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Vor 120 Jahren
Protest der "Berliner Secession" gegen den erstarrten Kunstbetrieb

Sie stemmten sich gegen die Tradition und gegen den Kaiser: Mehr als 60 Künstler, darunter Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt, gründeten 1898 als Antwort auf den starren akademischen Kunstbetrieb die "Berliner Secession" und brachten damit die internationale Kunstwelt in die deutsche Hauptstadt.

Von Berit Hempel |
    Das Bild "Die Nacktheit" des Künstlers Lovis Corinth ist am 07.05.2015 im Landesmuseum in Hannover (Niedersachsen) in der Ausstellung "Brandbilder" zu sehen. Die Ausstellung zeigt Kunstwerke "als Zeugen des Zweiten Weltkriegs". Die Bilder lagerten 1943 in Hannover in einer Stahlkammer. Weil sich diese bei Bombenangriffen hoch erhitzte, wurden die Bilder beschädigt.
    Künstler wie Lovis Corinth und Max Liebermann wehrten sich gegen die Ausstellungskultur im deutschen Kaiserreich (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    Die erste Ausstellung der Berliner Secession im Mai 1899 war ein rauschender Erfolg: Landschaften, Porträts und Alltagsdarstellungen, luftig gehängt in einem eigens dafür errichteten Haus. Der Präsident der Berliner Secessionisten, Max Liebermann, in seiner Eröffnungsrede:
    "Für uns gibt es keine allein selig machende Richtung in der Kunst, sondern als Kunstwerk erscheint uns jedes Werk – welcher Richtung es auch angehören mag -, in dem sich eine aufrichtige Empfindung verkörpert. Nur die gewerbsmäßige Routine und die oberflächliche Mache derer, die in der Kunst nur die milchende Kuh sehen, bleiben grundsätzlich ausgeschlossen."
    Vom Protest gegen das staatliche Ausstellungssystem zum Erfolg
    Der große Erfolg der Ausstellung gab ihm recht, ein Viertel der rund 350 Skulpturen, Grafiken und Gemälde wurde direkt verkauft.
    Den Grundstein zu dieser Ausstellung hatte Max Liebermann ein Jahr zuvor gelegt. Am 2. Mai 1898 versammelte er einige Künstler um sich. Sie wollten Einfluss nehmen auf die alljährliche offizielle "Große Berliner Kunstausstellung", protestierten gegen die einseitige Auswahl und die enge Hängung der Bilder, forderten eine eigene Jury und eigene Ausstellungssäle. Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie in Berlin:
    "Es richtete sich gegen die Jury der Großen Berliner Kunstausstellung, die eben gemeinsam von der Königlichen Akademie und dem Verein Berliner Künstler wahrgenommen wurde. Und man wollte so gegen das staatlich sanktionierte Ausbildungs- und Ausstellungssystem mobil machen."
    Die Kunst sollte das Volk erziehen, den Gesetzen der Schönheit, der Harmonie und der Ästhetik gehorchen. Auf Verstöße reagierte Kaiser Wilhelm II. prompt. Nach der Uraufführung von Gerhart Hauptmanns Sozialdrama "Die Weber" 1894 hatte er kurzerhand seine Kaiserloge im Deutschen Theater in Berlin gekündigt. Käthe Kollwitz hingegen, Grafikerin und später selber Mitglied der Secessionisten, inspirierte das Theaterstück zu ihrem berühmten Grafikzyklus "Der Weberaufstand". Die eindringliche Bildfolge um Armut, Vergewaltigung und Kampf wurde für die kleine "Goldene Medaille" vorgeschlagen, doch der Kaiser verwehrte sie. Der Herrscher lehnte auch ein Bild des Malers Walter Leistikow ab, dem späteren Wortführer und Theoretiker der Berliner Secessionsten. Der klagte:
    "Die Kunst sollte nur dazu dienen, die Geschichte seiner Vorfahren zu verherrlichen."
    Neue Sehgewohnheiten gegen Vorgaben des Kaisers
    Die Kunstszene in Deutschland war gespalten: Auf der einen Seite die Erneuerer, auf der anderen die Bewahrer. Neue Sehgewohnheiten gegen konservative Vorgaben des Kaisers. Mitglieder der Königlichen Akademie der Künste nannten die Bilder des norwegischen Malers Edvard Munch dreiste Schmierereien.
    Nachdem ihre Forderung nach einer eigenen Jury und eigenen Räumen abgelehnt wurde, organisierten die Berliner Secessionisten ab 1899 eigene Ausstellungen. Und sie zeigten Munchs expressionistische Bilder.
    "Die Secession wollte eigentlich progressive, elitäre Ausstellungen mit jüngsten Kunstentwicklungen, auch internationalen Künstlern präsentieren. Und die sollten dann auch in einer besonderen Ausstellungsästhetik übersichtlich gehängt werden. Und das stand natürlich auch im Gegensatz zu den Genossenschaften, die als Berufsverbände eigentlich Ausstellungsgelegenheiten für die wachsende Anzahl von Künstlern schaffen wollten."
    Internationalisierung der Kunstwelt
    Die Secessionisten brachten die Avantgarde nach Berlin. Damit etablierten sie neue Kunstströmungen und sorgten für eine Internationalisierung der Kunstwelt: Symbolisten, Impressionisten und Jugendstilkünstler aus verschiedenen Ländern stellten bei ihnen aus.
    "Die Auswirkung der Berliner Secession sehe ich vor allem darin, dass sie wirklich eine Veränderung im Ausstellungswesen bewirkt haben. Und sie machten Berlin tatsächlich zu einer Kulturhauptstadt des deutschen Kaiserreichs, was vorher nicht unbedingt so gegeben war. München hatte da die Nase vorn."
    Die Berliner Secessionisten gingen als Erneuerer der Malerei in die Geschichte ein, Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt wurden als Berliner Impressionisten berühmt. Doch schon 1910 gehörten sie zu den Alten, den Bewahrern. Expressionistische Künstler forderten Veränderungen, spalteten sich ab und gründeten die "Neue Secession".