"Da hinten gibt es einen Meerwasserteich. Wenn man von der Straße aus Richtung Norden blickt, dann sieht man diesen Teich, den das Meer vor Jahren hinterlassen hat. Und ich glaube, dort werden wir heute einige Rosalöffler und Waldstörche sehen."
Stacia schiebt sich die Sonnenbrille aufs graue Haar, steht breitbeinig vor einem großen Stativ und guckt durchs Fernglas. Oder besser durch ein Spektiv - wie die Vogelfreunde ihre leistungsfähigen Sehhilfen nennen.
"Da hinten sind Braunsichler, Nachtreiher, Schneesichler und amerikanische Graureiher. Und da beobachtet ein Alligator einen Silberreiher, der nur ein paar Zentimeter entfernt von ihm im Wasser steht. Oh, ist das nicht aufregend?"
Morgens um sieben Uhr haben sich fünf Hobby-Ornithologen in Funktionskleidung um Stacias Pick Up versammelt und reiben sich den Schlaf aus den Augen. Nur Stacia ist frisch und munter und gibt sich bereits mit Freude ihrer Leidenschaft hin: Sie beobachtet Vögel.
Da putzt sich doch tatsächlich ein Kiebitzregenpfeifer seinen prächtigen Frack aus Federn und ein paar Meter weiter im flachen Wasser der Marsch stakst ein Austernfischer.
Stacia ist zufrieden und ihre Morgenladung Vogelbegeisterter nicht minder. Und als wäre das nicht genug, lässt sich auch noch ein Goldkehlchenwaldsänger blicken.
Little St. Simons Island ist eine Vogelinsel, eine Alligatoreninsel, eine Schildkröteninsel und eine Austerninsel, eine Insel für Gürteltiere, und eine für Pferdefliegen.
Die Reporterin aus Europa scheint die einzige in der morgendlichen Runde von Vogelbeobachtern zu sein, die von der surrenden Meute überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Ein Hut wäre schlau gewesen.
Alle steigen auf den Pick-up und fahren weiter bis ans Nordende von Little St. Simons Island. Der Weg durch den Wald ist eng, das Auto rumpelt und schaukelt. Die Äste der Magnolien, immergrünen Eichen, Zedern und Maulbeerbäume hängen tief über den Weg. In den Zweigen wächst das Dschungelmoos, das so genannte Spanish Moss. Silbergrün und schwer hängt es von den Ästen und Judy erinnert an die Zeit, als die Menschen in den Südstaaten der USA noch anderes als Vogelbeobachtungen im Sinn hatten.
"Henry Ford hatte eine Plantage in Georgia und hat hier viel gearbeitet. Als er das Dschungelmoos sah, war er gerade damit beschäftigt, das Ford Modell T zu entwickelt. Also nahm er das Spanish Moss mit und stopfte damit die Sitzpolster seiner Autos. Aber bald merkte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. In dem Moos waren nämlich Insekten, die sich den Leuten in die Haut setzten. Also, das wurde dann schnell beendet."
In einer ganz anderen Branche war ein gewisser Herr Chichester, der vor etwas mehr als hundert Jahren zum Fischen kam und die riesigen Zedern sah. Aus dem Holz, so der Handelsvertreter der Eagle Pencil Company, könnte man wunderbare Streichhölzer machen. Herr Chichester ahnte nicht, dass die Zedern viel zu windgebeugt und salzwassergebleicht sein würden, um gute Streichhölzer abzugeben. So blieben die Zedern stehen und Little St. Simons Island blieb das Schicksal der anderen Inseln vor der Küste von Georgia erspart. Deren Bäume hatten bereits zu Zeiten der großen Südstaatenplantagen das Zeitliche gesegnet, berichtet Stacia.
"Die meisten anderen Inseln wurden komplett abgeholzt. Komplett abgeholzt! Das Holz wurde weggeschafft und stattdessen verschiedene Nutzpflanzen angebaut. Während der Zeit der großen Plantagen waren das vor allem Zuckerrohr und Sea-Island-Baumwolle."
