Als der italienische Dichter Gabriele D'Annunzio die Verfassung für das von ihm gegründete Staatswesen entwarf, schrieb er ihr schwärmerische Passagen ein:
"In der Italienischen Regentschaft am Quarnero ist die Musik eine religiöse und soziale Institution. Wenn jede Renaissance eines edlen Volkes eine lyrische Anstrengung darstellt, wenn jede neue Ordnung eine lyrische Ordnung ist, dann ist die Musik ein Akt, der das Leben und die Werke des Lebens preist."
Sie war ein erstaunliches Dokument, die Charta der "Regentschaft am Quarnero", die D'Annunzio am 8. September 1920 ausrief. Wie in einem Brennglas spiegelte ihr exaltierter Geist jene bizarre Atmosphäre in der Stadt Fiume, heute Rijeka und an der nördlichen Adria Kroatiens gelegen, die der bekannte Autor mit einigen tausend Anhängern ein gutes Jahr zuvor besetzt hatte.
Eine Stadt zwischen zwei Nationalitäten
Am 12. September 1919 war D'Annunzio unter großem Pomp in die Stadt eingezogen. Sein großes Ziel war, sie für Italien zu sichern - gegen den erklärten Willen nahezu aller auf der Pariser Friedenskonferenz von 1919 versammelten Staats- und Regierungschefs. Die hatten sich vorgenommen, Europa nach dem Ersten Weltkrieg neu zu ordnen. Rijeka sollte dem neu gegründeten jugoslawischen Königreich zugeschlagen werden. D'Annunzio war empört, ebenso wie viele andere italienische Nationalisten und Rechtsextreme, unter ihnen auch D'Annunzios Freund Benito Mussolini.
In der nationalistisch aufgewühlten, in ihrem Zentrum von Italienern besiedelten Stadt wurde der Dichter begeistert empfangen. Ein Zeitzeuge erinnert sich:
"Als Gabriele d'Annunzio um 18:20 Uhr auf dem Balkon des Palastes erschien, entfuhr der Menge ein gewaltiger Schrei. Diesem folgte, sobald der Dichter zu sprechen begann, religiöses Schweigen. Er ist müde, er ist fiebrig, er leidet, aber seine Konstitution ist unerschütterlich, sein Glauben kennt keine Ruhe."
Ein Dichter als Demagoge
Die Besetzung von Fiume ist von Anfang an ein sinnloses Unterfangen: Gegen den Willen der Staatenlenker wird D'Annunzio sich nicht durchsetzen. Stattdessen bietet er seinen Anhängern etwas anderes: politische Erregung.
"Ich musste auf ihre Ängste antworten, ich musste ihre Hoffnungen entzünden, ich musste ihre Hingabe immer blinder machen, ihre Liebe zu mir immer glühender werden lassen - zu mir allein."
D'Annunzio stellt es in seinen Erinnerungen durchaus angemessen dar: Er ist seinen Anhängern ein Heilsbringer, dem die Massen wie hypnotisiert ergeben sind.
"All dies geschieht allein dank meiner Stimme, meiner Gesten, meines blassen Gesichts und meines Blicks."
Mussolini sah in ihm einen Träumer
D'Annunzios Grundrezept, um seine Anhänger fünfzehn Monate lang für ein politisch aussichtsloses Unternehmen bei der Stange zu halten, ist die unausgesetzte Agitation. Nahezu täglich kommt es zu Versammlungen, Kundgebungen, Ansprachen und Ritualen aller Art. Ganz wichtig, erinnert sich der belgische Dichter Léon Kochnitzky: die Musik.
"Es kam zu Aufmärschen mit brennenden Fackeln, mit Fanfaren und Gesängen, mit Tänzen, Feuerwerken, Freudenfeuern, dazu Anspruch und Eloquenz, überall Eloquenz."
Benito Mussolini hingegen erkannte sehr bald: D'Annunzio war kein strategischer Kopf, sondern ein Schwärmer. So zog er sich von dem Unternehmen sehr bald zurück. D'Annunzios Anhänger hingegen flüchteten sich in den Rausch. So etwa in jenen Junitagen 1920:
"Überall tanzte man: Auf den Straßen, den Kreuzungen, im Hafen. Im Rhythmus martialischer Fanfaren sah man Soldaten, Seeleute, Frauen und normale Bürger in wilden Formationen umherwirbeln. Berühmt geworden, am Rande des Ruins und voller Angst, vielleicht kurz vor einem tödlichen Brand oder unter Granatenbeschuss stehend, schwang Fiume mit aller Kraft eine Fackel und tanzte am Rand des Meeres."
Laboratorium des Faschismus
Die Verfassung, weitgehend von D'Annunzio selbst entworfen, war ein weiterer Versuch, die Besetzung der Stadt mit ästhetischen Mitteln politisch zu überhöhen. Vergeblich: Im Dezember 1920 beschossen italienische Truppen die Stadt. Der Dichter und seine Anhänger gaben auf. Geblieben ist die Erinnerung an ein Unternehmen, das aufgrund seiner nationalistisch aufgepeitschten Masseninszenierungen heute als Laboratorium des Faschismus gilt.