Die Rüttenscheider Straße in der Essener Innenstadt. Hier ein Dönerladen, dort ein Bio-Supermarkt. Gegenüber versteckt sich das einzige Voodoo-Museum Europas. Geleitet wird es von Henning Christoph. Der Ethnologe reist seit fast 40 Jahren nach Benin in Westafrika, der Wiege des Voodoo. Von dort aus hat sich mit schwarzen Sklaven der Glaube in die Karibik und nach Südamerika verbreitet – und mit Henning Christoph auch ins Ruhrgebiet.
"Voodoo, da bin ich immer wieder hängen geblieben oder zurückgekommen, weil es an sich ein sehr friedlicher Glauben ist. Man versucht, immer das Gleichgewicht zu finden zwischen Gut und Böse. Darum hören sie auch nie von Benin in den Nachrichten. Weil's einfach eine Kultur ist, wo das Gleichgewicht da steht."
"Voodoo" bedeutet "Gott" oder auch "Geist", was nicht unumstritten ist in Voodoo-Kreisen. Das Wort Voodoo kommt aus der Sprache der Fon. Das ist die Hauptethnie in Benin. Aber auch etwa in Togo und Ghana leben Fon und praktizieren dort Voodoo. In der Voodoo-Religion gibt es einen Schöpfergott, mit mehr als 400 Kindern – darunter Feuer-, Wasser- oder Erdgottheiten. Sie haben je eigene Aufgabenbereiche. In seinem Museum hat Christoph einen Altar für die Wassergöttin Mami Wata aufgebaut. Auf einem angeleuchteten Podest stehen mehrere Holzfiguren, oft in skurrilen Verrenkungen oder mit zwei Köpfen. Über ihnen thront das farbenfrohe Bild einer Meerjungfrau mit einer Schlange um den Hals – Mami Wata, Göttin des Meeres, des materiellen Erfolgs und der Liebe.
"Mami Wata sagt man, sie kam aus Europa, im 15. Jahrhundert, mit den Portugiesen. Die Portugiesen hatten sehr oft an ihrem Schiff eine Gallionsfigur, mit einer Nixe dran, und die war natürlich weiß. Also sagt man, sie kommt aus Europa, und man muss ihr Sachen opfern, die eine europäische Frau gerne mag."
Zwischen den Holzfiguren und kleinen Kerzen liegen die entsprechenden Opfergaben: Parfüm, Schokolade, Makeup. Vor allem Studenten aus Westafrika suchen den Schrein auf, erzählt Christoph. Wer etwas von den Göttern will, muss ihnen etwas geben – so ist das im Voodoo.
Auch Zaneda Gerner bringt den Göttern Opfer dar. Sie hat sich in ihrer Wohnung in Düsseldorf einen kleinen Voodoo-Altar aufgebaut. Gerner stammt aus Haiti, sich selbst bezeichnet sie als Priesterin. Schon mit sechs Jahren sei sie das erste Mal in Trance versunken.
"In Trance, das bedeutet man ist besessen bei einem Geist. Das war wie, ich verlasse meine Körper. Das ist wie, ich war noch da, und wie, ich war am Fliegen. Man fühlt sich ganz komisch."
Die Trance spielt im Voodoo eine zentrale Rolle. Die Menschen tanzen bei Ritualen zu schnellen Trommelschlägen. Manche von ihnen fangen an zu hyperventilieren, sie geraten in Trance – und die Götter nehmen dann Besitz von ihrem Körper. "Die Götter reiten ihre Menschenpferde", heißt es im Voodoo.
Zaneda Gerner sagt, sie habe mittlerweile gelernt, ihre Trance zu kontrollieren. Sie spreche nun regelmäßig mit den Geistern. Dabei helfen ihr bunt verzierte Rasseln.
Viele Angebote in Deutschland vor allem Geldmacherei
"Zum Beispiel mit diesem Instrument kann man reden. Gibt bestimmte Klänge. Jeder Voodoo-Praktikant kann das verstehen. Damit kann man die Geister rufen."
Einige Voodoo-Anhänger sprechen von Geistern, andere von Göttern. Voodoo hat teilweise Elemente aus dem Christentum und dem Islam übernommen. Am Altar von Zaneda Gerner steht zum Beispiel eine Gebetskerze mit Jesus-Profil. Im haitianischen Voodoo, so sagt sie, werde Jesus zu Dambala – dem Gott der Weisheit. Feste Gemeinden oder eine kirchliche Hierarchie gibt es im Voodoo nicht, die einzelnen Priester agieren weitestgehend unabhängig voneinander.
Weltweit gibt es etwa 60 Millionen Voodoosi, also Voodoo-Gläubige. Gerner erzählt, auch immer mehr Deutsche würden sich bei ihr melden, um Kontakt zu den Geistern aufzunehmen.
"Voodoo macht neugierig hier. Ich treffe Leute auf Internet, Leute rufen mich an, sie wollen Karten legen. Sie wollen mehr wissen über diese Religion."
Auch Henning Christoph erlebt in seinem Museum immer mehr Deutsche, die sich für Naturreligionen wie Voodoo interessieren. Echte Voodoosi gebe es in Deutschland aber nur wenige hundert, quasi alle mit Wurzeln in Westafrika oder der Karibik. Der Glaube, so erzählt der Ethnologe, werde mit der Geburt vererbt. Zum Voodoo zu konvertieren, dauere in der Regel Monate und erfordere viele Rituale.
"Wenn sie da als Europäer reinkommen wollen, ist das ein langer Prozess. Klar, sie können sich das kaufen. Also, es gibt in Afrika Priester, die gesehen haben, dass er da gutes Geld macht, wenn ein Europäer kommt und er eine Initiation macht. Aber das ist keine echte Initiation."
Viel von dem, was in Deutschland als Voodoo angeboten werde, sei reiner Hokuspokus: Geldmacherei. Mit Nadeln durchbohrte Puppen etwa hätten mit Voodoo nichts zu tun, sondern stammten aus England. Und Zombies seien keinesfalls die wandelnden Untoten, wie sie die Filmindustrie entwickelt hat.
"Zombies sind astrale Geister. Hier ist eine Zombie-Flasche. Zombies können Gutes oder Schlechtes tun, je nachdem, wie ich die Flasche präpariere. Hier zum Beispiel ist ein Zombie, der Menschen wahnsinnig machen kann."
Die Welt der Zombies, der Götter und der Menschen gehen im Voodoo fließend ineinander über. Leben und Tod sind nicht klar voneinander getrennt. Immer wieder würden die toten Ahnen unsere Welt beeinflussen. Entsprechend wichtig sei es, sich gut mit ihnen zu stellen. In Deutschland, sagt Gerner, seien alte Menschen und der Tod tabuisiert. Im Voodoo sei das ganz anders.
"Wenn jemand gehen muss, man begleitet ihn. Man gibt ihm warm. Man weiß: Diese Person wird uns etwas hinterlassen. Seine Kraft, seine Energie."