Er hieß Alfred Otto Wolfgang Schulze, aber das war ihm zu deutsch und zu umständlich, daher nannte er sich ab 1937 einfach Wols. Er malte, kritzelte und fotografierte Merkwürdiges, seine Biografie zwischen Exil und Drogen erfüllte den Tatbestand eines verrückten Künstlerlebens. Knapp vor der "Machtergreifung" verließ er als 19-Jähriger Deutschland. Sein Ziel: die Pariser Boheme. Im selbst gewählten Exil begann er als fotografierender Autodidakt. Doch als Hitlers Wehrmacht Frankreich überfiel, wurde Wols in Paris zur Unperson. Als Deutscher lernte er diverse Internierungslager kennen, wo er sein skurriles, die Form suchendes Zeichnen, ein befremdlich-nebliges Aquarellieren unbeirrt fortsetzte.
Eine negroide Maske, das Auge ein Kerf, das Gehirn eingeteilt in nummerierte neurologische Bezirke, obenauf ein Häuschen mit Aussichtsfenstern. Am Kragen wächst ein haariges Blatt, am Nacken ein erigierter Bambus-Schlauch, an dessen Ende ein vielleicht weiblicher Kopf mit Schießscharten auftaucht. Und unten links: Eine Kartoffel. Wols hat das Blatt "Tête fantastique" genannt. Was meinte er damit? "Ich weiß nicht, was ich mache; ich bin eine Mikrobe", hat der heilige Trinker Wols gesagt.
1937 entstand auch "Mademoiselle Docteur", ein schweinchenrosa Kopffüßler, die Brille mit dem Stethoskop verwachsen. Die Dame ohne Unterleib wurzelt in irgendwelchem Gemäuer; auf dem Tisch eine medizinische Kalebasse, davor ein Stück Gartenzaun, umrankt von Fleischfressenden Pflanzen. Am krummen Mast klirrt ein Fähnchen, geformt wie ein kindliches Haus, mit Fenstern wie ein Weihnachtskalender.
Nur zwei von über 30 Blättern, knorrig, haarig, verworren, verkrüppelt oder verwachsen wie Alraunen, belanglos wie Telefonkritzeleien und geheimnisvoll wie Totems, banal und bedeutungsvoll, versponnen und hart zugleich. Inspiration und Lästerung, Zote, Zärtlichkeit und Verzweiflung liegen da miteinander im Streit, drängen sich auf Schulheft- oder Postkarten -Format.
Beim Beschreiben kommt man vom Hundertsten ins Tausendste, verwickelt sich in Widersprüche. Die Bilder werfen Fragen auf, ohne Antworten zu geben. Man möchte beim Lesen in sie hineinkriechen. "Das Maß der Handfläche ist heilig", auch so ein Wort von Wols. Und er bringt spielend Großes unter, auf so einem kleinen Stück Papier: "Elephant and Boats" etwa: keine Panzerkreuzer, nein, sehr zarte Schiffe, halb untergehend, halb schwebend, mit spinnwebfeiner Takelage und transparenten Segeln. Am Hafen ein baufälliges Tor und ab und zu ein Elefant und oben rechts: eine Eintagsfliege.
