Auch in der "Stadt des ewigen Frühlings" ist der richtige Frühling die schönste Jahreszeit. Im März und April stellen die Gärtner von Kunming Zehntausende von Töpfen mit Stiefmütterchen zu gelben Rabatten zusammen. Im Cuihu-Park glühen Tulpen in brennendem Rot. Und unter dem lilafarbenen Blütenschaum der Zierapfelbäume trippeln wildfremde Menschen zur Musik aus dem CD-Spieler tanzend im Kreis.
Hier, in Kunming, endete sie also, die Old Birma Road. Jene legendäre Straße aus dem Zweiten Weltkrieg, die im Bewusstsein der Chinesen zum Symbol des Durchhaltewillens im Kampf gegen die japanischen Invasoren wurde.
Kunming heute hat vier Millionen Einwohner. Es liegt auf einer Höhe von 2000 Metern und ist die Hauptstadt der chinesischen Provinz Yunnan, die fast so groß ist wie Deutschland und Dänemark zusammen. Dieses Yunnan, erzählt ein junger Mann, der Deutsch gelernt hat, ist auch für die Chinesen etwas Besonderes:
"Für viele Chinesen aus Nordchina und Ostchina klingt einfach der Name schon ein bisschen mythisch. Man sieht viel Verschiedenes innerhalb von dieser Provinz. Schöne Landschaften. An der Grenze zwischen China und Vietnam, Laos und Burma tropisches oder subtropisches Klima. Nordseite von Yunnan, an der Grenze zwischen Yunnan und Tibet, dort Hochberg, Schnee, Gebirge, und die größten Berge schon mehr als 6000 Meter hoch."
Kunming selbst präsentiert sich als lebhafte und moderne, aber trotzdem grüne und durchaus bedächtige Metropole. Überall im Stadtgebiet schießen quasi über Nacht neue Hochhäuser aus der Erde und die vorhandenen scheinen wieder ein ganzes Stück gewachsen zu sein. In der weitläufigen Fußgängerzone eilen junge Pärchen von einer Boutique zur nächsten, über die Leuchtschriftbänder laufen goldene Schriftzeichen und ein alter Mann spielt mitten in der Menschenmenge fast verloren ein noch viel älteres Instrument.
Unter den hohen Betonstützen der Schnellbahn aber wachsen mitten in der Stadt richtige kleine Wälder heran. Zartgrüne Weiden und verschwiegene Parks säumen den Paulong-Fluss im Zentrum und die Straßen sind picobello sauber.
Hier also war das Ziel und zugleich der Ausgangspunkt der Old Birma Road, jener 1154 Kilometer langen Straße, deren anderes Ende in Lashio im heutigen Myanmar liegt. 1937/38 wurde sie gebaut – aber wozu eigentlich?
Ein wichtiges Wegstück im Krieg gegen die Japaner
Joachim Gabel, Archäologe und ausgewiesener Kenner der Geschichte Südostasiens quer durch die Epochen, skizziert den politischen Hintergrund:
"Die Briten wollten den Nationalchinesen unter Tschiang Kai Schek helfen gegen die japanische Okkupation, die ja die Mandschurei schon besetzt hatten, 1931, und jetzt dachten, sie könnten von der Mandschurei aus weitere Gebiete erobern. Die Engländer haben Material an die Chinesen geliefert. Dieses Material konnte erstmals von Yangon über die Eisenbahn bis Lashio gebracht werden. Aber dann fehlte natürlich ein Stück Straße. Und diese Straße wurde von Kunming zur birmesischen Grenze gebaut."
Von Kunming aus fährt man nach Westen auf der historischen Trasse über eine Autobahn. Von der Birma Road selbst sind lediglich noch 20 Kilometer erhalten, holprig, voller Löcher und gerade breit genug für einen LKW.
