Patrizia: "Was steht da? R.e.g.e.n. Regen."
Lehrer: "Regen, genau. Da steht Regen. Was ist das?"
Patrizia: "D.a.s. Das ist ein ... "
Die siebenjährige Patrizia hat sich weit über den Schreibtisch von Christoph Schulenkorf gelehnt und geht mit ihm ihre Hausaufgaben durch. Sie ist eines von 22 Kindern im Alter von sechs bis 13 Jahren, die in der Kölner Schule "Amaro Kher" Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Amaro Kher heißt auf Romanes "Unser Haus". Die Schüler sind junge Roma aus Kölner Flüchtlingswohnheimen. Sie lernen hier so lange, bis sie dem Unterricht in einer deutschen Regelschule problemlos folgen können. In der Regel dauert das etwa zwei Jahre - offiziell sind die Kinder bereits jetzt an einer Kölner Partnerschule angemeldet. Diese Chance zur Integration wird Roma-Kindern in anderen europäischen Städten oft noch verwehrt.
Integration ist auch eines der Themen bei der EU-Konferenz zu Roma-Hilfsprogrammen, die morgen in Bukarest beginnt. Dort soll diskutiert werden, wie bestehende EU-Programme für Roma besser umgesetzt werden können.
In Köln vermittelt das Jugendamt Roma-Kinder, die in deutschen Regelschulen Probleme bereiten, auf die spezielle Schule für Roma: Zu aggressiv, verwahrlost, zu langsam beim Lernen - das jahrelange Leben auf beengtem Raum im Flüchtlingsheim hinterlässt Spuren. Still sitzen, Regeln einhalten, zuhören - für Patrizia und ihre Mitschüler ist das schon schwer genug. Natürlich gibt es auch die gebildeten Roma, die integriert sind, deren Kinder normale Schulen besuchen. Aber Amaro Kher kümmert sich eben um die anderen, sagt Lehrer Christoph Schulenkorf:
"Über Generationen sind so familiäre Strukturen, die die Roma-Familien eigentlich immer hatten, schon kaputt gegangen. Mit diesen kaputten Strukturen sind sie dann aus dieser Kriegssituation geflüchtet, sind zu uns gekommen und leben hier wieder in einer Struktur, die überhaupt keine Perspektive gibt. Das heißt: Genau die gleichen Probleme, die sie Zuhause auch hatten, 'Zuhause in Jugoslawien' - das war ja für sie auch nicht unbedingt das Zuhause - das erleben sie hier jetzt wieder."
Ursprünglich aus Indien stammend, haben sich die Roma ab dem 14. Jahrhundert nach Westen aufgemacht - oft aufgrund brutaler Vertreibung. Weltweit sollen insgesamt zwölf Millionen Angehörige dieser Ethnie leben, die meisten von ihnen in Europa. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben in Deutschland etwa 50.000 Roma-Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien - mehr als 30.000 von ihnen nur geduldet, gut die Hälfte davon unter 18 Jahren.
Die Schule Amaro Kher liegt am Rande der Kölner Innenstadt. Hier werden 45 Kinder zwischen zwei und 13 Jahren betreut. Es gibt eine Kindertagesstätte, eine Primar- und eine Sekundarstufe. Dazu Nachmittagsbetreuung mit Sport, Musik und Hausaufgabenhilfe. Eingebettet ist die Schule in das örtliche Kulturzentrum Rom e.V., das auch eine Beratungsstelle unterhält. 90 Prozent der Roma-Eltern haben selbst nie eine Schule besucht, sind Analphabeten. Wenn man sie nicht überzeuge, ihre Kinder zur Schule zu schicken, fehle oft die Einsicht, dass Bildung wertvoll sei, sagt Ingrid Welke, Geschäftsführerin des Vereins. In Regelschulen gerieten die Kinder oft in eine Außenseiterposition:
"Die Vorwürfe, jemand stinkt, jemand ist unordentlich, jemand klaut, sind natürlich da an der Tagesordnung. Und das ist natürlich keine empfängliche Atmosphäre für kleine Kinder dann in die Schule zu gehen. Das heißt, sie gehen dann entweder ein- oder zweimal hin oder gehen von vornherein gar nicht. Und dann ist das in der Regel gescheitert."
Roma stinken, Roma klauen, Roma sind Nomaden: Über Jahrhunderte sind die Vorurteile immer dieselben geblieben. Obwohl sie in Europa als größte Minderheit gelten, ist das Wissen über sie gering - und speist sich meist aus dem Hörensagen, kritisiert die Politikwissenschaftlerin Brigitte Mihok vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung:
"Als lästig oder gefährlich betrachtete Teilgruppen – sagen wir bettelnde Frauen in den Fußgängerzonen, minderjährige Taschendiebe – werden als typisch für die Roma dargestellt. Gleichzeitig bleibt eine große, sehr große Zahl unauffälliger Roma im toten Winkel, die ohne soziale Unterstützung auskommen und sich eben trotz Schwierigkeiten eine Alltagsnormalität schaffen."
