"Nichts auf der Welt ist mit Pferdenüstern vergleichbar. Davon war Eleonora überzeugt. Und das, obwohl sie täglich, stündlich, eigentlich immer nach Vergleichen suchte. Einige waren naheliegend. Nüstern erinnerten Eleonora an ihr erstes Kuscheltier, einen kleinen Bären, der so abgenutzt war, dass die bloße Stoffhaut durch sein Kunststoff-Fell schimmerte. Sie erinnerten sie an Steine im Sommer, warm von der Sonne, an reife Tomaten oder noch eher an Stachelbeeren, weil die kleine Härchen hatten. Wenn das Gras im Sommer braun wurde und sich wie trockene Algen am Strand anfühlte, dann dachte Eleonora an Nüstern. Und wenn sie die warme Luft aus dem Staubsauger, dem Föhn oder die Abluft aus dem Computer spürte, dann dachte sie an den Atem von Ikarus."
"Ein Pferd ist ein Tier, vor allen Dingen ein soziales und intelligentes Tier. Es ist aber nicht nur ein Tier, sondern auch oft ein Sportgerät, ein Arbeitsgerät oder auch ein Prestigeobjekt und manchmal auch sogar eine Wertanlage."
"Arcos sah aus wie aus einem Märchenbuch entsprungen. Wie perfekt sein Rücken geformt war. Und diese muskulösen Schultern, die breite Brust. Wenn er vorgebeugt dastand wie jetzt, konnte man seine schön gerundete Kruppe mit dem üppigen Schweif sehen. Über den schimmernden Hals wallte eine dichte weiße Mähne lang herunter. Perfekter konnte ein Pferd nicht aussehen. Dabei hatte sie sein Gesicht noch gar nicht gesehen, denn der Andalusier hatte die Nase ins Stroh gesenkt und fraß."
Es gibt 103 Arten, ein Pferd zu beschreiben, und die einhundertvierte wird gerade irgendwo auf der Welt entdeckt. Nein – es gibt 1755 Arten, das Pferd literarisch zu verarbeiten ... leider werden nur achteinhalb regelmäßig genutzt.
"Der weiche Galopp der Schimmelstute wurde noch fließender, die Bewegungen ihres Körpers noch geschmeidiger. Bald hatte Marie Susanne wieder eingeholt und galoppierte an ihrer Freundin vorbei. Jetzt berührten Montys Hufe kaum noch den Boden des Feldwegs. Die herbstlich bunten Büsche und Bäume flogen nur so an Marie vorbei. Sie streckte ihre Nase in den Wind und ließ sich die Haare zerzausen. Ihr Herz galoppierte vor Freude mit."
Irgendwann, liebe Eltern, ist es so weit, und ihr Kind bleibt in der Buchhandlung vor einem Bücherregal stehen, an dem es verdächtig nach Stall riecht. Eine Empfindungstäuschung, natürlich, man meint, es müsse so riechen, weil das Regal vor lauter Pferdebüchern überquillt. Und das Kind davor ... nun ja, es ist wohl ein Mädchen:
"Also dieses Klischee vom reitenden Mädchen oder auch vom lesenden Mädchen – also die Pferdebuchkonsumentinnen sind ja nun in der Regel Mädchen – steht eigentlich im Widerspruch dazu, dass dieses Pferdedomäne hauptsächlich männlich besetzt ist",
wendet die Autorin Astrid Frank ein und hat natürlich recht. Wie oft im Alltagsleben spaltet sich beim Reiten der Freizeit- vom Profibereich entlang der Geschlechtergrenze: Unter Freizeitreitern findet man wenige Männer und Jungen, dafür sehr viele Frauen und Mädchen; im Profibereich ist das umgekehrt. Mangels Möglichkeiten – welcher Elterngeldbeutel erlaubt schon den Unterhalt eines Gestüts? – verlagert sich das Bedürfnis der pferdevernarrten Mädchen auf die Literatur, die ebenso reichhaltig wie zugleich Eltern, Lehrern, Literaturkritikern ziemlich unbekannt ist. Mal im Ernst: Wer liest schon Pferdebücher, zumal die für junge Leute geschriebenen? Ihre Handlungsmuster sind monoton, so das Vorurteil, die Figuren trivial:
"Sie treffen da einfach einen wunden Punkt, das muss man schon so sagen! Es ist sehr schnell so, dass es nicht wahrgenommen wird, dass man über das normale Pferdebuch hinausgehen kann, und dass das natürlich dann auch eine Leistung ist, die man zumindest unter die Lupe nehmen kann. Was auch immer man nachher daraus sieht. Und das würde ich mir schon wünschen. Ich hab nun leider keine Möglichkeiten, das irgendwie zu ändern, außer das, was ich mache, gut zu machen oder mich darum zu bemühen, und den Rest müssen dann andere entscheiden."
Sie macht es gut, Astrid Frank, die Kölner Jugendbuchautorin mit Neigung zum Pferdebuch. Doch um den Spreu vom Weizen zu trennen, muss man wirklich genau hinschauen, sich durch Pferdebuchreihen aller Kinder- und Jugendbuchverlage hindurchkämpfen, die ....
... schon mal 22 Bände umfassen können oder es wenigstens auf ein knappes Dutzend bringen, Ende offen. Pferdebüchern wohnt die Tendenz zur Fortsetzung inne, wiewohl sie eine überschaubare Welt beschreiben: Reiterinnen in Zickenkonkurrenz, Tierarzt und Reitlehrerinnen.
Immer schlecht gelaunt.
... Gestütbesitzer und Pferdezüchter ....
Meist abgrundtief böse.
Stallburschen und prinzipiell gut aussehende Reitlehrer bevölkern die Romane. Kaum eine Geschichte ohne trächtige Stute oder nächtliche Koliken, ohne Reitwettkämpfe mit heimtückischen Sabotageversuchen. Verblüffend rasch stellt sich bei der Lektüre allerdings heraus, dass die Importe aus Übersee den einheimischen Produkten deutlich unterlegen sind, weswegen wir sie – "Heartland", "Rose Hill" etc. – unter den Tisch fallen lassen. Cum grano salis schreiben deutsche Autorinnen – männliche Verfasser sind die absolute Ausnahme – die besseren, komplexeren, lebensnäheren Pferdebücher, wofür sie allerdings an der Ladentheke büßen müssen:
"Kommerziell gesehen sind meine Pferdebücher sowieso Titel, die nicht die breite Masse ansprechen. Das muss man einfach sagen! Also die sind durchaus sehr erfolgreich, gar keine Frage, sprechen aber halt wirklich Menschen an, die sich auch mehr mit dem Thema auseinandersetzen wollen, die nicht nur die heile Welt suchen. Das reduziert die Leserschaft sowieso schon mal."