Obwohl sich mit den Zedern also kein Geld verdienen ließ, blieb Little St. Simons in Privatbesitz, der Streichholzfabrikant Berolzheimer kaufte seiner eigenen Firma die Insel ab und machte sie zum Feriendomizil für seine Familie. Seit 1979 ist Little St. Simons Island offen für alle und muss sich ihren Lebensunterhalt selber verdienen. Eine Brücke gibt es nicht, täglich darf die Insel nur von einer Handvoll Besuchern betreten werden. Und die werden alle mit dem Schiff von der Schwesterinsel Saint Simons Island abgeholt. Am Steuer steht der vollbärtige Jonathan, der die Koffer an Bord hebt, jedem freundlich zunickt und ansonsten das tut, wofür er bezahlt wird: Die Besucher sicher durch den Moskito Creek zu schippern.
Mit an Bord sind David und Shannon aus Charleston, die ihr Cabriolet auf dem Parkplatz des kleinen Jachthafens abgestellt haben. Die beiden frisch vermählten Enddreißiger haben sich beim Yogakurs kennengelernt, mit der einen Hand umklammert Shannon die Reling, mit der anderen zeigt sie ihren neuen Ehering. Der Fahrtwind fordert von ihrer honigblonden Frisur äußerste Widerstandskraft. Sie isst kein Fleisch, wie ihr Mann trinkt sie keinen Alkohol und keine Milch, isst aber Käse. Mit der Köchin bespricht Shannon direkt nach der Ankunft die vorab zugeschickte Liste mit möglichen und unmöglichen Lebensmitteln.
"Ich bin Vegetarierin und esse aber Meeresfrüchte. Sie haben mich nach meinen Ernährungsbedürfnissen gefragt. Ich habe Sojamilch und Mineralwasser wie Pellegrino bestellt. Ich bin auch allergisch gegen gebratene rote Paprikaschoten. "
Im Haupthaus, der Hunting Lodge, ruft die Glocke zum Essen. Fast alle Gebäude auf der Insel, die zwanzig Gäste beherbergen kann, sind aus Holz. Die breiten Veranden mit tiefen Schaukelstühlen ausgestattet. Alle Gäste sitzen im Speisesaal zusammen, das Essen kommt in großen dampfenden Schüsseln auf den Tisch und es gibt alles, was der Ökogarten an Köstlichkeiten bereithält.
An der Bar hängt ein Foto von George W. Bush an der Wand. Ja, er sei vor kurzem hier gewesen, mit Gattin Laura. "She is a birder", sie ist eine Vogelbeobachterin, erzählt Stacia. Die anderen Gäste diskutieren, ob Bush abgenommen habe. Er sehe so schmal aus. Das liegt daran, dass auf Little St. Simons Island Ex-Präsidenten keine schusssicheren Westen tragen, sagt Stacia.
Wer hierher kommt, der will es ursprünglich. Na ja, die meisten jedenfalls. Die Vogelbeobachtung sei nicht so ihr Ding, erzählt Shannon auf dem Weg zu ihrer Unterkunft und morgen früh wolle sie erst einmal ausschlafen.
Der Fußweg zu den Gästezimmern führt am 90 Jahre alten Pool vorbei, über die Holzbohlen huscht ein Gürteltier und verschwindet schnaufend im Unterholz. Einen Schlüssel zum Zimmer haben wir nicht bekommen. Hier wird nichts gestohlen, hat die Gästebetreuerin Michelle versprochen. Um elf Uhr abends geht die Außenbeleuchtung auf der Insel aus. Wer sich danach noch nach einem letzten Glas auf den Weg zu seiner Hütte macht, bekommt eine Taschenlampe in die Hand gedrückt, natürlich ohne Batterien und mit Handkurbel. Im Zimmer wartet eine wieder befüllbare Flasche - das Trinkwasser von Little St. Simons kommt aus einer tiefen Quelle unter der Insel und schmeckt köstlich. Der nächste Morgen wartet mit Sonnenschein und einer gut gelaunten Schildkrötennestkontrolleurin am Strand. Mit dem Fahrrad kommt die blonde Christina aus Vermont über den festen Sand geradelt.
