"Im Fernsehen hattest du das Gefühl, sie singt nur für dich. Es war, als würde sie dich kennen. Damals war ihr Gesicht wie geschaffen für das neue Medium", so der Jazzsänger Mark Murphy über Peggy Lee.
"Sie trug ein hauchdünnes weißes Kleid, und ich dachte, ich hätte einen Engel vor mir. Peg war das Girl des großen Bedauerns."
Flucht vor dem Martyrium
Sie kam aus dem Nichts und aus dem Nichts machte sie viel. Als Norma Egstrom, eines von sechs Kindern, wurde sie am 26. Mai 1920 in Jamestown/North Dakota geboren. Mit vier Jahren verlor sie ihre Mutter, die elf Jahre unter ihrer deutschstämmigen Stiefmutter wurden zum Martyrium. Derweil hatte ihr Vater, der sie wie einen kleinen Engel verehrte, ein Alkoholproblem.
Ihr Rettungsanker war der Gesang. Mit stoischer Ruhe, cool und souverän, klammerte sich Peggy Lee – als eine der Hölle entronnene, frühreife Frau – fortan nur noch an Themen wie Liebe, Wärme und Zärtlichkeit.
Benny Goodman entdeckte sie 1941. In seiner Band fühlte sie sich wie ein Spielzeug in einer Kuckucksuhr. Über das, was sie als Kind erlebt hatte, schwieg sie. Der Komponist Victor Young sagte über sie: "Sie kann keine einzige Note lesen, aber sie weiß sehr genau, was sie hören will."
"Die blonde Sirene aus der Prärie"
Normas Heimat waren die flachen, endlosen Weiten von Dakota. Peggy Lee wurde durchs Radio berühmt. Wenn draußen der Sturm heulte, saßen Eltern und Kinder zusammen ums Radio. Im kalten und kargen Dakota beschwörte es Fernweh, es war ein Fluchtweg, um der Umzingelung aus Einsamkeit und Dunkelheit zu entweichen.
Normas Großeltern waren Schweden und Norweger, die unter härtesten Bedingungen Dakotas Wetterlaunen ertrugen. Stoizismus lag ihnen im Blut, aber Alkoholismus war ebenso ein großes Thema. Die "blonde Sirene aus der Prärie" nannten ihre Fans Peggy Lee.
Auf den Produzenten George Avakian wirkte sie: "eiskalt – sehr reserviert, streng aussehend und sehr still, irgendwie künstlich."
"Ein Griff ins Gefrierfach der Seele"
Sie spielte die kleine Single "Fever" von Ray Peterson, einem Teenie-Sänger aus Texas, bis keine Rillen mehr drauf waren. Dann fand sie die Originalversion, 1956 gesungen von dem Schwarzen Little Willie John. Sie schrieb ein paar Zeilen dazu; unter anderem über Pocahontas, die Tochter eines Indianers und ihre verrückte Affäre.
"Es gibt wundervolle Songs", erzählt sie. "Ich suche immer Material aus, das es mir erlaubt, eine Story zu erzählen."
Ein Bassist, ein Trommler und Peggy Lee brauchten eine Stunde, um mit "Fever" einen der größten Hits aller Zeiten zu produzieren. Die Peggy Lee-Alben für Capitol Records waren der Griff ins Gefrierfach der Seele, dort wo die Eiswürfel liegen.
Viel Make-up, um die Verletzlichkeit zu kaschieren
"Ich liebe Gesang und Musik ganz allgemein", hat sie einmal erzählt. "Ich habe immer das Gefühl, ich kann in die Rolle schlüpfen, nach der ein Song verlangt. Eine Stimmung erzeugen. Vielleicht bin ich exzentrisch?"
Dass sie selbst Songs schrieb oder andere umschrieb, war für eine Sängerin ihrer Zeit extrem selten. Sie fühlte sich den Schwarzen verbunden, spürte eine Beziehung zu dem Leid, das sie durchlitten. Den Durchbruch hatte Peggy Lee mit ihrem Album "Black Coffee", in die düsteren Herzkammern vordringend, wo die Verletzbarkeit ist.
Vor ihren Auftritten brauchte sie Stunden, um die Peggy Lee-Puppe zu erschaffen – mit Make-up, falschen Haarteilen und anderen Tricks.
Die mit vielen hohen Preisen geehrte Sängerin und Songschreiberin Peggy Lee starb mit 81 Jahren am 21. Januar 2002 in Bel Air, Kalifornien.