Zeit für den literarischen Menschenversuch im Deutschland-funk: Was geschieht mit einem Gehirn, das Monat für Monat abwechselnd die zehn in Deutschland meistverkauften Romane und Sachbücher von der ersten bis zur letzten Seite tatsächlich liest?
Dasselbe wie mit Menschen, die seit ihrem vierten Lebensjahr gegen einen Lederball treten. Man trainiert halt ein bisschen einseitig. Aber anders als auf dem Rasen spiegelt sich im Medium Buch die ganze Welt, und da heißt es immer wieder von neuem für Ordnung sorgen.
Die aktuelle "Spiegel"-Bestsellerliste Sachbuch, diesmal mit Mammuts, Kanarienvögeln und Senta Berger, dem Messias und seinen Nachfahren, einem guten Grund, warum man sich über das Aussterben keine allzu große Sorgen machen sollte sowie der ersten Literaturkritik in Form einer Heiratsanzeige.
In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Sachbücher der Deutschen 3792 Gramm auf die Waage, zusammen 2074 Seiten.
Platz 10: Rüdiger Barth und Bernd Volland: "Ballack – sein Weg" (Südwest Verlag, 176 Seiten, 16,95 Euro)
Es gibt sicher noch einfältigere Bücher über Fußballer als dieses. Aber weil sich die Autoren vor die Alternative gestellt, einen Gedanken zu entwickeln oder an einer Heiligenlegende zu stricken, immer für die Heiligenlegende entscheiden, deshalb ist dieses Buch ein Ärgernis. Wenn Ballack seine Gegenspieler so grob unterschätzte wie diese Autoren ihre Leser, er würde heute bei Fortuna Düsseldorf kicken.
Platz 9: Michael Baigent: "Die Gottes-Macher" (Deutsch von Bernd Rullkötter, Lübbe Verlag, 384 Seiten, 19,90 Euro)
Michael Baigent, gerade mit einer Plagiatsklage gegen Dan Browns Roman "Sakrileg" auf die Nase gefallen, Michael Baigent propagiert in diesem Buch grotesk spekulative Ansichten über das Leben von Jesus, ja versteigt sich zu der Behauptung, dieser sei mit Maria Magdalena verheiratet gewesen, habe Kinder gezeugt und sei gar nicht am Kreuz gestorben. Andererseits gibt es Menschen, die von Jesus behaupten, er sei durch Jungfrauengeburt zur Welt gekommen, von den Toten auferstanden und gen Himmel gefahren. Und offenbar gibt es für solchen Pipifax einen sehr, sehr großen Markt.
Platz 8: Albrecht Müller: "Machtwahn" (Droemer Verlag, 320 Seiten, 19,90 Euro)
Albrecht Müller ist einer der letzen Keynesianer, also Verfechter einer Wirtschaftspolitik, die Konjunkturschwankungen durch staatlich angekurbelte Konsumnachfrage abfedern will. In Zeiten neoliberaler Wirtschaftspolitik fühlt sich Müller nun wie das Mammut aus "Ice Age 2" und müsste daher mit Oskar Lafontaine im Chor singen: "Wenn du erst ausgestorben bist, und dich keiner mehr vermisst". Statt dessen unternimmt Müller aber einen argumentativen Amoklauf gegen alle Glaubenssätze der dominierenden Volkswirtschaftslehre: sehr einseitig, aber auch sehr bedenkenswert.
Platz 7: Dietrich Grönemeyer: "Der kleine Medicus" (Rowohlt, 360 Seiten, 22,90 Euro)
Ein didaktischer Roman über die Reise eines kleinen Jungen in einem miniaturisierten U-Boot durch den menschlichen Körper. Befrachtet mit bleischwerer Pädagogik, liest sich das in etwa so aufregend wie die Abenteuer von Medi und Zini.
