Eine Plattform in der Nordsee, vorsichtig setzt der Hubschrauber auf dem Landedeck auf. Windenergie-Experte Christian Nath klettert heraus und blickt aufs Meer:
"Wir stehen auf dem Deck der FINO Forschungsplattform 20 Meter über dem Meeresspiegel. Wir beobachten zunehmenden Wind und Wellen. Und wir sind gespannt, was hier an Messwerten rauskommt."
Es ist Frühjahr 2005, und noch steht die Forschungsplattform FINO ganz alleine hier, 45 Kilometer nordwestlich von Borkum. FINO soll vermessen, wie stark der Wind weht und wie hoch die Wellen wogen – und ist damit der Vorreiter für ein ehrgeiziges Projekt: Alpha Ventus, den ersten deutschen Offshore-Windpark.
"Hier werden zwölf Anlagen aufgestellt. Man kann davon ausgehen, dass spätestens im übernächsten Jahr diese Anlagen hier aufgestellt werden."
Entscheidung für den Offshore-Park fiel erst 2007
Eine allzu optimistische Prognose, erinnert sich Irina Lucke vom Energieversorger EWE, einem der Betreiber von Alpha Ventus.
"Es wurden immer wieder Planungen gemacht. Das hat lange gedauert. Wir haben tatsächlich erst 2007 wirklich die Entscheidung gehabt."
Der Grund für die Verzögerung: Es gab nur wenig Erfahrung mit Windrädern auf hoher See. Großbritannien und Dänemark hatten zwar schon Offshore-Windparks gebaut. Die aber standen meist in flachen Gewässern nahe der Küste. Das ist in der deutschen Nordsee wegen des naturgeschützten Wattenmeers nicht machbar.
"Die Nordsee an sich ist eines der anspruchsvollsten Gewässer, die wir weltweit haben. Wir werden auch wettertechnisch aus dem Atlantik beeinflusst, so dass das Wetter sehr schnell umschlagen kann. Da war man lange skeptisch, ob überhaupt Offshore-Wind möglich ist in der Nordsee. Und das sollte dieses Testfeld beweisen."
Die zwölf Rotoren von Alpha Ventus sollten Strom erzeugen und zugleich als Forschungsprojekt fungieren. Ihre Mission: wichtige Erkenntnisse sammeln für spätere, größere Offshore-Windparks. 2008 begann der Bau – eine Herausforderung für Irina Lucke und ihr Team. Denn vieles war neu.
"Wir haben damals keine Schiffe oder Geräte gehabt, wie es heute möglich war. Wir haben mit ganz großen Transportschiffen – sehen aus wie große schwimmende Kuchenbleche – versucht, draußen 800 bis 900 Tonnen schwere Fundamente zu installieren. Das hat nicht immer auf Anhieb geklappt. Aber insgesamt ist Alpha Ventus doch sehr gut realisiert worden."
Belastung für die Umwelt geringer als gedacht
Am 27. April 2010 wurde der Windpark eingeweiht. Im Laufe der Jahre lieferte er viele Informationen – etwa, dass man die Rotoren lieber mit Blitzableitern ausrüsten sollte. Außerdem zeigte sich, dass die Turbinen besser als gedacht vor der aggressiven Seeluft geschützt werden müssen. Und 2018 sorgte Alpha Ventus für Schlagzeilen, als Teile einer Gondel-Verkleidung abrissen und ins Meer stürzten.
"Das waren auch spektakuläre Bilder. Auf einmal hatten Sie eine nackte Windenergieanlage, wo Sie nur noch den Antriebsstrang und die Rotorblätter sahen. Es waren Prototypen, und man hat vielleicht die Lasten unterschätzt, die aus der Wellenbewegung, aus der Strömung kommen, aus den Winden."
Doch es gab auch positive Überraschungen. Umweltschützer hatten befürchtet, die Anlagen würden der Meeresfauna und -flora allzu sehr zusetzen. Aber:
"Wir sehen im Umweltbereich, dass die Tiere zurückgekommen sind. Das war eine große Befürchtung, dass wir durch unseren Krach, den wir auf der Baustelle machen, eventuell wertvolle Schweinswale oder auch andere Tiere, Flora und Fauna, verscheuchen könnten. Die sind alle wiedergekommen."
Kraft von drei Atomkraftwerken
Die Branche jedenfalls habe viel gelernt aus den Erfahrungen von Alpha Ventus, meint Irina Lucke.
"Sicherlich hat Alpha Ventus wirklich den Startpunkt gesetzt für die Projekte, die danach kamen, auch für diesen tollen Ausbau bis 2019, den die Offshore-Windenergie erlebt hat. Heute ist Alpha Ventus umringt von großen Windenergieanlagen. Dieses ganze Feld ist voll, und es ist wirklich beeindruckend, wenn man auch mal rüber fliegen darf: Da draußen steht ein Großkraftwerk bzw. drei Atomkraftwerke."
Heute drehen sich nahezu 1500 Rotoren in Nord- und Ostsee. Zusammen leisten sie bei kräftigem Wind rund 7,5 Gigawatt – soviel wie acht Großkraftwerke. Das ist nur der Anfang, denn in zehn Jahren sollen es 20 Gigawatt sein, 2050 gar 50, fordern Branchenvertreter. Derzeit aber stockt der Ausbau.
"Wir haben den Fadenriss. Wir werden sehen, dass wir zwischen 2020 und 23 keine neuen Windparks haben. Die nächsten Projekte werden 2024 realisiert."
Eine Fehlentwicklung, die zwar auf die Schnelle nicht auszugleichen sei, aber der man mittelfristig entgegenwirken sollte, etwa durch einen zügigen Ausbau von Stromleitungen, meint Irina Lucke. Alpha Ventus jedenfalls soll noch mindestens zehn Jahre weiterlaufen. Denn solange läuft noch die Genehmigung für Deutschlands ersten Offshore-Windpark.