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Vor 100 Jahren
Kurt Eisner proklamiert den "Freistaat" Bayern

Am 8. November 1918 proklamierte der USPD-Politiker Kurt Eisner den "Freistaat Bayern". Noch bevor in Berlin die Republik ausgerufen wurde, setzte das Volk in Bayern damit der Herrschaft des Adels ein Ende.

Von Michael Langer |
    Der bayerische Ministerpräsident in einer undatierten Aufnahme. Der Pazifist Kurt Eisner schloß sich im Ersten Weltkrieg der USPD an. Am 7. / 8. November 1918 proklamierte er den republikanischen "Freistaat Bayern". Seine Ermordung durch den nationalistischen Studenten Anton Graf von Arco am 21. Februar 1919 in München wurde zum Signal für die Ausrufung der zweiten Münchner Revolution.
    Kurt Eisner proklamierte am 8. November 1918 in München den "Freistaat" Bayern (picture-alliance / dpa)
    Wer schon damals keine Fremdwörter mochte, sagte statt "Republik" lieber "Freistaat". Gemeint war damit dasselbe und vor allem: ein von der Monarchie befreiter Staat.
    "Volle Zuversicht erfüllt mich beim Blick in die Zukunft!"
    So überschrieb König Ludwig III. von Bayern noch einen Aufruf im Sommer 1918. Dabei war der Niedergang der Monarchie bereits absehbar und der Erste Weltkrieg so gut wie verloren.
    "Überall brach die deutsche Front ein. Unaufhaltsam wichen die erschöpften, aufgelösten Armeen zurück. Immer näher und näher rückte der Krieg und flutete ins Hinterland."
    Der Schriftsteller Oskar Maria Graf war Zeuge der Zeit:
    "Über München tauchten die ersten italienischen Bombenflugzeuge auf, und über den rheinischen Städten kreisten französische, amerikanische und englische. Ein lähmendes Grauen erfaßte die Volksmassen. Bis jetzt hatten sie gemurrt, geschimpft und verwünscht, aber außer einem geringen Teil immer noch mehr oder weniger an die Unüberwindlichkeit des deutschen Feldheeres geglaubt. Nun wich diese Illusion jäh der hilflosen Angst und dem Entsetzen. Schluss machen! Schluss!! - Nieder mit dem Krieg! brüllten die dichtgedrängten schwarzen Massen, die jeden Tag die Straßen und Versammlungslokale überfüllten."
    Anführer der Revolution in München
    Kurt Eisner, der im Januar 1918 den Münchener Munitionsarbeiterstreik organisiert hatte, war erst Mitte Oktober aus der Haft entlassen worden und sollte als Vorsitzender der bayerischen USPD unversehens zum Anführer der Münchner Revolution werden.
    "Gleich einem aus dem Bette getretenen, haltlosen Strom floß das Volk durch die Städte. Es marschierte unentwegt und wusste nicht, wo aus und wohin."
    Dabei gingen in Bayern auch damals die Uhren nicht anders, sondern nur ein bisschen schneller: Ausgehend von der Meuterei der Marine in Wilhelmshaven und dem Kieler Matrosenaufstand vom 4. November sprang der Funke auf das ganze deutsche Reich über. Am 7. November 1918 kippte die Lage zuerst in München:
    "Wie eine kribbelige, schwarze Welle wälzten sich die tausend und abertausend Menschen hangaufwärts auf die Straße; weiter ging es im Schnellschritt, an geschlossenen Häusern und herabgezogenen Rolläden vorbei, den Kasernen zu."
    Massenkundgebung auf der Theresienwiese
    Gewerkschaften, SPD und USPD hatten zur gemeinsamen Massenkundgebung auf der Theresienwiese gerufen. Man forderte den sofortigen Waffenstillstand, die Abdankung des deutschen Kaisers, uneingeschränkte Redefreiheit und Demokratie - aber auch die Einführung einer Arbeitslosenversicherung und des Achtstundentages. Während der SPD-geführte Zug sich nach der Kundgebung auflöste, ergriffen radikale bayerische Bauern mit Eisners USPD die Initiative. Mittendrin war Oskar Maria Graf:
    "Wir marschierten, eingekeilt von einer dahinstürmenden Menge, fast ganz an der Spitze, kaum fünf Schritte weit entfernt von Eisner, den ich unablässig betrachtete. Er war blaß und schaute todernst drein; nichts redete er. Fast sah es aus, als hätte ihn das jähe Ereignis selber überfallen. Ab und zu starrte er gerade vor sich hin, halb ängstlich und halb verstört. Arm in Arm mit dem wuchtig ausschreitenden blinden Bauernführer Gandorfer ging er. Um die beiden herum war der Stoßtrupp der Getreuesten. Der Marsch war unaufhaltsam. Keine Gegenwehr kam."
    "Revolution schafft erst die Demokratie"
    Die kriegsmüden Münchener Garnisonssoldaten schlossen sich den Aufständischen an. Am Abend gründete sich der Arbeiter- und Soldatenrat, der Eisner zum ersten bayerischen Ministerpräsidenten ernannte. Noch in der Nacht zum 8. November - und anderthalb Tage bevor Philipp Scheidemann in Berlin die Republik ausrief - verkündete Kurt Eisner das Ende der Monarchie und den Freien Volksstaat Bayern:
    "Die Revolution ist nicht die Demokratie. Sie schafft erst die Demokratie."
    Tödliches Attentat auf Eisner im Februar 1919
    Eisner war Demokrat - und bei ihm war das ganze Volk gefragt: Es wurden Neuwahlen vereinbart, Justiz und Verwaltung blieben im Amt; die Übergangsregierung aus SPD und USPD vertagte die Entscheidungen über große Systemfragen wie die Verstaatlichung der Banken oder die Sozialisierung der Industriebetriebe. Beschlossen wurden aber sogleich der Achtstundentag für Arbeiter und das Wahlrecht für Frauen. Als Kurt Eisner zweieinhalb Monate später, im Februar 1919 nach verlorener Wahl auf dem Weg in den Landtag war, um seinen Rücktritt zu erklären, fiel er einem tödlichen Attentat zum Opfer.