Wie dieser Alltag aussieht - das hängt für Roma in Deutschland davon ab, zu welcher Gruppe sie gehören. Grob lassen sich drei Gruppen ausmachen: Das sind zum einen Flüchtlinge wie die Kinder von Amaro Kher. Ihre Familien kamen Anfang der 90er-Jahre als serbische oder bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland. Andere folgten 1999 infolge des Kosovo-Konflikts. Zwei Drittel der rund 50.000 Bürgerkriegsflüchtlinge sind nur geduldet, können jederzeit abgeschoben werden.
Eine zweite Gruppe bilden die Gastarbeiter aus Ex-Jugoslawien, die in den 60er-Jahren nach Deutschland kamen - ohne dass sie überhaupt als Roma wahrgenommen worden wären. Nach Schätzungen des Bundesinnenministeriums sollen es ungefähr 10.000 sein. Die meisten von ihnen haben längst die deutsche Staatsbürgerschaft oder zumindest eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Und dann gibt es noch die größte Gruppe der Sinti und Roma. Sie leben seit 600 Jahren in Deutschland - und sind wie die Sorben, Dänen und Friesen als nationale Minderheit anerkannt. Ihre Zahl wird auf rund 70.000 geschätzt. Genaue Zahlen gibt es nicht - staatliche Statistiken dürfen nicht nach der ethnischen Herkunft fragen.
Einer dieser Sinti ist Roman Franz. Der 62-jährige Kaufmann ist Vorsitzender des NRW-Landesverbandes für Sinti und Roma und kann den Stammbaum seiner Familie in Deutschland 300 Jahre zurückverfolgen. Dennoch bekommt er an seinem Wohnort, einer Kleinstadt bei Köln, oft zu spüren, dass seine Familie als anders wahrgenommen wird:
"Wir wohnen seit über 50 Jahren jetzt an einem Ort. Das ist mittlerweile kein Dorf mehr, aber man kennt uns da. Und da kommen natürlich Nachbarn hin, die dort neu bauen und dort seit fünf Jahren sind. Und die sagen dann zu meiner Tochter, ja, das Zigeunermädchen fährt zu schnell. Die soll doch dahin gehen, wo sie hergekommen ist."
Integration? Roman Franz schüttelt den Kopf. In was soll man sich integrieren, wenn man Deutscher ist? Und trotzdem spricht er von der "Mehrheitsgesellschaft", wenn er die Deutschen meint. Und von "uns", wenn er über die Sinti und Roma spricht. Franz ist seit Jahren als ihr Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen im Dauereinsatz. Erzählt Schülern und Lehrern, Senioren und Politikern von der Lage der Minderheit in Deutschland. Vom ganz normalen Leben. Im Reihenhaus. Mit Festanstellung. Und vom Familienleben, das man sehr pflege. Seine Minderheit in Deutschland? Franz hält sie für bestens integriert - zumindest solange man nicht erwähne, dass man ein "Zigeuner" sei.
Dragan und Esma, beide Anfang 20, stehen vor der Beratungsstelle des Kölner Rom e.V. und wiegen ihre zehn Monate alten Zwillinge Stefan und Stefano in den Schlaf. Die jungen Eltern haben Post von der Ausländerbehörde dabei. Alle zwei Monate, manchmal werden es auch drei, ist da diese Ohnmacht, wenn Dragan den grauen Umschlag aus dem Briefkasten im Flüchtlingsheim zieht:
"Da hat man schon ein schlechtes Gefühl, und man hat Angst, wenn man diesen Brief öffnet. Wird man abgeschoben? Kann man bleiben? Es ist einfach Angst um seine Zukunft."
Dragan kennt es nicht anders. Seit 13 Jahren lebt er in einem Kölner Flüchtlingsheim - seine Frau Esma seit 18 Jahren. Beide stammen aus Mazedonien- eigentlich. Denn einen Pass haben die beiden nicht - und gelebt haben sie dort nie. Lediglich ihre Mütter wurden irgendwann einmal dort geboren. Für die deutschen Behörden gilt Mazedonien daher auch als ihr Herkunftsland. Ihre Biografien sind typisch für viele Roma, die in Deutschland nur geduldet werden. Geboren in Italien, weitergezogen nach Frankreich, aufgewachsen in Deutschland. Dragans Sozialberaterin Iris Biesewinkel von Rom e.V. hat im vergangenen Jahr bundesweit rund 250 ähnliche Fälle betreut. Viele sind abgeschoben worden.
"Wenn man durch Serbien geht oder Mazedonien, findet man unglaublich viel frustrierendes deutsches Leben auf der Straße, hauptsächlich in Persona von Kindern und Jugendlichen, die praktisch in der Fremde ausgesetzt sind und keinen Zugang mehr bekommen zum Bildungssystem, zu diesem ganzen staatlichen Gefüge. Weil die sind einfach traumatisiert in einem Land, wo sie nicht hingehören."
