Burkhard Müller-Ullrich: Wir kommen jetzt von einer Kunstfälschung zu einer Geschichtsfälschung, oder – höflicher gesagt – zu einer fragwürdigen Selbstdarstellung eines Mannes, dessen 100. Geburtstag übermorgen Anlass gibt, ein bisschen am Glanzlack zu kratzen. Carl Friedrich von Weizsäcker, Physiker und Philosoph, war für die deutsche Friedensbewegung und für die deutschen Umweltschützer eine Art Heiliger, ein deutscher Erwin Chargaff, ein Warner und Mahner, der einem ethikdurstigen Wissenschaftsbetrieb jederzeit goldene Worte zuraunte.
Seine moralische Reputation beruhte nicht zuletzt auf der Erzählung, er habe gewissermaßen verhindert, dass die Atombombe für Hitler fertig wurde. Darüber habe ich vor der Sendung mit dem Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer, der gerade in der literarischen Welt einen Artikel mit der Überschrift "Der Philosoph, der die Bombe liebte" veröffentlicht hat, gesprochen, und ich bat ihn zu schildern, wie es denn eigentlich gewesen ist.
Ernst Peter Fischer: Er hat Patente auf Plutoniumbomben eingereicht und ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gemacht hat, um zu beweisen, dass er nicht eine Bombe bauen kann. Also die Rolle, die Carl Friedrich von Weizsäcker in den späten 30er-, frühen 40er-Jahren spielt, als die Kernspaltung entdeckt worden ist und man die Verwandlung dieser physikalischen Entdeckung in eine technische Großexplosion bearbeitete, ist sehr dubios und ist noch nicht genau erforscht.
Er selbst hat uns nach dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen die Geschichte vom Pferd erzählt, dass er damit beschäftigt gewesen sei, Wärme erzeugende Maschinen oder so etwas herzustellen, und hat sich als radikaler Pazifist dargeboten, aber sein Denken war offenbar ganz anders. Und selbst wenn er es gewandelt hat und sich bekehrt hat – wir haben nie erfahren, dass er vorher so ganz anders gedacht hat und dass er überhaupt keinen Einwand gehabt hätte gegen den Einsatz der Atombombe.
Also er hat seinem Lehrer Heisenberg gegenüber gesagt, ihn störte es nicht, wenn man durch zerstörte Städte wandern würde, dann käme man zu der Einsicht, dass man sich ändern müsse. Also das sind ganz merkwürdige Dinge, die auch einen merkwürdigen Menschen zeigen, dessen wahrscheinlich tiefes Denken wir lange noch nicht verstanden haben. Klar ist nur, dass die Bewunderung, die wir ihm in der Nachkriegszeit als dem großen Pazifisten und Friedensforscher entgegengebracht haben, dass die nicht trägt und dass die eigentlich zurückgenommen werden sollte, und ich verstehe nicht, dass man immer noch an dieser großen Figur als leuchtendes Vorbild festhält.
Müller-Ullrich: Gehen wir mal einen Schritt zurück. Es war ja in Berlin, dass mehrere Leute an diesem Bereich forschten, Weizsäcker war dort Assistent. Wer waren die großen Namen und wie weit war man wirklich?
Fischer: Der eigentlich große Name ist eine Frau, Lise Meitner. Die musste aber 1938 Deutschland verlassen, weil sie österreichische Jüdin war, und dann hat die experimentelle Leitung Otto Hahn übernommen. Und dabei ist dann entdeckt worden, dass durch geeigneten Beschuss von Uran mit Neutronen eine Kernspaltung, wie man das später nannte, entsteht und dabei Energie freigesetzt wird. Das hat dann Lise Meitner im Winter 1939 verstanden, hat darüber auch publiziert, und seitdem war klar, dass da eine, wenn man so will, Kernkraft freigesetzt werden kann, oder mit anderen Worten Atombomben gebaut werden können.
Und Carl Friedrich von Weizsäcker, unmittelbar in der Nachbarschaft oder in den Laboratorien, in denen das entdeckt wurde, ohne dass man das zunächst verstanden hat, er scheint es aber sofort verstanden zu haben, er war Experte für Atomkerne, und nach seinen eigenen Aussagen ist er gleich zu einem Philosophen Georg Picht gelaufen, um mit ihm zu diskutieren, was jetzt passiert, und er hat gesagt, dass wenn Atomkraft freigesetzt werden kann, wenn Atombomben möglich werden, dann kann die Menschheit nur überleben, wenn sie die Institution des Krieges abschafft oder überwindet.
