Im dritten Stock des Apostolischen Palasts am Petersplatz liegt die Wohnung des Papstes. Hier treffen sich am 21. Mai alle Mitglieder dieser illustren Wohngemeinschaft: die zwei Sekretäre des Papstes, die Schwestern, die den Haushalt führen, und der Kammerdiener seiner Heiligkeit: Paolo Gabriele. Nur der Hausherr fehlt. Papst Benedikt wurde von Sekretär Georg Gänswein vorab informiert, dass dieses Treffen stattfindet. Aus gegebenem Anlass: Zwei Tage zuvor erschien das Buch des Journalisten Gianluigi Nuzzi: "Sua Santità". "Seine Heiligkeit. Die Geheimdokumente von Benedikt XVI."
Nachdem Monsignore Georg Gänswein berichtet hatte, dass in dem Buch vertrauliche Dokumente enthalten waren, fragte er jeden der Anwesenden, ob er Dokumente an den Journalisten übergeben habe.
So steht es im Protokoll des vatikanischen Richters, der die Ermittlungen gegen Kammerdiener Paolo Gabriele geleitet hat.
Angesichts der Verneinung aller Anwesenden, erinnerte Monsignore Georg Gänswein Gabriele daran, dass zwei Briefe, die im Buch veröffentlicht wurden, ganz sicher durch seine Hände gegangen sind, da er, Gänswein, ihn gebeten habe, eine Antwort vorzubereiten, und die [Briefe] nicht aus dem Büro herausgekommen sind.
Gänswein wörtlich:
"Als ich ihm vor allen Anwesenden sagte, dass dies zwar kein Beweis sei, aber doch einen starken Verdacht gegen ihn habe entstehen lassen, habe ich als Antwort eine entschiedene und absolute Verneinung des Tatbestands bekommen." Die Zeugin O. präzisierte, dass Gabriele nicht nur entschieden und deutlich jedwede Verantwortung abgelehnt hat, sondern auch seine Verwunderung darüber geäußert hat, wie ein solcher Verdacht im Kopf von Gänswein habe entstehen können.
Bisher hat die Fauna dieses Ministaates noch kein größeres Interesse erregt. Doch von einem auf den anderen Tag lernt die Welt, dass es im Vatikan von Raben und Maulwürfen nur so wimmelt. "Corvo", Rabe - das ist der schwarz gefiederte Räuber, der vom Tisch seines Herrn die Dokumente stiehlt. Und Maulwurf? Diese Anleihe aus der Tierwelt versteht sich im Deutschen ohnehin. Nur kurz nach dem gerade zitierten Treffen durchsucht die vatikanische Gendarmerie die Wohnung des verdächtigen Kammerdieners Paolo Gabriele. Sie findet dort kistenweise Dokumente, dazu noch einen Spendenscheck, einen Goldbarren und ein wertvolles Buch aus dem 16. Jahrhundert – alles aus dem Besitz des Papstes. Gabriele wird festgenommen, gesteht und wartet nun auf seinen Prozess. Mit ihm wird ein weiterer Mitarbeiter der Kurie angeklagt, ein Informatiker, der Gabrieles Diebstahl begünstigt haben soll. Doch auf die entscheidenden Fragen gibt es bis heute keine Antwort: Wer hat Gabriele angeleitet und angestiftet? Wer hat ein Interesse daran, dass persönliche Dokumente des Papstes in die Öffentlichkeit gelangen? Und vor allem: Welches Ziel verfolgen "Raben und Maulwürfe"?
"Es geht darum, keine Angst zu haben, die Wahrheit zu bezeugen und dafür die Konsequenzen zu tragen."
"Und sind sie bereit dazu diese Konsequenzen zu tragen?"
"Ja, ich fühle mich ruhig. Ich spüre einen großen Glauben in mir, und dafür danke ich Gott. Und das versuche ich mit Beispielen zu bezeugen."
Paolo Gabriele im Fernsehinterview mit dem Journalisten Gianluigi Nuzzi. Er hatte das Gespräch lange vor der Veröffentlichung aufgezeichnet, und nun, da Gabriele sein "mea culpa" gesprochen hat, muss Nuzzi seine Hauptquelle nicht mehr schützen. Gerade eben hat das italienische Fernsehen das Interview gesendet. Und natürlich hat Nuzzi auch die alles entscheidende Frage gestellt: Warum machst du das? Warum missbrauchst du als frommer Katholik deine Vertrauensstellung beim Papst, gefährdest deine Existenz?
"Die Kirche ist eine Institution göttlichen Ursprungs, weil sie, so glauben wir, von Gottes Sohn begründet worden ist. Und deswegen glauben wir an sein Wort, das uns von der Kirche vermittelt wird. Wenn die Kirche sich dann auf Strukturen stützt, die den Glauben behindern, dann ist das nicht in Ordnung."
Mit "Strukturen" meint Gabriele den Vatikan, die Kurie, die Verwaltung der Kirche. All jene Institutionen, die seiner Meinung nach den Verkündigungsauftrag der Kirche und des Papstes behindern. Der 43-Jährige hatte zuvor als Putzmann im Petersdom gearbeitet. Nun sieht er sich als Werkzeug des Heiligen Geistes und versorgt Gianluigi Nuzzi und damit die Öffentlichkeit mit Dokumenten, die geeignet sind, den Vatikan in ein denkbar schlechtes Licht zu rücken.