Dass sich Dragans Leben seit Jahren zwischen Flüchtlingswohnheim und Ausländerbehörde abspielt - ohne Perspektive auf Weiterentwicklung - hat einen Namen: Kettenduldung - eine Duldung, die über einen langen Zeitraum immer wieder verlängert wird. Eigentlich sollte dieser Zustand mit dem neuen Zuwanderungsgesetz 2005 abgeschafft werden. Doch noch immer kann etwa die Hälfte der Roma-Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erhalten - auch wenn sie schon seit vielen Jahren in Deutschland leben, hier die Schule besucht haben. Denn wie Dragan fehlt ihnen ein Pass. Dagmar Dahmen, Leiterin der Kölner Ausländerbehörde, erklärt das Problem:
"In der Regel - mit Ausnahmen natürlich - haben diese Personen keinen Identitätsnachweis. Das heißt also, da hat man nicht die Möglichkeit - auch wenn man es gerne möchte - denen eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen."
Da die Behörden in Mazedonien in Dragans Fall nicht kooperieren, werden er und seine Familie irgendwann gehen müssen. Denn Dragan kann keine Arbeit nachweisen. Weil er keine findet. Dragan würde gerne eine Ausbildung machen, doch welcher Arbeitgeber wird ihn einstellen, wenn davon auszugehen ist, dass Dragan sie nicht abschließen kann? Also lebt seine Familie vom Staat. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stehen Dragan und seiner Frau jeweils 224 Euro monatlich zur Verfügung. Weniger als Hartz IV. Für ihre drei Kinder erhalten sie zusätzlich insgesamt rund 400 Euro.
Roma-Lager gibt es in Deutschland nicht - weil sie gar nicht erst entstehen: In Berlin etwa wurden obdachlose Roma aus Rumänien, die im vergangenen Jahr in einem Park campierten, in einem Asylbewerberheim untergebracht. Und vor eineinhalb Jahren ließ die Stadt Frankfurt am Main ein entstehendes Lager räumen, als Roma auf einem unbesiedelten Platz vor den Toren der Stadt einige Hütten zusammenzimmerten. Sie konnten sich die teuren Mieten nicht leisten. Aber: Anders als in Frankreich werden Roma mit rumänischer oder bulgarischer Staatsbürgerschaft nicht massenweise abgeschoben.
Laut EU-Gesetz gilt für sie die Freizügigkeit, betont Dagmar Dahmen von der Kölner Ausländerbehörde. Und die besage nun mal, dass sich EU-Bürger auch über längere Zeit in einem anderen EU-Land aufhalten dürfen. Zumindest dann, wenn sie eine Arbeit nachweisen können oder über ausreichend Geld verfügen, um für sich und ihre Familien zu sorgen. Diese Voraussetzungen können die meisten Roma aber nicht erfüllen, sagt Frank Gockel. Der 37-Jährige betreut im nordrhein-westfälischen Abschiebegefängnis Büren auch Roma aus Rumänien und Bulgarien.
"Auch wir schieben EU-Bürger ab. Es kommt nur nicht in dieser massiven Form vor, und wir machen es nicht so offensichtlich, wie Frankreich es macht. Es ist deshalb auch nicht so präsent, dass wir wirklich dort sagen, wir räumen jetzt Lager und nehmen die Leute und schieben sie wirklich in großen Gruppen ab."
Dennoch: Auch Deutschland schiebt Roma ab. Vor allem ins Kosovo. "Schrittweise Rückführung" nennt das Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der im vergangenen April mit seinem Amtskollegen in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina ein Rückführungsabkommen abgeschlossen hat. Demnach sollen jährlich 2500 Roma ins Kosovo abgeschoben werden, bis Ende Juli waren es aber erst 102. Insgesamt sind rund 10.000 Roma betroffen, die Hälfte davon Kinder. Das Prozedere ist teuer: Passersatzpapiere, Abschiebehaft und Flugticket müssen vom Staat bezahlt werden. Frank Gockel:
"Das passiert dann, dass solche Abschiebungen bestenfalls mit einigen hundert Euro anfangen – das ist aber eher die Seltenheit. Das befindet sich in der Regel bei mehreren tausend bis mehreren zehntausend Euro. Und das kann hochgehen bis zu 180.000 Euro. Wenn jemand je wieder vorhat, legal hier hinzukommen, heißt das, dass er diese Kosten bezahlen muss. Und das ist für die Leute absolut utopisch."
Für die meisten Roma bedeutet die Rückkehr in ihr vermeintliches Heimatland Armut und Diskriminierung. Viele der betroffenen Kinder sprechen die Sprache nicht, haben keine Chance, dort jemals eine Schule zu besuchen, eine Perspektive zu entwickeln - das kritisiert eine aktuelle UNICEF-Studie, die die Situation kosovarischer Roma-Kinder nach ihrer Abschiebung aus Deutschland untersucht hat. Dass viele versuchen werden, wieder nach Deutschland zu kommen, obwohl hier eine riesige Rechnung auf sie wartet, ist für Frank Gockel vor diesem Hintergrund klar:
"Dann kommen sie hierüber nach Deutschland, warten darauf, dass sie erwischt werden, irgendwann kommt dieser Punkt, dann werden sie abgeschoben, dann kommen sie wieder hierhin. Und es gibt so ein Ping-Pong-Spiel. Und die Menschen verlieren komplett ihre Identität. Sie können nicht arbeiten, sie kriegen kein Leben hintereinander, das irgendwie auch lebenswert ist. Aber sie gehören auch zu keiner Gesellschaft und verlieren sich vollkommen."
