Die Trauerfeier für den am 4. Juli 1920 gestorbenen Grafiker, Bildhauer und Maler glich einem Staatsbegräbnis. Zahlreiche Gäste drängten sich um die Grabstätte auf Max Klingers Weinberg in Großjena, heute ein Stadtteil von Naumburg an der Saale. Repräsentanten seiner Geburtsstadt Leipzig sowie diverser Akademien und Künstlerbünde hielten Reden.
Die Grafikerin Käthe Kollwitz erzählte in ihrer Ansprache von der Bewunderung, die sie bei den ersten Begegnungen mit dem Werk Klingers empfunden hatte.
"Wir jungen Leute drängten uns zu den Kupferstichkabinetten in München, in Berlin, um Klingers Radierungen zu sehen. Der ungeheure Lebensdrang, die Energie des Ausdrucks waren es, was uns daran packte. Wir wussten: Max Klinger bleibt nicht an der Oberfläche der Dinge haften, er dringt in die dunkle Lebenstiefe."
Symbolismus in Druckgrafiken
Tatsächlich ist es vor allem die Druckgrafik, mit der der Symbolist Klinger sich in die Kunstgeschichte eingeschrieben hat. Virtuos gestaltete er mit Feder, Pinsel oder Radiernadel raffinierte, oft rätselhafte Bildwelten – und verhalf der im Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht besonders angesehenen Disziplin zu einem neuen Aufschwung. In der 1891 erschienenen Schrift "Malerei und Zeichnung" untermauerte Klinger sein Faible für die "Griffelkunst" – ein Begriff, unter dem er Zeichnung und Druckgrafik zusammenfasste – auch theoretisch.
Seine Arbeiten brachte er vornehmlich in Zyklen von bis zu 41 Blättern heraus und versah sie selbstbewusst mit Opuszahlen.
"Einzelnes kann mancher schaffen, aber zusammenfügen, eine große Idee oder eine Ideenreihe künstlerisch in gleiches Licht zu setzen, das kann nicht 'Jeder'."
"So unähnlich allem, was man früher gesehen"
Studiert hatte der am 18. Februar 1857 geborene Sohn eines Seifenfabrikanten bei dem Realisten Karl Gussow. Ihm war er von der Badischen Kunstschule in Karlsruhe an die Königliche Akademie nach Berlin gefolgt. In der soeben zur Hauptstadt des Deutschen Reiches ernannten Metropole knüpfte Klinger Netzwerke, fand Impulse und machte in ersten Ausstellungen auf sich aufmerksam.
Wichtige Werke entstanden, etwa der Zyklus "Der Handschuh". Darin verarbeitete er den Fund eines Damenhandschuhs auf einer Berliner Rollschuhbahn zu sehr persönlichen traumhaften Zeichnungen. Der Kunstkritiker Georg Brandes bemerkte 1882:
"Ihre Originalität war so tief und so barock, sie waren so unähnlich Allem, was man früher in dieser Art gesehen, dass kein Besucher gleichgültig daran vorüberging. Der gewöhnliche Berliner war sich allerdings nicht ganz klar darüber, ob dies Genialität oder Wahnwitz sei."
"Die Moderne rollt nach 1900 über ihn hinweg"
Als Bildhauer fertigte Max Klinger vor allem Denkmäler und Porträtbüsten – etwa von Friedrich Nietzsche, Franz Liszt, Johannes Brahms oder Richard Wagner.
1902 vollendete Klinger, der auch ein talentierter Klavierspieler war, seine monumentale Beethoven-Skulptur. Sie zeigt den Komponisten in der Art einer antiken Götterdarstellung – mit nacktem Oberkörper auf einem Thron sitzend, den Blick ernst nach innen gerichtet. Klinger verarbeitete dafür unterschiedlich farbigen Marmor, Alabaster, Bronze, Elfenbein und Bernstein.
Das prunkvolle Werk bildete das Zentrum einer Beethoven gewidmeten Ausstellung der Wiener Secession und wurde zusammen mit Gustav Klimts Beethovenfries gezeigt. Das Echo auf die Skulptur fiel gespalten aus. Kritiker bemängelten, sie sei schwülstig und zu naturalistisch. Der Kunsthistoriker Frank Zöllner:
"Als Bildhauer ist er ab einem bestimmten Punkt nicht mehr Avantgarde. Da fällt er einfach hinter Gestalten wie Rodin zurück, den er ja auch sehr verehrt hat. Die Moderne rollt eigentlich nach 1900 über ihn hinweg."
Von den Nazis vereinnahmt
Das fiel auch den Zeitgenossen auf. Der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe urteilte 1920:
"Er wusste viel von dem und jenem, […], aber er hatte keine blasse Ahnung von den Äquivalenten. Kein Künstler. Ein Zwischending, ein Ersatz, ein Kunstgewerbler."
Ab den 1930er-Jahren versuchten die Nationalsozialisten, Klinger im Sinne ihrer Ideologie zu interpretieren, was die Rezeption seines Werkes nach 1945 zusätzlich belastete.
Erst seit der deutschen Wiedervereinigung erlebt Klingers künstlerisches Vermächtnis eine neue Wertschätzung. Dass die fast fünf Tonnen schwere Beethoven-Skulptur zum 250. Geburtstag des Komponisten von Leipzig nach Bonn geholt wird, ist ein schwerwiegender Beweis dafür.