"Das ist eine Kampagne von vielen Zeitungen, nicht von allen. Sie nehmen das Herausschmuggeln von Dokumenten zum Vorwand, um ein Bild zu schaffen, das weit entfernt ist von der Realität des Heiligen Stuhls."
Giovanni Maria Vian ist der Direktor der Vatikanzeitung "Osservatore Romano". Er ist, wenn man so will, eines der ersten Opfer dieses Skandals. Zu Anfang des Jahres hat Journalist Nuzzi die brisantesten Dokumente vorab im Fernsehen veröffentlicht; und Vian, der nichts Böses ahnte, wurde live mit den Enthüllungen konfrontiert. Kalt erwischt! Damals wie heute nimmt er seine Kirche gegen die Vorwürfe in Schutz.
"Die Kirche ist eine Institution, die insgesamt betrachtet gesund ist. Es gibt sicherlich "treulose Diener", altertümlich gesprochen. Aber das bedeutet nicht, dass die Institution in sich, eine korrupte Institution ist, so wie es nach den Darstellungen scheint. Und genau das hat auch der Papst gesagt."
Hier geht es um das wohl spannendste Kapitel in dem Buch "Seine Heiligkeit" von Gianluigi Nuzzi: Der Fall spielt im Jahr 2011. Carlo Maria Viganò, ein hoher Geistlicher aus dem "Governatorato", aus der Verwaltung des Vatikanstaats, schickt einen Hilferuf an den Papst.
Heiliger Vater, leider sehe ich mich gezwungen, Eure Heiligkeit wegen einer nicht nachvollziehbaren ernsten Lage anzurufen, die die Leitung des Governatorats und meine Person betrifft. Meine Versetzung aus dem Governatorat würde bei denen, die da glaubten, man könne zahlreiche Praktiken der Korruption und des Amtsmissbrauchs abstellen, die sich in der Führung verschiedener Abteilungen seit Langem eingenistet haben, tiefe Verunsicherung und Bedrückung auslösen.
Der Erzbischof sieht sich als Opfer einer Intrige, weil er allzu gründlich aufräumen wollte. Missmanagement und Vetternwirtschaft scheinen im Vatikan genauso liebevoll gepflegt zu werden wie die prächtigen Gärten dieses winzigen Staates. Aufträge werden immer an dieselben Firmen vergeben. Sie kassieren dafür praktisch das Doppelte des Marktpreises. Viganò selbst spricht von "Korruption und Machtmissbrauch". Er ist ein unbequemes Element in der auf Harmonie bedachten Kurie, und deshalb muss er weg, schlussfolgert Gianluigi Nuzzi:
"Der Generalsekretär des Governatorats, kurz der Verwalter des Vatikans, kümmert sich um Aufträge und anderes. Er bemerkt, dass die Krippe 550.000 Euro jährlich kostet - wir sprechen von der Weihnachtskrippe auf dem Petersplatz. Er macht den Papst auf die Fälle aufmerksam, wo seiner Meinung nach Korruption mit im Spiel ist. Er sieht sich als Opfer einer Intrige nach dieser Anzeige. Man schickt ihn nicht an den Nordpol, sondern als Apostolischen Nuntius – als Botschafter der Kirche - nach Washington. Ich schildere diese Episode als Beispiel für ein Ereignis, von dem wir vorher keinerlei Kenntnis hatten."
Was aussieht wie eine Beförderung, empfindet der Betroffene selbst als Degradierung. Und damit beginnt der eigentliche Skandal. Denn der Mann, der den unbequemen Erzbischof wegloben möchte, ist kein geringerer als die Nummer 2 im Vatikan: Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Er ist der eigentliche Buhmann in diesem Enthüllungsbuch.
"Es geht nicht um Kritik an Benedikt XVI. Aber was ganz deutlich wird - ob es nun Berichte oder Briefe der Kardinäle an den Papst sind - das ist die Kritik am Kardinalstaatssekretär."
Bertone kümmert sich nicht um seine eigentlichen Aufgaben, er mischt mit im Filz der italienischen Politik und mauschelt, wenn es um Posten und Finanzen geht.
Seit einiger Zeit werden von verschiedenen Seiten in der Kirche kritische Stimmen über die mangelnde Koordination und das Durcheinander laut, die in ihrem Zentrum regierten - auch auf Initiative von Personen, die ihr in großer Loyalität verbunden sind. Das berührt mich schmerzlich, aber ich muss aus meinem bescheidenen Blickwinkel zur Kenntnis nehmen, dass diese Kritik nicht unbegründet ist,
... schreibt ein besorgter Kardinal direkt an den Papst. Da tobt ein Machtkampf hinter den Mauern des Vatikanstaates. Das ist der Eindruck, den man nach der Lektüre dieses Buch hat. Insider wie Osservatore-Chef Giovanni Maria Vian widersprechen vehement: "Es hat doch nie jemand behauptet, dass hier nur Engel leben."
