Als Amália Rodrigues im Januar 1957 auf die Bühne der legendären Pariser Music Hall Olympia trat, war sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommen. Sie sang in Rio de Janeiro, Rom und Berlin, machte Werbung für Coco-Cola im US-amerikanischen Fernsehen, und französische Liedermacher schrieben ihr heißblütige Balladen. Die "Königin des Fado" war die erste portugiesische Musikerin, die zu einem internationalen Star wurde.
Und der Fado, jener melancholische Musikstil, in dem die Portugiesen seit dem 19. Jahrhundert die "Saudade", also ihre ganz besondere Form der Sehnsucht, besingen, wurde dank Amália zum kulturellen Aushängeschild.
Fado - Zwischen Tradition und Moderne
Der Multi-Instrumentalist Raül Refree und die Sängerin Lina aktualisieren portugiesischen Fado fürs 21. Jahrhundert.
Der Multi-Instrumentalist Raül Refree und die Sängerin Lina aktualisieren portugiesischen Fado fürs 21. Jahrhundert.
Der Gesang wurde Amália in die Wiege gelegt
Laut Geburtsurkunde kam Amália Rodrigues am 23. Juli 1920 im Lissabonner Arbeiterviertel Pena zur Welt. Ihre Eltern stammten aus der ländlichen Region Beira Baixa und suchten wie so viele andere ihr Glück in der portugiesischen Hauptstadt. Amália besuchte nur drei Schulklassen. Sie musste früh mithelfen, Gemüse und Obst auf einem Markt zu verkaufen, damit die Familie irgendwie über die Runden kam.
"Ich habe schon als kleines Kind immer gesungen. Irgendwann hat man mir gesagt: 'Du kannst so gut singen. Geh in dieses berühmte Fado-Lokal, da kannst du mit einem Gitarristen Musik machen.' Das habe ich dann getan.
Und es hat den Leuten sehr gut gefallen. Ich habe das heimlich gemacht, denn obwohl wir so arm waren, wollte meine Familie nicht, dass ich als Sängerin auftrete. Sie hat von Künstlern nicht viel gehalten."
Eine unverwechselbare Stimme
Amália wurde schnell zum Star der Lissabonner Fado-Szene: Sie sang in Revue-Theatern, nahm 1945 ihre ersten Lieder auf und spielte in dem bis dato erfolgreichsten portugiesischen Kinofilm "Capas Negras" die Hauptrolle. Doch es war vor allem ihre variationsreiche, unverkennbare, einzigartige Stimme, die ihr den ganz großen Erfolg bescherte:
"Ich höre mir neue Lieder immer wieder an und lerne so Melodie und Text auswendig. Aber ich übe die Lieder nie ein. Denn dann käme auf der Bühne trotzdem etwas ganz anderes heraus.
Ich kann eigentlich gar nicht singen, das habe ich immer gesagt, aber niemand will mir glauben. Ich singe einfach nur das, was aus mir heraussprudelt."
Doch ihr Erfolg machte sie für die Vordenker des autoritären Salazar-Regimes auch zu einer idealen Identifikationsfigur. Der gefühlsbetonte Fado-Gesang, der in den Armenvierteln Lissabons entstanden war und auch dank Amália in bürgerlichen Kreisen salonfähig wurde, sollte für die überwiegend arme und ungebildete Bevölkerung eine Art "Opium des Volkes" sein.
Amália ließ sich zu Staatsbanketten einladen, doch sie hat sich zeit ihres Lebens gegen den Vorwurf gewehrt, sie sei eine Handlangerin des Regimes gewesen.
Nach dem Sturz der Diktatur Mitte der 70er-Jahre wurde Amália nicht vergessen, aber sie rückte aus dem Rampenlicht, während die Portugiesen ihren Weg in eine moderne, demokratische Zukunft und eine kulturelle Annäherung an Europa suchten.
Nach dem Sturz der Diktatur Mitte der 70er-Jahre wurde Amália nicht vergessen, aber sie rückte aus dem Rampenlicht, während die Portugiesen ihren Weg in eine moderne, demokratische Zukunft und eine kulturelle Annäherung an Europa suchten.
Zehntausende nahmen Abschied
Der Fado war für Amália Rodrigues jedoch nie Ausdruck politischer Propaganda, sondern der Blick in die Abgründe ihrer eigenen, tief melancholischen Seele:
"Ich vereine in mir all das, was der Fado verlangt. Ich bin enttäuscht, habe keinen richtigen Bezug zu den materiellen Dingen des Lebens. Ich bin traurig von Natur aus, verbittert, unzufrieden und fühle mich einsam."
Die große Zuneigung der Portugiesen erlebte Amália noch vor ihrem Tod. Sie wurde in den 1990er-Jahren bei ihren wenigen Konzerten frenetisch gefeiert. Als Amália Rodrigues am 6. Oktober 1999 starb, begleiteten Zehntausende Menschen den Sarg durch die Straßen Lissabons.