Aus Astrid Franks Feder stammt ein absolutes Highlight der zeitgenössischen Pferdebelletristik: "Fliegen wie Pegasus", 2004 bei Thienemann herausgekommen, mittlerweile bei Carlsen als Taschenbuch erhältlich, schildert auf literarisch anspruchsvolle Weise den Wandel eine Springwunders zum Therapiepferd und durchschreitet wie der Klassiker aller Jugendpferdebücher, "Black Beauty" von 1877, alle emotionalen Täler, die sich in einer Pferdebiografie auftun können.
Pegasus nämlich wird wegen seines außerordentlichen Sprungtalents zum Sportgerät deklariert, ja degradiert, das seinen Zweck in dem Moment verliert, da ein schwerer Sturz die internationale Wettkampfkarriere beendet. Zwar ist Pegasus noch immer ein edles Tier, aber eines ohne monetäre Zukunft. Ein Kostgänger, kein Mitverdiener. Wäre das Gerät aus Blech, würde man es verschrotten; ist es aus Fleisch und Blut, geht es zum Abdecker ... wovor es eine mitfühlende Autorin zum Glück bewahrt. Das Reizwort "Gerät" taucht indes wirklich im Text auf, und zwar mit Bedacht gewählt:
"Das ist ja auch von meiner Seite aus in negativem Sinn gemeint. Deswegen auch die Frage, was ist ein Pferd? In erster Linie: ein soziales und intelligentes Tier, das in einem Sozialverband lebt, fühlt, zu gewissen Denkleistungen in der Lage ist und natürlich nicht als Gerät missbraucht werden darf."
Ein "Gerät" im übertragenen Sinne ist auch Gigant, der tierische Held des neuen Romans von Astrid Frank, nämlich ein Polizeipferd, mithin Vertreter einer besonderen Sorte Pferd:
"Ich erinnerte mich an ein uraltes Schwarz-Weiß-Foto, das ich irgendwann einmal in einem alten Bildband gesehen hatte: Ein Reiter mit einem weißen Pferd drängt alleine Tausende und Abertausende Menschen, die sich dicht an dicht auf einem Fußballfeld tummelten, zurück. Jedes Kind auf der Insel, so stand unter dem Bild zu lesen, wüsste den Namen dieses Polizeipferdes, das beim Eröffnungsspiel des Wembley-Stadions einen Spielbeginn überhaupt erst ermöglicht hatte – auch wenn sich niemand mehr an die Namen der Mannschaften, Bolton Wanderers und West Ham United, geschweige denn an das Ergebnis dieser Begegnung, die Bolton Wanderers hatten 2:0 gewonnen, erinnerte. 300.000 Menschen sollen damals das Stadion gestürmt haben. Platz gab es aber nur für 127.000. (...) Sie drangen schließlich sogar in den Innenraum vor und machten einen Anpfiff damit unmöglich: Als die Spieler ihre Umkleiden verließen, konnten sie das Spielfeld nicht einmal betreten, denn es wimmelte dort nur so von Menschen. George Scorey, der Polizist, der Billy ritt, soll später einmal gesagt haben, er hätte es niemals für möglich gehalten, mit dem Pferd das Spielfeld zu räumen. Alles, was er gesehen habe, sei ein Meer aus Menschenköpfen gewesen. Und doch hatte er seinen Schimmel von einer klitzekleinen Lücke aus im Kreis gehen lassen, bis die Menschen anfingen zurückzuweichen und ihm und dem 'White Horse' Platz machten."
"Es ist nicht zu einer Panik gekommen, es wurde niemand ernsthaft verletzt, und das Spielfeld wurde tatsächlich geräumt, die Begegnung konnte stattfinden. Das berührt mich sogar auch im Nachhinein noch. Also ich finde, dieses Bild, das sagt auch wahnsinnig viel aus, wie wir Menschen mit einem Pferd umgehen, welche Macht das Pferd hat, und das ist trotzdem auf eine friedliche Art und Weise umzusetzen."
In "Gigant" ist vieles anders als in gewöhnlichen Pferderomanen. Es geht zwar auch um die Beziehung zwischen Mensch und Tier, doch die Aufgaben der Polizistin Antonia und ihres Hengstes Gigant lassen sich mit dem üblichen Schmusekurs nicht bewältigen. Wenngleich sich nicht einmal eine Polizeireiterin vor falschen Zuschreibungen schützen kann:
"Es gibt auch wirklich die Aufgabe der Polizeipferde, als Fotomotiv herzuhalten. Wenn Menschen aus anderen Ländern kommen, die finden das wunderschön, einfach einen Polizisten auf einem Pferd zu sehen. Das ist auch wirklich ein beeindruckendes Bild."
... aber natürlich nur eine Anekdote am Rande. In Wahrheit halten Polizeireiterstaffeln randalierende Fußballfans in Schach, kontrollieren weitläufige Parkgelände und beschützen – man höre und staune – ihre Nachfolger in Blech:
"Ich hab bei meinen Recherchen beispielsweise festgestellt bei der Reiterstaffel Niedersachsen, die haben sich zur Aufgabe gemacht, die Messeparkplätze zu kontrollieren, wenn Messen da sind, und konnten diese Einbruchsrate tatsächlich auf Null bringen. Alleine die Präsenz der Pferde, das sich das so rumgesprochen hat, hat dazu geführt, dass es keine Autodiebstähle oder keine Aufbrüche mehr gibt."
"Die meisten Menschen denken, Polizeipferde würden niemals und unter keinen Umständen eine Person attackieren. Doch das ist genauso ein Märchen wie die Geschichte vom Elefanten, der seinen Fuß nicht auf eine Maus setzen würde. Mir fiel eine Anekdote ein, die Klaus mir einmal erzählt hatte. Der Leiter der Reiterstaffel befand sich auf einer Demonstration und stand vor der Aufgabe, eine Sitzblockade zu lösen. Der Typ, der nur wenige Zentimeter vor Herkules' Hufen saß, sah mit einem siegessicheren Grinsen zu ihm auf und meinte, er wisse genau, dass das Pferd keinen Schritt weiter machen würde, da Pferde niemals auf einen Menschen träten, das habe er mal in einem Buch gelesen. Klaus hatte gelacht und gesagt, da gäbe es nur ein Problem: Sein Pferd hätte dieses Buch nämlich nicht gelesen und wisse deswegen auch nichts davon, dass es niemals auf einen Menschen treten würde."
Auflösungen von Demonstrationen kommen in der Heile-Welt-Version des normalen Pferdebuchs nicht vor – doch Astrid Frank geht in ihrem realistischen und detailgetreuen Roman noch darüber hinaus. Ihre Polizeireiter werden auch bei einem Atommülltransport eingesetzt und müssen eine Neonazi-Demonstration beschützen, ob sie es wollen oder nicht, denn die Kundgebung ist ordnungsgemäß genehmigt:
"Man hat oft auch ein Bild von "der Polizei", die man sehr gerne nach rechts sortiert, und nach rechts sortiert man halt auch die Befürwortung von Atomkraft oder eine politisch mehr nach rechts orientierte Gesinnung. Dem ist ja nicht zwangsläufig so! Und das war mir ein wichtiges Anliegen, das herauszustellen. Es gibt unter den Polizisten genauso Menschen, die für oder gegen Atomkraft sind oder rechts wählen oder links wählen oder in der Mitte sind wie unter der anderen Bevölkerungsschicht auch."
