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Vor 100 Jahren
Die Unterzeichnung des Versailler Vertrages

Am 28. Juni 1919 wurde der Versailler Friedensvertrag unterzeichnet. In Deutschland wurde er als "Diktat" oder auch "Schandfrieden" verstanden. Vor allem die alleinige Schuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkrieges galt als Demütigung - und wurde zur nationalistischen Instrumentalisierung genutzt.

Von Bernd Ulrich |
    Die Sitzung vom 7. Mai 1919, in der der Vertragstext der deutschen Delegation zugestellt wurde. Der Versailler Vertrag war der wichtigste der Pariser Vorortverträge, die 1919/20 den 1. Weltkrieg beendeten. Der Versailler Vertrag wurde am 28.6.1919 im Versailler Schloß zwischen Deutschland und 27 alliierten und assoziierten Mächten unterzeichnet und trat am 20.1.1920 in Kraft. Ohne deutsche Beteiligung wurde ab dem 18.1.1919 in Paris der Text des Friedensvertrages zwischen Wilson, Lloyd George, Clemenceau und Orlando (Die "Großen Vier") ausgearbeitet. Am 7.5.1919 wurde der Text der Deutschen Delegation zugestellt
    Der deutschen Delegation wurde der Text des Versailler Vertrages am 7. Mai 1919 zugestellt - am 28. Juni 1919 unterzeichnete sie widerwillig (picture alliance / dpa-Bildarchiv / Ullstein)
    "Wir täuschen uns nicht über den Umfang unserer Niederlage, den Grad unserer Ohnmacht. Wir wissen, dass die Gewalt der deutschen Waffen gebrochen ist, wir kennen die Wucht des Hasses, die uns hier entgegentritt, und wir haben die leidenschaftliche Forderung gehört, dass die Sieger uns zugleich als Überwundene zahlen lassen und als Schuldige bestrafen wollen."

    So der erst seit kurzem amtierende deutsche Außenminister Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau am 7. Mai 1919. Als Leiter der deutschen Delegation in Versailles hatte er an diesem Tage den Entwurf des von den Alliierten ausgearbeiteten Friedensvertrages entgegenzunehmen.
    Das deutsche Volk für schuldig erklärt
    Er tat dies in der festen Überzeugung, es könne über die Bedingungen verhandelt werden. Doch aus Sicht der Sieger konnte es mit diesem Deutschland keine Verhandlungen geben. Jedes Angebot zog unweigerlich die alliierte Ablehnung oder eine Zuspitzung nach sich. Dies betraf insbesondere den Artikel 231, den sogenannten Schuld-Paragrafen. Er wurde in einer alliierten Note vom 16. Juni 1919 nochmals verschärft. Einen Tag später kommentierte eine Denkschrift der deutschen Friedensdelegation dies so:
    "Dagegen ist die Grundlage, auf der das ganze Vertragswerk aufgebaut ist, nämlich die Behauptung von der alleinigen Schuld Deutschlands am Kriege, in einer gehässigen und ehrenrührigen Form verstärkt."
    Auch der Freiburger Historiker Jörn Leonhard betont in seinem gerade publizierten Standardwerk zum Versailler Frieden:
    "Die Siegermächte hoben nun die deutsche Kriegsschuld hervor. Und dabei wurde jetzt nicht mehr nur von den politischen und militärischen Eliten des Kaiserreiches gesprochen, sondern ausdrücklich das deutsche ‚Volk‘ benannt."
    Widerwillige Unterzeichnung
    Am Ende mehrerer Ultimaten, dem Rücktritt der Regierung Scheidemann und der Installierung einer Koalitionsregierung unter dem Sozialdemokraten Gustav Bauer, musste die Annahme des Versailler Vertrages erfolgen. Reichskanzler Bauer führte dazu am 23. Juni 1919 aus:
    "Die Regierung der deutschen Republik ist bereit, den Friedensvertrag zu unterzeichnen, ohne jedoch damit anzuerkennen, dass das deutsche Volk der Urheber des Krieges sei."
    Indessen, die Alliierten lehnten ab:
    "Kein Protest heute mehr, keinen Sturm der Empörung. Unterschreiben wir! Das ist der Vorschlag, den ich Ihnen im Namen des gesamten Kabinetts machen muss."
    Protokollarisch entwürdigt und moralisch verdammt, unterzeichneten endlich am 28. Juni 1919 die Vertreter der ersten deutschen Republik den Friedensvertrag im Spiegelsaal von Versailles. Für alle deutschen Nationalisten und Republikfeinde stand damit unwiderruflich fest: Der eigentliche Verantwortliche für die Niederlage und die Bedingungen des sogenannten Diktatfriedens waren die Demokratie und deren Vertreter.
    Empfundene Demütigung nährte Nationalismus
    Sechseinhalb Monate später, am 10. Januar 1920, trat der Versailler Frieden völkerrechtlich in Kraft. Allein im territorialen Bereich gingen Deutschland über 70.000 Quadratkilometer verloren, über sieben der knapp 65 Millionen Einwohner waren nun keine deutschen Staatsbürger mehr. Vor allem jedoch: Die vertraglich fixierte deutsche Alleinschuld am Kriege galt partei- und generationsübergreifend als demütigend. Dabei hatte sie ursprünglich als Begründung für die alliierten Forderungen nach materieller Wiedergutmachung gedient.
    Vor allem in den einstigen Hauptkampfgebieten in Frankreich gab es weder intakte Städte oder Dörfer noch eine irgendwie funktionierende Infrastruktur. Eine mit Munition kontaminierte, von menschlichen Überresten übersäte Mondlandschaft bestimmte für Jahrzehnte das Bild. In Deutschland wurde das kaum zur Kenntnis genommen oder mit den eigenen Leidenserfahrungen konterkariert. Einer nationalistischen Instrumentalisierung der Kriegsschuld Deutschlands war damit Tür und Tor geöffnet. Der diplomatisch erfahrene Harry Graf Kessler, einer der großen Beobachter seiner Zeit, vermerkte anlässlich des Inkrafttretens des Versailler Vertrags in seinem Tagebuch:
    "Eine furchtbare Zeit beginnt für Europa, eine Vorgewitter-Schwüle, die in einer wahrscheinlich noch furchtbareren Explosion als der Weltkrieg enden wird. Bei uns sind alle Anzeichen für ein fortgesetztes Anwachsen des Nationalismus."
    Das waren prophetische Worte. Schon wenig später, in der Reichstagswahl vom 6. Juni 1920, verlor die republikstützende Weimarer Koalition aus Sozialdemokraten, dem konservativen Zentrum und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei ihre Mehrheit. Es war eine Niederlage von Dauer und der Anfang vom Ende der ersten deutschen Republik.