Das Bleiberecht: Für Roma mit Duldungsstatus das große Ziel. Dazu müssen sie neben einem Pass und Arbeit ausreichend Deutschkenntnisse vorweisen, ihre Kinder in die Schule schicken, und: Sie dürfen nicht straffällig sein. Integrationsleistungen, die für Monika Düker, Vorsitzende der Grünen in NRW, absolut notwendig sind:
"Nur wenn die Rahmenbedingungen so sind, dass dies gar nicht möglich ist, dann muss ich auch Angebote machen, dass sich die Menschen qualifizieren können, damit sie überhaupt Arbeit finden, und dann muss ich Hilfestellungen geben. Die andere Seite der Medaille ist: Auch wenn Integrationsleistungen erst einmal nicht vorhanden sind - und das gebietet, glaube ich, auch unsere Verfassung - darf man Menschen nicht einfach in Zustände zurückschicken, in denen ihnen Gefahr an Leib und Leben droht."
Dass dies zumindest für die Roma aus dem Kosovo gilt, das soll ein neuer Erlass der rot-grünen NRW-Landesregierung garantieren. Der sieht vor, im Einzelfall humanitäre Belange stärker zu berücksichtigen als bisher: So sollen Kinder die Schule, Jugendliche ihre Ausbildung beenden können. Und alte und kranke Menschen, die keine Aussicht auf medizinische Versorgung in ihren Heimatländern haben, sollen gar nicht mehr abgeschoben werden. Ein richtungweisendes Zeichen für die gesamte deutsche Flüchtlingspolitik, meint das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, das den Vorstoß aus NRW lobt. Doch Integration ist im deutschen Ausländergesetz nicht vorgesehen. Peter Biesenbach sieht deshalb mit dem neuen Erlass den Rechtsstaat in Gefahr. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag pocht darauf, dass für alle Ausländer das gleiche Recht gelten müsse:
"Bisher waren wir uns eigentlich einig, dass die Not bestimmt und entschieden wird durch das Auswärtige Amt, weil das deutschlandweit dann die Prüfung vornimmt. Und das Auswärtige Amt sagt, dass wir im Kosovo auch für Menschen dieser Volkszugehörigkeit keine Gefahr mehr haben, also muss auch für sie dieselben Grundsätze gelten: Bitte zurück ins Heimatland."
Doch kann eine Abschiebung der Roma aus Deutschland das Problem wirklich lösen? Monika Düker, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen in NRW, sieht die EU in der Pflicht:
"Das muss doch ein Anspruch in Europa sein, dass in den europäischen Ländern Minderheiten geschützt werden und anständig leben können."
In der aktuellen Romadekade, die noch bis 2015 andauert, gibt die Europäische Union schon jetzt Milliarden aus, um Roma in Ländern wie Bulgarien, Kroatien oder der Slowakei besser zu integrieren. Innerhalb von zehn Jahren sollen Roma dort durch spezielle Programme leichter Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge bekommen und ihre Wohnsituation verbessern. Ob die Hilfe aber wirklich ankommt, davon ist die Sozialberaterin des Kölner Rom e.V., Iris Biesewinkel, nicht überzeugt:
"Bevor man das als Alibi-Argument nimmt, die Leute dann auch zurück zu schicken nach dem Motto: 'Ihr kommt doch Zuhause klar, wir schicken ja viel Geld in eure Länder', sollte man dann auch schauen, wohin gehen diese Gelder und werden die Projekte effektiv umgesetzt."
Genau das ist für Iris Biesewinkel aber fraglich. Auch Deutschland müsse endlich eine dauerhafte Lösung für die finden, die lange schon hier leben und hier verwurzelt sind:
"Dass gerade die Familien, die auch seit Generationen unterwegs sind - und nicht freiwillig unterwegs sind, weil das Zigeunerleben so lustig ist - sondern, weil sie nirgendwo willkommen sind und immer wieder ihre Taschen packen müssen. Dass denen die Möglichkeit gegeben wird, wirklich mal irgendwo Fuß zu fassen."
Die Schule ist aus. Patrizia und ihre Mitschüler sammeln auf dem Pausenhof Esskastanien in eine große Plastiktüte. Von der Sozialberatungsstelle aus beobachtet Dragan das Treiben, in seinen Armen wiegt er die Zwillinge. Er will die Hoffnung nicht aufgeben, irgendwann mit seiner Familie in Deutschland anzukommen:
"Wenn ich mir was wünschen würde, wäre das, dass ich einen Pass habe und dass ich eine deutsche Staatsangehörigkeit habe, dass ich in Deutschland zur Arbeit geh', dass ich hier meine Kinder erziehen darf, in Deutschland, dass sie hier aufwachsen. Die sind schon hier geboren. Und ich will, dass sie eine Heimat haben, Deutschland als Heimat."