Gelber Raps wechselt ab mit dem Grün dicker Bohnen, in Eukalyptuswäldchen rascheln Blätter. Dann wieder spiegeln sich Kiefern und ein Bambushorst in einem Fluss, idyllisch wie auf einem alten Holzschnitt – doch am Bergkamm darüber drehen sich die Windräder.
In Yunnan Yi wird die Kriegsgeschichte zum ersten Mal greifbar. Am Eingang des Dorfes liegt ein halbes Dutzend runder Steine, mit einem Durchmesser von einem Meter und mehr.
Manche sind aus Marmor oder Kalkstein gehauen, andere aus Beton gegossen.
"Diese zylindrisch aussehenden Steine, die auch an Säulentrommeln erinnern, waren in Wirklichkeit Walzen, mit denen die Arbeiter, die an der Birma Road tätig waren, den Straßenbelag geglättet haben, den zuvor Frauen, teilweise mit ihren Kindern auf dem Rücken, und Kinder selber mit einfachsten Hilfsmitteln, mit Hämmern, hergestellt hatten, aus gröberen Gesteinsbrocken."
Um die 200.000 Männer, Frauen und Kinder waren an 28 Bauabschnitten im Einsatz. Angehörige der Yi, der Bai, der Miao und anderer der 36 Volksgruppen Yunnans arbeiteten zusammen, und die Fahrt entlang der Strecke macht auch heute noch eindrücklich klar, welch ungeheure Leistung sie vollbrachten. Joachim Gabel ist beeindruckt.
"Die Männer selber arbeiteten mit Meißeln an dem zum Teil sehr harten Gestein, um eine Fahrbahn regelrecht herauszuschneiden aus dem Gebirge, Brücken wurden gebaut über reißende Ströme, über tief eingeschnittene Täler, auf der anderen Seite mussten in engen Windungen Straßen über die zum Teil sehr hohen Berge geführt werden, also eine unglaublich schwierige Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass es überhaupt keine Hilfsmittel gab, weder Tiere, geschweige irgendwelche Maschinen."
Typische Handelsstädte aus der Ming-Zeit
Es wird viel gebaut und restauriert in Yunnan Yi. Leider fiel dem Veränderungswillen auch das kleine Museum der "Flying Tigers" zum Opfer. Lediglich ein naives Wandbild kämpfender Soldaten ist noch erhalten, und eine Aufschrift, die besagt: "Wir werden siegen". Nachschub für die chinesischen Soldaten kam nämlich nicht nur über die Straße, sondern auch aus der Luft:
"Von Indien aus wurden Transportflugzeuge mit kriegswichtigem Material aller Art beladen. Die Flugzeuge waren oft nicht dafür ausgelegt, weil sie überladen waren – und mussten dann über den sogenannten Hump, also den Buckel fliegen, einen Ausläufer des Himalayagebirges, um nach Kunming zu gelangen. Dabei sind sehr viele Flugzeuge aufgrund der Thermik und der schlechten Wetterlage abgestürzt. Es gab so Bezeichnungen wie "Aluminium Alley", weil so viele Flugzeuge den Boden bedeckten, so viele Wrackteile."
Die Flying Tigers, eine Gruppe freiwilliger Piloten, die direkt dem amerikanischen Präsidenten unterstellt war, schützten diese Transporter gegen japanische Jäger. Eine ihrer Basen war in Yunnan Yi. Von ihrem Wagemut erzählt man sich bis heute.
"Es gibt zum Beispiel ein Ereignis, bei dem fast schon aus lauter Verzweiflung ein Flying-Tigers-Pilot das Cockpit öffnete, seine Pistole zog, um auf einen japanischen Jagdflieger zu schießen und diesen auch tödlich traf. Das sind Geschichten, die bis heute kursieren."
Heftige Kämpfe tobten während des Krieges in der ganzen Region. Die Stadt Dali aber wurde verschont. Sie war und ist eine der typischen Handelsstädte aus der Ming-Zeit, angelegt nach einem rechteckigen Grundmuster. Eine Ost-West- und eine Nord-Süd-Achse schnitten sich in der Mitte. Es gab Stadttore und eine starke Stadtmauer, innerhalb derer die Häuser lagen. Und überall wurde gehandelt.
