"Kultur ist auch Respektierung der Fragen, die wir nicht beantworten können, die uns nur nachdenklich machen und nachdenklich bleiben lassen. Heine hat über Kant seinen Spott ausgeschüttet, er habe die zweite Kritik, die der praktischen Vernunft, mit den Themen Freiheit, Existenz Gottes, Unsterblichkeit, nur seinem alten Diener Lampe zuliebe geschrieben. Wenn der Übermut des Spötters verklungen ist, wird man nachdenklich: Ob das nicht gar wahr sein könnte?"
Mit einer Rede über "Nachdenklichkeit" bedankte sich der Münsteraner Philosophieprofessor Hans Blumenberg 1980 in Darmstadt für die Verleihung des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa.
Das Kriegsende erlebte Blumenberg versteckt
Geboren wurde Hans Blumenberg am 13. Juli 1920 in Lübeck. Der Vater, Kunsthändler und Verleger, gehörte zur katholischen Diaspora der Stadt, die Mutter entstammte einer jüdischen Familie. Gemäß nationalsozialistischer Rassenlehre war der Sohn "Halbjude", durfte deshalb nicht die Universität besuchen. Das Studium an Philosophisch-Theologischen Hochschulen, auf die er auswich, musste er abbrechen. Aus einem Internierungslager befreite ihn die schützende Hand eines Lübecker Fabrikanten, das Kriegsende erlebte Blumenberg versteckt bei der Familie seiner Frau.
Erst nach dem Krieg konnte er endlich Philosophie, Germanistik und Klassische Philologie studieren. Es folgte eine akademische Karriere auf Philosophie-Lehrstühlen in Gießen, Bochum und Münster. Doch die Vergangenheit wirkte auf eine besondere Weise nach, wie er Odo Marquard erzählte, seinem Darmstädter Laudator.
Odo Marquard: "Er sagte zu mir: Ich habe acht Jahre verloren, die ich aufholen muss. Um diese verlorene Lebenszeit aufzuholen, hat er fortan nur sechsmal in der Woche geschlafen und dadurch wöchentlich einen Arbeitstag gewonnen."
Blumenberg war aber mehr als ein zeitweise auch hochschulorganisatorisch engagierter Professor. Er war einer der Gründer der 1963 ins Leben gerufenen Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik" und gehörte zu den Herausgebern der "Theorie"-Reihe im Suhrkamp Verlag. Der Durchbruch gelang mit der 600 Seiten starken "Legitimität der Neuzeit".
Bereits dieses erste einer Reihe weit ausgreifender geistes- und wissenschaftshistorischer Werke zeichnet sich durch eine Tendenz zu erzählender Philosophie aus. Schon der Buchtitel kündet von Blumenbergs Überzeugung, dass es sich – ideengeschichtlich gesehen – bei der Neuzeit beziehungsweise Moderne um eine eigenständige Epoche handelt. Ungeachtet mancher Überschneidungen ist sie keinesfalls als ein Erbe mittelalterlicher theologischer Vorstellungen, als Resultat einer Säkularisierung, aufzufassen. Sie steht im Gegenteil für die Selbstbehauptung einer auf Naturwissenschaft und Technik setzenden Menschheit gegenüber Vorstellungen von göttlicher Übermacht und Willkür.
Metaphern und Mythen
Blumenberg war überzeugt: "Die Probleme, die der Fortschritt aufgeworfen hat und aufwerfen wird, können nur durch weitere Fortschritte gelöst werden." Doch unsentimentaler Fortschrittsoptimismus reichte für Blumenberg nicht als Mittel menschlicher Selbstbehauptung. In weiteren Werken wie "Arbeit am Mythos" stehen im Mittelpunkt Metaphern und Mythen. Sie können das Unbegreifliche, das sich in Begriffen nicht fassen lässt, in seiner Unbegreiflichkeit vergegenwärtigen und gleichzeitig den Schrecken mildern.
Sein Buch über "Die Genesis der kopernikanischen Welt" beschloss Blumenberg mit einer wiederum nachdenklich stimmenden Bemerkung: Zur Euphorie des astronautischen Aufbruchs gehöre die Vorstellung, die Erde werde bald bloß noch einer von vielen Stützpunkten der Menschheit im Weltall sein.
Wenn aber der Mensch von seinem Ausflug in den Weltraum zurückkehre, werde er das anders sehen: "Die kosmische Oase, auf der der Mensch lebt, dieses Wunder von Ausnahme, der blaue Eigenplanet inmitten der enttäuschenden Himmelswüste, ist nicht mehr ‚auch ein Stern‘, sondern der einzige, der diesen Namen zu verdienen scheint." Blumenberg starb 1996 - ein Autor, der aus zunehmender Distanz zur Welt faszinierende Bilder von ihr entwarf.