Um die weibliche Pferdebuchleserschaft nicht gänzlich zu vergraulen, setzt Astrid Frank auf Paula, die zwölfjährige kleine Schwester der Polizistin Antonia. Gigants Erlebnisse werden aus Paulas Sicht geschildert und enthalten neben vielen reportagehaften Passagen mit hohem Informationswert natürlich auch einen Spannungsplot, der für Emotionen sorgt. Dennoch ist "Gigant" innerhalb des Genres ein mutiges Buch und ein Wagnis an der Ladenkasse, denn Jungs – sonst auf Polizeithemen abonniert – interessieren sich nicht für Pferde. Nicht wirklich.
Das Pony ist die Einstiegsdroge zum Großpferd, weswegen die hippologische Belletristik für Jüngere Tiere mit niedrigem Stockmaß bevorzugt, ob Pony oder Fohlen. Sehen wir uns ein paar aktuelle Titel an. Kurz und kritisch:
Einfach nur "Pferd" heißt ein Fohlen-Bilderbuch des italienischen Illustrators Angelo Rinaldi im Gestenberg-Verlag. Wer wissen will, was eine Geschmacksverirrung in höchster Potenz bedeutet, schlage dieses Buch auf: Fotorealistische Kitschmalerei auf einer Pseudo-Leinwandstruktur, in Farben, gegen die die Barbie-Puppenstube noch dezent dekoriert wirkt. Sofern man nicht wünscht, dass sein Kind in wenigen Jahren einen röhrenden Hirschen über sein Bett pinnt, lautet die Maxime: Finger weg!
Die niederländische Autorin Tamara Bos, deren Bücher bereits verfilmt wurden, reichert ihre inhaltlich konventionelle Geschichte um eine ausgebrochene Stute – "Wo ist Winkys Pferd?", Verlag Urachhaus – mit ungewöhnlichen Zutaten an, etwa die ins Phantastische hinüberspielende Anwesenheit des Nikolaus. Seltsam, aber bekömmlich.
Im vergangenen Sommer starb Hilke Rosenboom, womit die "Ferdi"-Serie der norddeutschen Kinderbuchautorin mit Band drei und vier ein vorzeitiges Ende fand. "Ferdi und das gerettete Fohlen" sowie "Ferdi und Greta halten zusammen", beide erschienen bei Carlsen, zeigen noch einmal, dass man auch witzig über Pferdeleidenschaften schreiben kann, wenngleich Hilke Rosenboom mit dem Kurz-Serial nicht an die überragende Qualität ihres Klassikers "Ein Pferd namens Milchmann" anknüpfen konnte. Wer den nicht kennt – bei Carlsen im Taschenbuch –, sollte unbedingt ihn zuerst lesen.
Henriette Wichs "Der Dieb vom Ponyhof" – Klopp Verlag, Hamburg – enthält drei geradlinig erzählte Kinderkrimis ohne große Überraschungen. Sauber gemachter Mainstream, der wenigstens nicht durch Betulichkeit verärgert. Annehmbar.
Unter den unzähligen Hörbüchern zum Thema, allesamt eher Zeugnisse akustischer und erzählerischer Schlichtheit, erweist sich die CD "Ponyspaß und Reiterglück" von Klaus-Peter Wolf und Bettina Göschl als akzeptabel, trägt sie nicht zuletzt zu einem Erkenntnisgewinn bei:
"Plötzlich bläst ein scharfer Wind vom Meer her. Die Sandkörner fliegen wie spitze Nadeln durch die Luft. Ich muss meine Augen mit der Hand schützen. Jetzt beginnt das Meer zu grollen. Das Wetter schlägt um. Die spiegelglatte Wasseroberfläche beginnt zu brodeln. Wellen türmen sich auf und brechen sich am Strand. In der Ferne zucken Blitze am Himmel."
Etwas, das man in sonstiger Kinderliteratur nur noch selten findet, erhält man mit Pferdebüchern automatisch: einen mühelosen Anknüpfungspunkt an die Natur. Fast in jeder Geschichte geht es nach draußen, und das Erlebnis von Wetterumschwüngen und Übernachtungen im Freien erweitert den Horizont städtisch verzärtelter Leseratten. Auch Ronni, der ausnahmsweise mal männliche Held in "Ronny und Rasputin" von Cornelia Franz, Carlsen Verlag, lernt die Natur ausgiebig kennen. Nicht aus purer Lust, sondern gezwungenermaßen, denn er flieht mit dem Wallach Rasputin aus einem Ferienreitercamp voller schrecklicher Mädchen. Sie lachen ihn aus, weil er dummerweise behauptete, ein exzellenter Reiter zu sein, ohne das beweisen zu können, und weil er der einzige Junge ist. Vor allem in der Beschreibung der Geschlechterkonkurrenz ist "Ronny und Rasputin" ausnehmend komisch und damit eines jener Bücher, mit denen man Jungen unter zehn vielleicht fürs Thema Pferd erwärmen kann. Denn nur dann, wenn sie ihre Vorurteile gegen das Genre insgesamt überwinden, lesen sie auch Astrid Franks Romane ... oder die beiden letzten Bücher der heutigen Sendung "Flieg, Ikarus, flieg!" von Christina Pahlen und "Verhängnisvoller Verdacht" von Margot Berger, beide ein weiterer Beleg für den Vorsprung deutscher Autorinnen vor der angloamerikanischen Konkurrenz.
Obwohl "Verhängnisvoller Verdacht" bei Arena unter dem hoch trivialitätsverdächtigen Serienlabel "Wahre Pferdegeschichten" erscheint, zeichnet der Roman ein differenziertes Bild der Wirklichkeit. In einem Hamburger Reitstall prallen zwei Milieus aufeinander, die sonst wenig miteinander zu tun haben. Charlotte stammt aus dem gehobenen Bürgertum, das sich den Reitsport mühelos leisten kann, während die aus Mecklenburg zugezogene Lilly ihre Reitbeteiligungskosten körperlich abarbeiten muss. Während Charlotte eigentlich den Schimmel Arcos lieber nur streicheln und striegeln und im übrigen ihre Zeit am Schlagzeug verbringen möchte – für sie ist Reiten eine aufgezwungene gesellschaftliche Konvention –, lebt Lilly für das Pferd:
"Sonntag hieß bei Lilly nicht Sonntag, sondern 'der Tag vor der Montags-Reitstunde', und Freitag war nicht Freitag, sondern 'der Tag nach der Donnerstags-Reitstunde'. Jedes Mal, wenn sie am Grüntalhof in den Bus stieg und von Arcos zurück nach Hause fuhr, hatte Lilly das Gefühl, das Treffen mit ihm sei schon eine Ewigkeit her und sie könnte die zwei oder drei Tage bis zur nächsten Reitstunde unmöglich überstehen. Arcos wurde das Maß aller Dinge. Als Lilly mit der 8a den Hamburger Hafen erforschte, fragte sie sich nicht wie der Rest der Klasse: 'Wie viele Kilometer sind es von hier bis New York?' Sondern: 'Wie viele Kilometer sind es bis zum Grüntalhof?' Lud Charlotte sie in die Eisdiele ein, weil Lilly ihr manchmal in Deutsch half, fiel ihr prompt beim Anblick des Metall-Cups Arcos' Trog ein: Frisst er vielleicht gerade? Wartete Lilly morgens auf den Bus, ging ihr durch den Kopf: Steht Arcos draußen auf dem Paddock und guckt in meine Richtung?"
