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Vor 100 Jahren eröffnet
"Institut für Sexualwissenschaft" von Magnus Hirschfeld

Medizinische Versorgung, wissenschaftliche Forschung und politischen Aktivismus vereinte der Berliner Arzt und Sexualreformer Magnus Hirschfeld in seinem privaten Institut. Heute gilt es als Wiege der Sexualwissenschaft - doch durch die Zerstörung 1933 geriet dieses Erbe fast in Vergessenheit.

Von Andrea Westhoff |
    Magnus Hirschfeld
    Magnus Hirschfeld gilt als der Begründer der modernen Sexualwissenschaften (picture alliance/dpa/akg-images)
    Seit der Wende zum 20. Jahrhundert gilt Berlin als "wilde Metropole", besonders Künstler und Homosexuelle finden hier mehr Freiheiten als anderswo. Magnus Hirschfeld ist einer von ihnen. Aber als praktizierender Arzt sieht er auch die Schattenseiten: Prostitution, Geschlechtskrankheiten, Abtreibungen.
    "Er hat immer die medizinische Versorgung, die wissenschaftliche Forschung und den politischen Aktivismus miteinander verknüpft", sagt Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft.
    Hirschfeld gründet 1897 das "wissenschaftlich-humanitäre Komitee": Das soll unter anderem über Verhütungsmethoden aufklären, um die Zahl der Abtreibungen zu verringern, und für die Abschaffung des Paragraphen 175 kämpfen, mit dem Homosexuelle verfolgt werden. Der Sexualreformer will aber auch das gesamte menschliche Liebesleben erforschen, getreu seinem Lebensmotto: "Über die Wissenschaft zur Gerechtigkeit".
    Also geht "Dr. Hirschfeld" höchstpersönlich durch die Stadt und fragt die Menschen nach ihren sexuellen Vorlieben, erzählt Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft:
    "Das sind die ersten Umfragen zum Thema Sexualität überhaupt, und zwar einerseits bei Studenten der Technischen Hochschule und zum anderen bei Mitgliedern des Metallarbeiterverbandes, und die kriegten ein kleines Kärtchen, auf dem sie ankreuzen sollten, ob sie sich mehr zu Männern, mehr zu Frauen oder mehr zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlten."
    Die Gründung des Institutes
    Gleichzeitig macht sich Hirschfeld daran, eine neue wissenschaftliche Disziplin zu etablieren: Er gibt eine "Zeitschrift für Sexualwissenschaft" heraus und organisiert eine eigene Fachgesellschaft.
    "Und der dritte Schritt ist dann ja immer: Man gründet ein Institut. Und da eine Gründung an der Universität damals nicht anstand, hat er dieses Institut 1918/19 aus eigenen Mitteln gegründet", sagt Dose.
    Am 6. Juli 1919 wird das "Institut für Sexualwissenschaft" feierlich eröffnet. In der 115-Zimmer-Villa in Berlin-Tiergarten gibt es mehrere Arztpraxen, Gästezimmer und Vortragssäle.
    "Sie haben sehr erfolgreich die Frageabende gemacht, da konnte man völlig anonym einen Zettel mit seiner Frage zum Sexualleben in einen Briefkasten stecken und kriegte in der darauffolgenden Sitzung eine Antwort, coram publico, aber eben anonym", erzählt Dose.
    Hirschfeld hat – ganz Kind seiner Zeit – einen biologistischen Ansatz in der Sexualwissenschaft. Er hält Homosexualität für angeboren und vertritt auch eugenische Vorstellungen, ist also zum Beispiel für eine Geburtenregelung mit dem Ziel erbgesunden Nachwuchses, weshalb er bis heute heftig umstritten ist. Andererseits sagt er:
    "Die Menschen sind, wenn überhaupt etwas, dann von Geburt an ungleich."
    Im "Hirschfeld-Institut" geben sich bald Forscher ebenso wie Künstler aus aller Welt die Klinke in die Hand. Die Bibliothek im Keller ist mit 10.000 Büchern weltweit die größte sexualwissenschaftliche Sammlung.
    Verschmähtes Erbe
    Aber es gibt auch Gegner, die zunehmend mächtiger werden. Und als Hirschfeld sich 1931 auf einer Forschungsreise in den USA befindet, raten ihm Freunde, nicht zurückzukehren.
    "Hirschfeld war ein vielfältiges Hassobjekt. Er war bekannt als Jude, das Institut als Einrichtung der Sexualaufklärung, der Sexualforschung war natürlich auch immer ein Hassobjekt, und das durchaus nicht nur bei den Nazis, sondern es gab auch bei vielen anderen die Vorstellung, das ist ein Ort der Unsittlichkeit, der geschlossen werden muss", sagt Dose.
    Am 6. Mai 1933 dringen SA-Studenten in das Institut ein, verwüsten die Räume und plündern die große Bibliothek. Magnus Hirschfeld muss im französischen Exil erfahren, dass bei der großen Bücherverbrennung seine Schätze in die Flammen geworfen werden.
    So gerät Deutschland als eigentliche "Wiege der Sexualwissenschaft" in Vergessenheit. Dose erklärt:
    "Nach 1945 waren diejenigen, die die Tradition Hirschfelds hätten fortsetzen können, zu einem ganz großen Teil entweder im Exil oder umgebracht, die, die seine Arbeit im Bereich der homosexuellen Bewegung fortsetzen wollten, hatten nach 1949 schlechte Karten, nachdem der alte Nazi-Paragraph 175 einfach in der Bundesrepublik weiter galt."
    Erst 1982 wird in Berlin die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft gegründet, die das sexualwissenschaftliche Erbe des Forschers mühsam zusammenträgt, um es kritisch, aber auch in der ganzen Breite zu dokumentieren.