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Von Zwergen-Zombies und Vampirbräuten am Prenzlauer Berg

1994 kamen findige Unternehmer auf die Idee, ein neues Zombie-Fest zu initiieren - eins, das sich nicht nach dem Kirchenjahr richtet, und eins, mit dem sich viel Geld verdienen lässt. Seitdem ist am Prenzlauer Berg und andernorts keiner mehr sicher vor Plastik-Kürbissen, Gummimasken und Gespensterkostümen.

Von Gerd Brendel |
    Die Kammer des Schreckens liegt in Weinheim. Von außen eine beschauliche Kleinstadt an den Hängen des Odenwalds lauert hier mehr Schrecken in den alten Gemäuern wie im Fiberglas-Fachwerk einer Hollywood-Spukhaus-Kulisse. Jahrhundertelang schlummerte hier das Böse, bis sich die Pforten der Hölle auftaten und in einer besonders garstigen Spätsommernacht anno 1994 eine Rotte Untoter den teuflischen Plan zur Eroberung des Landes ausheckte.
    Finster waren die Zeiten: Kohl schwitzte mit Jelzin in der Sauna, Deutschland war mit einem Mal noch größer und drei Jahre zuvor war das wichtigste Geistertreffen der Bösen namens Karneval wegen des ersten Golfkriegs ausgefallen.

    Da beschlossen die Werwölfe und Vampire in Weinheim, genannt Fachgruppe Karneval im Deutschen Verband der Spielwarenindustrie, kurz DVSI, verloren gegangenes Terrain zurück zu erobern.

    "Und gerade als wir dachten es könnte nicht schlimmer kommen… Zombies."

    Unter ihrem Ober-Dämon, der unter der Maske des PR-Managers Dieter Tschorn so manchem Menschenkind mit cleveren Reklametricks den letzten Blutstropfen ausgesaugt hatte, beschlossen die versammelten Vampire und Gnome der Pappnasen und Furzkissenindustrie: Ein neues Zombie-Fest muss her, eins das sich nicht nach dem blöden Kirchenjahr richtet wie Fastnacht, eins das immer zur gleichen Zeit stattfindet, und eins mit dem Kostümhersteller und Deko- und Scherzartikel-Fabrikanten viel Geld verdienen können: Halloween.

    "Ja, genau, da wollen wir mal sehen… Jetzt beginnt der Markt."

    Oberdämon Tschorn warf die teuflische Reklamemaschine an, die eine Pressemeldung nach der anderen verschickte. Flugs war vermutlich auch ein Bund mit den Zombies von den privaten Fernsehsendern geschmiedet, die aus ihren Grabkammern einen Haufen billig zusammengekauften Satans-Plunder herauszerrten, und seitdem Jahr für Jahr Ende Oktober amerikanische B- und C-Horror-Movies ins Programm stellen. Halloween 1 bis 23, Freitag der 13, Remake 1 bis 4.

    "Sie wollen bestimmt all unsere Spukgeschichten hören..."

    Nein, trotzdem treiben blonde Vampirjägerinnen amerikanische Werwölfe und Gespenster seither ihr Unwesen auf allen Kanälen und vor der Haustür.

    Denn irgendwann beschworen die Untoten von der Spielzeugindustrie ihren alten Teufelspakt mit dem Hexenorden der Kindergärtnerinnen. Vampirbräute unterwanderten den Prenzlauer Berg und ließen ihre Kinderbrut auf die ahnungslosen Menschen los.

    Seitdem ist keiner mehr sicher vor den Schminktipps zum Fest, vor Plastik-Kürbissen, vor Gummimasken und lächerlichen Gespensterkostümen. Zombies, verkleidet als nervige Kinder dürfen ungestraft nach Einbruch der Dunkelheit zur besten Tagesschau-Zeit an fremden Haustüren klingeln, ihr böses "Süßes oder Saures" krähen und Süßigkeiten erpressen. Überflüssig zu ergänzen, dass auch die angebliche uralte Entstehungsgeschichte Halloween aus edlem Keltenbrauchtum eine teuflische Intrige ist. Um 1900 wollten damit ein paar hoffnungslos romantische Ethnologen den Iren im Kampf um kulturelle Eigenständigkeit gegen die Briten eine schöne keltische Identität verpassen. Aber mit dieser Geschichte lassen sich die Halloween-Dämonen genauso wenig bannen wie moderne Vampire mit geweihten Kreuzen. Da muss stärkerer Schadenszauber her.

    Es wird Zeit zum Gegenschlag: Wenn heute Abend die kleinen Quälgeister vor meiner Tür stehen, bin ich gewappnet: mit präparierten Bonbons, die nach Seife schmecken, und einer Spritzpistole mit blutroter Ölfarbe, die die gottvergessenen Hexenmütter der Plagen nie und nimmer aus den Designer-Klamotten ihrer Lieben werden auswaschen können. Wollen mal sehen, ob die noch mal ihre Zwergenmonster auf arglose Sterbliche loslassen werden.