"Es sind Unterlagen, die zeigen, dass es eine freie Diskussion gibt, natürlich vertraulich, weil die Vertraulichkeit die Freiheit in der Kommunikation innerhalb des Heiligen Stuhls ermöglicht. Was ist daran schockierend?"
Trotzdem ist einer schockiert: der Papst - schockiert über den Vertrauensbruch in seiner unmittelbaren Umgebung.
"Die Ereignisse, die in diesen Tagen die Kurie und meine Mitarbeiter betreffend passiert sind, haben mein Herz mit Traurigkeit erfüllt. Aber es gab nie einen Zweifel, dass - trotz der Schwäche des Menschen, trotz der Schwierigkeiten und Prüfungen - der Herr, der vom Heiligen Geist geführten Kirche helfen wird."
Ende Mai, wenige Tage nach dem Erscheinen des Buches in Italien und der Verhaftung seines Kammerdieners, äußert sich Benedikt unmittelbar zu dem Skandal. Das ist ungewöhnlich und zeigt, wie sehr ihn die Affäre verletzt. Jene Affäre, die sein Sprecher "Vatileaks" getauft hatte. Papst Benedikt ist ein Familienmensch. Seine Wohngemeinschaft im dritten Stock des päpstlichen Appartments nennt er päpstliche Familie. Treue ist für ihn ein zentraler Begriff. Für Benedikt ist es unvorstellbar, den Kardinalsstaatssekretär oder etwa seinen Sekretär Georg Gänswein nach dieser Affäre fallen zu lassen.
"Ich möchte deshalb erneut meinen nächsten Mitarbeitern und allen denen, die mir tagtäglich mit Glauben, mit Aufopferung und in Verschwiegenheit helfen, mein Amt auszuüben, mein Vertrauen aussprechen und ihnen Mut zusprechen."
Einige Wochen später ein Geburtstagskonzert für den 85-jährigen Papst aus Bayern. In der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo spielen Sänger und Musiker aus seinem Heimatbistum München-Freising auf. Die Stimmung ist gelöst. Und dennoch wissen alle, was den Papst in diesen Tagen bewegt, auch sein Nachfolger als Erzbischof in München, Kardinal Reinhard Marx.
"Gerade in diesen Monaten wissen wir uns ganz eng mit Ihnen verbunden, im Gebet, mit unserer Wertschätzung. Wir stehen hinter Ihnen, Heiliger Vater."
Eine Solidaritätsadresse aus der Heimat des Papstes. Das, was sich in diesen Wochen in Rom abspielt, ist längst zu einem Problem für die Weltkirche geworden. Alle Medien berichten über Vatileaks und befeuern den Komplott mit immer neuen Indiskretionen. Der Papst, den der vermeintliche Kirchenretter Paolo Gabriele schützen wollte, ist das eigentliche Opfer dieser Affäre. Von außen betrachtet mag das ein ergötzendes Schauspiel sein, für Katholiken ist das eine echte Tragödie.
"Für die Leute ist es eine unangenehme Sache, gerade in Bayern denken wir an den Papst, und wir erleben, wie er betrogen worden ist. Das ist eine menschlich außerordentlich bittere Sache."
13. August 2012. Mitten in der Sommerpause geht der Sprecher des Papstes, Pater Federico Lombardi, mit einer Nachricht an die Öffentlichkeit, die unspektakulär klingt, aber für Beobachter eine kleine Sensation darstellt.
"Der Untersuchungsrichter erklärt den Abschluss der Voruntersuchung. Er eröffnet gegen Herrn Paolo Gabriele das Hauptverfahren vor dem Gericht wegen des Delikts des schweren Diebstahls."
Der Vatikan ist ein autonomer Staat mit eigenem Recht und eigener Rechtsprechung. Da erscheint es nur logisch, dass man einem überführten und geständigen Dieb den Prozess macht. Aber der Vatikan ist auch eine absolutistische Monarchie. Und viele hatten damit gerechnet, dass der Souverän des Kirchenstaates, Papst Benedikt XVI., in die Ermittlungen eingreift und das Verfahren einstellt, bevor es eröffnet wird. Um weitere unangenehme Enthüllungen zu vermeiden. Das Gegenteil ist der Fall: Benedikt der XVI. will absolute Transparenz und Klarheit. Sogar die Protokolle der Ermittlungen gegen Paolo Gabriele werden veröffentlicht.
Zeugin M. stellte in Bezug auf Gabriele fest: "Er war eine rechtschaffene Person und ein guter Familienvater. Was die Arbeit beim Heiligen Vater betrifft, so machte er sie gewissenhaft und gut. Ich muss jedoch hinzufügen, dass er keinerlei Anstrengung machte, sie zu verbessern, keine Initiative ergriff, sondern dass er sich darauf beschränkte, das zu tun, was man ihm sagte."