Platz 6: Corinne Hofmann: "Wiedersehen in Barsaloi" (A1 Verlag, 236 Seiten, 19,80 Euro)
Oft wird die formale Eintönigkeit der Literaturkritik beklagt. Versuchen wir es also mal anders: Schweizerin, Jahrgang 1960, mit Kind aus gescheiterter erster Ehe mit Massai, wegen Bestsellererfolgs finanziell unabhängig, sucht au Grund akuten Stoffmangels dringend neuen Mann mit exotischem ethnischen Hintergrund. Alkoholismus, böse Schwiegermütter, katastrophale hygienische Lebensbedingungen oder zu Blutrache neigende Verwandtschaft von Vorteil, Analphabetismus kein Hindernis, Roberto-Blanco-Typen zwecklos. Bewerbungen bitte mit Bild.
Platz 5: Eva Maria Zurhorst: "Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest" (Goldmann Arkana, 382 Seiten, 18,90 Euro)
Hätte die weiße Massai Corinne Hofmann diesen Ratgeber gelesen, sie säße noch heute im kenianischen Hochland und wüsste, dass kulturell bedingte Unterschiede in der Rollenauffassung von Mann und Frau für eine glückliche Beziehung doch nun wirklich ein Klacks sind, wenn man sich selbst nur richtig doll lieb hat.
Platz 4: Peter Hahne: "Schluß mit lustig" (St. Johannis Verlag, 128 Seiten, 9,95 Euro)!
Nirgends offenbart sich die Krise des deutschen Konservativismus so schockierend wie in diesem Büchlein des nach dem Ausscheiden Georg Schramms aus dem "Scheibenwischer" einzigen nationalkonservativen Springteufels der Ewiggestrigen. "Da, wo Bibeltreue und Christusfreude statt Multikulti und Tagespolitik herrschen", schreibt Peter Hahne, "da füllen sich Gottesdienste und blüht die Jugendarbeit." Und morgen, morgen kommt der Weihnachtsmann.
Platz 3: Frank Schirrmacher: "Minimum" (Blessing Verlag, 192 Seiten, 16 Euro)
Angesichts von zurzeit 6,4 Milliarden Menschen auf diesem Planeten darf die Sorge um das Aussterben der Familie als unbegründet bezeichnet werden. Es gibt bestenfalls in Deutschland weniger Familien. Und darauf reagiert der Rest der Welt sehr vernünftig, Nämlich mit einem tief empfundenen: Na und? Es wird deshalb einmal zu den großen Lachnummern dieses Jahrzehnts gezählt werden, dass die Deutschen in einer Zeit galoppierender Überbevölkerung sich mit alarmistischen Büchern zerstreut haben, die ihre persönlichen Ängste vor Alter und Tod, Armut und Einsamkeit in eine Sorge um das nationale Aussterben kanalisierten.
Platz 2: Senta Berger: "Ich hab ja gewußt, dass ich fliegen kann" (Kiepenheuer & Witsch, 368 Seiten, 19,90 Euro)
Manchmal ist besser schlechter als gut. Diese Autobiografie von Senta Berger zum Beispiel ist besser als die von Heiner Lauterbach und dennoch nicht gut. Wenn sich die Autorin auf Seite 291 eine "oft übertriebene Selbstkritik" bescheinigt, wird der Leser der zurückliegenden 290 Seiten nicht unbedingt zustim-men können. Sagen wir so: Die Senta Berger dieses Buchs kann über keine Pfütze steigen, ohne sich ausgiebig darin zu betrachten. Deshalb haben ihre Memoiren die Tiefenschärfe eines Spiegels in einem Kanarienvogelkäfig. Eines aber muss man Autorin und Verlag lassen: der Titel: "Ich hab ja gewußt, dass ich fliegen kann" ist sehr hellsichtig.
Platz 1: Frank Schätzing: "Nachrichten aus einem unbekannten Universum" (Kiepenheuer & Witsch, 528 Seiten, 19,90 Euro)!
Wenn der Autor eines Bestsellers seine Schubladen auskehrt, um ein thematisch verwandtes Buch nachzulegen, darf man zu Recht skeptisch sein. Umso verblüffender, dass Schätzings im aufgeräumten Plauderton geschriebenes Sachbuch über die Geschichte der Meere und damit des Lebens auf diesem Planeten spannend, extrem faktenreich und bildend ist. Im Ozean des Ozean des Unfugs auf dieser Bestsellerliste ragt es heraus wie ein Kontinent des Wissens.
