"Mata Hari, die niederländische Tänzerin und Abenteurerin, die ein Kriegsgericht vor zwei Monaten der Spionage für schuldig befand, ist heute Morgen erschossen worden."
Sogar die "New York Times" berichtete über den frühen Morgen des 15. Oktober 1917.
"Die Verurteilte wurde in einem Automobil vom Gefängnis St. Lazare zum Exerzierplatz in Vincennes gefahren, wo die Exekution stattfand. Zwei Nonnen und ein Priester begleiteten sie."
Mata Haris ungerührte Haltung vor dem Exekutionskommando ist legendär, aber keine Legende - ausnahmsweise. Während so vieles an ihrer Biografie immer unklar, unbewiesen, mythenumrankt blieb, gibt es für ihr Ende solide Zeugen, zum Beispiel den Militärarzt Léon Bizard:
"Während ein Offizier das Urteil verlas, stellte sich die Tänzerin, die eine Augenbinde recht großspurig verweigerte, an den Pfahl, einen Strick um die Taille, der nicht einmal geknotet wurde."
Auch die letzten Minuten des auf Erfindung beruhenden Gesamtkunstwerks, das ihr Leben war, gestaltete Mata Hari in eigener Regie. Mit jenem mächtigen Selbstgefühl, das sie zwölf Jahre zuvor befähigt hatte, Mata Hari zu werden und Margaretha Geertruida Zelle hinter sich zu lassen. Unter diesem Namen war die 1876 geborene, fantasiebegabte Tochter eines reichen Kaufmanns im niederländischen Leeuwarden heran- und über die Biederkeit ihres Namens hinausgewachsen. Der Bankrott des Vaters zwang sie in eine Ausbildung zur Kindergärtnerin, die bald endete.
"Ich habe nie gut getanzt"
Es folgte die missglückte Ehe mit dem Kolonialoffizier Rudolph McLeod, mit dem sie nach Indonesien, damals Niederländisch-Indien, ging. Zurück in Europa zog es Margaretha Zelle-McLeod nach Paris - um 1900 der angesagteste Ort, um eine bürgerliche Existenz zu begraben.
"Eine große dunkle Gestalt schwebt herein. Kräftig, braun, heißblütig. Ihre Arme waren auf der Brust unter einem Blumenmeer verschränkt. So stand sie einige Sekunden regungslos und starrte wie gebannt auf eine Statue Shivas am Ende des Raums. Sie trug ein durchsichtiges weißes Gewand, und eine sonderbare Spange hielt das Tuch um ihre Hüften zusammen. Mit langen, wiegenden, tigergleichen Bewegungen bat sie inständig den Geist des Bösen, ihr dabei zu helfen, ein Unrecht zu rächen.
Ihre Bewegungen wurden immer heftiger, fieberhafter und hingebungsvoller, und schließlich löste sie, im Zustand der Verzückung, ihren Gürtel und fiel ohnmächtig zu Shivas Füßen."
Der britische Journalist, der das schrieb, war so hingerissen wie alle anderen vom Tanz der exotischen Sensation Mata Hari, die 1905 im Museum Guimet ihr Debüt gab. Und wie alle anderen, die sich an einem noch ungetrübten Orientalismus ergötzten, zweifelte er nicht daran, eine fernöstliche Tempeltänzerin gesehen zu haben - statt einer dunkelhaarigen Niederländerin, die aus ihren indonesischen Erfahrungen, ein paar Buchkenntnissen und einer schwül-erotischen Selfmade-Choreografie das Kunstprodukt Mata Hari geschaffen hatte: das "Auge des Tages".
"Ich habe nie gut getanzt. Dass die Menschen kamen, um mich zu sehen, verdanke ich nur der Tatsache, dass ich es als erste wagte, mich unbekleidet der Öffentlichkeit zu präsentieren."
Ein über die Jahre wachsender Mythos
So Mata Hari, die der Frivolität der Belle Epoque nicht bloß aus Kalkül, sondern aus vollem Herzen entsprochen hatte. So souverän, wie sie beim Tanz die Schleier ablegte, suchte sie ihre begüterten Liebhaber für den luxuriösen Lebensunterhalt aus. Schon damals begann die Ausnahmefrau Mata Hari zu verschwinden hinter ihrem Mythos, der mit den Jahren wuchs: gebildet aus Anekdoten, Reklamen, Romanen, Filmen. Greta Garbo verkörperte sie als vollendete femme fatale.
"You would'nt do that for me?" –"Why, why do you ask me to?" - "To see if you love me. - "I do, but I do!"
Geldgier als Motor für die Karriere
Aber auch Mata Hari wurde älter, die Karriere stotterte, der Erste Weltkrieg beendete die Amüsements in Theatern und Klubs. Geldgier setzte ihre letzte Karriere in Gang: Als Spionin sollte sie ihre glänzenden Beziehungen zur großen Welt nutzen. Sie ließ sich von den Deutschen anwerben, sagte auch den Franzosen nicht nein, kurz: Sie verhedderte sich in einem System, dessen blutigen Ernst sie vielleicht unterschätzte. Wenig deutet bisher darauf hin, dass ihre Tätigkeit für die Deutschen den Kriegsverlauf je beeinflusste.
"Ich bin es müde, gegen das Leben zu kämpfen ... Ich weiß wohl, dass dieses Leben mit einem Unglück endet - aber das kümmert mich nicht mehr."
Mata Hari starb nicht für ein Vaterland, sie bezahlte letztlich für das Leben, das sie gewählt hatte.