Lehrer: "Regen, genau. Da steht Regen. Was ist das?"
Patrizia: "D.a.s. Das ist ein ... "
Die siebenjährige Patrizia hat sich weit über den Schreibtisch von Christoph Schulenkorf gelehnt und geht mit ihm ihre Hausaufgaben durch. Sie ist eines von 22 Kindern im Alter von sechs bis 13 Jahren, die in der Kölner Schule "Amaro Kher" Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Amaro Kher heißt auf Romanes "Unser Haus". Die Schüler sind junge Roma aus Kölner Flüchtlingswohnheimen. Sie lernen hier so lange, bis sie dem Unterricht in einer deutschen Regelschule problemlos folgen können. In der Regel dauert das etwa zwei Jahre - offiziell sind die Kinder bereits jetzt an einer Kölner Partnerschule angemeldet. Diese Chance zur Integration wird Roma-Kindern in anderen europäischen Städten oft noch verwehrt.
Integration ist auch eines der Themen bei der EU-Konferenz zu Roma-Hilfsprogrammen, die morgen in Bukarest beginnt. Dort soll diskutiert werden, wie bestehende EU-Programme für Roma besser umgesetzt werden können.
In Köln vermittelt das Jugendamt Roma-Kinder, die in deutschen Regelschulen Probleme bereiten, auf die spezielle Schule für Roma: Zu aggressiv, verwahrlost, zu langsam beim Lernen - das jahrelange Leben auf beengtem Raum im Flüchtlingsheim hinterlässt Spuren. Still sitzen, Regeln einhalten, zuhören - für Patrizia und ihre Mitschüler ist das schon schwer genug. Natürlich gibt es auch die gebildeten Roma, die integriert sind, deren Kinder normale Schulen besuchen. Aber Amaro Kher kümmert sich eben um die anderen, sagt Lehrer Christoph Schulenkorf:
"Über Generationen sind so familiäre Strukturen, die die Roma-Familien eigentlich immer hatten, schon kaputt gegangen. Mit diesen kaputten Strukturen sind sie dann aus dieser Kriegssituation geflüchtet, sind zu uns gekommen und leben hier wieder in einer Struktur, die überhaupt keine Perspektive gibt. Das heißt: Genau die gleichen Probleme, die sie Zuhause auch hatten, 'Zuhause in Jugoslawien' - das war ja für sie auch nicht unbedingt das Zuhause - das erleben sie hier jetzt wieder."
Ursprünglich aus Indien stammend, haben sich die Roma ab dem 14. Jahrhundert nach Westen aufgemacht - oft aufgrund brutaler Vertreibung. Weltweit sollen insgesamt zwölf Millionen Angehörige dieser Ethnie leben, die meisten von ihnen in Europa. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben in Deutschland etwa 50.000 Roma-Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien - mehr als 30.000 von ihnen nur geduldet, gut die Hälfte davon unter 18 Jahren.
Die Schule Amaro Kher liegt am Rande der Kölner Innenstadt. Hier werden 45 Kinder zwischen zwei und 13 Jahren betreut. Es gibt eine Kindertagesstätte, eine Primar- und eine Sekundarstufe. Dazu Nachmittagsbetreuung mit Sport, Musik und Hausaufgabenhilfe. Eingebettet ist die Schule in das örtliche Kulturzentrum Rom e.V., das auch eine Beratungsstelle unterhält. 90 Prozent der Roma-Eltern haben selbst nie eine Schule besucht, sind Analphabeten. Wenn man sie nicht überzeuge, ihre Kinder zur Schule zu schicken, fehle oft die Einsicht, dass Bildung wertvoll sei, sagt Ingrid Welke, Geschäftsführerin des Vereins. In Regelschulen gerieten die Kinder oft in eine Außenseiterposition:
"Die Vorwürfe, jemand stinkt, jemand ist unordentlich, jemand klaut, sind natürlich da an der Tagesordnung. Und das ist natürlich keine empfängliche Atmosphäre für kleine Kinder dann in die Schule zu gehen. Das heißt, sie gehen dann entweder ein- oder zweimal hin oder gehen von vornherein gar nicht. Und dann ist das in der Regel gescheitert."
Roma stinken, Roma klauen, Roma sind Nomaden: Über Jahrhunderte sind die Vorurteile immer dieselben geblieben. Obwohl sie in Europa als größte Minderheit gelten, ist das Wissen über sie gering - und speist sich meist aus dem Hörensagen, kritisiert die Politikwissenschaftlerin Brigitte Mihok vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung:
"Als lästig oder gefährlich betrachtete Teilgruppen – sagen wir bettelnde Frauen in den Fußgängerzonen, minderjährige Taschendiebe – werden als typisch für die Roma dargestellt. Gleichzeitig bleibt eine große, sehr große Zahl unauffälliger Roma im toten Winkel, die ohne soziale Unterstützung auskommen und sich eben trotz Schwierigkeiten eine Alltagsnormalität schaffen."
