Archiv

Vor 100 Jahren
In Deutschland wurde das Wahlrecht für Frauen eingeführt

Die Französin Olympe de Gouges gilt als eine der ersten Frauenrechtlerinnen. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wehrte sie sich gegen Männer-Privilegien. Doch es dauerte noch über 100 Jahre, bis eine internationale Frauenbewegung erreichte, dass Frauen wählen dürfen. Am 12. November 1918 war es so weit.

Von Regina Kusch |
    Demonstration für das Frauenwahlrecht am 12. Mai 1912 in Berlin, digital koloriertes Foto der Gebrüder Haeckel
    Demonstration für das Frauenwahlrecht am 12. Mai 1912 in Berlin (picture alliance/akg-images)
    "Meine Herren und Damen! Wenn ich als Frau zu Ihnen spreche, so hoffe ich doch, dass recht viele Männer auf meine Worte achten werden. Die Frau ist voll berechtigte Staatsbürgerin. Es gibt viel mehr Frauen im wahlfähigen Alter als Männer."
    Die SPD-Abgeordnete Marie Juchacz war die erste Politikerin, die 1919 in der Weimarer Nationalversammlung vor einem deutschen Parlament sprechen durfte. Am 12. November 1918 war Frauen endlich das Wahlrecht zugestanden worden, für das sie jahrzehntelang gestritten hatten. Nun durften sie wählen und sich wählen lassen.
    Lange war es Frauen gesetzlich verboten, sich politisch zu engagieren oder Parteien beizutreten. Sie sollten heiraten und sich um die Kinder kümmern, wenn sie aus dem Mittelstand kamen. In den unteren Schichten mussten sie für den Erhalt ihrer Familie mitarbeiten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts organisierten sich Frauenrechtlerinnen in ganz Europa, doch nicht in einem gemeinsamen Protest, so die Historikerin Monika Wienfort von der FU Berlin. Sie waren in ein sozialistisches und ein bürgerliches Lager gespalten.
    "Viele aktive Frauen in dieser bürgerlichen Frauenbewegung haben gesagt, das Wahlrecht wäre zwar schön, aber es steht nicht im Vordergrund unserer Vorstellungen. Wir wollen vor allen Dingen Bildung, das heißt vor allem akademische Bildung, wir wollen Erwerbsmöglichkeiten jenseits von Fabrikarbeit für Frauen."
    Großdemonstrationen in ganz Europa zwischen 1911 und 1914
    Bei den Sozialistinnen stand weniger die individuelle Selbstbestimmung im Vordergrund: Sie wollten gleichberechtigt an der Seite ihrer Männer für die Rechte der Arbeiterschaft kämpfen. Die SPD hatte als einzige Partei das Frauenwahlrecht gefordert und 1895 unter August Bebel einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Reichstag eingebracht, der allerdings abgeschmettert wurde.
    Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg, Helene Stöcker und Minna Cauer gründeten 1902 den deutschen Verband für Frauenstimmrecht. Die Frauenwahlrechtsbewegung wurde immer stärker. Zwischen 1911 und 1914 fanden Großdemonstrationen in ganz Europa und den Vereinigten Staaten statt. Hunderttausende - bürgerliche wie Arbeiterfrauen - gingen nun bis zum Krieg gemeinsam auf die Straßen.
    "Die Frauenwahlrechtsbewegung ist in allen kriegsbeteiligten Staaten während des Krieges selber zum Erliegen gekommen … unter der Überschrift, dass jetzt nun die nationale Anstrengung vorrangig ist. Es gibt zahllose Abbildungen davon, wie Frauen im Ersten Weltkrieg Arbeitsplätze der Männer übernehmen, als Straßenbahnschaffnerinnen, in den Fabriken, zahllose Fotos von den Munitionsarbeiterinnen, und so weiter."
    In der Weimarer Verfassung wurde dann das Wahlrecht für Frauen gesetzlich verankert. Jetzt waren ihre Stimmen bei allen Parteien gefragt. 82 Prozent der weiblichen Wahlberechtigten gaben im Januar 1919 ihre Stimme ab. Knapp zehn Prozent aller Abgeordneten im Reichstag waren Frauen.
    In der Weimarer Republik gab es keine einzige Ministerin
    "Raus mit’n Männer aus'm Reichstag! Raus mit’n Männern aus dem Landtag! Raus mit die Männer aus'm Herrenhaus. Wir machen draus ein Frauenhaus!"
    Mit dieser Forderung erfreute die Diseuse Claire Waldoff zwar 1926 ihr Publikum im Kabarett. Aber in der Realität hatten Politikerinnen nichts zu lachen. Immer noch wurden sie von den meisten Männern nicht ernst genommen. Zehn Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts mühte sich die SPD-Abgeordnete Marie Juchacz immer noch ab, ihren männlichen Politikerkollegen zu erklären, warum das aufhören sollte.
    "Das Frauenwahlrecht ist eine Folge der gegen früher ganz veränderten sozialen Lage der Frauen. Wer zweifelt heute daran, dass die Frauen in der Industrie, in Handel und Verkehr, als Staatsbeamte und Angestellte, im freien künstlerischen und wissenschaftlichen Beruf eine wichtige Rolle spielen."
    In der Weimarer Republik gab es keine einzige Ministerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg kämpften Politikerinnen, die sogenannten Mütter des Grundgesetzes, dafür, dass im Artikel 3 die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verankert wurde. Bis heute kritisieren Feministinnen zu Recht, dass die nur theoretisch bestehe. Auch wenn mit Angela Merkel eine Frau eine wichtige Industrienation leitet, sind immer noch die meisten hohen politischen Ämter von Männern besetzt.