Dasselbe wie mit Menschen, die seit ihrem vierten Lebensjahr gegen einen Lederball treten. Man trainiert halt ein bisschen einseitig. Aber anders als auf dem Rasen spiegelt sich im Medium Buch die ganze Welt, und da heißt es immer wieder von neuem für Ordnung sorgen.
Die aktuelle "Spiegel"-Bestsellerliste Sachbuch, diesmal mit Mammuts, Kanarienvögeln und Senta Berger, dem Messias und seinen Nachfahren, einem guten Grund, warum man sich über das Aussterben keine allzu große Sorgen machen sollte sowie der ersten Literaturkritik in Form einer Heiratsanzeige.
In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Sachbücher der Deutschen 3792 Gramm auf die Waage, zusammen 2074 Seiten.
Platz 10: Rüdiger Barth und Bernd Volland: "Ballack – sein Weg" (Südwest Verlag, 176 Seiten, 16,95 Euro)
Es gibt sicher noch einfältigere Bücher über Fußballer als dieses. Aber weil sich die Autoren vor die Alternative gestellt, einen Gedanken zu entwickeln oder an einer Heiligenlegende zu stricken, immer für die Heiligenlegende entscheiden, deshalb ist dieses Buch ein Ärgernis. Wenn Ballack seine Gegenspieler so grob unterschätzte wie diese Autoren ihre Leser, er würde heute bei Fortuna Düsseldorf kicken.
Platz 9: Michael Baigent: "Die Gottes-Macher" (Deutsch von Bernd Rullkötter, Lübbe Verlag, 384 Seiten, 19,90 Euro)
Michael Baigent, gerade mit einer Plagiatsklage gegen Dan Browns Roman "Sakrileg" auf die Nase gefallen, Michael Baigent propagiert in diesem Buch grotesk spekulative Ansichten über das Leben von Jesus, ja versteigt sich zu der Behauptung, dieser sei mit Maria Magdalena verheiratet gewesen, habe Kinder gezeugt und sei gar nicht am Kreuz gestorben. Andererseits gibt es Menschen, die von Jesus behaupten, er sei durch Jungfrauengeburt zur Welt gekommen, von den Toten auferstanden und gen Himmel gefahren. Und offenbar gibt es für solchen Pipifax einen sehr, sehr großen Markt.
Platz 8: Albrecht Müller: "Machtwahn" (Droemer Verlag, 320 Seiten, 19,90 Euro)
Albrecht Müller ist einer der letzen Keynesianer, also Verfechter einer Wirtschaftspolitik, die Konjunkturschwankungen durch staatlich angekurbelte Konsumnachfrage abfedern will. In Zeiten neoliberaler Wirtschaftspolitik fühlt sich Müller nun wie das Mammut aus "Ice Age 2" und müsste daher mit Oskar Lafontaine im Chor singen: "Wenn du erst ausgestorben bist, und dich keiner mehr vermisst". Statt dessen unternimmt Müller aber einen argumentativen Amoklauf gegen alle Glaubenssätze der dominierenden Volkswirtschaftslehre: sehr einseitig, aber auch sehr bedenkenswert.
Platz 7: Dietrich Grönemeyer: "Der kleine Medicus" (Rowohlt, 360 Seiten, 22,90 Euro)
Ein didaktischer Roman über die Reise eines kleinen Jungen in einem miniaturisierten U-Boot durch den menschlichen Körper. Befrachtet mit bleischwerer Pädagogik, liest sich das in etwa so aufregend wie die Abenteuer von Medi und Zini.
Platz 6: Corinne Hofmann: "Wiedersehen in Barsaloi" (A1 Verlag, 236 Seiten, 19,80 Euro)
Oft wird die formale Eintönigkeit der Literaturkritik beklagt. Versuchen wir es also mal anders: Schweizerin, Jahrgang 1960, mit Kind aus gescheiterter erster Ehe mit Massai, wegen Bestsellererfolgs finanziell unabhängig, sucht au Grund akuten Stoffmangels dringend neuen Mann mit exotischem ethnischen Hintergrund. Alkoholismus, böse Schwiegermütter, katastrophale hygienische Lebensbedingungen oder zu Blutrache neigende Verwandtschaft von Vorteil, Analphabetismus kein Hindernis, Roberto-Blanco-Typen zwecklos. Bewerbungen bitte mit Bild.