Das entspricht durchaus gängigen Mustern, doch die Autorin Margot Berger geht darüber hinaus. Der russlanddeutsche Junge Vitali aus Lillys Hochhaussiedlung sorgt dafür, dass die Welt jenseits von Stall und Reithalle nicht in Vergessenheit gerät – eine Welt, in der sich Sorgen auf existenzielle Notlagen beziehen, nicht nur auf den Gesundheitszustand edler Rösser. Sorgsam austariert, hält das Buch die Waage zwischen Pferdetraumwelt und grauem Alltag.
"'Nüsternluft', dachte Eleonora. Es war also doch etwas auf der Welt mit der Weichheit von Nüstern vergleichbar. Alexanders Hände waren ähnlich weich. Sie lösten das gleiche Gefühl bei ihr aus wie die Berührung von Ikarus' weichem Maul. Die Vergleiche, die sie früher benutzt hatte, um ihr Glück und den Grund des Lebens zu beschreiben, kamen ihr jetzt lächerlich vor. Kuscheltiere, Föhn-Luft, Staubsauger, Stachelbeeren, Tomatenhaut – jetzt dachte sie an die Haut eines Menschen. Jetzt dachte sie an Lippen und den Atem, den ein echter Körper ausstößt. Und sie zog auch keine Vergleiche mehr. Es war eher umgekehrt. Sie dachte an Alexander und von diesem Gedanken aus gab der Rest des Lebens einen Sinn."
Entgegen aller Erwartungen ist dies auf mehr als tausend gelesenen Seiten der einzige Beleg für die oft gehörte Vermutung, die Pferdeliebe junger Mädchen sei nur ein Vorlauf zur geschlechtlichen Liebe. Ganz anders als in der seriellen Mädchenunterhaltungsliteratur spielen Liebe und Verliebtheit in Pferdebüchern eine eher marginale Rolle. Zwar kommt es in Christina Pahlens Roman "Flieg, Ikarus flieg!" zum Äußersten – man küsst sich! – aber die ideologischen Differenzen zwischen Eleonora und Alexander sind zu groß für eine dauerhafte Verbindung. Er, der Sohn einer berühmten Springreiterin, betrachtet den Hengst Ikarus als Mittel zum Zweck und kann darum Eleonoras Bedenken gegen das Barren nicht teilen. Diese Methode, Springpferde durch Stockschläge gegen die Beine abzuhärten, kommt ihr barbarisch vor, ihm nicht. Eleonora will "anders erfolgreich sein" und schafft dies auch, weil sie sich nicht von der ehrgeizigen Konkurrenz im Trainingslager für junge Springreiter anstecken lässt. Psychologisch stimmige Figuren heben diesen Debütroman von der Massenware ab, so dass unter dem Strich im heutigen Büchermarkt eine erstaunlich eAusbeute von empfehlenswerten Titeln eines gering geschätzten Genres übrig bleibt. Wer als Außenstehender ohne hippologische Vorkenntnisse zu diesen Büchern greift, braucht allerdings manchmal ein Lexikon oder muss - wie in der Heartland-Reihe – hinten im Glossar blättern. Es gibt einen Haufen seltsamer Worte in der Reitersprache, von den Ganaschen bis zur Schweifrübe, von leichtrittigen Pferden bis zur Kardätsche. Auch die versierte Autorin Astrid Frank hadert damit manchmal:
"Es ist sehr schwierig. Also auf der einen Seite steht natürlich der Anspruch, Dinge zu vermitteln. Auf der anderen Seite muss die Geschichte in sich lesbar sein und man darf als Leser auch nicht immer rausgezogen werden, weil jetzt irgendwas erklärt werden muss. Das sind auch Stellen, die auch mit dem Lektorat dann oft noch mal abgesprochen werden: Wo ist es nötig, wo entgleist dadurch die Geschichte? Und dann streicht man auch was. Ich glaube, das Hauptaugenmerk sollte schon auf der Chronologie der Erzählung, auf der Spannung der Geschichte liegen."
Daran mangelt es zum Glück den hier herausgestellten Büchern nicht. Und selbst wer zu viel mittelmäßige Pferdebelletristik für Kinder und Jugendliche liest, wird höchstens irgendwann zu gähnen beginnen, weil ihm spätestens nach dem vierten oder fünften Buch vieles so vertraut vorkommt, dass er es gar nicht mehr einer bestimmten Geschichte zuordnen kann. Zur Sorge mancher Eltern pferdenärrischer Kinder ist die Sogwirkung dieser Literatur zwar beträchtlich, doch können sie sich entspannen, meint Astrid Frank:
"Gerade, was das Lesen angeht, denke ich, alles, was Spaß macht und was man lesen möchte, ist erlaubt. Ein Buch sollte einen begleiten, ein Stück eines Lebens, das kann mal ein Jahr sein, das kann auch manchmal zwanzig Jahre sein, aber es ist auch so was wie ein Freund. Und einfach dieses Gefühl vermittelt zu bekommen, man kann in einer Geschichte leben und mit den Protagonisten leiden ... egal, mit welchem Buch man das erreicht, das ist immer was, was schön ist."
In der Sendung besprochene Bücher und CDs:
Margot Berger: "Verhängnisvoller Verdacht"
Arena Verlag, 168 Seiten, 8,95
Lauren Brooke: "Wandel der Gefühle" (Reihe Heartland – Paradies für Pferde) Übersetzt von Miriam Margraf Ravensburger Verlag, 192 Seiten, 7,95Euro
Astrid Frank: "Gigant"
Thienemann Verlag, 224 Seiten, 12,90Euro
Astrid Frank: "Fliegen wie Pegasus"
Carlsen Verlag, 318 Seiten, 6,95Euro
Cornelia Franz: "Ronni und Rasputin"
Carlsen Verlag, 112 Seiten, 8.95Euro
Christina Pahlen: "Flieg, Ikarus, flieg!"