"Nachdem ich das Nest entdeckt hatte, habe ich es markiert und gekennzeichnet und mit einem Drahtgestell abgedeckt. Außerdem habe ich nachgeschaut, wie viele Eier eigentlich ausgebrütet werden. Zum Schutz stülpen wir einen Draht über das Nest, damit Waschbären es nicht ausgraben können."
Der zehn Kilometer lange Strand gehört zu den Juwelen der Insel, meist hat man ihn für sich ganz alleine und nicht einmal die Pferdefliegen können sich gegen die frische Brise stemmen. Auf der anderen Seite, Richtung Marschland, zeigt die Insel ein anderes Gesicht. Hier wächst der Wald bis zum Wasserrand, und auf einmal treten die Füße auf ungewohnten Grund.
Lange bevor Herr Chichester die Bäume der Insel in kleine Streichhölzer hacken wollte und bevor die Berolzheimer-Kinder in den Wäldern verstecken spielten, lange vor dieser Zeit - 5.000 Jahre, um genau zu sein -erklärte ein anderer Clan diesen Ort zu seinem Ort. Die Timucuan Indianer liebten Little Saint Simons Island, berichtet Stacia, und das hatte kulinarische Gründe.
"Sie sind im Winter hierhergekommen, um Austern aus den Salzmarschen der Meeresmündungen zu sammeln. Sie haben hier überwintert und sich von Austern und anderen Meerestieren wie Muscheln und natürlich von Fisch ernährt."
Die Schalen der Muscheln, die nahmen sie natürlich nicht mit zurück in ihre Sommerquartiere. Heute, tausende Jahre später, finden sich an dieser Stelle der Insel die Essensreste der Timucuan Indianer. Millionen von Muschelstücken und Austernschalen, aufgetürmt zu Haufen oder weit verstreut auf den Pfaden durch den Wald. Wer darauf geht, betritt die Speisekammer dieses amerikanischen Indianerstammes.
"Archäologen haben diese Muschelberge gesiebt und Knochen von Säugetieren, die sie gegessen haben, gefunden. Dabei entdeckten sie auch Werkzeuge, die aus Muschelschalen oder aus Steinen gemacht wurden, die die Indianer den ganzen Weg von Arkansas hierher brachten. Daher stammen also zum Beispiel die Pfeilspitzen, die man gefunden hat."
Auch heute noch wird auf Little St. Simons hauptsächlich das gegessen, was die Insel zur Verfügung stellt, vielleicht mit Ausnahme des italienischen Mineralwassers für Shannon. Und alles, was übrig bleibt, wird irgendwie wiederverwertet, berichtet Michelle, die für die Gästebetreuung zuständig ist.
"Wir verwerten unsere Abfälle in Komposthaufen. Auch wenn die Gäste alte Batterien hierlassen oder Papier, recyceln wir das. Unser gebrauchtes Büropapier wird geschreddert und dann machen wir Notizbücher daraus. Und wenn wir das Papier nicht weiterverwerten können, füttern wir die Würmer damit."
Überhaupt wirken die Menschen, die auf der Insel leben und arbeiten, ein bisschen wie aus den USA herausgefallen. Aus einer Welt, in der das Pfandsystem für Flaschen erklärungsbedürftig ist und zu jedem Einkauf kostenlose Plastiktüten in rauen Mengen dazu gehören. Jahrelang hat sich die Insel bemüht, eine Zertifizierung durch das Green Globe 21 Programm zu bekommen. Wer dieses Siegel erhält, muss beweisen, dass sich Tourismus durchaus mit Nachhaltigkeit kombinieren lässt. Little St. Simons hat es geschafft. Für Catherine, eine Besucherin aus North Carolina, ist das auch ein Grund, auf die Insel zu kommen. Ihr gefällt es, dass die Biologen der Insel die Eier der bedrohten Austernfischer sammeln und im Labor ausbrüten, während die Vogeleltern auf Holzeiern sitzen. Hier sei Umweltschutz nicht nur ein Werbeslogan.
"Ich finde, dass die Artenvielfalt sehr wichtig für die Erde ist. Alles entwickelt sich doch in Richtung Gleichartigkeit. Und dieser Entwicklung ist es zu verdanken, dass die Arten aussterben. Diese Insel dagegen ist für mich einer der schönsten Orte auf der ganzen Welt. So etwas gibt es nicht noch mal, es ist einzigartig. Diese unberührten Salzmarsche und der fast jungfräuliche Wald sind etwas ganz besonderes."
