"Schon als Kind hab ich die Tour de France im Fernsehen verfolgt, und das waren immer großartige Leistungen, ich hab damals immer schon Gänsehaut bekommen, wenn Greg Lemond und Fignon sich gegenseitig attackiert haben, und jetzt stehe ich hier selber als Sieger auf dem Siegerpodest, also das ist unglaublich."
Im Sommer 1997 gewinnt Jan Ullrich als erster und bislang einziger deutscher Radrennfahrer die Tour de France. Gerademal 23 Jahre ist er da alt. Der gebürtige Rostocker und ehemalige DDR-Jugendmeister radelt von Erfolg zu Erfolg, wird zweimal Weltmeister und gewinnt Olympisches Gold. Jan Ullrich fährt sich in die Herzen der Deutschen und wird zum allseits bejubelten Idol. Doch das glänzende Image verblasst mehr und mehr. Wie viele andere Spitzenfahrer gerät auch Ullrich unter Doping- und Betrugsverdacht. Einen Tag vor dem Start der Tour de France 2006 erklärt der Sprecher von Ullrichs Team T-Mobile überraschend.
"Uns liegen seit wenigen Minuten neue Erkenntnisse vor, die uns zu dem Schritt zwingen, die Fahrer Jan Ullrich, Oskar Sevilla und den sportlichen Leiter Rudi Pevenage bis auf weiteres zu suspendieren."
Christian Frommert spricht vom inzwischen aufgedeckten und heute allseits bekannten Dopingnetzwerk um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes.
"Ja gut, das einzige, was ich sagen kann, ist, (…) dass ich nach wie vor nichts mit diesen Sachen zu tun habe, dass ich Opfer jetzt bin einfach. Und bin absolut unter Schock und werde ein paar Tage für mich brauchen, und werde dann mit meinem Anwalt versuchen, meine Unschuld zu beweisen."
Geldüberweisungen an Dopingarzt nachgewiesen
Der Unschuldsbeweis bleibt jedoch aus, dagegen erhärtet sich der Dopingverdacht. Die spanische Polizei findet in der Madrider Praxis von Eufemiano Fuentes Blutbeutel von zahlreichen Sportlern, darunter auch einige mit Jan Ullrichs Namen. Reisen zu Fuentes werden dem Deutschen Radprofi nachgewiesen und Geldüberweisungen an den Dopingarzt.
Für den 26. Februar 2007 laden Jan Ullrich und sein Management unerwartet zu einer Pressekonferenz in ein Hamburger Hotel ein. Trotz Maulkorbs – Journalisten-Fragen sind nicht erlaubt – sind 150 Medienvertreter gekommen. Zahlreiche Kamerateams haben sich aufgebaut. Zum Doping- und Betrugsvorwurf gibt es nicht ein einziges Wort. Stattdessen das bekannte Lied:
"Ich hab mir nichts vorzuwerfen, ich hab in meiner ganzen Karriere keinen betrogen und auch keinen geschädigt, und das ist ganz groß."
Die mit seinen Anwälten abgesprochene Veranstaltung gerät zu einer Selbstinszenierungsshow. Über 40 Minuten liest Ullrich von vorbereiteten Pappkarten ab, unsicher und holprig, wie meist bei seinen öffentlichen Auftritten. Er erzählt von seiner Familie, die immer zu ihm gestanden habe, wirbt für seine neuen Sponsoren und Arbeitgeber. Vor allem aber teilt Ullrich heftig gegen seine Kritiker aus. Er beschimpft einen Teil der erschienen Journalisten als "schwarze Schafe", die nur geduldet seien, und Verbandschef Rudolf Scharping bezeichnet er verächtlich als "Schulterklopfer", "abgestiegen vom Verteidigungsminister zum Radpräsidenten". Dann der entscheidende Satz:
"Also offiziell: Ich beende heute meine aktive Karriere, das war nicht leicht für mich, aber wenn die innere Stimme sagt, es ist so weit, dann sollte man drauf hören, und mir fällt's mit Sicherheit ein bisschen schwer, aber ich geh daran nicht kaputt."
2012 wegen Dopings verurteilt
Viele sprechen von einem unwürdigen und zu späten Rücktritt. Auch ZDF-Radsport-Experte Klaus Angermann, der der Pressekonferenz ferngeblieben war wegen des unannehmbaren Maulkorbs für die Journalisten.
"Die Chance abzutreten war gegeben, als die Indizien ihn fast erdrückt haben und wie er, Zitat: sich wie ein Schwerverbrecher gefühlt hat. Er hat heute auch (…) zur Kernfrage überhaupt nicht Stellung genommen, nämlich: Was ist nun, sind das seine Blutbeutel oder sind sie es nicht, darauf wartet Radsport-Deutschland, wartet eigentlich die gesamte Radsport-Welt."
Es sind Jan Ullrichs Blutbeutel. Das belegt zweifelsfrei wenig später ein DNA-Test der Bonner Staatsanwaltschaft. 2012 verurteilt der Internationale Sportgerichtshof CAS den damals 38-Jährigen wegen Dopings und verhängt eine zweijährige Sperre. Ullrichs seit Mai 2005 erzielte Renn-Siege und Platzierungen werden aus den Listen gestrichen.
Ein Jahr später gibt der gefallene Radsportstar zumindest das ihm nachgewiesene Blutdoping zu. Betrogen habe er aber niemanden, da ja alle gedopt hätten. Bei nachgewiesenem Betrug würde Jan Ullrich der Verlust von Millionen Sponsorengeldern drohen.