Arena Verlag, 184 Seiten, 9,95Euro
Angelo Rinaldi / Malachy Doyle: "Pferd"
Übersetzt von Julia Waltke
Gerstenberg Verlag, o.S., 12,90Euro
Hilke Rosenboom: "Ein Pferd namens Milchmann"
Carlsen Verlag, 138 Seiten, 4,95Euro
Hilke Rosenboom: "Ferdi und das gerettete Fohlen" / "Ferdi und Greta halten zusammen" Carlsen Verlag, je 94 Seiten, je 7,95Euro
Klaus-Peter Wolf / Bettina Göschl: "Ponyspaß und Reiterglück"
Jumbo Medien, 1 CD
"Ein Pferd ist ein Tier, vor allen Dingen ein soziales und intelligentes Tier. Es ist aber nicht nur ein Tier, sondern auch oft ein Sportgerät, ein Arbeitsgerät oder auch ein Prestigeobjekt und manchmal auch sogar eine Wertanlage."
"Arcos sah aus wie aus einem Märchenbuch entsprungen. Wie perfekt sein Rücken geformt war. Und diese muskulösen Schultern, die breite Brust. Wenn er vorgebeugt dastand wie jetzt, konnte man seine schön gerundete Kruppe mit dem üppigen Schweif sehen. Über den schimmernden Hals wallte eine dichte weiße Mähne lang herunter. Perfekter konnte ein Pferd nicht aussehen. Dabei hatte sie sein Gesicht noch gar nicht gesehen, denn der Andalusier hatte die Nase ins Stroh gesenkt und fraß."
Es gibt 103 Arten, ein Pferd zu beschreiben, und die einhundertvierte wird gerade irgendwo auf der Welt entdeckt. Nein – es gibt 1755 Arten, das Pferd literarisch zu verarbeiten ... leider werden nur achteinhalb regelmäßig genutzt.
"Der weiche Galopp der Schimmelstute wurde noch fließender, die Bewegungen ihres Körpers noch geschmeidiger. Bald hatte Marie Susanne wieder eingeholt und galoppierte an ihrer Freundin vorbei. Jetzt berührten Montys Hufe kaum noch den Boden des Feldwegs. Die herbstlich bunten Büsche und Bäume flogen nur so an Marie vorbei. Sie streckte ihre Nase in den Wind und ließ sich die Haare zerzausen. Ihr Herz galoppierte vor Freude mit."
Irgendwann, liebe Eltern, ist es so weit, und ihr Kind bleibt in der Buchhandlung vor einem Bücherregal stehen, an dem es verdächtig nach Stall riecht. Eine Empfindungstäuschung, natürlich, man meint, es müsse so riechen, weil das Regal vor lauter Pferdebüchern überquillt. Und das Kind davor ... nun ja, es ist wohl ein Mädchen:
"Also dieses Klischee vom reitenden Mädchen oder auch vom lesenden Mädchen – also die Pferdebuchkonsumentinnen sind ja nun in der Regel Mädchen – steht eigentlich im Widerspruch dazu, dass dieses Pferdedomäne hauptsächlich männlich besetzt ist",
wendet die Autorin Astrid Frank ein und hat natürlich recht. Wie oft im Alltagsleben spaltet sich beim Reiten der Freizeit- vom Profibereich entlang der Geschlechtergrenze: Unter Freizeitreitern findet man wenige Männer und Jungen, dafür sehr viele Frauen und Mädchen; im Profibereich ist das umgekehrt. Mangels Möglichkeiten – welcher Elterngeldbeutel erlaubt schon den Unterhalt eines Gestüts? – verlagert sich das Bedürfnis der pferdevernarrten Mädchen auf die Literatur, die ebenso reichhaltig wie zugleich Eltern, Lehrern, Literaturkritikern ziemlich unbekannt ist. Mal im Ernst: Wer liest schon Pferdebücher, zumal die für junge Leute geschriebenen? Ihre Handlungsmuster sind monoton, so das Vorurteil, die Figuren trivial:
"Sie treffen da einfach einen wunden Punkt, das muss man schon so sagen! Es ist sehr schnell so, dass es nicht wahrgenommen wird, dass man über das normale Pferdebuch hinausgehen kann, und dass das natürlich dann auch eine Leistung ist, die man zumindest unter die Lupe nehmen kann. Was auch immer man nachher daraus sieht. Und das würde ich mir schon wünschen. Ich hab nun leider keine Möglichkeiten, das irgendwie zu ändern, außer das, was ich mache, gut zu machen oder mich darum zu bemühen, und den Rest müssen dann andere entscheiden."
Sie macht es gut, Astrid Frank, die Kölner Jugendbuchautorin mit Neigung zum Pferdebuch. Doch um den Spreu vom Weizen zu trennen, muss man wirklich genau hinschauen, sich durch Pferdebuchreihen aller Kinder- und Jugendbuchverlage hindurchkämpfen, die ....
... schon mal 22 Bände umfassen können oder es wenigstens auf ein knappes Dutzend bringen, Ende offen. Pferdebüchern wohnt die Tendenz zur Fortsetzung inne, wiewohl sie eine überschaubare Welt beschreiben: Reiterinnen in Zickenkonkurrenz, Tierarzt und Reitlehrerinnen.
Immer schlecht gelaunt.
... Gestütbesitzer und Pferdezüchter ....
Meist abgrundtief böse.
Stallburschen und prinzipiell gut aussehende Reitlehrer bevölkern die Romane. Kaum eine Geschichte ohne trächtige Stute oder nächtliche Koliken, ohne Reitwettkämpfe mit heimtückischen Sabotageversuchen. Verblüffend rasch stellt sich bei der Lektüre allerdings heraus, dass die Importe aus Übersee den einheimischen Produkten deutlich unterlegen sind, weswegen wir sie – "Heartland", "Rose Hill" etc. – unter den Tisch fallen lassen. Cum grano salis schreiben deutsche Autorinnen – männliche Verfasser sind die absolute Ausnahme – die besseren, komplexeren, lebensnäheren Pferdebücher, wofür sie allerdings an der Ladentheke büßen müssen:
"Kommerziell gesehen sind meine Pferdebücher sowieso Titel, die nicht die breite Masse ansprechen. Das muss man einfach sagen! Also die sind durchaus sehr erfolgreich, gar keine Frage, sprechen aber halt wirklich Menschen an, die sich auch mehr mit dem Thema auseinandersetzen wollen, die nicht nur die heile Welt suchen. Das reduziert die Leserschaft sowieso schon mal."
Aus Astrid Franks Feder stammt ein absolutes Highlight der zeitgenössischen Pferdebelletristik: "Fliegen wie Pegasus", 2004 bei Thienemann herausgekommen, mittlerweile bei Carlsen als Taschenbuch erhältlich, schildert auf literarisch anspruchsvolle Weise den Wandel eine Springwunders zum Therapiepferd und durchschreitet wie der Klassiker aller Jugendpferdebücher, "Black Beauty" von 1877, alle emotionalen Täler, die sich in einer Pferdebiografie auftun können.