Und das ist das Rätsel, das nun die vatikanischen Richter lösen müssen: Wie kommt ein schlichter und frommer Geist wie Paolo Gabriele dazu, massenhaft Dokumente vom Schreibtisch des Papstes zu stehlen? Obwohl er angeblich doch nur das macht, was man ihm sagt. Im Interview, das er Gianluigi Nuzzi vor seiner Verhaftung gegeben hat, spricht Gabriele von etwa 20 Gleichgesinnten im Vatikan. Doch in den Verhören bestreitet er, dass es so ein Netzwerk von Raben und Maulwürfen gibt. "Das klingt alles wenig plausibel", findet Vatikankorrespondent Paul Badde.
"Er war ja fromm wie ein Kommunionkind, er wusste, dass das verboten war. Aber es sieht so aus, als hätte es Kräfte gegeben, die ihm gesagt haben: Nein, das ist nicht verboten. Du hilfst dem Papst, so irrsinnig das klingen mag."
Paul Badde berichtet seit Jahren für die "Welt" über den Vatikan. Aus nächster Nähe. "Da drüben wohnt er", sagt Badde und zeigt aus dem Fenster seines Büros, das nur ein paar Meter von der Vatikanmauer entfernt ist. "Er", das ist Paolo Gabriele, der nun in seiner Wohnung auf der anderen Seite der Mauer sitzt und unter Hausarrest auf seinen Prozess wartet.
"Gabriele war beschuldigt worden. Zwei Tage später wird er verhaftet und er hat in der Wohnung nichts verändert, da wurden vier Kisten Dokumente herausgeholt, und er hat mit nichts gerechnet. Es muss Kräfte gegeben haben, die gesagt haben: Mach dir keine Sorgen. Anders ist das nicht zu erklären. Papier kann man ja nachts in die große blaue Mülltüte und weg. Das wäre leicht gewesen. Er hat nichts getan."
Paul Badde hat sich daran gemacht, das Umfeld Gabrieles genauer unter die Lupe zu nehmen. Wer hat den ehemaligen Putzmann als neuen Kammerdiener empfohlen? Ein gewisser Kardinal Paolo Sardi. Wer wohnt mit Gabriele im selben Haus und ist mit der Familie des Kammerdieners gut befreundet? Ingrid Stampa, das ist die ehemalige Haushälterin von Kardinal Joseph Ratzinger und immer noch eine wichtige Vertraute. Und schließlich gibt es noch Bischof Josef Clemens, den ehemaligen Sekretär Ratzingers, der heute im päpstlichen Laienrat arbeitet. Sind das die "Kräfte", auf die Paolo Gabriele gehört hat und auf die er sich verlassen hat?
"Ingrid Stampa war 20 Jahre in der Nähe vom Papst. Sie ist befreundet mit Paolo Sardi, der Gabriele ins päpstliche Haus empfohlen hat. Und dann ist Ingrid Stampa sehr befreundet mit dem Exsekretär Bischof Josef Clemens. Und von ihm sage ich das, was hier im Grunde jeder weiß, dass er zerfressen ist von Eifersucht auf seinen Nachfolger."
Die These klingt gewagt: Georg Gänswein soll das eigentliche Ziel von Vatileaks sein? Der smarte und weltgewandte Sekretär des Papstes? Dafür gibt es keine Belege, und Josef Clemens, der auf einmal mit dem Verdacht konfrontiert wird, einer der Raben zu sein, lässt dementieren. "Die Vorwürfe gegen mich sind absurd."
"Es gab eben diese Treffen, wo Benedikt regelmäßig zu Josef Clemens hingegangen ist, zum Essen. Wo Ingrid Stampa dabei war, wo Paolo Sardi dabei war. Und diese Essen sind vom Papst vor Kurzem beendet worden."
"Der Vatikan — ein Abgrund von Neid und Eifersucht", so hat Paul Badde seinen Artikel über das Beziehungsgeflecht rund um den Papst betitelt. Man kann sich vorstellen, wie begierig so ein Psychogramm der "päpstlichen Familie" gelesen wird. Der Artikel samt seiner These wird natürlich von den italienischen Medien aufgegriffen und verbreitet. Das Dementi des Vatikan ist ungewöhnlich scharf:
Das Staatssekretariat bringt seine entschiedene und vollständige Missbilligung zum Ausdruck, da dies nicht auf objektiven Tatsachen beruht und die Ehre von Personen schwer verletzt, die seit vielen Jahren dem Papst treu dienen.
Klarheit könnte möglicherweise der Bericht von drei Kardinälen schaffen, die Papst Benedikt parallel zu den Ermittlungen der Justiz mit eigenen Nachforschungen beauftragt hat. Der Bericht ist fertig, der Papst kennt ihn. Doch bis heute ist er nicht veröffentlicht worden. Weil die Ergebnisse zu brisant sind?
Der Prozess gegen Paolo Gabriele steht vor der Tür. Spätestens da sollten alle Fakten auf den Tisch. Möglicherweise kann auch Gianluigi Nuzzi bei der Aufklärung helfen. Also der Mann, der als Journalist von den massenweise herausgeschmuggelten Dokumenten profitiert hat. Was weiß er über die Hintermänner, die Vertrauten seines Informanten?
"Ich habe meine Quellen und die beschütze ich. Ob sie Kardinäle oder Tellerwäscher sind, wer auch immer, jeder muss beschützt werden. Das liegt in der Natur meiner Arbeit."
