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Vor 100 Jahren geboren
Der italienische Regisseur und Brecht-Bewunderer Giorgio Strehler

Ein "Mekka der Theaterkünste" wurde Giorgio Strehlers Mailänder Piccolo Teatro genannt. Hier bewunderte etwa Brecht die sehr italienische "Dreigroschenoper"-Interpretation von Strehler. Am 14. August 2021 wäre der Meisterregisseur hundert Jahre alt geworden.

Von Wolfgang Schreiber |
    Schwarzweiß Foto zeigt Bertolt Brecht 1956 mit den Gründern des Mailänder Piccolo Theaters Giorgio Strehler und Paolo Grassi
    Giorgio Strehler (links) mit Bertolt Brecht 1956 in Rom ( picture-alliance / dpa | epa ansa)
    Es ist das Jahr 1930: Der Dichter der "Dreigroschenoper", Bertolt Brecht, singt und schnarrt auf die Schellackplatte die Moritat des Mackie Messer. Jahrzehnte später lockt Giorgio Strehler, der junge Theaterregisseur in Mailand, Brecht an sein Piccolo Teatro, zeigt ihm die italienische Version der "Dreigroschenoper". Brecht ist für Strehler die Instanz, der Initiator eines epischen, nicht einfühlenden Theaters. Nur dort entsteht die kritische Distanzhaltung, der berühmte Verfremdungseffekt.
    Der Regisseur als Theaterrevolutionär, der Sozialromantiker und Italiener als Europäer: Giorgio Strehler verkörperte das alles. Er befeuerte die literarischen Emotionen und die Bänkelsänger-Lust der Künstler. Ein heißblütiger Idealist – der forderte: "Man muss dem Theater auf der ganzen Welt den Platz und die Möglichkeit geben, zu freierem, weniger durch Regeln eingeengten Leben, um mit mehr Herz, Vitalität, Liebe arbeiten zu können. Das ist sehr schwierig, ich weiß es."
    Zeichnung der Figuren aus der Dreigroschenoper, bei der ein einfacher Mann von Polizisten und Frakträgern zum Galgen gedrängt wird.
    1928 - Uraufführung der "Dreigroschenoper"
    Es war ein echter Überraschungserfolg im damals neueröffneten Theater am Schiffbauerdamm und zugleich der Durchbruch für Bertolt Brecht und Kurt Weill. 1928 wurde die "Dreigroschenoper" in Berlin uraufgeführt – und von Publikum und Kritik gefeiert.

    Brecht war begeistert

    Giorgio Strehler gelang es, dem schwierigen Bert Brecht, ein halbes Jahr bevor dieser starb, SEINE "Dreigroschenoper" vorzuführen, an Strehlers 1947 in Mailand gegründetem Piccolo Teatro. Und merkwürdig – Brecht akzeptierte, nein, er bewunderte die Interpretation seines Stücks durch die virtuose Mailänder Kompanie. Strehler habe, meinte Brecht, sein Werk "zum zweiten Mal geschaffen". Das Piccolo Teatro, einem Kino eingepflanzt, war das erste staatlich finanzierte Sprechtheater Italiens. Brecht, dessen Theater in Europa damals umkämpft war, blieb immer im Zentrum von Strehlers Arbeit, sagte er später:
    "Ohne Frage, für mich ist Brecht der bedeutendste Dramatiker unserer Epoche. (...) Ich kann über diejenigen, die das nicht erkennen wollen, nur lachen. (...) Sie erkennen Brechts Größe als Klassiker an, aber nicht seine Wirkungskraft in der Gegenwart."

    Perfekte Technik der Commedia dell’arte

    Geboren wurde Giorgio Strehler in Triest, am 14. August 1921, in eine bunte Familiensituation: der Vater Österreicher, die Mutter Slawin, Großmutter Französin. Bei ihm zu Hause sei Europa schon integriert gewesen, meinte Strehler. Den Weltkrieg verbrachte er in der Schweiz, in Genf entdeckte er das Theater. Nach Italien zurückgekehrt, wurde das Piccolo Teatro di Milano Strehlers Welt. Das "Mekka der Theaterkünste" nannte man das Piccolo damals. Ganz Europa bewunderte Strehlers perfekte Technik der Commedia dell’arte in Goldonis buffonesk gelenkigem "Diener zweier Herren". Oder seine Meisterregie zu Brechts "Leben des Galilei". Strehler inszenierte in Wien, Zürich und Hamburg, bei den Salzburger Festspielen seine Shakespeare-Mixtur "Das Spiel der Mächtigen". Und Oper, in Salzburg Mozarts "Entführung" und die "Zauberflöte", Verdi an der Mailänder Scala.
    Die italienische Sängerin und Schauspielerin Milva, Deutschland 1980er Jahre.
    Giorgio Strehler-Entdeckung Milva - Die singende Sozialistin
    Sie kam aus armen Verhältnissen und wurde mit ihren Brecht-Interpretationen nicht nur in ihrer Heimat Italien bekannt. Milva konnte die verschiedensten musikalischen Formate bespielen. Und die Herzen des Publikums gewinnen.
    Giorgio Strehlers Inszenierung von Verdis Historiendrama "Simon Boccanegra" stand für die künstlerische Übereinkunft mit Claudio Abbado, dem Dirigenten der Mailänder Scala. Strehlers "humanistischer Realismus" auf dem Theater blieb sein Erkennungszeichen - bis zu seinem Tod am Weihnachtstag des Jahres 1997 in Lugano. Es war für ihn ebenso bestimmend wie einst die Initialzündung seiner Mailänder Begegnung mit Bert Brecht. Von ihm hatte er etwas Wichtiges erfahren: das soziale Bestreben aller Theaterkunst.