Pegasus nämlich wird wegen seines außerordentlichen Sprungtalents zum Sportgerät deklariert, ja degradiert, das seinen Zweck in dem Moment verliert, da ein schwerer Sturz die internationale Wettkampfkarriere beendet. Zwar ist Pegasus noch immer ein edles Tier, aber eines ohne monetäre Zukunft. Ein Kostgänger, kein Mitverdiener. Wäre das Gerät aus Blech, würde man es verschrotten; ist es aus Fleisch und Blut, geht es zum Abdecker ... wovor es eine mitfühlende Autorin zum Glück bewahrt. Das Reizwort "Gerät" taucht indes wirklich im Text auf, und zwar mit Bedacht gewählt:
"Das ist ja auch von meiner Seite aus in negativem Sinn gemeint. Deswegen auch die Frage, was ist ein Pferd? In erster Linie: ein soziales und intelligentes Tier, das in einem Sozialverband lebt, fühlt, zu gewissen Denkleistungen in der Lage ist und natürlich nicht als Gerät missbraucht werden darf."
Ein "Gerät" im übertragenen Sinne ist auch Gigant, der tierische Held des neuen Romans von Astrid Frank, nämlich ein Polizeipferd, mithin Vertreter einer besonderen Sorte Pferd:
"Ich erinnerte mich an ein uraltes Schwarz-Weiß-Foto, das ich irgendwann einmal in einem alten Bildband gesehen hatte: Ein Reiter mit einem weißen Pferd drängt alleine Tausende und Abertausende Menschen, die sich dicht an dicht auf einem Fußballfeld tummelten, zurück. Jedes Kind auf der Insel, so stand unter dem Bild zu lesen, wüsste den Namen dieses Polizeipferdes, das beim Eröffnungsspiel des Wembley-Stadions einen Spielbeginn überhaupt erst ermöglicht hatte – auch wenn sich niemand mehr an die Namen der Mannschaften, Bolton Wanderers und West Ham United, geschweige denn an das Ergebnis dieser Begegnung, die Bolton Wanderers hatten 2:0 gewonnen, erinnerte. 300.000 Menschen sollen damals das Stadion gestürmt haben. Platz gab es aber nur für 127.000. (...) Sie drangen schließlich sogar in den Innenraum vor und machten einen Anpfiff damit unmöglich: Als die Spieler ihre Umkleiden verließen, konnten sie das Spielfeld nicht einmal betreten, denn es wimmelte dort nur so von Menschen. George Scorey, der Polizist, der Billy ritt, soll später einmal gesagt haben, er hätte es niemals für möglich gehalten, mit dem Pferd das Spielfeld zu räumen. Alles, was er gesehen habe, sei ein Meer aus Menschenköpfen gewesen. Und doch hatte er seinen Schimmel von einer klitzekleinen Lücke aus im Kreis gehen lassen, bis die Menschen anfingen zurückzuweichen und ihm und dem 'White Horse' Platz machten."
"Es ist nicht zu einer Panik gekommen, es wurde niemand ernsthaft verletzt, und das Spielfeld wurde tatsächlich geräumt, die Begegnung konnte stattfinden. Das berührt mich sogar auch im Nachhinein noch. Also ich finde, dieses Bild, das sagt auch wahnsinnig viel aus, wie wir Menschen mit einem Pferd umgehen, welche Macht das Pferd hat, und das ist trotzdem auf eine friedliche Art und Weise umzusetzen."
In "Gigant" ist vieles anders als in gewöhnlichen Pferderomanen. Es geht zwar auch um die Beziehung zwischen Mensch und Tier, doch die Aufgaben der Polizistin Antonia und ihres Hengstes Gigant lassen sich mit dem üblichen Schmusekurs nicht bewältigen. Wenngleich sich nicht einmal eine Polizeireiterin vor falschen Zuschreibungen schützen kann:
"Es gibt auch wirklich die Aufgabe der Polizeipferde, als Fotomotiv herzuhalten. Wenn Menschen aus anderen Ländern kommen, die finden das wunderschön, einfach einen Polizisten auf einem Pferd zu sehen. Das ist auch wirklich ein beeindruckendes Bild."
... aber natürlich nur eine Anekdote am Rande. In Wahrheit halten Polizeireiterstaffeln randalierende Fußballfans in Schach, kontrollieren weitläufige Parkgelände und beschützen – man höre und staune – ihre Nachfolger in Blech:
"Ich hab bei meinen Recherchen beispielsweise festgestellt bei der Reiterstaffel Niedersachsen, die haben sich zur Aufgabe gemacht, die Messeparkplätze zu kontrollieren, wenn Messen da sind, und konnten diese Einbruchsrate tatsächlich auf Null bringen. Alleine die Präsenz der Pferde, das sich das so rumgesprochen hat, hat dazu geführt, dass es keine Autodiebstähle oder keine Aufbrüche mehr gibt."
"Die meisten Menschen denken, Polizeipferde würden niemals und unter keinen Umständen eine Person attackieren. Doch das ist genauso ein Märchen wie die Geschichte vom Elefanten, der seinen Fuß nicht auf eine Maus setzen würde. Mir fiel eine Anekdote ein, die Klaus mir einmal erzählt hatte. Der Leiter der Reiterstaffel befand sich auf einer Demonstration und stand vor der Aufgabe, eine Sitzblockade zu lösen. Der Typ, der nur wenige Zentimeter vor Herkules' Hufen saß, sah mit einem siegessicheren Grinsen zu ihm auf und meinte, er wisse genau, dass das Pferd keinen Schritt weiter machen würde, da Pferde niemals auf einen Menschen träten, das habe er mal in einem Buch gelesen. Klaus hatte gelacht und gesagt, da gäbe es nur ein Problem: Sein Pferd hätte dieses Buch nämlich nicht gelesen und wisse deswegen auch nichts davon, dass es niemals auf einen Menschen treten würde."
Auflösungen von Demonstrationen kommen in der Heile-Welt-Version des normalen Pferdebuchs nicht vor – doch Astrid Frank geht in ihrem realistischen und detailgetreuen Roman noch darüber hinaus. Ihre Polizeireiter werden auch bei einem Atommülltransport eingesetzt und müssen eine Neonazi-Demonstration beschützen, ob sie es wollen oder nicht, denn die Kundgebung ist ordnungsgemäß genehmigt:
"Man hat oft auch ein Bild von "der Polizei", die man sehr gerne nach rechts sortiert, und nach rechts sortiert man halt auch die Befürwortung von Atomkraft oder eine politisch mehr nach rechts orientierte Gesinnung. Dem ist ja nicht zwangsläufig so! Und das war mir ein wichtiges Anliegen, das herauszustellen. Es gibt unter den Polizisten genauso Menschen, die für oder gegen Atomkraft sind oder rechts wählen oder links wählen oder in der Mitte sind wie unter der anderen Bevölkerungsschicht auch."