Nuzzis Buch ist nun auch in Deutschland zu lesen. Es bietet viele spannende, manchmal auch sehr banale Einblicke in den Alltag des Vatikan. Doch schon heute ist klar, dass die spannendste Geschichte nicht in diesem Buch steht:
Die Geschichte darüber, wie und warum es entstanden ist.
Nachdem Monsignore Georg Gänswein berichtet hatte, dass in dem Buch vertrauliche Dokumente enthalten waren, fragte er jeden der Anwesenden, ob er Dokumente an den Journalisten übergeben habe.
So steht es im Protokoll des vatikanischen Richters, der die Ermittlungen gegen Kammerdiener Paolo Gabriele geleitet hat.
Angesichts der Verneinung aller Anwesenden, erinnerte Monsignore Georg Gänswein Gabriele daran, dass zwei Briefe, die im Buch veröffentlicht wurden, ganz sicher durch seine Hände gegangen sind, da er, Gänswein, ihn gebeten habe, eine Antwort vorzubereiten, und die [Briefe] nicht aus dem Büro herausgekommen sind.
Gänswein wörtlich:
"Als ich ihm vor allen Anwesenden sagte, dass dies zwar kein Beweis sei, aber doch einen starken Verdacht gegen ihn habe entstehen lassen, habe ich als Antwort eine entschiedene und absolute Verneinung des Tatbestands bekommen." Die Zeugin O. präzisierte, dass Gabriele nicht nur entschieden und deutlich jedwede Verantwortung abgelehnt hat, sondern auch seine Verwunderung darüber geäußert hat, wie ein solcher Verdacht im Kopf von Gänswein habe entstehen können.
Bisher hat die Fauna dieses Ministaates noch kein größeres Interesse erregt. Doch von einem auf den anderen Tag lernt die Welt, dass es im Vatikan von Raben und Maulwürfen nur so wimmelt. "Corvo", Rabe - das ist der schwarz gefiederte Räuber, der vom Tisch seines Herrn die Dokumente stiehlt. Und Maulwurf? Diese Anleihe aus der Tierwelt versteht sich im Deutschen ohnehin. Nur kurz nach dem gerade zitierten Treffen durchsucht die vatikanische Gendarmerie die Wohnung des verdächtigen Kammerdieners Paolo Gabriele. Sie findet dort kistenweise Dokumente, dazu noch einen Spendenscheck, einen Goldbarren und ein wertvolles Buch aus dem 16. Jahrhundert – alles aus dem Besitz des Papstes. Gabriele wird festgenommen, gesteht und wartet nun auf seinen Prozess. Mit ihm wird ein weiterer Mitarbeiter der Kurie angeklagt, ein Informatiker, der Gabrieles Diebstahl begünstigt haben soll. Doch auf die entscheidenden Fragen gibt es bis heute keine Antwort: Wer hat Gabriele angeleitet und angestiftet? Wer hat ein Interesse daran, dass persönliche Dokumente des Papstes in die Öffentlichkeit gelangen? Und vor allem: Welches Ziel verfolgen "Raben und Maulwürfe"?
"Es geht darum, keine Angst zu haben, die Wahrheit zu bezeugen und dafür die Konsequenzen zu tragen."
"Und sind sie bereit dazu diese Konsequenzen zu tragen?"
"Ja, ich fühle mich ruhig. Ich spüre einen großen Glauben in mir, und dafür danke ich Gott. Und das versuche ich mit Beispielen zu bezeugen."
Paolo Gabriele im Fernsehinterview mit dem Journalisten Gianluigi Nuzzi. Er hatte das Gespräch lange vor der Veröffentlichung aufgezeichnet, und nun, da Gabriele sein "mea culpa" gesprochen hat, muss Nuzzi seine Hauptquelle nicht mehr schützen. Gerade eben hat das italienische Fernsehen das Interview gesendet. Und natürlich hat Nuzzi auch die alles entscheidende Frage gestellt: Warum machst du das? Warum missbrauchst du als frommer Katholik deine Vertrauensstellung beim Papst, gefährdest deine Existenz?
"Die Kirche ist eine Institution göttlichen Ursprungs, weil sie, so glauben wir, von Gottes Sohn begründet worden ist. Und deswegen glauben wir an sein Wort, das uns von der Kirche vermittelt wird. Wenn die Kirche sich dann auf Strukturen stützt, die den Glauben behindern, dann ist das nicht in Ordnung."
Mit "Strukturen" meint Gabriele den Vatikan, die Kurie, die Verwaltung der Kirche. All jene Institutionen, die seiner Meinung nach den Verkündigungsauftrag der Kirche und des Papstes behindern. Der 43-Jährige hatte zuvor als Putzmann im Petersdom gearbeitet. Nun sieht er sich als Werkzeug des Heiligen Geistes und versorgt Gianluigi Nuzzi und damit die Öffentlichkeit mit Dokumenten, die geeignet sind, den Vatikan in ein denkbar schlechtes Licht zu rücken.
