist Maribor längst zur Heimat geworden. Nur die Familiennamen erinnern manchmal noch an die Vergangenheit. Ales Jenus' Vater kam in den 60er-Jahren aus Kroatien nach Maribor. Nach Ende Jugoslawien hatte die Stadt, wie auch das gesamte Land, einen großen Startvorteil gegenüber anderen jugoslawischen Teilrepubliken. Die EU-Integration war schon früh das oberste Gebot. Und das ist auch in Maribor zu spüren.
"Nach 1991, mit unserer slowenischen Unabhängigkeitserklärung, hat sich auch die Denkweise der Leute verändert. Denn sie spürten - vielleicht das erste Mal - dass sie wirklich frei sind. Also, es war hier kein Krieg wie in Kroatien, Bosnien, aber es war so dieser 10-tägige Konflikt, den wir hatten. Und der wird sehr hoch geschätzt bei den Slowenen. Sie sind natürlich stolz, dass sie jetzt ein eigenes Land haben. Obwohl wir 2 Millionen sind - wenn es hart auf hart kommt, sind wir Slowenen immer einig."
Es ist nicht so, dass Maribor nicht genug Gewalt und Krieg erlebt hätte. 1941 wurde Slowenien von den Deutschen besetzt, auch Maribor. Hitler wollte die slowenische Untersteiermark, zu der auch die Stadt gehört, dem Deutschen Reich einverleiben.
"Insgesamt fielen etwa 15.000 Bomben auf die Stadt, aber der Großteil natürlich auf die Neustadt, auf der anderen Seite des Drau-Flusses, und man musste natürlich immensen Wiederaufbau machen."
Schon nach dem Ersten Weltkrieg hatte es Streit um die Stadt gegeben. Maribor wurde nach dem Untergang der Habsburger-Monarchie von Österreich, aber auch vom neuen Staat der Slowenen, Kroaten und Serben beansprucht.
"Maribor war damals aber noch eine sehr große deutschsprachige Stadt. Es waren viele dagegen, und es gab damals eine Demonstration. Auf einer Seite waren Demonstranten, auf der anderen waren Soldaten. Man ist sich nicht im Klaren, wann es passierte. Aber es fielen Schüsse, und es wurden zahlreiche Demonstranten leider erschossen. Und es war einer der schwarzen Punkte."
Der 27. Januar 1919 - der "Marburger Blutsonntag" - heute fast vergessen - wie auch die Tatsache, dass die deutschsprachige Bevölkerung Maribor bis 1919 dominierte.
"Und nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das dann gewandelt. Mit Jugoslawien waren nicht mehr so viele Deutsche hier. Und heute? Fast rein slowenisch."
Aber ohne die Historie hätte Ales Jenus wohl kaum so perfekt Deutsch gelernt. Österreich ist nicht weit. Und weg kann man schnell. Aber weg will er nicht. Gerade jetzt nicht: in einer Zeit, in der Maribor ganz groß rauskommt.