Um die weibliche Pferdebuchleserschaft nicht gänzlich zu vergraulen, setzt Astrid Frank auf Paula, die zwölfjährige kleine Schwester der Polizistin Antonia. Gigants Erlebnisse werden aus Paulas Sicht geschildert und enthalten neben vielen reportagehaften Passagen mit hohem Informationswert natürlich auch einen Spannungsplot, der für Emotionen sorgt. Dennoch ist "Gigant" innerhalb des Genres ein mutiges Buch und ein Wagnis an der Ladenkasse, denn Jungs – sonst auf Polizeithemen abonniert – interessieren sich nicht für Pferde. Nicht wirklich.
Das Pony ist die Einstiegsdroge zum Großpferd, weswegen die hippologische Belletristik für Jüngere Tiere mit niedrigem Stockmaß bevorzugt, ob Pony oder Fohlen. Sehen wir uns ein paar aktuelle Titel an. Kurz und kritisch:
Einfach nur "Pferd" heißt ein Fohlen-Bilderbuch des italienischen Illustrators Angelo Rinaldi im Gestenberg-Verlag. Wer wissen will, was eine Geschmacksverirrung in höchster Potenz bedeutet, schlage dieses Buch auf: Fotorealistische Kitschmalerei auf einer Pseudo-Leinwandstruktur, in Farben, gegen die die Barbie-Puppenstube noch dezent dekoriert wirkt. Sofern man nicht wünscht, dass sein Kind in wenigen Jahren einen röhrenden Hirschen über sein Bett pinnt, lautet die Maxime: Finger weg!
Die niederländische Autorin Tamara Bos, deren Bücher bereits verfilmt wurden, reichert ihre inhaltlich konventionelle Geschichte um eine ausgebrochene Stute – "Wo ist Winkys Pferd?", Verlag Urachhaus – mit ungewöhnlichen Zutaten an, etwa die ins Phantastische hinüberspielende Anwesenheit des Nikolaus. Seltsam, aber bekömmlich.
Im vergangenen Sommer starb Hilke Rosenboom, womit die "Ferdi"-Serie der norddeutschen Kinderbuchautorin mit Band drei und vier ein vorzeitiges Ende fand. "Ferdi und das gerettete Fohlen" sowie "Ferdi und Greta halten zusammen", beide erschienen bei Carlsen, zeigen noch einmal, dass man auch witzig über Pferdeleidenschaften schreiben kann, wenngleich Hilke Rosenboom mit dem Kurz-Serial nicht an die überragende Qualität ihres Klassikers "Ein Pferd namens Milchmann" anknüpfen konnte. Wer den nicht kennt – bei Carlsen im Taschenbuch –, sollte unbedingt ihn zuerst lesen.
Henriette Wichs "Der Dieb vom Ponyhof" – Klopp Verlag, Hamburg – enthält drei geradlinig erzählte Kinderkrimis ohne große Überraschungen. Sauber gemachter Mainstream, der wenigstens nicht durch Betulichkeit verärgert. Annehmbar.
Unter den unzähligen Hörbüchern zum Thema, allesamt eher Zeugnisse akustischer und erzählerischer Schlichtheit, erweist sich die CD "Ponyspaß und Reiterglück" von Klaus-Peter Wolf und Bettina Göschl als akzeptabel, trägt sie nicht zuletzt zu einem Erkenntnisgewinn bei:
"Plötzlich bläst ein scharfer Wind vom Meer her. Die Sandkörner fliegen wie spitze Nadeln durch die Luft. Ich muss meine Augen mit der Hand schützen. Jetzt beginnt das Meer zu grollen. Das Wetter schlägt um. Die spiegelglatte Wasseroberfläche beginnt zu brodeln. Wellen türmen sich auf und brechen sich am Strand. In der Ferne zucken Blitze am Himmel."
Etwas, das man in sonstiger Kinderliteratur nur noch selten findet, erhält man mit Pferdebüchern automatisch: einen mühelosen Anknüpfungspunkt an die Natur. Fast in jeder Geschichte geht es nach draußen, und das Erlebnis von Wetterumschwüngen und Übernachtungen im Freien erweitert den Horizont städtisch verzärtelter Leseratten. Auch Ronni, der ausnahmsweise mal männliche Held in "Ronny und Rasputin" von Cornelia Franz, Carlsen Verlag, lernt die Natur ausgiebig kennen. Nicht aus purer Lust, sondern gezwungenermaßen, denn er flieht mit dem Wallach Rasputin aus einem Ferienreitercamp voller schrecklicher Mädchen. Sie lachen ihn aus, weil er dummerweise behauptete, ein exzellenter Reiter zu sein, ohne das beweisen zu können, und weil er der einzige Junge ist. Vor allem in der Beschreibung der Geschlechterkonkurrenz ist "Ronny und Rasputin" ausnehmend komisch und damit eines jener Bücher, mit denen man Jungen unter zehn vielleicht fürs Thema Pferd erwärmen kann. Denn nur dann, wenn sie ihre Vorurteile gegen das Genre insgesamt überwinden, lesen sie auch Astrid Franks Romane ... oder die beiden letzten Bücher der heutigen Sendung "Flieg, Ikarus, flieg!" von Christina Pahlen und "Verhängnisvoller Verdacht" von Margot Berger, beide ein weiterer Beleg für den Vorsprung deutscher Autorinnen vor der angloamerikanischen Konkurrenz.
Obwohl "Verhängnisvoller Verdacht" bei Arena unter dem hoch trivialitätsverdächtigen Serienlabel "Wahre Pferdegeschichten" erscheint, zeichnet der Roman ein differenziertes Bild der Wirklichkeit. In einem Hamburger Reitstall prallen zwei Milieus aufeinander, die sonst wenig miteinander zu tun haben. Charlotte stammt aus dem gehobenen Bürgertum, das sich den Reitsport mühelos leisten kann, während die aus Mecklenburg zugezogene Lilly ihre Reitbeteiligungskosten körperlich abarbeiten muss. Während Charlotte eigentlich den Schimmel Arcos lieber nur streicheln und striegeln und im übrigen ihre Zeit am Schlagzeug verbringen möchte – für sie ist Reiten eine aufgezwungene gesellschaftliche Konvention –, lebt Lilly für das Pferd:
"Sonntag hieß bei Lilly nicht Sonntag, sondern 'der Tag vor der Montags-Reitstunde', und Freitag war nicht Freitag, sondern 'der Tag nach der Donnerstags-Reitstunde'. Jedes Mal, wenn sie am Grüntalhof in den Bus stieg und von Arcos zurück nach Hause fuhr, hatte Lilly das Gefühl, das Treffen mit ihm sei schon eine Ewigkeit her und sie könnte die zwei oder drei Tage bis zur nächsten Reitstunde unmöglich überstehen. Arcos wurde das Maß aller Dinge. Als Lilly mit der 8a den Hamburger Hafen erforschte, fragte sie sich nicht wie der Rest der Klasse: 'Wie viele Kilometer sind es von hier bis New York?' Sondern: 'Wie viele Kilometer sind es bis zum Grüntalhof?' Lud Charlotte sie in die Eisdiele ein, weil Lilly ihr manchmal in Deutsch half, fiel ihr prompt beim Anblick des Metall-Cups Arcos' Trog ein: Frisst er vielleicht gerade? Wartete Lilly morgens auf den Bus, ging ihr durch den Kopf: Steht Arcos draußen auf dem Paddock und guckt in meine Richtung?"