"Das ist eine Kampagne von vielen Zeitungen, nicht von allen. Sie nehmen das Herausschmuggeln von Dokumenten zum Vorwand, um ein Bild zu schaffen, das weit entfernt ist von der Realität des Heiligen Stuhls."
Giovanni Maria Vian ist der Direktor der Vatikanzeitung "Osservatore Romano". Er ist, wenn man so will, eines der ersten Opfer dieses Skandals. Zu Anfang des Jahres hat Journalist Nuzzi die brisantesten Dokumente vorab im Fernsehen veröffentlicht; und Vian, der nichts Böses ahnte, wurde live mit den Enthüllungen konfrontiert. Kalt erwischt! Damals wie heute nimmt er seine Kirche gegen die Vorwürfe in Schutz.
"Die Kirche ist eine Institution, die insgesamt betrachtet gesund ist. Es gibt sicherlich "treulose Diener", altertümlich gesprochen. Aber das bedeutet nicht, dass die Institution in sich, eine korrupte Institution ist, so wie es nach den Darstellungen scheint. Und genau das hat auch der Papst gesagt."
Hier geht es um das wohl spannendste Kapitel in dem Buch "Seine Heiligkeit" von Gianluigi Nuzzi: Der Fall spielt im Jahr 2011. Carlo Maria Viganò, ein hoher Geistlicher aus dem "Governatorato", aus der Verwaltung des Vatikanstaats, schickt einen Hilferuf an den Papst.
Heiliger Vater, leider sehe ich mich gezwungen, Eure Heiligkeit wegen einer nicht nachvollziehbaren ernsten Lage anzurufen, die die Leitung des Governatorats und meine Person betrifft. Meine Versetzung aus dem Governatorat würde bei denen, die da glaubten, man könne zahlreiche Praktiken der Korruption und des Amtsmissbrauchs abstellen, die sich in der Führung verschiedener Abteilungen seit Langem eingenistet haben, tiefe Verunsicherung und Bedrückung auslösen.
Der Erzbischof sieht sich als Opfer einer Intrige, weil er allzu gründlich aufräumen wollte. Missmanagement und Vetternwirtschaft scheinen im Vatikan genauso liebevoll gepflegt zu werden wie die prächtigen Gärten dieses winzigen Staates. Aufträge werden immer an dieselben Firmen vergeben. Sie kassieren dafür praktisch das Doppelte des Marktpreises. Viganò selbst spricht von "Korruption und Machtmissbrauch". Er ist ein unbequemes Element in der auf Harmonie bedachten Kurie, und deshalb muss er weg, schlussfolgert Gianluigi Nuzzi:
"Der Generalsekretär des Governatorats, kurz der Verwalter des Vatikans, kümmert sich um Aufträge und anderes. Er bemerkt, dass die Krippe 550.000 Euro jährlich kostet - wir sprechen von der Weihnachtskrippe auf dem Petersplatz. Er macht den Papst auf die Fälle aufmerksam, wo seiner Meinung nach Korruption mit im Spiel ist. Er sieht sich als Opfer einer Intrige nach dieser Anzeige. Man schickt ihn nicht an den Nordpol, sondern als Apostolischen Nuntius – als Botschafter der Kirche - nach Washington. Ich schildere diese Episode als Beispiel für ein Ereignis, von dem wir vorher keinerlei Kenntnis hatten."
Was aussieht wie eine Beförderung, empfindet der Betroffene selbst als Degradierung. Und damit beginnt der eigentliche Skandal. Denn der Mann, der den unbequemen Erzbischof wegloben möchte, ist kein geringerer als die Nummer 2 im Vatikan: Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Er ist der eigentliche Buhmann in diesem Enthüllungsbuch.
"Es geht nicht um Kritik an Benedikt XVI. Aber was ganz deutlich wird - ob es nun Berichte oder Briefe der Kardinäle an den Papst sind - das ist die Kritik am Kardinalstaatssekretär."
Bertone kümmert sich nicht um seine eigentlichen Aufgaben, er mischt mit im Filz der italienischen Politik und mauschelt, wenn es um Posten und Finanzen geht.
Seit einiger Zeit werden von verschiedenen Seiten in der Kirche kritische Stimmen über die mangelnde Koordination und das Durcheinander laut, die in ihrem Zentrum regierten - auch auf Initiative von Personen, die ihr in großer Loyalität verbunden sind. Das berührt mich schmerzlich, aber ich muss aus meinem bescheidenen Blickwinkel zur Kenntnis nehmen, dass diese Kritik nicht unbegründet ist,
... schreibt ein besorgter Kardinal direkt an den Papst. Da tobt ein Machtkampf hinter den Mauern des Vatikanstaates. Das ist der Eindruck, den man nach der Lektüre dieses Buch hat. Insider wie Osservatore-Chef Giovanni Maria Vian widersprechen vehement: "Es hat doch nie jemand behauptet, dass hier nur Engel leben."
"Es sind Unterlagen, die zeigen, dass es eine freie Diskussion gibt, natürlich vertraulich, weil die Vertraulichkeit die Freiheit in der Kommunikation innerhalb des Heiligen Stuhls ermöglicht. Was ist daran schockierend?"