"An den Hauptstraßen waren Geschäfte. Dort lagen zum Beispiel Jade, Pu-Erh-Tee und Opium zum Verkauf aus. Wahrscheinlich wurden damals auch noch Pferde aus Tibet gehandelt. Mit Sicherheit gab es chinesische Güter: Metallwaren Keramik, Porzellan. In der Stadt gab es Tempelanlagen, die den Wohlstand widerspiegelten, und ein Gewirr von Gassen und Hofhäusern, die typisch waren für die alten chinesischen Städte."
Heute ist Dali so etwas wie das Rothenburg Yunnans. Von morgens bis abends reißt der Strom chinesischer Touristen in den Straßen nicht ab. Unter rosa blühenden Kirschbäumen schieben sie sich durch die Fußgängerzone, probieren Kuchen mit Rosenwasseraroma und decken sich mit Ginsengwurzeln und altem Pu-Erh-Tee ein. Von den Grills duftet es nach Fächerkäse, der wie ein Fähnchen am Stock gegart wird, aus den Garküchen nach Bratnudeln mit jungem Aal, und ganz Mutige wagen sich sogar an Exotisches wie "Waldorf Salad" oder "Hawaiian Pizza".
Überall schießen Menschen Selfie-Fotos mit ihren Handys: Vor dem mächtigen Südtor mit verkleideten Prinzessinnen; beim Jadeschleifer, der aus unscheinbaren, braunen Steinbrocken marmorglatte Armbänder zaubert; bei den Sesamschlägern, die mit großen Schlegeln die Körner für Krokant und Kekse zermalmen.
Eine schmerzhafte Wunde im Gedächtnis der Chinesen
Hinter Dali biegt die Old Birma Road nach Südwesten ab. Die Landschaft wird brauner und trockener, schwarze Ziegen weiden auf kargen Böden. Tengchong ist auf chinesischem Gebiet die letzte große Station dieser Reise. Die Stadt wurde im Krieg komplett zerstört. Beim Wiederaufbau schuf man gesichtslose Großbauten, schlug aber auch breite Schneisen in das Trümmerfeld, die heute als schattige Boulevards locken.
Ende 2013 öffnete hier das neue Kriegsmuseum. In neun Sälen werden der Kriegsverlauf, die verschiedenen Schlachten und der Alltag an der Front anschaulich dargestellt. Führerinnen schleusen eine Gruppe nach der anderen durch.
Gleich zu Beginn befasst sich einer der größten Räume mit dem Bau der Old Birma Road. Ein lebensgroßes Diorama zeigt Frauen und Kinder, die Steine klein hauen, Schotter in Körbe schaufeln und ihn auf dem Weg festklopfen. Der Gouverneur von Yunnan, Long Yun, hatte befohlen, den Bau der Straße "mit Zuckerbrot und Peitsche" voranzutreiben. 3000 Menschen kamen dabei ums Leben.
"Es ging an Abgründen entlang. Menschen stürzten in die Tiefe, Menschen verhungerten, starben an Krankheiten. Aber sie nahmen diese Entbehrungen auf sich, weil sie nur ein Ziel hatten: die Japaner, die sie als Imperialisten bezeichneten, zu besiegen."
In nachgestellten Szenen feuern, stürmen, bluten und sterben menschengroße Figuren. Manches ist nahe am Kitsch, anderes an der Grenze des Erträglichen. Überall aber spürt man, welch schmerzhafte Wunde dieser Krieg im Gedächtnis Chinas hinterlassen hat. Und wie wichtig die Old Birma Road auch heute noch für das Selbstverständnis der Chinesen ist.
