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Vor 100 Jahren geboren
Moondog - Straßenmusiker und Unikum der modernen E-Musik

Fast 30 Jahre stand ein blinder Mann mit langem Bart an einer Straßenkreuzung in New York und war für viele namhafte Künstler eine Anlaufstelle in der Metropole. Es war der US-amerikanische Musiker und Komponist Moondog, der von Jazzfans genauso verehrt wurde wie von Avantgarde-Anhängern oder Klassik-Liebhabern. Vor 100 Jahren wurde Moondog als Louis Hardin in Kansas geboren.

Von Michael Kleff |
    Moondog 1976 in Frankreich
    Moondog 1976 in Frankreich (imago/Philippe Gras)
    "Ich bin irgendwie ein Außenseiter. Die klassische Musik nennt mich einen der ihren. So wie auch der Jazz. Dabei gehöre ich zu keinem von beiden. Aber meine Werke haben Elemente, die in beide Richtungen gehen.”
    Moondog – am 26. Mai 1916 als Louis Hardin im US-Bundesstaat Kansas geboren – war ein Unikum der modernen E-Musik. In seinen weit über 1.000 Werken verband er klassische Kompositionstechniken und populäre Sounds zu Orchesterstücken und Madrigalen. Besonders seine Kompositionen für Bläser und Schlagzeug wurden von der Kritik gewürdigt. So sagte Igor Strawinsky:
    "Bedenken Sie, der Mann ist ein ernst zu nehmender Komponist."
    Nachdem Louis Hardin als 16-Jähriger bei einer Explosion sein Augenlicht verloren hatte, bekam er auf einer Blindenschule Unterricht in Klavier und Violine, Chorgesang und Harmonielehre. Danach wurde er auf einem Konservatorium in die Geheimnisse des Kontrapunkts und der totalen Tonalität eingeweiht, was seine Kompositionen von da an bestimmen sollte.
    "Beethoven, Haydn, Mozart befolgen die Regeln manchmal. Ich befolge sie immer."
    "Ich wollte etwas aus mir machen. Also musste ich nach New York. Denn das ist der Ort, an dem du es schaffen musst.”
    Jahrzehnte stand er an einer Straßenecke
    1943 ging Louis Hardin nach New York, wo er sich in Erinnerung an seinen Hund, der immer den Mond angebellt hatte, den Künstlernamen Moondog gab. Fast 30 Jahre lang stand er an der Ecke 54. Straße/6. Avenue mit langem weißen Bart, gekleidet wie ein Wikinger mit Helm und Speer, sang zur Trommelbegleitung seine Lieder und verkaufte seine Gedichte. Auf der Straße machte er auch die Bekanntschaft arrivierter Musiker, wie Charlie Parker, Leonard Bernstein oder Philip Glass. Schnell wurde Moondog so zum allseits bekannten Original.
    Doch obwohl er bereits in den 50er-Jahren erste Alben eingespielt, eine Platte mit Julie Andrews aufgenommen und mit Charles Mingus auf der Bühne gestanden hatte, blieb der Durchbruch aus. So stand Moondog weiter auf der Straße.
    "Ich hatte die Wahl: Entweder auf die Straße, trotz Kälte und Regen, oder in einem Heim Matten und Körbe flechten. So eine Schattenexistenz wollte ich nicht sein."
    Erst Ende der 60er-Jahre wendete sich das Blatt für Moondog. Unter anderen entdeckte ihn die Woodstock-Generation. Janis Joplin nahm eine Version seines Madrigals "All Is Loneliness” auf. Kommentar des Komponisten:
    "Sie haben es verhunzt!"
    Der Weg ins Ruhrgebiet
    Auf Einladung des Hessischen Rundfunks kam Moondog 1974 nach Frankfurt. Nach seinem Auftritt lud ihn ein Fan, Ilona Goebel, zu sich ins Ruhrgebiet ein. Und er blieb. Ilona Goebel wurde seine Managerin und notierte seine Kompositionen. Sein Comeback in den USA feierte Moondog 1989 als 73-Jähriger mit der Aufführung einiger seiner Werke durch die Brooklyner Philharmoniker in New York. Er selbst saß dabei an der Seite des Orchesters, schlug auf seiner Trommel und dirigierte.
    Bis zu seinem Tod 1999 in Münster schrieb Moondog weiter Werke, die vom streng eingehaltenen Kontrapunkt geformt wurden, aber dennoch improvisatorische Elemente und einfühlsame Melodien beinhalteten. Für Ilona Goebel hatte Louis Hardin gleich drei Leben.
    "Einmal dieses Naturverbundene, gar nicht von Kunst befleckt, wirklich der Mensch und Natur. Dann der Mensch und die Großstadt. Und das unter den härtesten Bedingungen, die man sich ja vorstellen kann. Und dann richtig, wie er ja sagt, das Komponistendasein, so das wahre.