"19 Uhr: die Nachrichten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Pressefreiheit gestärkt und der Justiz höhere Hürden für die Durchsuchung von Redaktionen gesetzt."
Das am 27. Februar 2007 verkündete "Cicero"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte es in sich. Staatsschutz gegen Pressefreiheit - ein Dauerbrenner in jedem Rechtsstaat. Der Fall, um den es ging, ist rasch erzählt: Im August 2005 hatte das Amtsgericht Potsdam eine Durchsuchung bei der Monatszeitschrift Cicero angeordnet. Notizen, Terminkalender und eine Festplatte sollten beschlagnahmt werden. Grund war ein Artikel über den islamistischen Terroristen Abū Musʿab al-Zarqāwī mit brisanten Details, die aus einem als Dienstgeheimnis gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamts stammten. Das Dossier war einem Mitarbeiter der Zeitschrift zugespielt worden. Darf ein Journalist solche Informationen benutzen? Der damalige Innenminister Otto Schily war entsetzt:
"Was Sie offenbar für sich reklamieren als Presse, ist, dass Sie mitwirken an der Durchbrechung eines Verbotes, Dienstgeheimnisse an die Öffentlichkeit weiterzugeben ... Das ist nicht mein Begriff von Pressefreiheit."
Cicero ließ sich nicht einschüchtern und zog bis vors Bundesverfassungsgericht, das den Durchsuchungsbeschluss aufhob: Solange ein Journalist einen Informanten nicht aktiv zum Verrat verleitet, sondern nur einen schon begangenen Geheimnisbruch ausnutzt, bleiben Redaktionsdurchsuchungen und Beschlagnahmen tabu. So steht es seit 2012 auch im Gesetz. Für die Abwägung zwischen Geheimhaltungsinteresse des Staates und Pressefreiheit gilt:
"Im Zweifel für die Presse erst einmal. Also, in dieser Abwägung widerstreitender Interessen geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Pressefreiheit ein sehr hohes Gut ist und letztlich das Informationsbedürfnis auch, also somit auch die Informationsfreiheit der Bevölkerung mit in die Waagschale zu werfen ist."
Journalisten dürfen nicht alles
Mustafa Temuz Oglakcioglu lehrt als akademischer Rat Strafrecht an der Universität Erlangen/Nürnberg. Demokratie braucht Kontrolle. Und Kontrolle braucht eine informierte Öffentlichkeit. Aber natürlich dürfen Journalisten nicht alles.
"Es gibt eben illegale Geheimnisse und legale Geheimnisse. Und das ist so ein bisschen das Problem auch. Denn die Presse muss ja erst mal herausfinden, handelt es sich jetzt um einen Fall, wo ich eigentlich aufdecken dürfte, oder handelt es sich um einen Fall des legalen Geheimnisses, wo wir uns eigentlich raushalten müssten. Und ab dem Moment ist das Geheimnis eben gar kein Geheimnis mehr. Das ist auch so ein bisschen die Schwierigkeit für die Strafverfolgungsbehörden."
In ein einfaches Pro und Contra lässt sich das Problem also nicht auflösen. Verantwortung ist gefragt. Denn Gefahr droht von beiden Seiten: Von einer Presse, die mit breaking news Kasse machen will und von Amtsträgern, die selbst darüber bestimmen wollen, was das Volk wissen soll und was nicht.
"Es geht letztlich um überlegenes Wissen. Und dadurch soll praktisch der staatliche Machtanspruch gesichert sein, und zwar einmal vielleicht, ja, vor Fremden, aber auch, sag ich mal, innerhalb des Staates."
Soziale Medien bräuchten neue Gesetze
Hier die Waage zu halten, ist in den zehn Jahren seit dem Cicero-Urteil noch schwieriger geworden. Der Geheimnisverräter unserer Tage muss nämlich gar nicht mehr heimlich Akten mitgehen lassen. Er sitzt ganz gemütlich mit seinem Laptop irgendwo an einem fernen Strand, hackt sich in fremde Netzwerke ein und knackt accounts.
"Die Manipulationsgefahr, die habe ich eben vor allem im Zeitalter Web 2.0 sowieso, denn ich habe die ganzen persönlichen Blogger, ich habe andere ausländische Nachrichtendienste beziehungsweise Institutionen. Das heißt: Ich sehe sowieso keine Möglichkeit heutzutage noch, Geheimnisse ernsthaft vor allem strafrechtlich zu schützen."
Nachrichtensperren und Rollkommandos à la Erdoğan mögen die Presse einschüchtern, eine Lösung sind sie nicht. Wie also umgehen mit der Informationsfreiheit? Eigentlich müsste man sich ein neues Cicero-Urteil wünschen zur Pressefreiheit 2.0. Und bis dahin?
"Ich würde hier auf einen Selbstregulierungsmechanismus hoffen. Also, was ich damit sagen will ist: Wir haben natürlich dann auch, sobald etwas publik wird, sofort auch Gegenstimmen, die sagen: Das stimmt so nicht, das hat sich gar nicht so zugetragen. Also Sie haben ja die Freiheit in jede Richtung."