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Vor 100 Jahren
Als Rom dem Kaiser den Krieg erklärte

Am 23. Mai 1915 erklärte Italien der österreich-ungarischen Monarchie den Krieg. "Ein Treuebruch", empörte sich Kaiser Franz Joseph I. damals. Der Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg forderte enorme Opfer und bereitete am Ende den Faschisten unter Benito Mussolini den Weg. Von Bert-Oliver Manig

Von Bert-Oliver Manig |
    Kaiser Franz Joseph I. von Österreich, Gemälde von E. Laszor, 1899
    Voller moralischer Empörung gab Kaiser Franz Joseph I. am 23. Mai 1915 den Völkern Österreich-Ungarns den Kriegseintritt Italiens bekannt. (dpa/picture alliance/MTI)
    "Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt. Ein Treuebruch, dessengleichen die Geschichte nicht kennt, ist von dem Königreich Italien an seinen beiden Verbündeten begangen worden."
    Voller moralischer Empörung gab Kaiser Franz Joseph I. am 23. Mai 1915 den Völkern Österreich-Ungarns den Kriegseintritt Italiens auf der Seite der feindlichen Entente aus Russland, Frankreich und Großbritannien bekannt. Auch auf den Straßen Wiens kochte die Abneigung gegen die als verschlagen dargestellten Italiener hoch, mit denen man seit 1882 gemeinsam mit Deutschland im sogenannten Dreibund verbündet gewesen war. Der Volksmund bezeichnete die südlichen Nachbarn, als "treulose Tomaten", Spaghetti hießen nun vielerorts "Treubruchnudeln".
    Von "treulosen Tomaten" und Spaghetti als "Treubruchnudeln"
    Der Vorwurf der Treulosigkeit fiel aber auf die politisch Verantwortlichen in der Wiener Hofburg zurück. Sie waren es gewesen, die im Vorjahr mit deutscher Rückendeckung einen Krieg gegen Serbien vom Zaun gebrochen und damit einen Weltkrieg ausgelöst hatten, ohne den italienischen Verbündeten zu konsultieren, obwohl dies der Dreibundvertrag vorschrieb. Da eine Beistandspflicht nur im Fall eines Verteidigungskrieges bestand, war Italien 1914 neutral geblieben.
    Das italienische Volk war mehrheitlich glücklich, nicht in den mörderischen Weltkrieg hineingezogen worden zu sein. Nationalisten in Rom waren jedoch gewillt, das mit der Fortdauer des Krieges wachsende Gewicht Italiens in die Waagschale zu werfen, um das Land in den Kreis der Großmächte zu führen. Zu ihnen gehörte auch Ministerpräsident Antonio Salandra, der die Parole vom "sacro egoismo" ausgab:
    "Die höchsten Ziele unserer Außenpolitik erfordern eine unerschütterliche Härte der Seele, eine klare Vision der nationalen Interessen. Und sie erfordern Freiheit von jeglichen Gefühlsregungen, es sei denn, es handelt sich dabei um ausschließliche und grenzenlose Hingabe an unser Vaterland, an den heiligen Eigennutz Italiens!"
    Grausamer Stellungskrieg
    Geködert durch heimliche Zusagen der Entente, die den Italienern territoriale Zugewinne im Alpenraum und auf dem Balkan, ja sogar in der Türkei und in Afrika in Aussicht stellte, sowie durch einen 50-Millionen-Pfund-Kredit der Bank of England an das überschuldete Italien entschloss sich Salandra zum Krieg gegen Österreich-Ungarn. Doch statt des erwarteten schnellen Sieges über die Österreicher folgte ein drei Jahre dauernder grausamer Stellungskrieg in den Alpen. In den Schlachten am Isonzo, dem "Verdun Österreich-Ungarns", wo Hunderttausende im Maschinengewehr- und Artilleriefeuer starben, kamen die Italiener auf dem Höhepunkt ihrer Erfolge gerade einmal 23 Kilometer voran. Den Opfern dieser Barbarei müssen die Dankesworte der Generäle wie Hohn in den Ohren geklungen haben:
    "Kameraden der Isonzo-Armee. Solange es Kulturmenschen geben wird, wird man Euch als Muster von Vaterlandsliebe, von Gehorsam und Pflichtgefühl, von blendender Tapferkeit und unvergleichlicher Zähigkeit preisen. Den Namen Doberdo, Monte Michele, Görz, Podgora, Oslavija, Monte Sabotino, Monte Santo, die durch Eure Taten Weltklang gewonnen, werdet Ihr gewiss viele neue hinzufügen, wenn ich Euren heißesten Wunsch erfüllen und das Signal geben darf: Vorwärts!"
    Erkrankungen durch Mangel an Sauerstoff
    Auch in den Dolomiten wurde gekämpft: Unter größten Strapazen und Gefahren gelang es, Berggipfel in mehr als 3.000 Meter Höhe mit Artilleriestellungen und Festungen auszubauen. Da für die Infanteristen beider Seiten kein Durchkommen war, übernahmen Pioniere die Initiative: Sie gruben Tunnel in die Bergmassive, um feindliche Stellungen in die Luft zu sprengen oder die Tunnelarbeiter der Gegenseite zu verschütten. Ein Mediziner berichtete:
    "Bei den Kompanien, welche längere Zeit im Minendienst standen, wurde ein abnorm hoher Abgang an Kranken wahrgenommen. Die Erkrankungen sind auf den Mangel an Sauerstoff, großen Durst und schwere physische Arbeit in konstant gebückter Haltung zurückzuführen. Aus Angst, von einer feindlichen Mine eingequetscht zu werden, tritt eine große Nervosität ein. Sie wurde selbst bei kaltblütigen, kriegsgewohnten Leuten beobachtet."
    Nach Schätzungen wurden an der italienischen Front nahezu eine Million Männer getötet - durch Beschuss, durch Sprengungen und nicht zuletzt durch Lawinen, die mitunter erst heute, durch die Klimaerwärmung, ihre Opfer freigeben.
    1918 hatte das Morden ein Ende: Österreich musste das Trentino und Südtirol an Italien abtreten. Die imperialen Träume der italienischen Nationalisten waren damit nur teilweise erfüllt. Ihr Erbe traten die Faschisten unter Benito Mussolini an.