Stacia schiebt sich die Sonnenbrille aufs graue Haar, steht breitbeinig vor einem großen Stativ und guckt durchs Fernglas. Oder besser durch ein Spektiv - wie die Vogelfreunde ihre leistungsfähigen Sehhilfen nennen.
"Da hinten sind Braunsichler, Nachtreiher, Schneesichler und amerikanische Graureiher. Und da beobachtet ein Alligator einen Silberreiher, der nur ein paar Zentimeter entfernt von ihm im Wasser steht. Oh, ist das nicht aufregend?"
Morgens um sieben Uhr haben sich fünf Hobby-Ornithologen in Funktionskleidung um Stacias Pick Up versammelt und reiben sich den Schlaf aus den Augen. Nur Stacia ist frisch und munter und gibt sich bereits mit Freude ihrer Leidenschaft hin: Sie beobachtet Vögel.
Da putzt sich doch tatsächlich ein Kiebitzregenpfeifer seinen prächtigen Frack aus Federn und ein paar Meter weiter im flachen Wasser der Marsch stakst ein Austernfischer.
Stacia ist zufrieden und ihre Morgenladung Vogelbegeisterter nicht minder. Und als wäre das nicht genug, lässt sich auch noch ein Goldkehlchenwaldsänger blicken.
Little St. Simons Island ist eine Vogelinsel, eine Alligatoreninsel, eine Schildkröteninsel und eine Austerninsel, eine Insel für Gürteltiere, und eine für Pferdefliegen.
Die Reporterin aus Europa scheint die einzige in der morgendlichen Runde von Vogelbeobachtern zu sein, die von der surrenden Meute überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Ein Hut wäre schlau gewesen.
Alle steigen auf den Pick-up und fahren weiter bis ans Nordende von Little St. Simons Island. Der Weg durch den Wald ist eng, das Auto rumpelt und schaukelt. Die Äste der Magnolien, immergrünen Eichen, Zedern und Maulbeerbäume hängen tief über den Weg. In den Zweigen wächst das Dschungelmoos, das so genannte Spanish Moss. Silbergrün und schwer hängt es von den Ästen und Judy erinnert an die Zeit, als die Menschen in den Südstaaten der USA noch anderes als Vogelbeobachtungen im Sinn hatten.
"Henry Ford hatte eine Plantage in Georgia und hat hier viel gearbeitet. Als er das Dschungelmoos sah, war er gerade damit beschäftigt, das Ford Modell T zu entwickelt. Also nahm er das Spanish Moss mit und stopfte damit die Sitzpolster seiner Autos. Aber bald merkte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. In dem Moos waren nämlich Insekten, die sich den Leuten in die Haut setzten. Also, das wurde dann schnell beendet."
In einer ganz anderen Branche war ein gewisser Herr Chichester, der vor etwas mehr als hundert Jahren zum Fischen kam und die riesigen Zedern sah. Aus dem Holz, so der Handelsvertreter der Eagle Pencil Company, könnte man wunderbare Streichhölzer machen. Herr Chichester ahnte nicht, dass die Zedern viel zu windgebeugt und salzwassergebleicht sein würden, um gute Streichhölzer abzugeben. So blieben die Zedern stehen und Little St. Simons Island blieb das Schicksal der anderen Inseln vor der Küste von Georgia erspart. Deren Bäume hatten bereits zu Zeiten der großen Südstaatenplantagen das Zeitliche gesegnet, berichtet Stacia.
"Die meisten anderen Inseln wurden komplett abgeholzt. Komplett abgeholzt! Das Holz wurde weggeschafft und stattdessen verschiedene Nutzpflanzen angebaut. Während der Zeit der großen Plantagen waren das vor allem Zuckerrohr und Sea-Island-Baumwolle."
