"In Storyville, dem Teil von New Orleans, in dem ich aufgewachsen bin, gab es Musikbars an jeder Straßenecke. Meistens gab es da einen Klavierspieler, manchmal Bands. Um Leute anzulocken, spielten die Musiker auch draußen vor dem Laden. Wir Kinder standen dann auf der anderen Straßenseite, hörten zu und tanzten. Ich war immer besonders begeistert, wenn ich Joe Oliver zuhören konnte. Wenn er bei einem der Straßenumzüge spielte, lief ich ständig neben ihm her, um keinen Ton zu verpassen."
So erinnert sich Louis Armstrong in seinen Memoiren an einen Ort, von dem viele sagen, er sei die Geburtsstätte des Jazz. Der Bau des Rotlichtviertels Storyville war 1897 von Stadtrat Sydney Story initiiert worden, um die Prostitution in der Hafenstadt besser kontrollieren zu können. Er umfasste 38 Häuserblocks und bot Sex für jeden Geldbeutel. In den Freudenhäusern sorgten Haus-Pianisten, die sogenannten Bordellprofessoren, für die musikalische Unterhaltung der Gäste. Doch Einlass fanden dort nur weiße Freier, so der Amerikanologe Berndt Ostendorf, Afroamerikaner durften lediglich als Musiker hinein.
"Die Zeit von Storyville fällt gerade in die Zeit, die zu dem Tiefpunkt der Rassenbeziehungen gehört. Es gab mehr Lynchmorde als zu irgendeiner anderen Zeit. Deswegen war Storyville für schwarze Musiker so außerordentlich wichtig, weil es wirklich eine der ganz wenigen Möglichkeiten war, in den Mainstream hineinzuwirken als Künstler."
Alle Prostituierten waren in sogenannte Bluebooks aufgelistet
Der Jazz Pionier Jelly Roll Morton begann seine Karriere in Storyville. Tony Jackson und Clarence Williams, seine Vorbilder, spielten dort genauso wie Kid Ory, der mit den Creole Jazz Musicians die populärste Band in ganz New Orleans leitete.
"Die Musiker konnten dort Sachen experimentieren und ausprobieren, die sie auf dem normalen Markt gar nicht hätten einsetzen können. Das Publikum in den Bordellen war sehr viel großzügiger und sehr viel aufnahmebereiter, und deswegen war das Milieu selbst eine Antriebsfeder der musikalischen Gestaltung."
Am Bahnhof und anderen zentralen Orten der Stadt lagen Journale aus, sogenannte Bluebooks, in denen alle Prostituierten, nach Namen und Hautfarbe geordnet, mit ihren Angeboten aufgelistet waren. Besonders begehrt waren Mulattinnen, von denen es viele in der Stadt gab.
"Es hat in New Orleans schon eine lange Tradition der Konkubinage gegeben. Die Pflanzer hatten eine normale Ehe mit weißen Frauen, und daneben hatten sie noch eine Konkubine, die sie dann regelmäßig besuchten. Sie hatten mit denen auch Kinder, und es entstand dadurch die größte Gruppe an freien Schwarzen in den Vereinigten Staaten."
Die luxuriöse "Mahogany Hall" hatte 15 beheizte Schlafzimmer
Die erfolgreichste mulattische Geschäftsfrau der Stadt war die Bordellbesitzerin Lulu White, berüchtigt durch ihre Vorliebe für Diamanten und ihre Vorstrafen. Ihr gehörte die luxuriöse "Mahogany Hall", ausgestattet mit einem Spiegelsaal, einer Tanzfläche, auf der die Prostituierten erotische Tänze darboten, und 15 beheizten Schlafzimmern mit Bad.
"Natürlich gab es auch einen moralischen Vorbehalt gegen Storyville, es gab zum Beispiel eine "Moral Hygiene Society", eine moralische Hygiene Gesellschaft, die polemisierte gegen die Bordelle, und deswegen gab es auch den Topos "Jazz" gleich "Koitus". Das Wort Jazz wurde für Geschlechtsverkehr benutzt in den Jahren 1910, 1920."
Das Rotlichtviertel war zwar eine bedeutende Einnahmequelle für die Stadt, aber die Kriminalität dort vielen ein Dorn im Auge. Nachdem bei Schießereien vier Soldaten umgekommen waren, verfügten das Verteidigungs- und das Marineministerium gegen den Willen des Bürgermeisters, dass es bei Marinestützpunkten in einem Umkreis von fünf Meilen keine Bordelle mehr geben durfte. Am 12. November 1917 wurde Storyville geschlossen. Die Freudenhäuser verschwanden und mit ihnen auch die Musiker, von denen die meisten nach New York und Chicago abwanderten.
Die "Mahogany Hall" wurde in den 40er-Jahren abgerissen und durch Sozialwohnungen ersetzt. Heute erinnert so gut wie nichts mehr an die 20-jährige Geschichte des berüchtigten Rotlichtviertels im Mississippi-Delta, dem Louis Armstrong und Billy Holiday in dem Arthur-Lubin-Film "New Orleans" ein Denkmal gesetzt haben.