Platz 5: Eva Maria Zurhorst: "Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest" (Goldmann Arkana, 382 Seiten, 18,90 Euro)
Hätte die weiße Massai Corinne Hofmann diesen Ratgeber gelesen, sie säße noch heute im kenianischen Hochland und wüsste, dass kulturell bedingte Unterschiede in der Rollenauffassung von Mann und Frau für eine glückliche Beziehung doch nun wirklich ein Klacks sind, wenn man sich selbst nur richtig doll lieb hat.
Platz 4: Peter Hahne: "Schluß mit lustig" (St. Johannis Verlag, 128 Seiten, 9,95 Euro)!
Nirgends offenbart sich die Krise des deutschen Konservativismus so schockierend wie in diesem Büchlein des nach dem Ausscheiden Georg Schramms aus dem "Scheibenwischer" einzigen nationalkonservativen Springteufels der Ewiggestrigen. "Da, wo Bibeltreue und Christusfreude statt Multikulti und Tagespolitik herrschen", schreibt Peter Hahne, "da füllen sich Gottesdienste und blüht die Jugendarbeit." Und morgen, morgen kommt der Weihnachtsmann.
Platz 3: Frank Schirrmacher: "Minimum" (Blessing Verlag, 192 Seiten, 16 Euro)
Angesichts von zurzeit 6,4 Milliarden Menschen auf diesem Planeten darf die Sorge um das Aussterben der Familie als unbegründet bezeichnet werden. Es gibt bestenfalls in Deutschland weniger Familien. Und darauf reagiert der Rest der Welt sehr vernünftig, Nämlich mit einem tief empfundenen: Na und? Es wird deshalb einmal zu den großen Lachnummern dieses Jahrzehnts gezählt werden, dass die Deutschen in einer Zeit galoppierender Überbevölkerung sich mit alarmistischen Büchern zerstreut haben, die ihre persönlichen Ängste vor Alter und Tod, Armut und Einsamkeit in eine Sorge um das nationale Aussterben kanalisierten.
Platz 2: Senta Berger: "Ich hab ja gewußt, dass ich fliegen kann" (Kiepenheuer & Witsch, 368 Seiten, 19,90 Euro)
Manchmal ist besser schlechter als gut. Diese Autobiografie von Senta Berger zum Beispiel ist besser als die von Heiner Lauterbach und dennoch nicht gut. Wenn sich die Autorin auf Seite 291 eine "oft übertriebene Selbstkritik" bescheinigt, wird der Leser der zurückliegenden 290 Seiten nicht unbedingt zustim-men können. Sagen wir so: Die Senta Berger dieses Buchs kann über keine Pfütze steigen, ohne sich ausgiebig darin zu betrachten. Deshalb haben ihre Memoiren die Tiefenschärfe eines Spiegels in einem Kanarienvogelkäfig. Eines aber muss man Autorin und Verlag lassen: der Titel: "Ich hab ja gewußt, dass ich fliegen kann" ist sehr hellsichtig.
Platz 1: Frank Schätzing: "Nachrichten aus einem unbekannten Universum" (Kiepenheuer & Witsch, 528 Seiten, 19,90 Euro)!
Wenn der Autor eines Bestsellers seine Schubladen auskehrt, um ein thematisch verwandtes Buch nachzulegen, darf man zu Recht skeptisch sein. Umso verblüffender, dass Schätzings im aufgeräumten Plauderton geschriebenes Sachbuch über die Geschichte der Meere und damit des Lebens auf diesem Planeten spannend, extrem faktenreich und bildend ist. Im Ozean des Ozean des Unfugs auf dieser Bestsellerliste ragt es heraus wie ein Kontinent des Wissens.