"Kamerad komm zu mir her nur, ich tu dir nichts an, denk nur nicht im Kopfe, dass ich dich nicht leiden kann. Ich bin Christ und du bist Muslim, doch das schadet kaum, unser Sieg ist fest beschlossen, unser Glück kein Traum."
So klang es in dem "Lied eines deutschen Kriegers an seinen muhamedanischen Kameraden" des Orientalisten Hans Stumme, das Anfang 1915, wenige Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs, aufgezeichnet wurde. Stumme war Mitglied der Nachrichtenstelle für den Orient, die im Auftrag des deutschen Generalstabes in der muslimischen Welt Propaganda für Deutschland und seine Kriegsziele machen sollte.
Dazu zählte auch die Beeinflussung muslimischer Kriegsgefangener, die auf Seiten Englands, Frankreichs und Russlands gekämpft hatten und in zwei Sonderlagern südlich von Berlin inhaftiert waren: Im Weinberglager im brandenburgischen Zossen waren russische Muslime interniert, im sogenannten Halbmondlager im benachbarten Wünsdorf arabische und indische. Die Historikerin Larissa Schmid vom Zentrum Moderner Orient:
"Es wurde eine Lagerzeitung herausgegeben von der Nachrichtenstelle, die für die arabisch-muslimischen Gefangenen "Al Dschihad" hieß, für die indischen Gefangenen Hindustan, das war eine offizielle Zeitung, in der über Kriegserlebnisse, über die Front berichtet wurde und wo auch gezielt antifranzösische, antibritische Propaganda verbreitet wurde."
Gegen die eigenen Mutterländer
Auch der ehemalige Bürgermeister von Wünsdorf, Werner Leese, hat sich mit der Geschichte der muslimischen Gefangenen auseinandergesetzt.
"Man wollte sie ideologisch erst einmal von ihrer Kolonialmacht trennen. Das war die erklärte Absicht des deutschen Generalstabes, und deswegen schickte man also Propagandisten auch hier in das Lager hinein, die die Aufgabe hatten, diese muslimischen Kriegsgefangenen praktisch zu gewinnen für eine Kriegsteilnahme auf deutscher Seite gegen die eigenen Mutterländer."
Die muslimischen Kriegsgefangenen sollten für Deutschland und das mit ihm verbündete Osmanische Reich in den Krieg ziehen: Sultan Mehmet V. hatte im November 1914 in Istanbul zum Heiligen Krieg gegen die Feinde des Osmanischen Reiches aufgerufen und den Dschihad zur Pflicht aller Muslime erklärt. In den Sonderlagern bei Berlin wurde deswegen sowohl militärisch exerziert als auch gebetet. Im Frühjahr 1915 ließ das Auswärtige Amt im Halbmondlager innerhalb von fünf Wochen eine Moschee errichten. Am 13. Juli wurde sie, pünktlich zu Beginn des Fastenmonats Ramadan, eingeweiht: Die erste Moschee in Deutschland! Der Holzbau, der für 400 Menschen Platz bot, orientierte sich am Felsendom in Jerusalem, das Minarett war türkischen Minaretten nachempfunden.
Die Moschee diente den Gefangenen zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten und war zugleich Teil der Propaganda, mit der die deutsche Regierung auf die gute Behandlung der Muslime hinweisen konnte. So heißt es im Brief eines Algeriers an seinen Sohn im Halbmondlager:
"Über Eure Behandlung seitens der deutschen Regierung haben wir uns sehr gefreut, nämlich dass dieselbe in wohlwollender Weise Euch das Gebet, das Fasten, das Koranstudium, das Freitagsgebet und ein Bad zur Reinhaltung eingerichtet hat. Möge Gott sie dafür in Seinen Schutz nehmen und segnen!"
Allerdings: Welche Bedeutung die Moschee für den Alltag im Lager wirklich hatte, ist unklar, betont Larissa Schmid.
"Was man weiß, ist, dass bei bestimmten religiösen Feiertagen die Moschee genutzt wurde oder auch für Zeremonien beispielsweise, wenn Bataillone, die eben auch in Zossen aus diesen Kriegsgefangenen bestanden, wenn die dann ins Osmanische Reich an die Front geschickt wurden, um dort zu kämpfen."
Erste zivile Moschee in Deutschland
Im Februar 1916 brach das erste Bataillon Dschihadisten in die Türkei auf, bis April 1917 hatten sich gut 2.000 muslimische Kriegsgefangene dem Heiligen Krieg angeschlossen: Angesichts der Gesamtzahl der Internierten - zeitweise bis zu 4.000 im Halbmond- und 12.000 im Weinberglager - ein eher geringer Erfolg, zumal sich die Kriegsfreiwilligen schwer in die osmanische Armee integrieren ließen. Ende 1916 wurde die Dschihad-Propaganda deswegen eingestellt. Die Moschee dagegen wurde weitergenutzt, auch nach der Auflösung der Sonderlager - von Muslimen, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnten oder wollten. Erst 1930 wurde sie abgerissen, weil sie baufällig war. Zwei Jahre zuvor war in Berlin die erste zivile Moschee in Deutschland eingeweiht worden.