Das entspricht durchaus gängigen Mustern, doch die Autorin Margot Berger geht darüber hinaus. Der russlanddeutsche Junge Vitali aus Lillys Hochhaussiedlung sorgt dafür, dass die Welt jenseits von Stall und Reithalle nicht in Vergessenheit gerät – eine Welt, in der sich Sorgen auf existenzielle Notlagen beziehen, nicht nur auf den Gesundheitszustand edler Rösser. Sorgsam austariert, hält das Buch die Waage zwischen Pferdetraumwelt und grauem Alltag.
"'Nüsternluft', dachte Eleonora. Es war also doch etwas auf der Welt mit der Weichheit von Nüstern vergleichbar. Alexanders Hände waren ähnlich weich. Sie lösten das gleiche Gefühl bei ihr aus wie die Berührung von Ikarus' weichem Maul. Die Vergleiche, die sie früher benutzt hatte, um ihr Glück und den Grund des Lebens zu beschreiben, kamen ihr jetzt lächerlich vor. Kuscheltiere, Föhn-Luft, Staubsauger, Stachelbeeren, Tomatenhaut – jetzt dachte sie an die Haut eines Menschen. Jetzt dachte sie an Lippen und den Atem, den ein echter Körper ausstößt. Und sie zog auch keine Vergleiche mehr. Es war eher umgekehrt. Sie dachte an Alexander und von diesem Gedanken aus gab der Rest des Lebens einen Sinn."
Entgegen aller Erwartungen ist dies auf mehr als tausend gelesenen Seiten der einzige Beleg für die oft gehörte Vermutung, die Pferdeliebe junger Mädchen sei nur ein Vorlauf zur geschlechtlichen Liebe. Ganz anders als in der seriellen Mädchenunterhaltungsliteratur spielen Liebe und Verliebtheit in Pferdebüchern eine eher marginale Rolle. Zwar kommt es in Christina Pahlens Roman "Flieg, Ikarus flieg!" zum Äußersten – man küsst sich! – aber die ideologischen Differenzen zwischen Eleonora und Alexander sind zu groß für eine dauerhafte Verbindung. Er, der Sohn einer berühmten Springreiterin, betrachtet den Hengst Ikarus als Mittel zum Zweck und kann darum Eleonoras Bedenken gegen das Barren nicht teilen. Diese Methode, Springpferde durch Stockschläge gegen die Beine abzuhärten, kommt ihr barbarisch vor, ihm nicht. Eleonora will "anders erfolgreich sein" und schafft dies auch, weil sie sich nicht von der ehrgeizigen Konkurrenz im Trainingslager für junge Springreiter anstecken lässt. Psychologisch stimmige Figuren heben diesen Debütroman von der Massenware ab, so dass unter dem Strich im heutigen Büchermarkt eine erstaunlich eAusbeute von empfehlenswerten Titeln eines gering geschätzten Genres übrig bleibt. Wer als Außenstehender ohne hippologische Vorkenntnisse zu diesen Büchern greift, braucht allerdings manchmal ein Lexikon oder muss - wie in der Heartland-Reihe – hinten im Glossar blättern. Es gibt einen Haufen seltsamer Worte in der Reitersprache, von den Ganaschen bis zur Schweifrübe, von leichtrittigen Pferden bis zur Kardätsche. Auch die versierte Autorin Astrid Frank hadert damit manchmal:
"Es ist sehr schwierig. Also auf der einen Seite steht natürlich der Anspruch, Dinge zu vermitteln. Auf der anderen Seite muss die Geschichte in sich lesbar sein und man darf als Leser auch nicht immer rausgezogen werden, weil jetzt irgendwas erklärt werden muss. Das sind auch Stellen, die auch mit dem Lektorat dann oft noch mal abgesprochen werden: Wo ist es nötig, wo entgleist dadurch die Geschichte? Und dann streicht man auch was. Ich glaube, das Hauptaugenmerk sollte schon auf der Chronologie der Erzählung, auf der Spannung der Geschichte liegen."
Daran mangelt es zum Glück den hier herausgestellten Büchern nicht. Und selbst wer zu viel mittelmäßige Pferdebelletristik für Kinder und Jugendliche liest, wird höchstens irgendwann zu gähnen beginnen, weil ihm spätestens nach dem vierten oder fünften Buch vieles so vertraut vorkommt, dass er es gar nicht mehr einer bestimmten Geschichte zuordnen kann. Zur Sorge mancher Eltern pferdenärrischer Kinder ist die Sogwirkung dieser Literatur zwar beträchtlich, doch können sie sich entspannen, meint Astrid Frank:
"Gerade, was das Lesen angeht, denke ich, alles, was Spaß macht und was man lesen möchte, ist erlaubt. Ein Buch sollte einen begleiten, ein Stück eines Lebens, das kann mal ein Jahr sein, das kann auch manchmal zwanzig Jahre sein, aber es ist auch so was wie ein Freund. Und einfach dieses Gefühl vermittelt zu bekommen, man kann in einer Geschichte leben und mit den Protagonisten leiden ... egal, mit welchem Buch man das erreicht, das ist immer was, was schön ist."
In der Sendung besprochene Bücher und CDs:
Margot Berger: "Verhängnisvoller Verdacht"
Arena Verlag, 168 Seiten, 8,95
Lauren Brooke: "Wandel der Gefühle" (Reihe Heartland – Paradies für Pferde) Übersetzt von Miriam Margraf Ravensburger Verlag, 192 Seiten, 7,95Euro
Astrid Frank: "Gigant"
Thienemann Verlag, 224 Seiten, 12,90Euro
Astrid Frank: "Fliegen wie Pegasus"
Carlsen Verlag, 318 Seiten, 6,95Euro
Cornelia Franz: "Ronni und Rasputin"
Carlsen Verlag, 112 Seiten, 8.95Euro
Christina Pahlen: "Flieg, Ikarus, flieg!"
Arena Verlag, 184 Seiten, 9,95Euro
Angelo Rinaldi / Malachy Doyle: "Pferd"
Übersetzt von Julia Waltke
Gerstenberg Verlag, o.S., 12,90Euro
Hilke Rosenboom: "Ein Pferd namens Milchmann"
Carlsen Verlag, 138 Seiten, 4,95Euro
Hilke Rosenboom: "Ferdi und das gerettete Fohlen" / "Ferdi und Greta halten zusammen" Carlsen Verlag, je 94 Seiten, je 7,95Euro
Klaus-Peter Wolf / Bettina Göschl: "Ponyspaß und Reiterglück"
Jumbo Medien, 1 CD