Nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD steht auch die FDP generell unter Kritik. Deren Bundesvorsitzenden Christian Lindner wird vorgeworfen, hier zu spät richtig reagiert zu haben - er hatte zunächst die Wahl begrüßt. Er möchte deshalb heute im Parteivorstand die Vertrauensfrage stellen. Kurz vor der hamburgischen Bürgerschaftswahl stellt das die FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein vor große Herausforderungen.
Sie betonte im Deutschlandfunk, dass sie umgehend bereits die Annahme der Wahl durch Thomas Kemmerich kritisiert hätte. Sie sei aber kein Freund von Illoyalitäten und unterstütze weiterhin Christian Lindner als FDP-Parteichef.
Anna von Treuenfels-Frowein ist seit 2011 für die FDP Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft. Sie ist außerdem seit 20171 Ko-Fraktionsvorsitzende der Bürgerschaftsfraktion und Spitzenkandidatin ihrer Partei für die bevorstehende Wahl.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Dirk Müller: Wie töricht ist Christian Lindner?
Anna von Treuenfels-Frowein: Töricht ist, glaube ich, da das falsche Wort. Ich habe ja sehr deutlich gemacht aus Hamburg, dass ich mir von unserer Parteiführung eine sehr viel schnellere und klarere Abgrenzung erhofft hätte und auch erwartet habe. Wir haben uns in Hamburg sofort abgegrenzt, und zwar nicht nur des Wahlkampfs wegen, sondern wirklich aus tiefster Überzeugung. Ich fand sofort, dass Herr Kemmerich diese Wahl wirklich niemals hätte annehmen dürfen. Das habe ich auch geschrieben.
Müller: Wenn töricht das falsche Wort ist, helfen Sie uns weiter. Unglücklich agiert, oder was sagt man in der Politik, um nicht zu stark aufzufallen?
von Treuenfels-Frowein: Na ja. Für uns ist das auch eine Bombe, die da eingeschlagen hat, wissen Sie, und dann ist es natürlich so, dass wir uns jetzt hier gegenseitig nicht zu Gericht sitzen. Ich kann nur wiederholen: Ich fand das sehr schwierig, dass die Parteiführung da nicht sofort so reagiert hat und gesagt hat, hier muss ein sofortiger Rücktritt her, sondern, fand ich, etwas lange damit gewartet hat. Jetzt ist es ja nun aber passiert. Herr Lindner war ja gestern in Erfurt und hat die Sachlage, finde ich, auch gut geklärt und das ist eine Kehrtwende. Wir treffen uns ja heute im Bundesvorstand und dann werden wir vieles miteinander zu klären haben.
"Ich bin kein Freund von Illoyalitäten"
Müller: Ist das noch Ihr Parteichef?
von Treuenfels-Frowein: Ja! Natürlich! Ich bin kein Freund von Illoyalitäten. Wir werden heute im Bundesvorstand sehr klar alle miteinander reden und diese Dinge besprechen.
Müller: Aber er stellt ja die Vertrauensfrage. Das hat ja jetzt nichts mit Loyalität zu tun. Da könnten Sie sagen, nee, bei mir geht das jetzt nicht mehr mit ihm.
von Treuenfels-Frowein: Na ja. Ich bin Juristin und beurteile Sachverhalte immer gerne erst, wenn ich alle Dinge wirklich auch ganz genau weiß, und genau deswegen fahre ich ja heute nach Berlin. Dass Herr Lindner die Vertrauensfrage stellt, ist ja eine persönliche Entscheidung von ihm, und darüber werden wir heute zu sprechen haben.
Müller: Was wollen Sie denn wissen von ihm?
von Treuenfels-Frowein: Erst mal müssen wir uns alle wieder zusammenfinden. Sie können sich ja vorstellen, dass jeder Landesverband, dass es bei jedem richtig eingeschlagen hat. Und die Reaktionen auch der anderen Parteien sind ja so gewesen, als ob wir jetzt hier plötzlich auch in Hamburg die Aussätzigen wären.
