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Vor 100 Jahren wurde der Schauspieler Bernhard Minetti geboren

Faust: Hier ist des Volkes wahrer Himmel, zufrieden jauchzet Groß und Klein, hier bin ich Mensch, (..) hier darf ich's sein.

Von Stefan Zednik |
    Es ist Doktor Faust beim Osterspaziergang, ein Mann in den besten Jahren, und doch ist hier die Stimme eines Greises zu hören. Bernhard Minetti ist bereits über 75 Jahre alt, als er diese Traumrolle der deutschen Literatur noch einmal spielen darf. Ein abgeklärter, ein körperlich müder Faust, der doch geistig viel jugendlicher scheint und immer noch voller Neugier ist.

    Ich gehe ja gern ins Theater, und eh so schizophren es sein mag, geh ich gern ins Theater, ich bilde mir ein, dass ich imstande bin, (vielleicht bild ich's mir nur ein, aber ich meine es wirklich, ich bilde es mir ein, imstande zu sein) so mich zu verhalten als hätte ich noch nie Theater gesehen.

    Bernhard Minetti wird am 26. Januar 1905 in Kiel geboren. Seine Vorfahren sind süddeutsch, schwedisch und, der Name deutet es an, auch italienisches Blut fließt in seinen Adern. Er liebt den Hafen, die Küste, den November mit seinem in die Bucht kriechenden Nebel. Noch Gymnasiast, bleibt er verschont vom ersten Krieg, kommt über die Statisterie des Kieler Theaters zur Bühne, und die ersten aktiven Erfahrungen münden in die Gewissheit, Schauspieler werden zu wollen. Mime sein, dabei immer wieder auf der Bühne über die Schauspielerei zu reflektieren, das wird ein Grundthema seines Lebens.

    Arturo Ui: Herr Ui, Sie sind an den rechten Mann gekommen, wie man klassisch auftritt kann der alte Mahonney Ihnen in zehn Minuten beibringen.

    Hier lehrt er in Brechts Stück den Gangster Arturo Ui die Grundbegriffe der Schauspielkunst. Minetti selbst lernt sie auf der Schauspielschule Leopold Jeßners in Berlin, Engagements in Gera und Darmstadt mit ersten großen Aufgaben schließen sich an. Dann ruft Berlin, Minetti wird Mitglied der Preußischen Staatstheater, Jürgen Fehling und Gustav Gründgens sind seine wichtigsten Regisseure. Während Gründgens als Schauspieler auch im Kino bekannt wird, beschränken sich Minettis Versuche in diesem Genre auf Nebenrollen und die Mitwirkung in "Tiefland", jenem unseligen Mammutwerk Leni Riefenstahls aus der Endphase des III. Reiches. Innerlich gegen die Diktatur eingestellt, lehnt er die angebotene Rolle des Jud Süß ab.

    Minetti übersteht unbeschadet mit Frau und zwei Kindern das Ende des Krieges, beginnt in Kiel wieder zu spielen, arbeitet unter anderem in Hamburg, Frankfurt und Düsseldorf. Bis in den 60er Jahren zum dritten Mal Berlin zum Zentrum seiner Arbeit wird.

    Minetti: Der Künstler ist erst der wahre Künstler, wenn er durch und durch wahnsinnig ist, wenn er sich in den Wahnsinn hineingestürzt hat, bedingungslos sich zur Methode gemacht hat. Der wahre Künstler hat sich den Wahnsinn seiner Kunst zur Methode gemacht.

    Mitte der siebziger Jahre scheint er am Ende seiner Karriere angekommen, die interessanten Rollen werden seltener, die Pensionsgrenze ist erreicht. Doch seine Laufbahn erfährt eine überraschende Wendung. Eine neue Generation von Regisseuren taucht auf. Sie ist an Minetti interessiert, er ihren kritischen Impulsen und neuen Arbeitsweisen gegenüber offen. Peter Zadek, Klaus Michael Grüber und Klaus Peymann arbeiten mit ihm. Vor allem durch Peymann kommt er in Kontakt mit dem Schriftsteller Thomas Bernhard, der für Minetti zu schreiben beginnt. Einem Stück gibt er gar den Namen des verehrten Schauspielers. Minetti spielt Minetti:

    Minetti: Mag die Welt denken und reden was sie will. Er darf nur kein Angsthase sein. Er darf kein Angsthase sein. Natürlich: Die Gesellschaft hat mir den Boden entzogen, indem sie mir die Bühne entzogen hat, die Senatoren haben mir den Prozess gemacht und meine Existenz ruiniert aber meine Künstlerschaft hat unter dieser Gemeinheit nicht gelitten (im Gegenteil.)

    Minettis schmerzlichste Berufserfahrung: Das Schillertheater wird nach der Wende trotz größter Widerstände geschlossen. Doch mit 90 Jahren findet er im Berliner Ensemble, der ehemaligen Brecht-Bühne, nochmals eine Bleibe.

    Die letzte Rolle, an der Bernhard Minetti dort 93-jährig arbeitet, ist der "Nebel" in Bert Brechts "Ozeanflug". Und es ist, als ob der Mime sich endgültig der Wirklichkeit entzieht und sich im Raum des Theaters in Luft auflöst.

    Ozeanflug: Ich bin der Nebel, kehr um, … jetzt bist Du noch ... noch Deinen Kompass, … werde älter, dann wirst Du wissen, wer ich bin. Ich bin der Nebel.