Wie dieser Alltag aussieht - das hängt für Roma in Deutschland davon ab, zu welcher Gruppe sie gehören. Grob lassen sich drei Gruppen ausmachen: Das sind zum einen Flüchtlinge wie die Kinder von Amaro Kher. Ihre Familien kamen Anfang der 90er-Jahre als serbische oder bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland. Andere folgten 1999 infolge des Kosovo-Konflikts. Zwei Drittel der rund 50.000 Bürgerkriegsflüchtlinge sind nur geduldet, können jederzeit abgeschoben werden.
Eine zweite Gruppe bilden die Gastarbeiter aus Ex-Jugoslawien, die in den 60er-Jahren nach Deutschland kamen - ohne dass sie überhaupt als Roma wahrgenommen worden wären. Nach Schätzungen des Bundesinnenministeriums sollen es ungefähr 10.000 sein. Die meisten von ihnen haben längst die deutsche Staatsbürgerschaft oder zumindest eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Und dann gibt es noch die größte Gruppe der Sinti und Roma. Sie leben seit 600 Jahren in Deutschland - und sind wie die Sorben, Dänen und Friesen als nationale Minderheit anerkannt. Ihre Zahl wird auf rund 70.000 geschätzt. Genaue Zahlen gibt es nicht - staatliche Statistiken dürfen nicht nach der ethnischen Herkunft fragen.
Einer dieser Sinti ist Roman Franz. Der 62-jährige Kaufmann ist Vorsitzender des NRW-Landesverbandes für Sinti und Roma und kann den Stammbaum seiner Familie in Deutschland 300 Jahre zurückverfolgen. Dennoch bekommt er an seinem Wohnort, einer Kleinstadt bei Köln, oft zu spüren, dass seine Familie als anders wahrgenommen wird:
"Wir wohnen seit über 50 Jahren jetzt an einem Ort. Das ist mittlerweile kein Dorf mehr, aber man kennt uns da. Und da kommen natürlich Nachbarn hin, die dort neu bauen und dort seit fünf Jahren sind. Und die sagen dann zu meiner Tochter, ja, das Zigeunermädchen fährt zu schnell. Die soll doch dahin gehen, wo sie hergekommen ist."
Integration? Roman Franz schüttelt den Kopf. In was soll man sich integrieren, wenn man Deutscher ist? Und trotzdem spricht er von der "Mehrheitsgesellschaft", wenn er die Deutschen meint. Und von "uns", wenn er über die Sinti und Roma spricht. Franz ist seit Jahren als ihr Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen im Dauereinsatz. Erzählt Schülern und Lehrern, Senioren und Politikern von der Lage der Minderheit in Deutschland. Vom ganz normalen Leben. Im Reihenhaus. Mit Festanstellung. Und vom Familienleben, das man sehr pflege. Seine Minderheit in Deutschland? Franz hält sie für bestens integriert - zumindest solange man nicht erwähne, dass man ein "Zigeuner" sei.
Dragan und Esma, beide Anfang 20, stehen vor der Beratungsstelle des Kölner Rom e.V. und wiegen ihre zehn Monate alten Zwillinge Stefan und Stefano in den Schlaf. Die jungen Eltern haben Post von der Ausländerbehörde dabei. Alle zwei Monate, manchmal werden es auch drei, ist da diese Ohnmacht, wenn Dragan den grauen Umschlag aus dem Briefkasten im Flüchtlingsheim zieht:
"Da hat man schon ein schlechtes Gefühl, und man hat Angst, wenn man diesen Brief öffnet. Wird man abgeschoben? Kann man bleiben? Es ist einfach Angst um seine Zukunft."
Dragan kennt es nicht anders. Seit 13 Jahren lebt er in einem Kölner Flüchtlingsheim - seine Frau Esma seit 18 Jahren. Beide stammen aus Mazedonien- eigentlich. Denn einen Pass haben die beiden nicht - und gelebt haben sie dort nie. Lediglich ihre Mütter wurden irgendwann einmal dort geboren. Für die deutschen Behörden gilt Mazedonien daher auch als ihr Herkunftsland. Ihre Biografien sind typisch für viele Roma, die in Deutschland nur geduldet werden. Geboren in Italien, weitergezogen nach Frankreich, aufgewachsen in Deutschland. Dragans Sozialberaterin Iris Biesewinkel von Rom e.V. hat im vergangenen Jahr bundesweit rund 250 ähnliche Fälle betreut. Viele sind abgeschoben worden.
"Wenn man durch Serbien geht oder Mazedonien, findet man unglaublich viel frustrierendes deutsches Leben auf der Straße, hauptsächlich in Persona von Kindern und Jugendlichen, die praktisch in der Fremde ausgesetzt sind und keinen Zugang mehr bekommen zum Bildungssystem, zu diesem ganzen staatlichen Gefüge. Weil die sind einfach traumatisiert in einem Land, wo sie nicht hingehören."