Das fand ich, ehrlich gesagt, auch ziemlich schwierig. Dass wir hier in Hamburg eine ganz klare Haltung haben, das auch sofort kommuniziert haben, hat ja unsere Mitbewerber in keinster Weise davon abgehalten, da gleich aus wahlkampftaktischen Gründen uns erst mal in eine Faschistenecke zu stellen. Das, muss ich sagen, fand ich auch einen Dammbruch der Demokratie. Das fand ich jetzt auch nicht besonders gut. So ist es uns allen, glaube ich, auf unterschiedliche Weise in unseren Landesverbänden gegangen. Jetzt finden wir uns erst mal wieder zusammen und schauen, dass wir die Sache gemeinsam lösen, und das ist ja unser Ziel.
Müller: Sie kommen ja dann zusammen heute in Berlin. Er stellt die Vertrauensfrage, haben wir schon besprochen. Trotzdem noch mal an Sie, Frau von Treuenfels, die Frage. Was wollen Sie konkret von ihm wissen?
von Treuenfels-Frowein: Ich glaube, wir müssen mal miteinander klären, wie es dazu kam, dass nicht sofort eine sehr klare Haltung aus Berlin kam.
Müller: Das wissen Sie noch nicht?
von Treuenfels-Frowein: Wir müssen uns erst mal miteinander besprechen. Wir müssen ja erst mal hier alle untereinander klären, wer zu welchem Ergebnis gekommen ist. Und vor allen Dingen auch: Es gab ja auch unterschiedliche Meinungen, die nach draußen kommuniziert wurden. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass wir uns jetzt erst mal untereinander besprechen. Ich habe mir jetzt keinen Fragenkatalog für Herrn Lindner aufgeschrieben und ich bin auch weit davon entfernt, jetzt eine Art von Inquisition stattfinden zu lassen. Das, finde ich, steht uns nicht zu.
Wir müssen jetzt einfach wie wirklich Demokraten und vor allem Menschen miteinander unter Respekt klären, wie ist es dazu gekommen. Und uns auch mal ein bisschen klarmachen, was da eigentlich in Thüringen passiert ist. Das ist ja nicht nur ein Fall von Thüringen, oder dass uns hier in Hamburg jetzt die Wahl vermasselt sein könnte, was ich übrigens nicht unbedingt glaube, dass das der Fall ist, sondern das geht ja eigentlich, finde ich, ganz Deutschland an. Das ist ein sehr grundsätzliches Problem und darüber werden wir zu reden haben.
Müller: Dann schauen wir noch mal auf den Mittwoch, auf die möglichen Fragen, die Sie stellen oder auch die andere stellen wollen. Das heißt, bei Ihnen – ich unterstelle das jetzt mal – ist noch nicht ganz geklärt, inwieweit Christian Lindner im Vorfeld bei der vermeintlichen Absprache, bei dem vermeintlichen Kontakt mit Thomas Kemmerich gesagt hat, go for it, mach das?
von Treuenfels-Frowein: Das glaube ich wirklich ganz ehrlich nicht. Wir betreten jetzt hier wieder ein Feld, wo ich nur sagen kann – wie gesagt, ich bin ganz sturer Jurist -, lassen Sie uns das erst mal klären miteinander.
Müller: Aber er hat es doch begrüßt. Herr Lindner hat doch am Mittwoch gesagt, das ist die Wahl des bürgerlichen Kandidaten gewesen, gut so.
von Treuenfels-Frowein: Ich glaube, das war auch mehr eine symbolische Kandidatur - ich wage mich jetzt mal auf das Feld der Hypothesen, weil ich selber nicht dabei gewesen bin -, um zu zeigen, wir aus der Mitte setzen ein Zeichen. Und in dem Moment …
von Treuenfels-Frowein: Thomas Kemmerich hätte die Wahl nicht annehmen dürfen
Müller: Das ist ja auch gelungen!
von Treuenfels-Frowein: Ja, auf die eine oder andere Weise. – In dem Moment, wo man gesehen hat, dass die AfD einen da zum Königsmacher macht, hätte man – und das ist unabdingbar – sofort sagen müssen, jetzt auf Wiedersehen. Das ist, finde ich, der größte Fehler, der da passiert ist.
