Die Niagarafälle waren schon im 19. Jahrhundert ein beliebtes Reiseziel, besonders bei Frischverheirateten. Sie zogen aber auch andere Wagemutige an, die es mit den Naturgewalten aufnehmen wollten. "Wieder ein Niagara-Irrer entsorgt" titelte 1888 mitleidlos die New York Times, nachdem ein Kanufahrer sich flussabwärts in die Whirlpool Stromschnellen gewagt und später "zerschunden wie ein Beefsteak" gefunden worden war.
Auch am 24. Oktober 1901 wettete kaum jemand unter den zahllosen Schaulustigen am Ufer auf das Überleben von Annie Edson Taylor, einer verwitweten Lehrerin aus Bay City, Michigan, die etwas nie Dagewesenes wagte: In einem ausgepolsterten Holzfass wollte sie die mächtigsten der Niagarafälle, die 57 Meter tiefen Horseshoe Falls, überwinden.
Der Reporter der New York Times war Augenzeuge:
Auch am 24. Oktober 1901 wettete kaum jemand unter den zahllosen Schaulustigen am Ufer auf das Überleben von Annie Edson Taylor, einer verwitweten Lehrerin aus Bay City, Michigan, die etwas nie Dagewesenes wagte: In einem ausgepolsterten Holzfass wollte sie die mächtigsten der Niagarafälle, die 57 Meter tiefen Horseshoe Falls, überwinden.
Der Reporter der New York Times war Augenzeuge:
"Um 5 Minuten nach Vier wurde das Fass losgebunden und Mrs. Taylor Strömungen überantwortet, die noch niemals ein menschliches Leben verschont haben, das sie zu packen bekamen. Um 4.23 Uhr stürzte das Fass hinab. Kaum eine Minute darauf tauchte es unter dem Wasserfall wieder auf und sauste stromabwärts. Es geriet in einen Strudel, bevor es stromaufwärts zurückschnellte und um 4 Uhr 40 eingefangen werden konnte."
"Ich danke Gott, dass er mir das Leben erhalten hat"
Annie Edson Taylor hatte überlebt: Mit einer blutenden Platzwunde am Kopf wurde sie aus dem Fass befreit. Mit fremder Hilfe konnte sie schwankend auf eigenen Beinen gehen. Allerdings stand sie unter Schock und wurde schwer seekrank in ihr Hotel gebracht. Irgendwie gelang es ihr dennoch, den Reportern eine Botschaft mitzugeben:
"Ich danke Gott, dass er mir das Leben erhalten hat. Noch mit meinen letzten Atemzügen werde ich jeden davor warnen, meinem Vorbild zu folgen. Ich selbst würde eher in ein Kanonenrohr kriechen und mich zerfetzen lassen, als noch einmal eine Fahrt über diesen Wasserfall zu unternehmen."
"Ich danke Gott, dass er mir das Leben erhalten hat. Noch mit meinen letzten Atemzügen werde ich jeden davor warnen, meinem Vorbild zu folgen. Ich selbst würde eher in ein Kanonenrohr kriechen und mich zerfetzen lassen, als noch einmal eine Fahrt über diesen Wasserfall zu unternehmen."
An Nachahmern hatte Annie auch ökonomisch kein Interesse. Denn die couragierte
63-Jährige plante, ihre neue Prominenz zu Geld zu machen, um der drohenden Altersarmut zu entkommen. So posierte sie bald bei allerlei Volksbelustigungen neben ihrem Fass und verkaufte für 50 Cent eine kleine Broschüre, wobei die selbsternannte "Königin des Wassernebels" ihr Alter souverän auf 45 Jahre herabsetzte. Doch sie geriet in fragwürdige Gesellschaft, wenn sie etwa zwischen einem Siebenjährigen, der Caesars Geschichte des Gallischen Krieges komplett aufsagen konnte, und einem Pensionär auftrat, der mit seiner Zahnprothese Telegrafensignale abfing. Zweimal brannten Annies Manager mit ihrem Fass durch und die Wiederbeschaffung der unverzichtbaren Requisite kostete sie viel Geld. Der erhoffte Wohlstand blieb aus.
Tod im Armenhaus 1921
Zudem bekam Annie Konkurrenz: 1911 stürzte sich der Kneipenwirt Bobby Leach in einem Stahlfass die Horseshoe Falls hinunter und überlebte mit zertrümmerten Kniescheiben und einem Kieferbruch. Als er ein halbes Jahr später das Krankenhaus verlassen konnte, machte der Glückspilz mit der frechen Behauptung, der erste Mann zu sein, der die Niagarafälle bezwungen habe, mehr Geld als seine Vorgängerin, die sich auf Hellseherei und Magnettherapie verlegen musste. Dass Leach 1926 auf einer Orangenschale ausrutschte und an den Folgen starb, hat seine Intimfeindin nicht mehr erlebt: Annie Edson Taylor starb 1921 im Armenhaus.
Ihr Vermächtnis war eine unglückselige Tradition: Immer wieder eiferten Teufelskerle an den Horseshoe Falls ihrem Vorbild nach: Von Charles Stephens, dessen Fass 1920 der Gewalt des Wassers nicht standhielt, tauchte nur ein abgerissener Arm wieder auf – er hinterließ Frau und elf Kinder; 1930 kam der Mystiker George Stathakis ums Leben, dessen Fass 14 Stunden lang unter dem Wasserfall eingeklemmt war; der Sauerstoff hatte nur für drei Stunden Martyrium gereicht. Die von Stathakis als Zeugin mitgenommene 105 Jahre alte Schildkröte überlebte, hüllte sich danach aber in Schweigen. Von den 15 mehr oder minder Wahnsinnigen, die nach Annie Edson Taylor die Niagarafälle in Fässern, Booten oder irgendwelchen Selbstbauten überquerten, bezahlten sechs mit ihrem Leben. Diese Quote sollte Normalsterbliche entmutigen, für waschechte "Daredevils" ist sie wohl eher ein Ansporn.
Ihr Vermächtnis war eine unglückselige Tradition: Immer wieder eiferten Teufelskerle an den Horseshoe Falls ihrem Vorbild nach: Von Charles Stephens, dessen Fass 1920 der Gewalt des Wassers nicht standhielt, tauchte nur ein abgerissener Arm wieder auf – er hinterließ Frau und elf Kinder; 1930 kam der Mystiker George Stathakis ums Leben, dessen Fass 14 Stunden lang unter dem Wasserfall eingeklemmt war; der Sauerstoff hatte nur für drei Stunden Martyrium gereicht. Die von Stathakis als Zeugin mitgenommene 105 Jahre alte Schildkröte überlebte, hüllte sich danach aber in Schweigen. Von den 15 mehr oder minder Wahnsinnigen, die nach Annie Edson Taylor die Niagarafälle in Fässern, Booten oder irgendwelchen Selbstbauten überquerten, bezahlten sechs mit ihrem Leben. Diese Quote sollte Normalsterbliche entmutigen, für waschechte "Daredevils" ist sie wohl eher ein Ansporn.