Dass sich Dragans Leben seit Jahren zwischen Flüchtlingswohnheim und Ausländerbehörde abspielt - ohne Perspektive auf Weiterentwicklung - hat einen Namen: Kettenduldung - eine Duldung, die über einen langen Zeitraum immer wieder verlängert wird. Eigentlich sollte dieser Zustand mit dem neuen Zuwanderungsgesetz 2005 abgeschafft werden. Doch noch immer kann etwa die Hälfte der Roma-Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erhalten - auch wenn sie schon seit vielen Jahren in Deutschland leben, hier die Schule besucht haben. Denn wie Dragan fehlt ihnen ein Pass. Dagmar Dahmen, Leiterin der Kölner Ausländerbehörde, erklärt das Problem:
"In der Regel - mit Ausnahmen natürlich - haben diese Personen keinen Identitätsnachweis. Das heißt also, da hat man nicht die Möglichkeit - auch wenn man es gerne möchte - denen eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen."
Da die Behörden in Mazedonien in Dragans Fall nicht kooperieren, werden er und seine Familie irgendwann gehen müssen. Denn Dragan kann keine Arbeit nachweisen. Weil er keine findet. Dragan würde gerne eine Ausbildung machen, doch welcher Arbeitgeber wird ihn einstellen, wenn davon auszugehen ist, dass Dragan sie nicht abschließen kann? Also lebt seine Familie vom Staat. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stehen Dragan und seiner Frau jeweils 224 Euro monatlich zur Verfügung. Weniger als Hartz IV. Für ihre drei Kinder erhalten sie zusätzlich insgesamt rund 400 Euro.
Roma-Lager gibt es in Deutschland nicht - weil sie gar nicht erst entstehen: In Berlin etwa wurden obdachlose Roma aus Rumänien, die im vergangenen Jahr in einem Park campierten, in einem Asylbewerberheim untergebracht. Und vor eineinhalb Jahren ließ die Stadt Frankfurt am Main ein entstehendes Lager räumen, als Roma auf einem unbesiedelten Platz vor den Toren der Stadt einige Hütten zusammenzimmerten. Sie konnten sich die teuren Mieten nicht leisten. Aber: Anders als in Frankreich werden Roma mit rumänischer oder bulgarischer Staatsbürgerschaft nicht massenweise abgeschoben.
Laut EU-Gesetz gilt für sie die Freizügigkeit, betont Dagmar Dahmen von der Kölner Ausländerbehörde. Und die besage nun mal, dass sich EU-Bürger auch über längere Zeit in einem anderen EU-Land aufhalten dürfen. Zumindest dann, wenn sie eine Arbeit nachweisen können oder über ausreichend Geld verfügen, um für sich und ihre Familien zu sorgen. Diese Voraussetzungen können die meisten Roma aber nicht erfüllen, sagt Frank Gockel. Der 37-Jährige betreut im nordrhein-westfälischen Abschiebegefängnis Büren auch Roma aus Rumänien und Bulgarien.
"Auch wir schieben EU-Bürger ab. Es kommt nur nicht in dieser massiven Form vor, und wir machen es nicht so offensichtlich, wie Frankreich es macht. Es ist deshalb auch nicht so präsent, dass wir wirklich dort sagen, wir räumen jetzt Lager und nehmen die Leute und schieben sie wirklich in großen Gruppen ab."
Dennoch: Auch Deutschland schiebt Roma ab. Vor allem ins Kosovo. "Schrittweise Rückführung" nennt das Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der im vergangenen April mit seinem Amtskollegen in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina ein Rückführungsabkommen abgeschlossen hat. Demnach sollen jährlich 2500 Roma ins Kosovo abgeschoben werden, bis Ende Juli waren es aber erst 102. Insgesamt sind rund 10.000 Roma betroffen, die Hälfte davon Kinder. Das Prozedere ist teuer: Passersatzpapiere, Abschiebehaft und Flugticket müssen vom Staat bezahlt werden. Frank Gockel:
"Das passiert dann, dass solche Abschiebungen bestenfalls mit einigen hundert Euro anfangen – das ist aber eher die Seltenheit. Das befindet sich in der Regel bei mehreren tausend bis mehreren zehntausend Euro. Und das kann hochgehen bis zu 180.000 Euro. Wenn jemand je wieder vorhat, legal hier hinzukommen, heißt das, dass er diese Kosten bezahlen muss. Und das ist für die Leute absolut utopisch."
Für die meisten Roma bedeutet die Rückkehr in ihr vermeintliches Heimatland Armut und Diskriminierung. Viele der betroffenen Kinder sprechen die Sprache nicht, haben keine Chance, dort jemals eine Schule zu besuchen, eine Perspektive zu entwickeln - das kritisiert eine aktuelle UNICEF-Studie, die die Situation kosovarischer Roma-Kinder nach ihrer Abschiebung aus Deutschland untersucht hat. Dass viele versuchen werden, wieder nach Deutschland zu kommen, obwohl hier eine riesige Rechnung auf sie wartet, ist für Frank Gockel vor diesem Hintergrund klar:
"Dann kommen sie hierüber nach Deutschland, warten darauf, dass sie erwischt werden, irgendwann kommt dieser Punkt, dann werden sie abgeschoben, dann kommen sie wieder hierhin. Und es gibt so ein Ping-Pong-Spiel. Und die Menschen verlieren komplett ihre Identität. Sie können nicht arbeiten, sie kriegen kein Leben hintereinander, das irgendwie auch lebenswert ist. Aber sie gehören auch zu keiner Gesellschaft und verlieren sich vollkommen."
