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Vor 10 Jahren
Anklage gegen den früheren KZ-Wachmann John Demjanjuk

Das Verfahren gegen John Iwan Demjanjuk gilt als einer der letzten großen Prozesse der Verfolgung von NS-Verbrechen. Als "Hilfswilliger" der SS gehörte er der Wachmannschaft des Vernichtungslagers Sobibor an. 64 Jahre nach Kriegsende wurde Anklage gegen ihn in München erhoben.

Von Wolfgang Stenke |
    Der wegen Beihilfe zum Mord angeklagte ehemalige Wächter des deutschen Vernichtungslagers Sobibor, der US-Bürger John "Iwan" Demjanjuk, wird in einem Rollstuhl sitzend von Polizisten durch das Landgericht in München gefahren.
    John Iwan Demjanjuk lebte nach dem Krieg in Bayern unbehelligt in Camps für sogenannte "Displaced Persons" (picture alliance / Peter Kneffel)
    Ein Sprecher der Münchener Staatsanwaltschaft gab am 13. Juli 2009 bekannt, dass seine Behörde Anklage erhoben hatte gegen den damals 89-jährigen John Demjanjuk.
    "Die Anklage geht davon aus, dass Herr Demjanjuk in mindestens 27.900 Fällen dazu beigeholfen hat, Personen jüdischen Glaubens zu ermorden."
    64 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann ein deutsches Gericht das Strafverfahren über die Beteiligung eines gebürtigen Ukrainers am Holocaust. Nach seiner Gefangennahme 1942 hatte die SS den Rotarmisten Demjanjuk rekrutiert und ihn in Polen im Lager Trawniki für Hilfs- und Wachdienste in ihrem KZ-System ausgebildet. Als sogenannter "Hilfswilliger" bewachte er das Vernichtungslager Sobibor, später versetzte man ihn ins KZ Flossenbürg.
    "Die Anklage stützt sich im Wesentlichen auf Beweise wie den Dienstausweis von Trawniki, die Verlegungslisten nach Sobibor sowie (…) die Verlegungsliste (…) nach Flossenbürg und natürlich auch auf unterschiedliche Zeugenaussagen von teilweise noch lebenden und teilweise bereits verstorbenen Zeugen."
    Leben in den USA
    Nach Kriegsende lebte Demjanjuk in Bayern unbehelligt in Camps für sogenannte "Displaced Persons" unter jüdischen KZ-Überlebenden und osteuropäischen Flüchtlingen. 1952 konnte er in die USA auswandern, wo er als Mechaniker in den Autofabriken von Cleveland/Ohio Arbeit fand.
    Schon vor dem Münchener Verfahren war Iwan Mykolajowytsch Demjanjuk, genannt "John", in die Schlagzeilen geraten: Die USA hatten ihn 1986 ausgebürgert und an Israel ausgeliefert. Dort verhängte ein Gericht gegen ihn die Todesstrafe - wegen Mordtaten im Vernichtungslager Treblinka. Ein Fehlurteil, das auf einer Verwechselung beruhte und 1993 kassiert wurde. Demjanjuk durfte in die Staaten zurückkehren, wo aber eine Abteilung des US-Justizministeriums erneut gegen ihn ermittelte. Da er bei der Einbürgerung seine Tätigkeit als Wachmann in deutschen KZs verschwiegen hatte, verlor er die amerikanische Staatsbürgerschaft zum zweiten Mal und wurde 2009 nach Deutschland überstellt.
    Am 30. November 2009 begann vor dem Landgericht München II das Verfahren gegen den staatenlosen John Iwan Demjanjuk. Dieser Prozess ging in die bundesdeutsche Justizgeschichte ein, denn er änderte eine jahrzehntelange Rechtspraxis. Cornelius Nestler, Professor für Strafrecht und einer der Vertreter der Nebenkläger:
    "Das Besondere war, dass nach so langer Zeit jemand angeklagt wurde, dem nicht eine spezifische Einzeltat, also ein spezifisches Tötungsdelikt vorgeworfen wurde, sondern dem vorgeworfen wurde, dass er in seiner Funktion, also als Wachmann in dem Vernichtungslager Sobibor, Beihilfe zu dem Mord an den Menschen begangen hatte, die in dem Vernichtungslager in dem Zeitraum, in dem er dort tätig war ermordet wurden."
    Korrigierte Praxis in NS-Prozessen
    Nach Jahrzehnten korrigierte die deutsche Justiz damit ihre Praxis in NS-Prozessen. Hätte man sich früher dazu entschlossen, wäre wohl etlichen KZ-Wächtern, die von der schwierigen Beweislage in NS-Verfahren profitieren konnten, die Strafe nicht erspart geblieben. Dass es diesmal einen Greis traf, der als junger Kriegsgefangener in die Mordmaschinerie der Deutschen geraten war, hinterließ bei vielen Prozessbeobachtern ein starkes Unbehagen. Demjanjuk wohnte dem Verfahren in einem Krankenbett bei, angetan mit einem grünen Parka, Sonnenbrille und Baseballmütze, ständig von einem Arzt begleitet. Der Angeklagte schwieg an allen 90 Verhandlungstagen, ließ nur durch seinen Wahlverteidiger verlauten, dass er sich als Opfer der Deutschen betrachte. Das Urteil fiel am 12. Mai 2011: Fünf Jahre Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Mord. Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz:
    "Die Beweisaufnahme hat deutlich gezeigt, dass der Angeklagte zunächst Opfer deutscher Aggression war, dann aber im vollen Bewusstsein zum Täter geworden ist, (…) er war an der Vernichtung maßgeblich beteiligt."
    John Iwan Demjanjuk starb am 17. März 2012 im Alter von 92 Jahren in einem Pflegeheim. Sein Tod beendete das noch laufende Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof. Das Urteil wurde also nicht rechtskräftig. Mit Blick auf das lange Versagen der deutschen Justiz im Umgang mit NS-Tätern wertete ein Kritiker den Demjanjuk-Prozess als den "Epilog zu einer beschämenden Geschichte".