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Vor 100 Jahren geboren
Diplomat und Widerstandskämpfer Stéphane Hessel

KZ-Insasse, Diplomat, Menschenrechtsaktivist, Empörer - Stéphane Hessel erreichte ein Millionenpublikum und inspirierte viele Protestbewegungen inner- und außerhalb Frankreichs. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.

Von Peter Hölzle |
    Stéphane Hessel im Juni 2012 in Paris.
    Das Konzentrationslager brach ihn nicht, sondern lehrte ihn, für eine menschlichere Welt zu kämpfen. Stéphane Hessel, Diplomat, Menschenrechtsaktivist und Publizist, hier 2012, wäre heute 100 Jahre alt geworden (picture alliance / dpa / Ian Langsdon)
    "Das Außergewöhnliche daran ist natürlich, dass ich in den frühen Jahren der Zwischenkriegsperiode als kleiner Junge nach Frankreich komme, also 1924. Mein Glück war, dass ich durch die Familie schnell in die französische Schule gekommen bin. Na, dann kam der Krieg. Ich hatte das Glück, nach England zu fliehen und dort mit General de Gaulle zu arbeiten, wurde dann nach Frankreich gesandt, wo mich die Gestapo festnahm. Ich kam also ins KZ, konnte von da entkommen – glücklicherweise, und nun wollte ich als ein echter Franzose etwas für dieses neue Vaterland treiben, und das war eben Diplomatie."
    Der da aus seinem Leben erzählt, heißt Stéphane Hessel, wurde am 20. Oktober 1917 in Berlin geboren und ist am 27. Februar 2013, hochbetagt und hochgeehrt in Paris gestorben – nach einem atemberaubenden Leben im Widerstand gegen Nazideutschland und einem Leidensweg durch die Konzentrationslager Buchenwald, Rottleberode und Dora, dann einer außergewöhnlichen Diplomatenkarriere und schließlich einem Un-Ruhestand auch in der Dissidenz.
    Kindheit inmitten einer polyamourösen Konstellation
    Das Außergewöhnliche dieses Lebens beginnt schon in der Kindheit. Hessels Vater, der Schriftsteller Franz Hessel, teilt seine Frau mit seinem besten Freund. Diese Dreiecksbeziehung war damals selbst in Paris noch nicht selbstverständlich.
    Ungewöhnlich begann auch seine Diplomatenlaufbahn. Der Unerschrockene, der mit Mut und List drei KZs überlebte, hat beim Eintritt in den auswärtigen Dienst erneut Glück. Er kommt in den Stab Henri Laugiers, des stellvertretenden Generalsekretärs der Vereinten Nationen, und ist sowohl an der Formulierung der UN-Menschenrechtscharta als auch am UN-Entwicklungsprogramm beteiligt. Im Rückblick meint er:
    "Das war für mich eine enorme Genugtuung. Ich sagte mir: Jetzt haben wir einen Wegweiser für die Zukunft der Menschheit, denn wenn diese 'allgemeine Erklärung' wirklich von allen Mitgliedsstaaten ernst genommen wird – einmal –, dann würden wir eine wunderbare, schöne Welt vor uns haben. – Soweit sind wir leider noch nicht."
    In Hessels langem Diplomatenleben sollte dies nicht die einzige Enttäuschung bleiben. Und trotzdem kehrte er immer wieder zu den Vereinten Nationen zurück. Nach New York stand er auch in Genf auf Posten. Dort war er um die Verbesserung des Nord-Süd-Dialogs und die Durchsetzung der Menschenrechte bemüht.
    Ein früher globaler Denker
    Früher als andere erkannte er dabei den Zusammenhang zwischen Einwanderung und mangelnder Kooperation der Ersten mit der Dritten Welt und machte sich zum Fürsprecher der armen Staaten bei den reichen. Woher dieser anhaltende Einsatz für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit?
    "Vielleicht kann man sich denken, dass, wenn man selbst seine Menschenrechte so schlecht behandelt gesehen hat wie ich in den KZs, dass man da schon eine Verantwortung fühlt. Wenn ich also als Immigrant, der ich ja selbst gewesen bin, wenn ich heute Immigranten sehe, die in Frankreich schlecht behandelt werden, dann ist es mir natürlich, mich einzusetzen und meinen Mitbürgern zu erklären, wie wichtig es für sie gerade ist, dass Immigration ein positives Element unserer Gesellschaft wird und nicht ein Schreckenselement."
    Nach dieser persönlichen Lebenserkenntnis handelte Stéphane Hessel noch im Ruhestand. So 1996, als er auf den Straßen von Paris Partei ergriff für das Bleiberecht der "sans papiers", jener in den Widersprüchen französischer Einwanderungsgesetzgebung gefangenen Afrikaner.
    2010 erschien seine Streitschrift "Empört Euch"
    So 2010, als er mit der Streitschrift "Empört Euch" die Jugend zum gewaltfreien Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeit, Menschenrechtsverletzungen, wuchernden Finanzkapitalismus und Umweltzerstörung aufrief und damit in kurzer Zeit ein Millionen-Publikum erreichte, das sich auch in Protestbewegungen auf der iberischen Halbinsel und in Griechenland auf ihn berief.