Moskau, 30. August 1918, zwei der drei Schüsse auf Lenin, abgefeuert von der Anarchistin Fani Kaplan, erreichten ihr Ziel. Sie trafen ihn im Hals und in der linken Schulter. Aber dem 1939 entstandenen Spielfilm "Lenin 1918" ging es nicht um eine authentische Schilderung. Die Verherrlichung des Revolutionsführers stand im Mittelpunkt. Deshalb verschweigt der Film auch, dass die im Hals steckengebliebene Kugel erst 44 Monate später, im April 1922 entfernt werden konnte.
Einen Monat später erlitt Lenin postoperativ einen schweren Schlaganfall. Bis zu seinem Tod am 21. Januar 1924 sollten weitere folgen. Vor diesem Hintergrund war das Attentat der Anfang seines von Schlaganfällen begleiteten Endes.
"Ich hatte schon lange beschlossen, Lenin zu töten"
Der Attentäterin konnte das alles egal sein. Ihre Festnahme erfolgte mit der Brutalität, die ihr auch in den Verhören drohte. Dort erklärte sie aus freien Stücken:
"Ich heiße Fani Jefimowna Kaplan. Das ist der Name, unter dem ich im Arbeitslager Akatui als Gefangene geführt wurde. Ich war wegen meiner Teilnahme an einem Attentat gegen einen zaristischen Beamten in Kiew verbannt und habe zwölf Jahre mit Zwangsarbeit verbracht. Nach der [Februar-]Revolution 1917 wurde ich freigelassen. Heute habe ich auf Lenin geschossen. Ich tat das nach eigener Entscheidung. Ich werde keine Details nennen. Ich hatte schon lange beschlossen, Lenin zu töten. Ich halte ihn für einen Verräter der Revolution, und seine Existenz wird den Glauben an den Sozialismus zerstören."
"Ich heiße Fani Jefimowna Kaplan. Das ist der Name, unter dem ich im Arbeitslager Akatui als Gefangene geführt wurde. Ich war wegen meiner Teilnahme an einem Attentat gegen einen zaristischen Beamten in Kiew verbannt und habe zwölf Jahre mit Zwangsarbeit verbracht. Nach der [Februar-]Revolution 1917 wurde ich freigelassen. Heute habe ich auf Lenin geschossen. Ich tat das nach eigener Entscheidung. Ich werde keine Details nennen. Ich hatte schon lange beschlossen, Lenin zu töten. Ich halte ihn für einen Verräter der Revolution, und seine Existenz wird den Glauben an den Sozialismus zerstören."
Schon am 4. September wurde die 28-jährige Kaplan im Hof des Kreml erschossen. Weder gab es eine Gerichtsverhandlung noch gar ein Urteil, ihre sterblichen Überreste verschwanden für immer. Gewundert hat das kaum jemanden, denn dergleichen hatte es seit dem bolschewistischen Oktoberumsturz 1917 tausendfach gegeben.
Gewiss, der Bürgerkrieg im Lande, die bald auch vom Westen unterstützte Konterrevolution hatten die Spirale der Gewalt in Gang gesetzt. Und doch entwickelte der Rote Terror schnell ein Eigenleben. Vor allem nach der durch die Bolschewiki betriebenen, gewaltsamen Auflösung der konstituierenden Versammlung nahm der Terror kein Ende. Der kurzzeitig als Volkskommissar für Justiz amtierende linke Sozialrevolutionär Isaak Steinberg fragte Lenin angesichts der Gewaltorgien im Februar 1918:
"Wozu haben wir überhaupt ein Volkskommissariat für Justiz? Nennen wir es doch einfach 'Kommissariat für soziale Ausrottung' und kümmern wir uns nicht mehr darum! Lenins Antwort: 'Gut formuliert, genau das soll es sein. Aber das können wir nicht sagen.'"
"Tscheka" - Massenterror gegen "Feinde der Arbeiterklasse"
Was man indessen sagen konnte, vor allem nach dem Attentat vom 30. August, ließ an Klarheit nicht zu wünschen übrig. Am 3. September war folgender Aufruf der "Tscheka" – Abkürzung für: Allrussische außerordentliche Kommission zur Bekämpfung der Konterrevolution und Sabotage - in allen großen Städten angeschlagen:
"Die verbrecherischen Pläne der Feinde der Arbeiterklasse werden mit Massenterror beantwortet. Alle Personen, die unberechtigt Waffen tragen, werden sofort erschossen. Solche Personen, die Hetze gegen die Sowjetmacht betreiben, werden sofort festgenommen und kommen in ein Arbeitslager. Alle, die an der Konterrevolution teilnehmen, werden durch das Schwert des revolutionären Proletariats umkommen und vernichtet werden."
Noch im September 1918 wurden 25 einstige zaristische Minister und 765 angebliche "Weißgardisten" vor die Erschießungskommandos gestellt. Überdies richtete die Tscheka Lager ein, in die "Klassenfeinde" eingeliefert werden konnten und dort bei Hungerrationen Zwangsarbeit zu verrichten hatten. Wer ein Klassenfeind war, bestimmten die Bolschewiki, das heißt, jeder musste damit rechnen, jederzeit zum "Klassenfeind" erklärt, aufgespürt, verhaftet oder gleich umgebracht zu werden. Schwaden des Misstrauens und der Denunziation durchzogen von nun an das Land.
"Die verbrecherischen Pläne der Feinde der Arbeiterklasse werden mit Massenterror beantwortet. Alle Personen, die unberechtigt Waffen tragen, werden sofort erschossen. Solche Personen, die Hetze gegen die Sowjetmacht betreiben, werden sofort festgenommen und kommen in ein Arbeitslager. Alle, die an der Konterrevolution teilnehmen, werden durch das Schwert des revolutionären Proletariats umkommen und vernichtet werden."
Noch im September 1918 wurden 25 einstige zaristische Minister und 765 angebliche "Weißgardisten" vor die Erschießungskommandos gestellt. Überdies richtete die Tscheka Lager ein, in die "Klassenfeinde" eingeliefert werden konnten und dort bei Hungerrationen Zwangsarbeit zu verrichten hatten. Wer ein Klassenfeind war, bestimmten die Bolschewiki, das heißt, jeder musste damit rechnen, jederzeit zum "Klassenfeind" erklärt, aufgespürt, verhaftet oder gleich umgebracht zu werden. Schwaden des Misstrauens und der Denunziation durchzogen von nun an das Land.
Und Fani Kaplan? Bis heute sind die Spekulationen über ihre Täterschaft nicht verstummt. War sie wirklich die Attentäterin oder hatte sie nicht zumindest Helfer? Es gibt Indizien, die das zu bestätigen scheinen. Aber es gibt auch die Zeugen, die sie schießen sahen. Ihre Motive für das Attentat auf Lenin hingegen wurden nie in Zweifel gezogen.
"Ich halte ihn für einen Verräter der Revolution, und seine Existenz wird den Glauben an den Sozialismus zerstören."
Das hat etwas für sich – bis heute.
"Ich halte ihn für einen Verräter der Revolution, und seine Existenz wird den Glauben an den Sozialismus zerstören."
Das hat etwas für sich – bis heute.