Allein all diese Wols-Geschichten zu entziffern, hätte man schon stundenlang zu tun. Doch der Kurator macht es dem Besucher schwer. Der Bildhauer Olaf Metzel, Kunstprofessor an der Kunstakademie München, hatte die Idee zu der Bremer Schau "CIRCUS WOLS". Mit einem lautstarken Großaufgebot an Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts hat er die leisen Monologe Wols' konfrontiert. Leider ist aber dabei ein "Zirkus Metzel" herausgekommen, ein zerstreuendes Panoptikum der Beliebigkeit, das einen ambivalenten Nachgeschmack hinterlässt. Dabei besteht sein Großaufgebot aus international bedeutenden, sehenswerten Künstlern:
Von James Ensor, Moholy-Nagy und Marcel Broodthaers, über Cy Twombly und Öyvind Fahlström, bis zu Zeitgenossen wie Norbert Schwontkowski und Tatiana Trouvé. Gegen den Beliebigkeitsvorwurf kann sich der kuratierende Künstler natürlich auf sein von der Freiheit der Kunst gedecktes Auswahl-Recht berufen. Doch ärgerlich wird es, wenn man auf Künstler stößt, die weder mit Wols' Denken noch seiner Haltung irgendetwas gemein haben, etwa Andreas Gursky oder Günther Förg, Albert Oehlen oder Marlène Dumas. So deckt Olaf Metzel den verehrten "Künstlerkünstler" eher zu, als dass er ihn neu entdeckt. Im letzten Saal gar verschwinden die zurückhaltenden Wols-Werke fast im gut gemeinten Bilder-Palaver, das Metzel anzettelt. Selten nur leuchten kongeniale Verbindungslinien zu Wols auf, etwa bei Mark Tobey's Wuselbildern oder Louise Bourgeois' Kobold-Formen, bei Martin Kippenbergers Hotel-Kritzeleien oder Sigmar Polkes skurrilen Fotos. Auch im Gedächtnis bleibt der wunderbar zärtliche Film von Mobile-Meister Alexander Calder als Direktor eines mit Liebe und Genialität selbst gebastelten Puppen-Zirkus. Aber Wols? War da was? Nein – da wäre weniger mehr gewesen!
Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler:
WOLS•Antonin•Artaud•Alighiero Boetti •Louise Bourgeois•Marcel Broodthaers•André Butzer•Alexander Calder•George Condo•Bruce Conner•Constant•Anton Corbijn•Guy Debord•Marlene Dumas•James Ensor•Öyvind Fahlström•Jean Fautrier•Günther Förg•Alberto Giacometti•Nan Goldin•Andreas Gursky• Philip Guston•Raymond Hains•Andy Hope 1930•Axel Huber•Sergej Jensen•Asger Jorn•Martin Kippenberger•Paul Klee•Bernd Koberling •Addi Køpcke•Willem de Kooning•Zoe Leonard•Olaf Metzel•Henri Michaux•László Moholy-Nagy•Albert Oehlen•Roberto Ohrt•Blinky Palermo•Sigmar Polke•Dieter Roth•Eugen Schönebeck•Norbert Schwontkowski•Daniel Spoerri •Andrea Stappert•Paul Thek•Wolfgang Tillmans•Mark Tobey •Tatiana Trouvé•Cy Twombly•Umbo
Eine negroide Maske, das Auge ein Kerf, das Gehirn eingeteilt in nummerierte neurologische Bezirke, obenauf ein Häuschen mit Aussichtsfenstern. Am Kragen wächst ein haariges Blatt, am Nacken ein erigierter Bambus-Schlauch, an dessen Ende ein vielleicht weiblicher Kopf mit Schießscharten auftaucht. Und unten links: Eine Kartoffel. Wols hat das Blatt "Tête fantastique" genannt. Was meinte er damit? "Ich weiß nicht, was ich mache; ich bin eine Mikrobe", hat der heilige Trinker Wols gesagt.
1937 entstand auch "Mademoiselle Docteur", ein schweinchenrosa Kopffüßler, die Brille mit dem Stethoskop verwachsen. Die Dame ohne Unterleib wurzelt in irgendwelchem Gemäuer; auf dem Tisch eine medizinische Kalebasse, davor ein Stück Gartenzaun, umrankt von Fleischfressenden Pflanzen. Am krummen Mast klirrt ein Fähnchen, geformt wie ein kindliches Haus, mit Fenstern wie ein Weihnachtskalender.
Nur zwei von über 30 Blättern, knorrig, haarig, verworren, verkrüppelt oder verwachsen wie Alraunen, belanglos wie Telefonkritzeleien und geheimnisvoll wie Totems, banal und bedeutungsvoll, versponnen und hart zugleich. Inspiration und Lästerung, Zote, Zärtlichkeit und Verzweiflung liegen da miteinander im Streit, drängen sich auf Schulheft- oder Postkarten -Format.