Trotzdem ist einer schockiert: der Papst - schockiert über den Vertrauensbruch in seiner unmittelbaren Umgebung.
"Die Ereignisse, die in diesen Tagen die Kurie und meine Mitarbeiter betreffend passiert sind, haben mein Herz mit Traurigkeit erfüllt. Aber es gab nie einen Zweifel, dass - trotz der Schwäche des Menschen, trotz der Schwierigkeiten und Prüfungen - der Herr, der vom Heiligen Geist geführten Kirche helfen wird."
Ende Mai, wenige Tage nach dem Erscheinen des Buches in Italien und der Verhaftung seines Kammerdieners, äußert sich Benedikt unmittelbar zu dem Skandal. Das ist ungewöhnlich und zeigt, wie sehr ihn die Affäre verletzt. Jene Affäre, die sein Sprecher "Vatileaks" getauft hatte. Papst Benedikt ist ein Familienmensch. Seine Wohngemeinschaft im dritten Stock des päpstlichen Appartments nennt er päpstliche Familie. Treue ist für ihn ein zentraler Begriff. Für Benedikt ist es unvorstellbar, den Kardinalsstaatssekretär oder etwa seinen Sekretär Georg Gänswein nach dieser Affäre fallen zu lassen.
"Ich möchte deshalb erneut meinen nächsten Mitarbeitern und allen denen, die mir tagtäglich mit Glauben, mit Aufopferung und in Verschwiegenheit helfen, mein Amt auszuüben, mein Vertrauen aussprechen und ihnen Mut zusprechen."
Einige Wochen später ein Geburtstagskonzert für den 85-jährigen Papst aus Bayern. In der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo spielen Sänger und Musiker aus seinem Heimatbistum München-Freising auf. Die Stimmung ist gelöst. Und dennoch wissen alle, was den Papst in diesen Tagen bewegt, auch sein Nachfolger als Erzbischof in München, Kardinal Reinhard Marx.
"Gerade in diesen Monaten wissen wir uns ganz eng mit Ihnen verbunden, im Gebet, mit unserer Wertschätzung. Wir stehen hinter Ihnen, Heiliger Vater."
Eine Solidaritätsadresse aus der Heimat des Papstes. Das, was sich in diesen Wochen in Rom abspielt, ist längst zu einem Problem für die Weltkirche geworden. Alle Medien berichten über Vatileaks und befeuern den Komplott mit immer neuen Indiskretionen. Der Papst, den der vermeintliche Kirchenretter Paolo Gabriele schützen wollte, ist das eigentliche Opfer dieser Affäre. Von außen betrachtet mag das ein ergötzendes Schauspiel sein, für Katholiken ist das eine echte Tragödie.
"Für die Leute ist es eine unangenehme Sache, gerade in Bayern denken wir an den Papst, und wir erleben, wie er betrogen worden ist. Das ist eine menschlich außerordentlich bittere Sache."
13. August 2012. Mitten in der Sommerpause geht der Sprecher des Papstes, Pater Federico Lombardi, mit einer Nachricht an die Öffentlichkeit, die unspektakulär klingt, aber für Beobachter eine kleine Sensation darstellt.
"Der Untersuchungsrichter erklärt den Abschluss der Voruntersuchung. Er eröffnet gegen Herrn Paolo Gabriele das Hauptverfahren vor dem Gericht wegen des Delikts des schweren Diebstahls."
Der Vatikan ist ein autonomer Staat mit eigenem Recht und eigener Rechtsprechung. Da erscheint es nur logisch, dass man einem überführten und geständigen Dieb den Prozess macht. Aber der Vatikan ist auch eine absolutistische Monarchie. Und viele hatten damit gerechnet, dass der Souverän des Kirchenstaates, Papst Benedikt XVI., in die Ermittlungen eingreift und das Verfahren einstellt, bevor es eröffnet wird. Um weitere unangenehme Enthüllungen zu vermeiden. Das Gegenteil ist der Fall: Benedikt der XVI. will absolute Transparenz und Klarheit. Sogar die Protokolle der Ermittlungen gegen Paolo Gabriele werden veröffentlicht.
Zeugin M. stellte in Bezug auf Gabriele fest: "Er war eine rechtschaffene Person und ein guter Familienvater. Was die Arbeit beim Heiligen Vater betrifft, so machte er sie gewissenhaft und gut. Ich muss jedoch hinzufügen, dass er keinerlei Anstrengung machte, sie zu verbessern, keine Initiative ergriff, sondern dass er sich darauf beschränkte, das zu tun, was man ihm sagte."
Und das ist das Rätsel, das nun die vatikanischen Richter lösen müssen: Wie kommt ein schlichter und frommer Geist wie Paolo Gabriele dazu, massenhaft Dokumente vom Schreibtisch des Papstes zu stehlen? Obwohl er angeblich doch nur das macht, was man ihm sagt. Im Interview, das er Gianluigi Nuzzi vor seiner Verhaftung gegeben hat, spricht Gabriele von etwa 20 Gleichgesinnten im Vatikan. Doch in den Verhören bestreitet er, dass es so ein Netzwerk von Raben und Maulwürfen gibt. "Das klingt alles wenig plausibel", findet Vatikankorrespondent Paul Badde.