Und diese Idee, die Institution des Krieges abzuschaffen, die hat er so über Jahrzehnte bis kurz vorm Ende seiner Tage durchgehalten, was ich auch komisch finde, denn wer soll das tun, die Institution des Krieges abschaffen, wie macht man das. Es ist ja offenbar so, dass alles Mögliche gelingt, nur nicht die Institution des Krieges abzuschaffen. Selbst wenn der Papst betet oder Carl Friedrich von Weizsäcker nachdenkt, die Menschen kämpfen weiter. Also da ist ein grundlegender Irrtum in seiner Denkhaltung, und dass er den 50 Jahre lang nicht korrigiert hat, ist komisch.
Müller-Ullrich: Welche Akten haben Sie denn herangezogen? Er hat sich ja gegenüber Kollegen sicherlich geäußert über nicht nur das Machbare, sondern eben auch das Wünschbare.
Fischer: Es gibt Aktenfunde, über die vor Jahren schon der "Spiegel" berichtet hat, wo er tatsächlich Patente angemeldet hat für den Bau von Plutoniumbomben. Er hat auch Berichte geschrieben an die Gestapo, um den Stand des amerikanischen Atombombenprogramms vorzustellen, und alle möglichen Dinge. Er war ununterbrochen an diesen Sachen beteiligt.
Und ich glaube, wir müssen noch berücksichtigen, es gibt ja dieses inzwischen als Theaterstück dargestellte Treffen zwischen Niels Bohr und Werner Heisenberg in Kopenhagen, wo offenbar ein Versuch unternommen worden ist von Heisenberg, sich mit Bohr darauf zu verständigen, dass weder er, also Bohr, also die Alliierten, noch Heisenberg, also die Deutschen, eine Atombombe bauen.
Müller-Ullrich: …, so eine Art Wissenschaftssabotage zu leisten.
Fischer: Aber meiner Ansicht nach ist der Grund, warum das so schief gegangen ist, nicht in der Figur von Carl Friedrich von Weizsäcker, denn Bohr konnte sich ja alles Mögliche vorstellen, nur nicht, dass von Weizsäcker auf eine Friedensmission angelegt war. Der musste annehmen, dass Heisenberg ihm sagen sollte, ach, macht ihr mal nichts, wir machen dann auch nichts, und tatsächlich hätten die Deutschen dann weitergemacht.
Ich glaube, dass dahinter der dringende dramatische Versuch von Carl Friedrich von Weizsäcker steht, mit der Bombe die Macht in die Hand zu bekommen, die er gerne hätte, um irgendwie Politik zu machen. Ich glaube, was man sogar mal dem Philosophen Heidegger unterstellt hat, dass er den Führer führen wollte, das kann man Carl Friedrich von Weizsäcker auch unterstellen: Er wollte auch den Führer führen, mit der Bombe eben, oder mit dem Versprechen einer Bombe.
Müller-Ullrich: Dank an den Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer für diese Informationen. Seine Biografie über Niels Bohr erscheint dieser Tage als Buch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Seine moralische Reputation beruhte nicht zuletzt auf der Erzählung, er habe gewissermaßen verhindert, dass die Atombombe für Hitler fertig wurde. Darüber habe ich vor der Sendung mit dem Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer, der gerade in der literarischen Welt einen Artikel mit der Überschrift "Der Philosoph, der die Bombe liebte" veröffentlicht hat, gesprochen, und ich bat ihn zu schildern, wie es denn eigentlich gewesen ist.
Ernst Peter Fischer: Er hat Patente auf Plutoniumbomben eingereicht und ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gemacht hat, um zu beweisen, dass er nicht eine Bombe bauen kann. Also die Rolle, die Carl Friedrich von Weizsäcker in den späten 30er-, frühen 40er-Jahren spielt, als die Kernspaltung entdeckt worden ist und man die Verwandlung dieser physikalischen Entdeckung in eine technische Großexplosion bearbeitete, ist sehr dubios und ist noch nicht genau erforscht.
Er selbst hat uns nach dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen die Geschichte vom Pferd erzählt, dass er damit beschäftigt gewesen sei, Wärme erzeugende Maschinen oder so etwas herzustellen, und hat sich als radikaler Pazifist dargeboten, aber sein Denken war offenbar ganz anders. Und selbst wenn er es gewandelt hat und sich bekehrt hat – wir haben nie erfahren, dass er vorher so ganz anders gedacht hat und dass er überhaupt keinen Einwand gehabt hätte gegen den Einsatz der Atombombe.
Also er hat seinem Lehrer Heisenberg gegenüber gesagt, ihn störte es nicht, wenn man durch zerstörte Städte wandern würde, dann käme man zu der Einsicht, dass man sich ändern müsse. Also das sind ganz merkwürdige Dinge, die auch einen merkwürdigen Menschen zeigen, dessen wahrscheinlich tiefes Denken wir lange noch nicht verstanden haben. Klar ist nur, dass die Bewunderung, die wir ihm in der Nachkriegszeit als dem großen Pazifisten und Friedensforscher entgegengebracht haben, dass die nicht trägt und dass die eigentlich zurückgenommen werden sollte, und ich verstehe nicht, dass man immer noch an dieser großen Figur als leuchtendes Vorbild festhält.
