100.000 verkaufte Exemplare in sechs Wochen: Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs feiert Heinrich Mann seinen größten Erfolg. Doch auf das Erscheinen des "Untertans" hat er lange warten müssen.
"Den Roman des bürgerlichen Deutschen unter der Regierung Wilhelms des Zweiten dokumentierte ich seit 1906."
So Heinrich Mann in seinen Erinnerungen "Ein Zeitalter wird besichtigt".
"Beendet habe ich die Handschrift 1914, zwei Monate vor Ausbruch des Krieges – der in dem Buch nahe und unausweichlich erscheint. Auch die deutsche Niederlage. Der Faschismus gleichfalls schon: Wenn man die Gestalt des ‚Untertan‘ nachträglich betrachtet."
Die aufsehenerregende Veröffentlichung der ersten Romankapitel in der illustrierten Wochenschrift "Zeit im Bild" wird nach Kriegsbeginn eingestellt.
"Im gegenwärtigen Augenblick", so die Redaktion, "kann ein großes öffentliches Organ nicht in satirischer Form an den Verhältnissen Kritik üben."
Das "Buch des Propheten", wie das "Berliner Tageblatt" schreibt, liegt vier Jahre auf Eis. Nur in Russland kann der Roman erscheinen. Heinrich Mann geht in dieser "Geschichte der öffentlichen Seele" aufs Ganze. Sein Biograf Manfred Flügge:
"Er ist gut im Kaiserreich, und er ist gut im Exil [...], das heißt, wenn er in Opposition ist. Das bekommt ihm."
Der Protagonist des Romans "Der Untertan" heißt Diederich Heßling. Als Kind ist er verweichlicht, aber gleichzeitig der Gewalt des Vaters ausgesetzt. So entwickelt er mit der Zeit einen brennenden Ehrgeiz, um ein Mann im Sinne des Kaisers zu werden. Vor versammelter Klasse demütigt er einen jüdischen Mitschüler.
"Aus Klötzen […] erbaute er auf dem Katheder ein Kreuz und drückte den Juden davor in die Knie. Er hielt ihn fest, trotz allem Widerstand. [...] Was Diederich stark machte, war der Beifall ringsum, die Menge, aus der heraus Arme ihm halfen, die überwältigende Mehrheit drinnen und draußen. […] Wie wohl man sich fühlte bei geteilter Verantwortung und einem Selbstbewusstsein, das kollektiv war!"
"Man hat mir von rechts her immer wieder, wenn ich das Buch als den Anatomie-Atlas des Reichs rühmte, entgegengehalten: ‚Das gibt es nicht – das kann es nicht geben! Karikatur! Parodie! Satire! Pamphlet!‘", schreibt Kurt Tucholsky in der "Weltbühne". "Und ich sage: bescheidene Fotografie. Es ist in Wahrheit schlimmer, es ist viel schlimmer."
Morddrohungen von Kaisertreuen
Heinrich Mann erhält nach der Veröffentlichung des "Untertans" am 30. November 1918 Morddrohungen von Kaisertreuen.
"Er ist kein realistischer Autor. Er kommt aus dem Symbolismus, das heißt, er braucht immer Idealbilder und Verklärungen. Er ist ein Träumer, der allerdings einen starken Hang zur Karikatur, zur Groteske hat. [...] Selbst ein Roman wie ‚Der Untertan‘ hat sehr viele symbolistische Züge."
Zum Beispiel die Schlussszene. Diederich Heßling, mittlerweile ein menschenverachtender Fabrikant, weiht ein Denkmal für den Kaiser ein. In seiner aus Kaiser-Phrasen zusammengesetzten Rede, hier ein Ausschnitt aus der Hörspielfassung des WDR, sagt Heßling:
"So sind wir die Elite unter den Nationen und bezeichnen eine zum ersten Mal erreichte Höhe germanischer Herrenkultur, die bestimmt niemals und von niemandem - er sei, wer er sei! - wird überboten werden können!"
In der Öffentlichkeit ein politischer Moralist
Dann kommt ein Gewittersturm auf: als Vorzeichen für den kaiserlichen Untergang. Heinrich Mann setzt sich, wie später so oft, als politischer Moralist in Szene.
"Der Widerspruch zwischen privater Unmoral und öffentlichem Moralisieren: Ich glaube, das war einer seiner Hauptwidersprüche", so Manfred Flügge. "In seinem Privatleben war er ziemlich das, was André Gide einen Immoralisten genannt hat. Aber in seinem öffentlichen Auftreten und Reden hat er immer versucht zu moralisieren, ein Humanist zu sein, ein Kämpfer zu sein, ein Aufklärer zu sein, also es ist der Versuch, öffentlich eine andere Person zu sein als privat."
Mit seinem Roman "Der Untertan" geht Heinrich Mann in die Literaturgeschichte ein. Vom Elternhaus über die Schule bis hin zum Militär stellt er das mitleidlos autoritäre Erziehungssystem im Kaiserreich bloß. Nach oben buckeln, nach unten treten - das ist die Lebensdevise des "Untertans" Diederich Heßling. Aus ihm wäre ein perfekter Nazi geworden.