Obwohl sich mit den Zedern also kein Geld verdienen ließ, blieb Little St. Simons in Privatbesitz, der Streichholzfabrikant Berolzheimer kaufte seiner eigenen Firma die Insel ab und machte sie zum Feriendomizil für seine Familie. Seit 1979 ist Little St. Simons Island offen für alle und muss sich ihren Lebensunterhalt selber verdienen. Eine Brücke gibt es nicht, täglich darf die Insel nur von einer Handvoll Besuchern betreten werden. Und die werden alle mit dem Schiff von der Schwesterinsel Saint Simons Island abgeholt. Am Steuer steht der vollbärtige Jonathan, der die Koffer an Bord hebt, jedem freundlich zunickt und ansonsten das tut, wofür er bezahlt wird: Die Besucher sicher durch den Moskito Creek zu schippern.
Mit an Bord sind David und Shannon aus Charleston, die ihr Cabriolet auf dem Parkplatz des kleinen Jachthafens abgestellt haben. Die beiden frisch vermählten Enddreißiger haben sich beim Yogakurs kennengelernt, mit der einen Hand umklammert Shannon die Reling, mit der anderen zeigt sie ihren neuen Ehering. Der Fahrtwind fordert von ihrer honigblonden Frisur äußerste Widerstandskraft. Sie isst kein Fleisch, wie ihr Mann trinkt sie keinen Alkohol und keine Milch, isst aber Käse. Mit der Köchin bespricht Shannon direkt nach der Ankunft die vorab zugeschickte Liste mit möglichen und unmöglichen Lebensmitteln.
"Ich bin Vegetarierin und esse aber Meeresfrüchte. Sie haben mich nach meinen Ernährungsbedürfnissen gefragt. Ich habe Sojamilch und Mineralwasser wie Pellegrino bestellt. Ich bin auch allergisch gegen gebratene rote Paprikaschoten. "
Im Haupthaus, der Hunting Lodge, ruft die Glocke zum Essen. Fast alle Gebäude auf der Insel, die zwanzig Gäste beherbergen kann, sind aus Holz. Die breiten Veranden mit tiefen Schaukelstühlen ausgestattet. Alle Gäste sitzen im Speisesaal zusammen, das Essen kommt in großen dampfenden Schüsseln auf den Tisch und es gibt alles, was der Ökogarten an Köstlichkeiten bereithält.
An der Bar hängt ein Foto von George W. Bush an der Wand. Ja, er sei vor kurzem hier gewesen, mit Gattin Laura. "She is a birder", sie ist eine Vogelbeobachterin, erzählt Stacia. Die anderen Gäste diskutieren, ob Bush abgenommen habe. Er sehe so schmal aus. Das liegt daran, dass auf Little St. Simons Island Ex-Präsidenten keine schusssicheren Westen tragen, sagt Stacia.
Wer hierher kommt, der will es ursprünglich. Na ja, die meisten jedenfalls. Die Vogelbeobachtung sei nicht so ihr Ding, erzählt Shannon auf dem Weg zu ihrer Unterkunft und morgen früh wolle sie erst einmal ausschlafen.
Der Fußweg zu den Gästezimmern führt am 90 Jahre alten Pool vorbei, über die Holzbohlen huscht ein Gürteltier und verschwindet schnaufend im Unterholz. Einen Schlüssel zum Zimmer haben wir nicht bekommen. Hier wird nichts gestohlen, hat die Gästebetreuerin Michelle versprochen. Um elf Uhr abends geht die Außenbeleuchtung auf der Insel aus. Wer sich danach noch nach einem letzten Glas auf den Weg zu seiner Hütte macht, bekommt eine Taschenlampe in die Hand gedrückt, natürlich ohne Batterien und mit Handkurbel. Im Zimmer wartet eine wieder befüllbare Flasche - das Trinkwasser von Little St. Simons kommt aus einer tiefen Quelle unter der Insel und schmeckt köstlich. Der nächste Morgen wartet mit Sonnenschein und einer gut gelaunten Schildkrötennestkontrolleurin am Strand. Mit dem Fahrrad kommt die blonde Christina aus Vermont über den festen Sand geradelt.
"Nachdem ich das Nest entdeckt hatte, habe ich es markiert und gekennzeichnet und mit einem Drahtgestell abgedeckt. Außerdem habe ich nachgeschaut, wie viele Eier eigentlich ausgebrütet werden. Zum Schutz stülpen wir einen Draht über das Nest, damit Waschbären es nicht ausgraben können."