Beim Beschreiben kommt man vom Hundertsten ins Tausendste, verwickelt sich in Widersprüche. Die Bilder werfen Fragen auf, ohne Antworten zu geben. Man möchte beim Lesen in sie hineinkriechen. "Das Maß der Handfläche ist heilig", auch so ein Wort von Wols. Und er bringt spielend Großes unter, auf so einem kleinen Stück Papier: "Elephant and Boats" etwa: keine Panzerkreuzer, nein, sehr zarte Schiffe, halb untergehend, halb schwebend, mit spinnwebfeiner Takelage und transparenten Segeln. Am Hafen ein baufälliges Tor und ab und zu ein Elefant und oben rechts: eine Eintagsfliege.
Allein all diese Wols-Geschichten zu entziffern, hätte man schon stundenlang zu tun. Doch der Kurator macht es dem Besucher schwer. Der Bildhauer Olaf Metzel, Kunstprofessor an der Kunstakademie München, hatte die Idee zu der Bremer Schau "CIRCUS WOLS". Mit einem lautstarken Großaufgebot an Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts hat er die leisen Monologe Wols' konfrontiert. Leider ist aber dabei ein "Zirkus Metzel" herausgekommen, ein zerstreuendes Panoptikum der Beliebigkeit, das einen ambivalenten Nachgeschmack hinterlässt. Dabei besteht sein Großaufgebot aus international bedeutenden, sehenswerten Künstlern:
Von James Ensor, Moholy-Nagy und Marcel Broodthaers, über Cy Twombly und Öyvind Fahlström, bis zu Zeitgenossen wie Norbert Schwontkowski und Tatiana Trouvé. Gegen den Beliebigkeitsvorwurf kann sich der kuratierende Künstler natürlich auf sein von der Freiheit der Kunst gedecktes Auswahl-Recht berufen. Doch ärgerlich wird es, wenn man auf Künstler stößt, die weder mit Wols' Denken noch seiner Haltung irgendetwas gemein haben, etwa Andreas Gursky oder Günther Förg, Albert Oehlen oder Marlène Dumas. So deckt Olaf Metzel den verehrten "Künstlerkünstler" eher zu, als dass er ihn neu entdeckt. Im letzten Saal gar verschwinden die zurückhaltenden Wols-Werke fast im gut gemeinten Bilder-Palaver, das Metzel anzettelt. Selten nur leuchten kongeniale Verbindungslinien zu Wols auf, etwa bei Mark Tobey's Wuselbildern oder Louise Bourgeois' Kobold-Formen, bei Martin Kippenbergers Hotel-Kritzeleien oder Sigmar Polkes skurrilen Fotos. Auch im Gedächtnis bleibt der wunderbar zärtliche Film von Mobile-Meister Alexander Calder als Direktor eines mit Liebe und Genialität selbst gebastelten Puppen-Zirkus. Aber Wols? War da was? Nein – da wäre weniger mehr gewesen!
Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler:
WOLS•Antonin•Artaud•Alighiero Boetti •Louise Bourgeois•Marcel Broodthaers•André Butzer•Alexander Calder•George Condo•Bruce Conner•Constant•Anton Corbijn•Guy Debord•Marlene Dumas•James Ensor•Öyvind Fahlström•Jean Fautrier•Günther Förg•Alberto Giacometti•Nan Goldin•Andreas Gursky• Philip Guston•Raymond Hains•Andy Hope 1930•Axel Huber•Sergej Jensen•Asger Jorn•Martin Kippenberger•Paul Klee•Bernd Koberling •Addi Køpcke•Willem de Kooning•Zoe Leonard•Olaf Metzel•Henri Michaux•László Moholy-Nagy•Albert Oehlen•Roberto Ohrt•Blinky Palermo•Sigmar Polke•Dieter Roth•Eugen Schönebeck•Norbert Schwontkowski•Daniel Spoerri •Andrea Stappert•Paul Thek•Wolfgang Tillmans•Mark Tobey •Tatiana Trouvé•Cy Twombly•Umbo