Das Bleiberecht: Für Roma mit Duldungsstatus das große Ziel. Dazu müssen sie neben einem Pass und Arbeit ausreichend Deutschkenntnisse vorweisen, ihre Kinder in die Schule schicken, und: Sie dürfen nicht straffällig sein. Integrationsleistungen, die für Monika Düker, Vorsitzende der Grünen in NRW, absolut notwendig sind:
"Nur wenn die Rahmenbedingungen so sind, dass dies gar nicht möglich ist, dann muss ich auch Angebote machen, dass sich die Menschen qualifizieren können, damit sie überhaupt Arbeit finden, und dann muss ich Hilfestellungen geben. Die andere Seite der Medaille ist: Auch wenn Integrationsleistungen erst einmal nicht vorhanden sind - und das gebietet, glaube ich, auch unsere Verfassung - darf man Menschen nicht einfach in Zustände zurückschicken, in denen ihnen Gefahr an Leib und Leben droht."
Dass dies zumindest für die Roma aus dem Kosovo gilt, das soll ein neuer Erlass der rot-grünen NRW-Landesregierung garantieren. Der sieht vor, im Einzelfall humanitäre Belange stärker zu berücksichtigen als bisher: So sollen Kinder die Schule, Jugendliche ihre Ausbildung beenden können. Und alte und kranke Menschen, die keine Aussicht auf medizinische Versorgung in ihren Heimatländern haben, sollen gar nicht mehr abgeschoben werden. Ein richtungweisendes Zeichen für die gesamte deutsche Flüchtlingspolitik, meint das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, das den Vorstoß aus NRW lobt. Doch Integration ist im deutschen Ausländergesetz nicht vorgesehen. Peter Biesenbach sieht deshalb mit dem neuen Erlass den Rechtsstaat in Gefahr. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag pocht darauf, dass für alle Ausländer das gleiche Recht gelten müsse:
"Bisher waren wir uns eigentlich einig, dass die Not bestimmt und entschieden wird durch das Auswärtige Amt, weil das deutschlandweit dann die Prüfung vornimmt. Und das Auswärtige Amt sagt, dass wir im Kosovo auch für Menschen dieser Volkszugehörigkeit keine Gefahr mehr haben, also muss auch für sie dieselben Grundsätze gelten: Bitte zurück ins Heimatland."
Doch kann eine Abschiebung der Roma aus Deutschland das Problem wirklich lösen? Monika Düker, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen in NRW, sieht die EU in der Pflicht:
"Das muss doch ein Anspruch in Europa sein, dass in den europäischen Ländern Minderheiten geschützt werden und anständig leben können."
In der aktuellen Romadekade, die noch bis 2015 andauert, gibt die Europäische Union schon jetzt Milliarden aus, um Roma in Ländern wie Bulgarien, Kroatien oder der Slowakei besser zu integrieren. Innerhalb von zehn Jahren sollen Roma dort durch spezielle Programme leichter Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge bekommen und ihre Wohnsituation verbessern. Ob die Hilfe aber wirklich ankommt, davon ist die Sozialberaterin des Kölner Rom e.V., Iris Biesewinkel, nicht überzeugt:
"Bevor man das als Alibi-Argument nimmt, die Leute dann auch zurück zu schicken nach dem Motto: 'Ihr kommt doch Zuhause klar, wir schicken ja viel Geld in eure Länder', sollte man dann auch schauen, wohin gehen diese Gelder und werden die Projekte effektiv umgesetzt."
Genau das ist für Iris Biesewinkel aber fraglich. Auch Deutschland müsse endlich eine dauerhafte Lösung für die finden, die lange schon hier leben und hier verwurzelt sind:
"Dass gerade die Familien, die auch seit Generationen unterwegs sind - und nicht freiwillig unterwegs sind, weil das Zigeunerleben so lustig ist - sondern, weil sie nirgendwo willkommen sind und immer wieder ihre Taschen packen müssen. Dass denen die Möglichkeit gegeben wird, wirklich mal irgendwo Fuß zu fassen."
Die Schule ist aus. Patrizia und ihre Mitschüler sammeln auf dem Pausenhof Esskastanien in eine große Plastiktüte. Von der Sozialberatungsstelle aus beobachtet Dragan das Treiben, in seinen Armen wiegt er die Zwillinge. Er will die Hoffnung nicht aufgeben, irgendwann mit seiner Familie in Deutschland anzukommen:
"Wenn ich mir was wünschen würde, wäre das, dass ich einen Pass habe und dass ich eine deutsche Staatsangehörigkeit habe, dass ich in Deutschland zur Arbeit geh', dass ich hier meine Kinder erziehen darf, in Deutschland, dass sie hier aufwachsen. Die sind schon hier geboren. Und ich will, dass sie eine Heimat haben, Deutschland als Heimat."