Der zehn Kilometer lange Strand gehört zu den Juwelen der Insel, meist hat man ihn für sich ganz alleine und nicht einmal die Pferdefliegen können sich gegen die frische Brise stemmen. Auf der anderen Seite, Richtung Marschland, zeigt die Insel ein anderes Gesicht. Hier wächst der Wald bis zum Wasserrand, und auf einmal treten die Füße auf ungewohnten Grund.
Lange bevor Herr Chichester die Bäume der Insel in kleine Streichhölzer hacken wollte und bevor die Berolzheimer-Kinder in den Wäldern verstecken spielten, lange vor dieser Zeit - 5.000 Jahre, um genau zu sein -erklärte ein anderer Clan diesen Ort zu seinem Ort. Die Timucuan Indianer liebten Little Saint Simons Island, berichtet Stacia, und das hatte kulinarische Gründe.
"Sie sind im Winter hierhergekommen, um Austern aus den Salzmarschen der Meeresmündungen zu sammeln. Sie haben hier überwintert und sich von Austern und anderen Meerestieren wie Muscheln und natürlich von Fisch ernährt."
Die Schalen der Muscheln, die nahmen sie natürlich nicht mit zurück in ihre Sommerquartiere. Heute, tausende Jahre später, finden sich an dieser Stelle der Insel die Essensreste der Timucuan Indianer. Millionen von Muschelstücken und Austernschalen, aufgetürmt zu Haufen oder weit verstreut auf den Pfaden durch den Wald. Wer darauf geht, betritt die Speisekammer dieses amerikanischen Indianerstammes.
"Archäologen haben diese Muschelberge gesiebt und Knochen von Säugetieren, die sie gegessen haben, gefunden. Dabei entdeckten sie auch Werkzeuge, die aus Muschelschalen oder aus Steinen gemacht wurden, die die Indianer den ganzen Weg von Arkansas hierher brachten. Daher stammen also zum Beispiel die Pfeilspitzen, die man gefunden hat."
Auch heute noch wird auf Little St. Simons hauptsächlich das gegessen, was die Insel zur Verfügung stellt, vielleicht mit Ausnahme des italienischen Mineralwassers für Shannon. Und alles, was übrig bleibt, wird irgendwie wiederverwertet, berichtet Michelle, die für die Gästebetreuung zuständig ist.
"Wir verwerten unsere Abfälle in Komposthaufen. Auch wenn die Gäste alte Batterien hierlassen oder Papier, recyceln wir das. Unser gebrauchtes Büropapier wird geschreddert und dann machen wir Notizbücher daraus. Und wenn wir das Papier nicht weiterverwerten können, füttern wir die Würmer damit."
Überhaupt wirken die Menschen, die auf der Insel leben und arbeiten, ein bisschen wie aus den USA herausgefallen. Aus einer Welt, in der das Pfandsystem für Flaschen erklärungsbedürftig ist und zu jedem Einkauf kostenlose Plastiktüten in rauen Mengen dazu gehören. Jahrelang hat sich die Insel bemüht, eine Zertifizierung durch das Green Globe 21 Programm zu bekommen. Wer dieses Siegel erhält, muss beweisen, dass sich Tourismus durchaus mit Nachhaltigkeit kombinieren lässt. Little St. Simons hat es geschafft. Für Catherine, eine Besucherin aus North Carolina, ist das auch ein Grund, auf die Insel zu kommen. Ihr gefällt es, dass die Biologen der Insel die Eier der bedrohten Austernfischer sammeln und im Labor ausbrüten, während die Vogeleltern auf Holzeiern sitzen. Hier sei Umweltschutz nicht nur ein Werbeslogan.
"Ich finde, dass die Artenvielfalt sehr wichtig für die Erde ist. Alles entwickelt sich doch in Richtung Gleichartigkeit. Und dieser Entwicklung ist es zu verdanken, dass die Arten aussterben. Diese Insel dagegen ist für mich einer der schönsten Orte auf der ganzen Welt. So etwas gibt es nicht noch mal, es ist einzigartig. Diese unberührten Salzmarsche und der fast jungfräuliche Wald sind etwas ganz besonderes."