Müller-Ullrich: Gehen wir mal einen Schritt zurück. Es war ja in Berlin, dass mehrere Leute an diesem Bereich forschten, Weizsäcker war dort Assistent. Wer waren die großen Namen und wie weit war man wirklich?
Fischer: Der eigentlich große Name ist eine Frau, Lise Meitner. Die musste aber 1938 Deutschland verlassen, weil sie österreichische Jüdin war, und dann hat die experimentelle Leitung Otto Hahn übernommen. Und dabei ist dann entdeckt worden, dass durch geeigneten Beschuss von Uran mit Neutronen eine Kernspaltung, wie man das später nannte, entsteht und dabei Energie freigesetzt wird. Das hat dann Lise Meitner im Winter 1939 verstanden, hat darüber auch publiziert, und seitdem war klar, dass da eine, wenn man so will, Kernkraft freigesetzt werden kann, oder mit anderen Worten Atombomben gebaut werden können.
Und Carl Friedrich von Weizsäcker, unmittelbar in der Nachbarschaft oder in den Laboratorien, in denen das entdeckt wurde, ohne dass man das zunächst verstanden hat, er scheint es aber sofort verstanden zu haben, er war Experte für Atomkerne, und nach seinen eigenen Aussagen ist er gleich zu einem Philosophen Georg Picht gelaufen, um mit ihm zu diskutieren, was jetzt passiert, und er hat gesagt, dass wenn Atomkraft freigesetzt werden kann, wenn Atombomben möglich werden, dann kann die Menschheit nur überleben, wenn sie die Institution des Krieges abschafft oder überwindet.
Und diese Idee, die Institution des Krieges abzuschaffen, die hat er so über Jahrzehnte bis kurz vorm Ende seiner Tage durchgehalten, was ich auch komisch finde, denn wer soll das tun, die Institution des Krieges abschaffen, wie macht man das. Es ist ja offenbar so, dass alles Mögliche gelingt, nur nicht die Institution des Krieges abzuschaffen. Selbst wenn der Papst betet oder Carl Friedrich von Weizsäcker nachdenkt, die Menschen kämpfen weiter. Also da ist ein grundlegender Irrtum in seiner Denkhaltung, und dass er den 50 Jahre lang nicht korrigiert hat, ist komisch.
Müller-Ullrich: Welche Akten haben Sie denn herangezogen? Er hat sich ja gegenüber Kollegen sicherlich geäußert über nicht nur das Machbare, sondern eben auch das Wünschbare.
Fischer: Es gibt Aktenfunde, über die vor Jahren schon der "Spiegel" berichtet hat, wo er tatsächlich Patente angemeldet hat für den Bau von Plutoniumbomben. Er hat auch Berichte geschrieben an die Gestapo, um den Stand des amerikanischen Atombombenprogramms vorzustellen, und alle möglichen Dinge. Er war ununterbrochen an diesen Sachen beteiligt.
Und ich glaube, wir müssen noch berücksichtigen, es gibt ja dieses inzwischen als Theaterstück dargestellte Treffen zwischen Niels Bohr und Werner Heisenberg in Kopenhagen, wo offenbar ein Versuch unternommen worden ist von Heisenberg, sich mit Bohr darauf zu verständigen, dass weder er, also Bohr, also die Alliierten, noch Heisenberg, also die Deutschen, eine Atombombe bauen.
Müller-Ullrich: …, so eine Art Wissenschaftssabotage zu leisten.
Fischer: Aber meiner Ansicht nach ist der Grund, warum das so schief gegangen ist, nicht in der Figur von Carl Friedrich von Weizsäcker, denn Bohr konnte sich ja alles Mögliche vorstellen, nur nicht, dass von Weizsäcker auf eine Friedensmission angelegt war. Der musste annehmen, dass Heisenberg ihm sagen sollte, ach, macht ihr mal nichts, wir machen dann auch nichts, und tatsächlich hätten die Deutschen dann weitergemacht.
Ich glaube, dass dahinter der dringende dramatische Versuch von Carl Friedrich von Weizsäcker steht, mit der Bombe die Macht in die Hand zu bekommen, die er gerne hätte, um irgendwie Politik zu machen. Ich glaube, was man sogar mal dem Philosophen Heidegger unterstellt hat, dass er den Führer führen wollte, das kann man Carl Friedrich von Weizsäcker auch unterstellen: Er wollte auch den Führer führen, mit der Bombe eben, oder mit dem Versprechen einer Bombe.
Müller-Ullrich: Dank an den Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer für diese Informationen. Seine Biografie über Niels Bohr erscheint dieser Tage als Buch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.