"Er war ja fromm wie ein Kommunionkind, er wusste, dass das verboten war. Aber es sieht so aus, als hätte es Kräfte gegeben, die ihm gesagt haben: Nein, das ist nicht verboten. Du hilfst dem Papst, so irrsinnig das klingen mag."
Paul Badde berichtet seit Jahren für die "Welt" über den Vatikan. Aus nächster Nähe. "Da drüben wohnt er", sagt Badde und zeigt aus dem Fenster seines Büros, das nur ein paar Meter von der Vatikanmauer entfernt ist. "Er", das ist Paolo Gabriele, der nun in seiner Wohnung auf der anderen Seite der Mauer sitzt und unter Hausarrest auf seinen Prozess wartet.
"Gabriele war beschuldigt worden. Zwei Tage später wird er verhaftet und er hat in der Wohnung nichts verändert, da wurden vier Kisten Dokumente herausgeholt, und er hat mit nichts gerechnet. Es muss Kräfte gegeben haben, die gesagt haben: Mach dir keine Sorgen. Anders ist das nicht zu erklären. Papier kann man ja nachts in die große blaue Mülltüte und weg. Das wäre leicht gewesen. Er hat nichts getan."
Paul Badde hat sich daran gemacht, das Umfeld Gabrieles genauer unter die Lupe zu nehmen. Wer hat den ehemaligen Putzmann als neuen Kammerdiener empfohlen? Ein gewisser Kardinal Paolo Sardi. Wer wohnt mit Gabriele im selben Haus und ist mit der Familie des Kammerdieners gut befreundet? Ingrid Stampa, das ist die ehemalige Haushälterin von Kardinal Joseph Ratzinger und immer noch eine wichtige Vertraute. Und schließlich gibt es noch Bischof Josef Clemens, den ehemaligen Sekretär Ratzingers, der heute im päpstlichen Laienrat arbeitet. Sind das die "Kräfte", auf die Paolo Gabriele gehört hat und auf die er sich verlassen hat?
"Ingrid Stampa war 20 Jahre in der Nähe vom Papst. Sie ist befreundet mit Paolo Sardi, der Gabriele ins päpstliche Haus empfohlen hat. Und dann ist Ingrid Stampa sehr befreundet mit dem Exsekretär Bischof Josef Clemens. Und von ihm sage ich das, was hier im Grunde jeder weiß, dass er zerfressen ist von Eifersucht auf seinen Nachfolger."
Die These klingt gewagt: Georg Gänswein soll das eigentliche Ziel von Vatileaks sein? Der smarte und weltgewandte Sekretär des Papstes? Dafür gibt es keine Belege, und Josef Clemens, der auf einmal mit dem Verdacht konfrontiert wird, einer der Raben zu sein, lässt dementieren. "Die Vorwürfe gegen mich sind absurd."
"Es gab eben diese Treffen, wo Benedikt regelmäßig zu Josef Clemens hingegangen ist, zum Essen. Wo Ingrid Stampa dabei war, wo Paolo Sardi dabei war. Und diese Essen sind vom Papst vor Kurzem beendet worden."
"Der Vatikan — ein Abgrund von Neid und Eifersucht", so hat Paul Badde seinen Artikel über das Beziehungsgeflecht rund um den Papst betitelt. Man kann sich vorstellen, wie begierig so ein Psychogramm der "päpstlichen Familie" gelesen wird. Der Artikel samt seiner These wird natürlich von den italienischen Medien aufgegriffen und verbreitet. Das Dementi des Vatikan ist ungewöhnlich scharf:
Das Staatssekretariat bringt seine entschiedene und vollständige Missbilligung zum Ausdruck, da dies nicht auf objektiven Tatsachen beruht und die Ehre von Personen schwer verletzt, die seit vielen Jahren dem Papst treu dienen.
Klarheit könnte möglicherweise der Bericht von drei Kardinälen schaffen, die Papst Benedikt parallel zu den Ermittlungen der Justiz mit eigenen Nachforschungen beauftragt hat. Der Bericht ist fertig, der Papst kennt ihn. Doch bis heute ist er nicht veröffentlicht worden. Weil die Ergebnisse zu brisant sind?
Der Prozess gegen Paolo Gabriele steht vor der Tür. Spätestens da sollten alle Fakten auf den Tisch. Möglicherweise kann auch Gianluigi Nuzzi bei der Aufklärung helfen. Also der Mann, der als Journalist von den massenweise herausgeschmuggelten Dokumenten profitiert hat. Was weiß er über die Hintermänner, die Vertrauten seines Informanten?
"Ich habe meine Quellen und die beschütze ich. Ob sie Kardinäle oder Tellerwäscher sind, wer auch immer, jeder muss beschützt werden. Das liegt in der Natur meiner Arbeit."
Nuzzis Buch ist nun auch in Deutschland zu lesen. Es bietet viele spannende, manchmal auch sehr banale Einblicke in den Alltag des Vatikan. Doch schon heute ist klar, dass die spannendste Geschichte nicht in diesem Buch steht:
Die Geschichte darüber, wie und warum es entstanden ist.