Müller: Thomas Kemmerich hätte nach Ihrer Ansicht sagen müssen, ich nehme die Wahl nicht an?
von Treuenfels-Frowein: Ja, ganz genau!
Müller: Und Christian Lindner hat das aber nicht so gesehen?
von Treuenfels-Frowein: Aber dazu müssen Sie dann Christian Lindner befragen. Ich werde jetzt ja hier nicht im Radio mit Ihnen über Christian Lindner Gericht sitzen. Das werde ich einfach nicht tun, sondern wir werden das heute wirklich intern alle miteinander klären. Ich finde schon, dass man Christian Lindner zugestehen muss, dass er sich erst mal mit seiner Partei intern unterhält, bevor wir jetzt hier alle über den Äther bringen, wie wir da stehen.
Ich habe sehr deutlich gemacht, wie ich das von Hamburg aus sehe, auch hier, um zu zeigen, dass wir in Hamburg hier eine klare Haltung haben. Und habe auch nicht damit gespart zu sagen, dass ich mir das in Berlin wirklich anders gewünscht hätte. Und darüber haben wir auch gesprochen. Ich finde, der nächste Schritt muss doch erst mal der sein, dass wir uns miteinander wirklich unterhalten und schauen. Da bin ich auch nicht alleine, sondern eine ganz große Runde. Andere Landesverbände haben das ja ähnlich gesehen wie ich. Dann müssen wir schauen, wie das jetzt weitergeht.
Müller: Ich weiß jetzt nicht, ob das das richtige Wort ist. Ich möchte Sie trotzdem danach fragen. Thomas Kemmerich wird gewählt, mit den Stimmen der AfD. Das war offensichtlich. Vielleicht war das vorher gar nicht ganz klar, das wissen wir ja auch nicht, war das abgesprochen oder nicht. Er wird gewählt mit den Stimmen der AfD. Als er sagt, er nimmt die Wahl an, ist ihm das klar. Christian Lindner, der dann Stellung bezieht, sagt auch, die Wahl begrüßen wir wie auch immer, mit den Einschränkungen. Ihm war das auch klar, dass die AfD entscheidend dafür war, dass diese Wahl geklappt hat. Kann sich der FDP-Vorsitzende, der Freiheitlichen Demokratischen Partei, der Liberalen, einen größeren Fauxpas leisten?
"Wir haben hier aus Hamburg eine sehr klare Haltung gehabt"
von Treuenfels-Frowein: Ich fand das falsch! Ich wiederhole es gerne noch mal. Ich fand das falsch! Ich fand das nicht richtig, wie er da reagiert hat. Und das habe ich auch schon gesagt und dazu stehe ich auch.
Müller: Trotzdem noch mal die Frage. Er soll aber trotzdem Parteichef bleiben, damit Sie in Hamburg jetzt nicht völlig Schiffbruch erleiden?
von Treuenfels-Frowein: Da schätzen Sie mich ja völlig falsch ein. Ich mache meine Entscheidungen nicht nur davon abhängig und würde jetzt auch nicht irgendwie jemanden köpfen oder nicht köpfen, um Hamburg zu retten. Um noch mal ganz kurz auf Hamburg zu kommen: Ich habe hier auch wirklich sehr, sehr viele Menschen erlebt, die mir gesagt haben, das ist sehr, sehr gut, dass ihr mit so einer klaren Haltung herankommt. Krisen kann man sich nicht aussuchen.
Müller: Klare Haltung?
von Treuenfels-Frowein: Ja, wir haben hier aus Hamburg eine sehr klare Haltung gehabt, sehr klar. Es geht ja hier jetzt auch für uns um Hamburg. Da haben wir schon, finde ich, ehrlich gesagt, ein bisschen zu meinem Erstaunen, sehr, sehr viele Rückmeldungen schon bekommen, dass die Leute das gut finden und auch goutieren. Ich glaube, man kann sich ja Krisen nicht aussuchen. Es geht ja immer ein bisschen darum, wie man dann auch wirklich damit umgeht. Um das ein bisschen größer zu machen: Wenn wir jetzt in Berlin sind, werden wir das genau miteinander tun. Das werden wir heute Mittag machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.