"Die Straße war dann 1938 fertig. Und das Material konnte von Rangun über die Eisenbahn, die nach Lashio führte, und dann weiter über die Birma Road, über die chinesische Grenze, bis Kunming gebracht werden. Und von dort hat man es an die chinesischen Truppen verteilt. Das hat funktioniert, bis die Japaner im Juni 1942 den größten Teil der britischen Kolonie Birma überrannt haben."
Von Tengchong geht es über die Grenze nach Myanmar, zum anderen Ende der Birma Road in Lashio. Hier wurden die Lastwagen beladen. Der Nachschub kam aus dem Süden, von der Hafenstadt Rangun, mit der Bahn – damit ist die Bahnstrecke untrennbar mit der Geschichte der Straße verknüpft. Züge verkehren auch heute noch. Zwei Stunden Fahrt von Lashio entfernt tauchen aus dem Dunst die langen, stählernen Beine einer Brücke auf – das Gokteik-Viadukt, gebaut von den Briten im Jahr 1900.
"Eine technische Meisterleistung für die damalige Zeit. Die Briten hatten eine amerikanische Firma beauftragt, diese Brücke zu designen, und die Pensylvania Steel Company hat den Stahl dazu geliefert. Es handelt sich um eine sogenannte Bockbrücke. Die besteht aus einzelnen starren Stahlpfeilern, hat eine Länge von knapp 700 Metern und eine Höhe von 102 Metern."
Mit der Kutsche durch eine Stadt voller schicker Villen
Auch in Pyin U Lwin hält der Zug. Wer das Städtchen erkunden will, steigt um in kleine Kutschen:
"Der Ort war ja dann, nachdem die Eisenbahn gebaut war, die Sommererholung der Briten hier. Das ganze Establishment aus Rangun ist mit der Bahn hier hochgefahren und hat vor allem März/April, die heißesten Monate in relativ angenehmer Höhenlage verbracht. Wir sind hier auf 1070 Meter und die Temperaturen im Sommer übersteigen selten mal 30 Grad. Und dann haben sich natürlich die einflussreichen Leute schicke Villen bauen lassen, auch der Gouverneur hatte sein Haus."
Und so fand sich in Pyin U Lwin alles, was eine typische koloniale Kleinstadt in Südostasien ausmachte: Die Kirche, Blumenrabatte, ein Uhrturm. Und natürlich hatten die Briten auch ihren Club:
"Club war ganz wichtig, da haben sich die Briten getroffen, und zwar ohne das Beisein der Einheimischen. Von denen wollte man sich dann doch deutlich distanzieren, obwohl es zum Ende der Kolonialzeit sich änderte, da wurden auch Einheimische aufgenommen. Aber es gab große Widerstände, und man kann sich gut vorstellen, wie es dort in den Clubs abging, denn George Orwell berichtet das ja sehr anschaulich in seinem Buch "Tage in Burma"
"Von dem Gartentor aus senkte sich der ausgedörrte, khakifarbene Marktplatz steil herab, und um ihn herum stand ein halbes Dutzend blendendweißer Bungalows. Alles zitterte und bebte in der heißen Luft. Auf halbem Weg bergab lag ein von einer weißen Mauer umgebener englischer Friedhof und nahebei eine kleine Kirche mit einem Blechdach. Dahinter war der European Club, und wenn man den Club – einen plumpen, einstöckigen Holzbau – ansah, hatte man das eigentliche Zentrum der Stadt vor sich. In jeder Stadt ist der Europäische Club die geistige Zitadelle, der eigentliche Sitz der britischen Macht, das Nirwana, nach dem die eingeborenen Beamten und Millionäre vergeblich schmachten."
Als der japanisch-chinesische Krieg ausbrach, waren auch die Tage dieser Clubs und die der Briten in Südostasien gezählt. Birma wurde 1948 unabhängig, die Volksrepublik China ein Jahr später gegründet - auch daran erinnert die Old Birma Road, jene Straße, die heute noch eine Begegnung mit ganz unterschiedlichen Epochen der Geschichte ermöglicht.