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Von Schweden lernen

Am Geld kann es nicht liegen: Im Vergleich zu Schweden wendet Deutschland für Familie und Bildung relativ viel Mittel auf. Trotzdem sind die Skandinavier hier durchweg erfolgreicher. Eine Studie des Allensbach-Institutes im Auftrag der "Bild der Frau" wollte herausfinden, warum das so ist.

Von Michael Castritius |
    Immer wieder Schweden. Wenn es um Bildung, Gleichstellung und, wie hier, um Chancengleichheit geht, wird immer wieder Schweden als Vergleich, als leuchtendes Vorbild gar genommen. Zu Recht, meint Professor Renate Köcher, Leiterin des Allensbach-Institutes.

    "Die Schweden haben eine weitaus bessere Betreuungsinfrastruktur, die auch sehr hochklassig ist, sodass Eltern überhaupt keine Bedenken haben, auch kleine Kinder da einige Stunden am Tag oder auch länger in Betreuungseinrichtungen zu haben. Die schwedischen Eltern, die sehen ihre Erziehungsaufgabe auch etwas entspannter. Die deutschen Eltern haben das Gefühl, sie sind für alles verantwortlich, was mit dem Kind zu tun hat, sie müssen ihnen auch die Bildungsvoraussetzungen vermitteln, sie müssen Leistungswillen vermitteln. Da sind die Schweden viel entspannter, wir vermitteln im Elternhaus viel, aber parallel gibt es andere Institutionen, wie beispielsweise Betreuungseinrichtungen, die sollen sich auch mal drum kümmern, das die Kinder gefördert werden."

    Entspanntere Eltern – ein erster Hinweis, dass gesellschaftliche Normen Einfluss auf Bildungserfolg haben können. Die Studie unterlegt das mit Zahlen, zum Beispiel, wenn es um die Fremdbetreuung von Kindern geht. In Deutschland herrscht das "Rabenmutter-Denken" vor, Kleinkinder seien am Besten bei den Eltern aufgehoben. Mehr noch: werden schon Ein- oder Zweijährige zur Tagesmutter oder in den Kindergarten gebracht, dann fühlen sich viele als "schlechte Eltern" - oder ihnen wird zumindest dieser Vorwurf von der Umgebung gemacht.

    "In Deutschland, ich muss eigentlich sagen, in Westdeutschland, haben wir so die Vorstellung, dass eine Mutter eine Rabenmutter ist, wenn sie berufstätig ist solange die Kinder unter drei oder unter sechs Jahren sind. Also da wird eine Mutter immer so mit Argus-Augen angeschaut."

    Das ist in Schweden signifikant anders: schon von den zweijährigen Kindern werden 90 Prozent außer Haus betreut, von ihren deutschen Altersgenossen nur 51 Prozent. Die Bedeutung der Förderung durch die Eltern wird in Deutschland wesentlich höher eingeschätzt als in Schweden, wo mehr auf Kindergärten und Schulen gesetzt wird.
    Eine Selbsteinschätzung, die Folgen hat: Da die Bedeutung der Eltern so hoch bewertet wird, werden auch die Bildung und das Einkommen der Eltern als viel wichtiger wahrgenommen, resümiert die Auftraggeberin der Studie, Sandra Immoor, Chefredakteurin von "Bild der Frau":

    "Es gibt in Deutschland, das haben wir auf jeden Fall festgestellt, einen sehr großen Status-Fatalismus. Das heißt, das besonders bei den jungen Deutschen in eher schwierigen Verhältnissen die Meinung vorherrscht: 'Leistung lohnt sich sowieso nicht, klappt eh nicht', oder da hört man tatsächlich von Achtjährigen in den sogenannten Problemstadtviertel: 'Wenn ich groß bin, werd’ ich Hartz 4'. Diese Kinder sind ja nicht qua Geburt dümmer, sondern werden halt nicht genug gefördert weil es im Elternhaus an den kulturellen, an den finanziellen oder den intellektuellen Möglichkeiten fehlt. der Staat schafft es offensichtlich nicht, diese Kinder abzuholen und Startdefizite auszugleichen."

    Chancengleichheit, so die Erkenntnis, entwickelt sich am besten außerhalb des Elternhauses. Zuhause werden Kinder aus sozial schwächeren Schichten meist viel weniger gefördert, sagt Renate Köcher vom Allensbach-Institut:

    "Sodass man wirklich sagen muss: Kinder die Eltern mit Abitur haben, die werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Abitur machen, und Kinder, die Eltern ohne Abitur haben, die werden mehrheitlich auch kein Abitur machen. Und das führt auch dazu, dass gerade Jüngere in Deutschland sagen: Diese Gesellschaft ist nicht ausrechend durchlässig"

    Leistung lohnt sich nicht, es zählt nur das Elternhaus, meinen zwei von drei Deutschen. Das dämpft jegliches Engagement. Dagegen sind die meisten jungen Schweden überzeugt, etwas werden zu können, wenn sie sich anstrengen – das motiviert. Was also sollte Deutschland von den Skandinaviern lernen:

    "Ich glaube man vor allem so investieren, dass die Betreuungseinrichtungen erstklassig sind, dass Kinder da individuell gefördert werden, dass die Kinder gern hingehen und Eltern auch so das Gefühl haben, die Zweijährige die hummelt schon morgens, und will unbedingt da hin weil sie weiß, es ist toll da und sie lernt viel."

    Womit wir wieder bei den entspannteren schwedischen Eltern wären: Ihre deutschen Pendants machen sich offenbar viel zu viel Stress, wenn sie ihre Kinder lange zuhause behalten, ausschließlich selber fördern wollen. Störender Leistungsdruck – hier nicht bei den Schülern, sondern bei deren Vätern und Müttern.